Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

gewöhnen müssen, weil er häufig Gast des Vismarckschen Hauses in Friedrichsruh
und in Berlin war und deshalb wie kein andrer Maler Gelegenheit hatte,
die Physiognomie des Fürsten uuter verschixdnen geistigen lind körperliche"
Stimmungen zu erforschen. Aus diesem Vorzüge ist eine Art Privilegium ge¬
worden, das der Münchener Porträtmaler F. A. Kaulbach zum Gegenstand
einiger sehr bittern Satiren gemacht hat. Aber ohne jedes Verdienst
wird in unsrer argwöhnischen Zeit ein Privilegium kaum mehr erworben.
Je mehr man sich vor den Leubachschen Bismnrck-Bildnissen über die Nach¬
lässigkeit und fast beleidigende Niicksichtslvsigkeit in der Ausführung aller dem
Kopfe untergeordneten Teile entrüstete, desto mehr wuchs das Erstaunen über deu
Scharfblick, womit der Künstler immer tiefer in das geistige Leben des Fürsten
eindrang. Und er ist am Ende wirklich dazu gelangt, die ganze geistige Beweg¬
lichkeit, die blitzende, unheimliche, fast dämonische Genialität des gewaltigen
Mannes ans dem monumental gebauten Kopfe herausleuchten zu lassen. Das
Hütte vielleicht auch die Fähigkeiten oder doch die künstlerische Auffassungsweise
eines Holbein tiberstiegen, der uns im günstigsten Falle den Diplomaten in
der Art Talleyrands oder den Staatsmann, der mit dein Ausdruck der Be¬
friedigung über den ersten Teil seines Lebenswerkes im Angesicht die Kaiser¬
proklamation in Versailles vorliest, mit vollkommener Treue wiedergegeben
hätte. Daß Lenbach bei seiner großen Wandlungsfähigkeit zur Not auch in
der Art Holbeins malen kann, hat er an dem Kopfe Moltkes gezeigt, der den
greisen Feldmarschall ohne Perücke darstellt, damit die interessante Schädel¬
bildung zu voller Erscheinung gelangen kann. Für den vorsichtig abwägenden,
kühl berechnenden Denker und Beobachter ist diese Art der Darstellung charak¬
teristisch und erschöpfend. Für einen Mann wie Bismarck, der unter der
Herrschaft genialer Eingebungen steht, dessen Entschlüsse und Thaten etwas
Jmprvvisirtcs, Blitzartiges haben, schien dem Künstler vielmehr die Dnrstellungs-
weise geeignet, die in ihrer höchsten Ausbildung mit dein Namen Rembrandt
verknüpft ist: ein Wetterleuchten aus dunkler Tiefe, das Himibergreifcn der
plastischen Form in ein schwebendes Helldunkel, die Verzichtleistung auf alles,
was der Philister an dem Ebenbilde seiner teuern Person am höchsten schätzt
und deshalb nicht missen will. Man würde Lenbach Unrecht thun, wenn man
ihm die Fähigkeit, eine Hand, einen Arm, einen Oberkörper richtig zu zeichnen,
absprechen wollte. Aber daß ihn alles dies, das er vielleicht auch als Ballast
der menschlichen Erscheinung sehr gering schätzt, in hohem Grade genirt, kann
kaum noch bezweifelt werden, wem: man das in diesem Jahre gemalte, durch
die Photographie vervielfältigte Bildnis in Betracht zieht, das den Fürsten
sitzend, etwa bis zu den Knieen, in .Kürassieruuiform und mit dem Stahlhelm
ans dem Haupte darstellt. Die Gestalt sieht matt, kraftlos, wie zusammenge¬
sunken aus, die Haltung erscheint gezwungen, und die dem Künstler einmal
in Fleisch und Blut übergegangne summarische Art der Pinselftthrung ist der


gewöhnen müssen, weil er häufig Gast des Vismarckschen Hauses in Friedrichsruh
und in Berlin war und deshalb wie kein andrer Maler Gelegenheit hatte,
die Physiognomie des Fürsten uuter verschixdnen geistigen lind körperliche»
Stimmungen zu erforschen. Aus diesem Vorzüge ist eine Art Privilegium ge¬
worden, das der Münchener Porträtmaler F. A. Kaulbach zum Gegenstand
einiger sehr bittern Satiren gemacht hat. Aber ohne jedes Verdienst
wird in unsrer argwöhnischen Zeit ein Privilegium kaum mehr erworben.
