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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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So sehen wir zunächst in Athen das während der dorischen Wanderung
eingedrungene Geschlecht des pylischen Nestor den altberechtigten Nachkommen
des Theseus vom Throne verdrängen, um dann selbst in Kodros den letzten
König von Athen zu stellen, dessen eigne Söhne unter dem wahrhaft komischen
Vorwand, daß uach einem solchen König keiner mehr des Namens würdig sei,
des altehrwürdigen Titels beraubt oder in die Fremde getrieben werden.
Schritt für Schritt wissen dann die übrigen Eupatriden die volle Gleich¬
berechtigung mit den Neliden durchzusetzen, indem sie die Staatsverwaltung
immer vielköpfiger ausbilden und das arme Volk immer rücksichtsloser aus¬
beuten, das vergeblich vou den geschriebenen Gesetzen Drakons und Solons
Abhilfe erwartet. Da wird nun die Entwicklung der Republik unterbrochen durch
die vom Adel geschmähte, von der Gunst des Volkes getragene Thrannis, und
das neue Königtum des Peisistratos bezeichnet für Athen -- wie die ziemlich
gleichzeitige Herrschaft des Periander in Korinth und des Pvkhkrates auf
Samos -- eine Blüte des Staates nach anßen und innen, die sich in den
ersten auswärtigen Kolonien, dem freiwilligen Anschluß Platääs um Vvvtien,
großartig angelegten und zum Teil erst später vollendeten Bauten und einer
glänzenden Hofhaltung ausspricht, deren Verherrlichung sich auch die Leier der
berühmtesten Dichter nicht entzieht, wie denn hier auch die alten homerischen
Gesänge zuerst in geordnetem Zusammenhang erklingen.

Vor allem aber hatte nnter den Peisistratiden Handel und Gewerbe und
damit Wohlhabenheit und Selbstbewußtsein des Vürgertinns einen Aufschwung
genommen, der dann anch der drohenden Reaktion des von Sparta unterstützten
Adels zu trotzen vermochte und die unter der Fürstenregierung durchgeführte
Gleichheit aller vor dem Gesetze festhielt als unantastbares Erbe für alle Zeiten
der nun immer demokratischer sich färbenden Republik. Judem sich jedoch das
ätherische Volk auch fernerhin willig der Leitung verständnisvoller und vaterlands¬
liebender Glieder der durch Bildung und Besitz hervorragende" "Geschlechter"
anvertraute, wußte es sowohl der innern Schwierigkeiten Herr zu werden, als
auch in dem gewaltigen Ringkampfe mit dem drohend ausholenden persischen
Niesen als preisgekrönter Sieger zu Wasser und zu Lande vor alle Griechen
hinzutreten. Nach den Perserkriegen rechtfertigte ueben Kimon besonders Perikles
das von den Vätern ererbte Vertrauen seiner Mitbürger, und Athen erlebte
nnter der langjährigen, unerschütterlichen Negierung des Olympiers eine zweite
Blüte äußerer Machtentfaltung und innerer Wohlfahrt, deren zerfallene Trümmer
noch immer den Blick jedes Humanisten fesseln und beim Anschauen dieser wohl
unübertroffenen Gesanttentwicklung aller menschlichen Tugenden und Fähigkeiten
das Herz mit seliger Wehmut erfüllen.

Mit des Perikles unzeitigem Tode hatte auch Athen seinen Höhepunkt
überschritten, und rasch durchlief die nnn kopflose Republik ohne den Halt
eines besonnenen, die Volksversammlung beherrschende" Führers alle weitern


So sehen wir zunächst in Athen das während der dorischen Wanderung
eingedrungene Geschlecht des pylischen Nestor den altberechtigten Nachkommen
des Theseus vom Throne verdrängen, um dann selbst in Kodros den letzten
König von Athen zu stellen, dessen eigne Söhne unter dem wahrhaft komischen
Vorwand, daß uach einem solchen König keiner mehr des Namens würdig sei,
des altehrwürdigen Titels beraubt oder in die Fremde getrieben werden.
Schritt für Schritt wissen dann die übrigen Eupatriden die volle Gleich¬
berechtigung mit den Neliden durchzusetzen, indem sie die Staatsverwaltung
immer vielköpfiger ausbilden und das arme Volk immer rücksichtsloser aus¬
beuten, das vergeblich vou den geschriebenen Gesetzen Drakons und Solons
Abhilfe erwartet. Da wird nun die Entwicklung der Republik unterbrochen durch
die vom Adel geschmähte, von der Gunst des Volkes getragene Thrannis, und
das neue Königtum des Peisistratos bezeichnet für Athen — wie die ziemlich
gleichzeitige Herrschaft des Periander in Korinth und des Pvkhkrates auf
Samos — eine Blüte des Staates nach anßen und innen, die sich in den
ersten auswärtigen Kolonien, dem freiwilligen Anschluß Platääs um Vvvtien,
großartig angelegten und zum Teil erst später vollendeten Bauten und einer
glänzenden Hofhaltung ausspricht, deren Verherrlichung sich auch die Leier der
berühmtesten Dichter nicht entzieht, wie denn hier auch die alten homerischen
Gesänge zuerst in geordnetem Zusammenhang erklingen.