Je mehr man sich vor den Leubachschen Bismnrck-Bildnissen über die Nach¬
lässigkeit und fast beleidigende Niicksichtslvsigkeit in der Ausführung aller dem
Kopfe untergeordneten Teile entrüstete, desto mehr wuchs das Erstaunen über deu
Scharfblick, womit der Künstler immer tiefer in das geistige Leben des Fürsten
eindrang. Und er ist am Ende wirklich dazu gelangt, die ganze geistige Beweg¬
lichkeit, die blitzende, unheimliche, fast dämonische Genialität des gewaltigen
Mannes ans dem monumental gebauten Kopfe herausleuchten zu lassen. Das
Hütte vielleicht auch die Fähigkeiten oder doch die künstlerische Auffassungsweise
eines Holbein tiberstiegen, der uns im günstigsten Falle den Diplomaten in
der Art Talleyrands oder den Staatsmann, der mit dein Ausdruck der Be¬
friedigung über den ersten Teil seines Lebenswerkes im Angesicht die Kaiser¬
proklamation in Versailles vorliest, mit vollkommener Treue wiedergegeben
hätte. Daß Lenbach bei seiner großen Wandlungsfähigkeit zur Not auch in
der Art Holbeins malen kann, hat er an dem Kopfe Moltkes gezeigt, der den
greisen Feldmarschall ohne Perücke darstellt, damit die interessante Schädel¬
bildung zu voller Erscheinung gelangen kann. Für den vorsichtig abwägenden,
kühl berechnenden Denker und Beobachter ist diese Art der Darstellung charak¬
teristisch und erschöpfend. Für einen Mann wie Bismarck, der unter der
Herrschaft genialer Eingebungen steht, dessen Entschlüsse und Thaten etwas
Jmprvvisirtcs, Blitzartiges haben, schien dem Künstler vielmehr die Dnrstellungs-
weise geeignet, die in ihrer höchsten Ausbildung mit dein Namen Rembrandt
verknüpft ist: ein Wetterleuchten aus dunkler Tiefe, das Himibergreifcn der
plastischen Form in ein schwebendes Helldunkel, die Verzichtleistung auf alles,
was der Philister an dem Ebenbilde seiner teuern Person am höchsten schätzt
und deshalb nicht missen will. Man würde Lenbach Unrecht thun, wenn man
ihm die Fähigkeit, eine Hand, einen Arm, einen Oberkörper richtig zu zeichnen,
absprechen wollte. Aber daß ihn alles dies, das er vielleicht auch als Ballast
der menschlichen Erscheinung sehr gering schätzt, in hohem Grade genirt, kann
kaum noch bezweifelt werden, wem: man das in diesem Jahre gemalte, durch
die Photographie vervielfältigte Bildnis in Betracht zieht, das den Fürsten
sitzend, etwa bis zu den Knieen, in .Kürassieruuiform und mit dem Stahlhelm
ans dem Haupte darstellt. Die Gestalt sieht matt, kraftlos, wie zusammenge¬
sunken aus, die Haltung erscheint gezwungen, und die dem Künstler einmal
in Fleisch und Blut übergegangne summarische Art der Pinselftthrung ist der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207950"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_9" prev="#ID_8" next="#ID_10"> gewöhnen müssen, weil er häufig Gast des Vismarckschen Hauses in Friedrichsruh<lb/>
und in Berlin war und deshalb wie kein andrer Maler Gelegenheit hatte,<lb/>
die Physiognomie des Fürsten uuter verschixdnen geistigen lind körperliche»<lb/>
Stimmungen zu erforschen. Aus diesem Vorzüge ist eine Art Privilegium ge¬<lb/>