Vor allem aber hatte nnter den Peisistratiden Handel und Gewerbe und
damit Wohlhabenheit und Selbstbewußtsein des Vürgertinns einen Aufschwung
genommen, der dann anch der drohenden Reaktion des von Sparta unterstützten
Adels zu trotzen vermochte und die unter der Fürstenregierung durchgeführte
Gleichheit aller vor dem Gesetze festhielt als unantastbares Erbe für alle Zeiten
der nun immer demokratischer sich färbenden Republik. Judem sich jedoch das
ätherische Volk auch fernerhin willig der Leitung verständnisvoller und vaterlands¬
liebender Glieder der durch Bildung und Besitz hervorragende« „Geschlechter"
anvertraute, wußte es sowohl der innern Schwierigkeiten Herr zu werden, als
auch in dem gewaltigen Ringkampfe mit dem drohend ausholenden persischen
Niesen als preisgekrönter Sieger zu Wasser und zu Lande vor alle Griechen
hinzutreten. Nach den Perserkriegen rechtfertigte ueben Kimon besonders Perikles
das von den Vätern ererbte Vertrauen seiner Mitbürger, und Athen erlebte
nnter der langjährigen, unerschütterlichen Negierung des Olympiers eine zweite
Blüte äußerer Machtentfaltung und innerer Wohlfahrt, deren zerfallene Trümmer
noch immer den Blick jedes Humanisten fesseln und beim Anschauen dieser wohl
unübertroffenen Gesanttentwicklung aller menschlichen Tugenden und Fähigkeiten
das Herz mit seliger Wehmut erfüllen.

Mit des Perikles unzeitigem Tode hatte auch Athen seinen Höhepunkt
überschritten, und rasch durchlief die nnn kopflose Republik ohne den Halt
eines besonnenen, die Volksversammlung beherrschende» Führers alle weitern


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[0160] So sehen wir zunächst in Athen das während der dorischen Wanderung eingedrungene Geschlecht des pylischen Nestor den altberechtigten Nachkommen des Theseus vom Throne verdrängen, um dann selbst in Kodros den letzten König von Athen zu stellen, dessen eigne Söhne unter dem wahrhaft komischen Vorwand, daß uach einem solchen König keiner mehr des Namens würdig sei, des altehrwürdigen Titels beraubt oder in die Fremde getrieben werden. Schritt für Schritt wissen dann die übrigen Eupatriden die volle Gleich¬ berechtigung mit den Neliden durchzusetzen, indem sie die Staatsverwaltung immer vielköpfiger ausbilden und das arme Volk immer rücksichtsloser aus¬ beuten, das vergeblich vou den geschriebenen Gesetzen Drakons und Solons Abhilfe erwartet. Da wird nun die Entwicklung der Republik unterbrochen durch die vom Adel geschmähte, von der Gunst des Volkes getragene Thrannis, und das neue Königtum des Peisistratos bezeichnet für Athen — wie die ziemlich gleichzeitige Herrschaft des Periander in Korinth und des Pvkhkrates auf Samos — eine Blüte des Staates nach anßen und innen, die sich in den ersten auswärtigen Kolonien, dem freiwilligen Anschluß Platääs um Vvvtien, großartig angelegten und zum Teil erst später vollendeten Bauten und einer glänzenden Hofhaltung ausspricht, deren Verherrlichung sich auch die Leier der berühmtesten Dichter nicht entzieht, wie denn hier auch die alten homerischen Gesänge zuerst in geordnetem Zusammenhang erklingen. Vor allem aber hatte nnter den Peisistratiden Handel und Gewerbe und damit Wohlhabenheit und Selbstbewußtsein des Vürgertinns einen Aufschwung genommen, der dann anch der drohenden Reaktion des von Sparta unterstützten Adels zu trotzen vermochte und die unter der Fürstenregierung durchgeführte Gleichheit aller vor dem Gesetze festhielt als unantastbares Erbe für alle Zeiten der nun immer demokratischer sich färbenden Republik. Judem sich jedoch das ätherische Volk auch fernerhin willig der Leitung verständnisvoller und vaterlands¬ liebender Glieder der durch Bildung und Besitz hervorragende« „Geschlechter" anvertraute, wußte es sowohl der innern Schwierigkeiten Herr zu werden, als auch in dem gewaltigen Ringkampfe mit dem drohend ausholenden persischen Niesen als preisgekrönter Sieger zu Wasser und zu Lande vor alle Griechen hinzutreten. Nach den Perserkriegen rechtfertigte ueben Kimon besonders Perikles das von den Vätern ererbte Vertrauen seiner Mitbürger, und Athen erlebte nnter der langjährigen, unerschütterlichen Negierung des Olympiers eine zweite Blüte äußerer Machtentfaltung und innerer Wohlfahrt, deren zerfallene Trümmer noch immer den Blick jedes Humanisten fesseln und beim Anschauen dieser wohl unübertroffenen Gesanttentwicklung aller menschlichen Tugenden und Fähigkeiten das Herz mit seliger Wehmut erfüllen. Mit des Perikles unzeitigem Tode hatte auch Athen seinen Höhepunkt überschritten, und rasch durchlief die nnn kopflose Republik ohne den Halt eines besonnenen, die Volksversammlung beherrschende» Führers alle weitern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/160>, abgerufen am 12.05.2024.