worden, das der Münchener Porträtmaler F. A. Kaulbach zum Gegenstand<lb/>
einiger sehr bittern Satiren  gemacht hat.  Aber ohne jedes Verdienst<lb/>
wird in unsrer argwöhnischen Zeit ein Privilegium kaum mehr erworben.<lb/>
Je mehr man sich vor den Leubachschen Bismnrck-Bildnissen über die Nach¬<lb/>
lässigkeit und fast beleidigende Niicksichtslvsigkeit in der Ausführung aller dem<lb/>
Kopfe untergeordneten Teile entrüstete, desto mehr wuchs das Erstaunen über deu<lb/>
Scharfblick, womit der Künstler immer tiefer in das geistige Leben des Fürsten<lb/>
eindrang. Und er ist am Ende wirklich dazu gelangt, die ganze geistige Beweg¬<lb/>
lichkeit, die blitzende, unheimliche, fast dämonische Genialität des gewaltigen<lb/>
Mannes ans dem monumental gebauten Kopfe herausleuchten zu lassen. Das<lb/>
Hütte vielleicht auch die Fähigkeiten oder doch die künstlerische Auffassungsweise<lb/>
eines Holbein tiberstiegen, der uns im günstigsten Falle den Diplomaten in<lb/>
der Art Talleyrands oder den Staatsmann, der mit dein Ausdruck der Be¬<lb/>
friedigung über den ersten Teil seines Lebenswerkes im Angesicht die Kaiser¬<lb/>
proklamation in Versailles vorliest, mit vollkommener Treue wiedergegeben<lb/>
hätte.  Daß Lenbach bei seiner großen Wandlungsfähigkeit zur Not auch in<lb/>
der Art Holbeins malen kann, hat er an dem Kopfe Moltkes gezeigt, der den<lb/>
greisen Feldmarschall ohne Perücke darstellt, damit die interessante Schädel¬<lb/>
bildung zu voller Erscheinung gelangen kann. Für den vorsichtig abwägenden,<lb/>
kühl berechnenden Denker und Beobachter ist diese Art der Darstellung charak¬<lb/>
teristisch und erschöpfend.  Für einen Mann wie Bismarck, der unter der<lb/>
Herrschaft genialer Eingebungen steht, dessen Entschlüsse und Thaten etwas<lb/>
Jmprvvisirtcs, Blitzartiges haben, schien dem Künstler vielmehr die Dnrstellungs-<lb/>
weise geeignet, die in ihrer höchsten Ausbildung mit dein Namen Rembrandt<lb/>
verknüpft ist: ein Wetterleuchten aus dunkler Tiefe, das Himibergreifcn der<lb/>
plastischen Form in ein schwebendes Helldunkel, die Verzichtleistung auf alles,<lb/>
was der Philister an dem Ebenbilde seiner teuern Person am höchsten schätzt<lb/>
und deshalb nicht missen will. Man würde Lenbach Unrecht thun, wenn man<lb/>
ihm die Fähigkeit, eine Hand, einen Arm, einen Oberkörper richtig zu zeichnen,<lb/>
absprechen wollte. Aber daß ihn alles dies, das er vielleicht auch als Ballast<lb/>
der menschlichen Erscheinung sehr gering schätzt, in hohem Grade genirt, kann<lb/>
kaum noch bezweifelt werden, wem: man das in diesem Jahre gemalte, durch<lb/>
die Photographie vervielfältigte Bildnis in Betracht zieht, das den Fürsten<lb/>
sitzend, etwa bis zu den Knieen, in .Kürassieruuiform und mit dem Stahlhelm<lb/>
ans dem Haupte darstellt. Die Gestalt sieht matt, kraftlos, wie zusammenge¬<lb/>
sunken aus, die Haltung erscheint gezwungen, und die dem Künstler einmal<lb/>
in Fleisch und Blut übergegangne summarische Art der Pinselftthrung ist der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] gewöhnen müssen, weil er häufig Gast des Vismarckschen Hauses in Friedrichsruh und in Berlin war und deshalb wie kein andrer Maler Gelegenheit hatte, die Physiognomie des Fürsten uuter verschixdnen geistigen lind körperliche» Stimmungen zu erforschen. Aus diesem Vorzüge ist eine Art Privilegium ge¬ worden, das der Münchener Porträtmaler F. A. Kaulbach zum Gegenstand einiger sehr bittern Satiren gemacht hat. Aber ohne jedes Verdienst wird in unsrer argwöhnischen Zeit ein Privilegium kaum mehr erworben. Je mehr man sich vor den Leubachschen Bismnrck-Bildnissen über die Nach¬ lässigkeit und fast beleidigende Niicksichtslvsigkeit in der Ausführung aller dem Kopfe untergeordneten Teile entrüstete, desto mehr wuchs das Erstaunen über deu Scharfblick, womit der Künstler immer tiefer in das geistige Leben des Fürsten eindrang. Und er ist am Ende wirklich dazu gelangt, die ganze geistige Beweg¬ lichkeit, die blitzende, unheimliche, fast dämonische Genialität des gewaltigen Mannes ans dem monumental gebauten Kopfe herausleuchten zu lassen. Das Hütte vielleicht auch die Fähigkeiten oder doch die künstlerische Auffassungsweise eines Holbein tiberstiegen, der uns im günstigsten Falle den Diplomaten in der Art Talleyrands oder den Staatsmann, der mit dein Ausdruck der Be¬ friedigung über den ersten Teil seines Lebenswerkes im Angesicht die Kaiser¬ proklamation in Versailles vorliest, mit vollkommener Treue wiedergegeben hätte. Daß Lenbach bei seiner großen Wandlungsfähigkeit zur Not auch in der Art Holbeins malen kann, hat er an dem Kopfe Moltkes gezeigt, der den greisen Feldmarschall ohne Perücke darstellt, damit die interessante Schädel¬ bildung zu voller Erscheinung gelangen kann. Für den vorsichtig abwägenden, kühl berechnenden Denker und Beobachter ist diese Art der Darstellung charak¬ teristisch und erschöpfend. Für einen Mann wie Bismarck, der unter der Herrschaft genialer Eingebungen steht, dessen Entschlüsse und Thaten etwas Jmprvvisirtcs, Blitzartiges haben, schien dem Künstler vielmehr die Dnrstellungs- weise geeignet, die in ihrer höchsten Ausbildung mit dein Namen Rembrandt verknüpft ist: ein Wetterleuchten aus dunkler Tiefe, das Himibergreifcn der plastischen Form in ein schwebendes Helldunkel, die Verzichtleistung auf alles, was der Philister an dem Ebenbilde seiner teuern Person am höchsten schätzt und deshalb nicht missen will. Man würde Lenbach Unrecht thun, wenn man ihm die Fähigkeit, eine Hand, einen Arm, einen Oberkörper richtig zu zeichnen, absprechen wollte. Aber daß ihn alles dies, das er vielleicht auch als Ballast der menschlichen Erscheinung sehr gering schätzt, in hohem Grade genirt, kann kaum noch bezweifelt werden, wem: man das in diesem Jahre gemalte, durch die Photographie vervielfältigte Bildnis in Betracht zieht, das den Fürsten sitzend, etwa bis zu den Knieen, in .Kürassieruuiform und mit dem Stahlhelm ans dem Haupte darstellt. Die Gestalt sieht matt, kraftlos, wie zusammenge¬ sunken aus, die Haltung erscheint gezwungen, und die dem Künstler einmal in Fleisch und Blut übergegangne summarische Art der Pinselftthrung ist der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/13>, abgerufen am 26.05.2024.