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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Staffeln der unseligen Entwicklung bis zur vollen Ochlokratie, nur endlich in
dein furchtbaren dreißigjährigen Kriege Griechenlands durch eigne Maßlosigkeit
und Launenhaftigkeit völlig zu erliegen der heimtückischen Verschwörung vnter-
landslvser Oligarchen, die von jeher Anschluß suchten an das aristokratische
Sparta.

Denn auch dieser dorische Kriegerstaat hat sich der allgemein hellenischen
Wandlung der Regierungsformen nicht entzogen, trotz der äußern Erstarrung
und scheinbaren UnVeränderlichkeit von der Einwanderung unter den Herakliden-
königen an bis auf Kleomenes III. Es wäre ein Irrtum, hier den Grund
des zähen Festhaltens am bewährten Alten, den rettenden Felsen in der Bran¬
dung des griechischen Staatslebens in der scheinbar unangetasteten Monarchie zu
suchen. Die bloße Thatsache des verfassungsmäßigen Dvppelkönigtnms, dieser
rätselhaften, das monarchische Prinzip geradezu aufhebenden Mißbildung müßte
eines Bessern belehren, noch deutlicher ein Blick auf die spartanische Geschichte.
Denn wenn wir auch öfters kraftvolle, echt königliche Gestalten an der Spitze
der Spartiaten sehen, zumal im Kriege glänzende Vertreter ihrer Würde, ich
erinnere nur an Leonidas oder Agesilaos, so handelten doch selbst diese nicht
auf eigne freie Verantwortlichkeit hin, sondern gehorsam den Gesetzen des
Staates. Und neben ihnen treten von Anfang an andre, nicht gekrönte Per¬
sönlichkeiten hervor und werden gerade in den kritischsten Zeiten Spartas aus¬
schlaggebend für den Gang seiner äußern und innern Geschichte: weder Lhknrg,
der seinem Volke die besten Gesetze gegeben hat, noch Pausanias, der seinen end-
giltigen Sieg über das persische Laudheer nicht vergessen konnte, noch etwa
Vrasidas und Lysnnder, die dem ersten und zweiten Teile des peloponnesischen
Krieges die entscheidende, für Athen so verhängnisvolle Wendung gegeben
haben, waren szeptertragende Könige. Kein Zweifel, auch in Sparta war
thatsächlich die Königsgewalt überwunden und beschränkt durch die gleich-
begüterten Adlichen, die sich in den Ephoren eine Behörde geschaffen hatten,
deren Befehlen selbst die Könige gehorchten, und die nun ohne Schelk die recht-
und schutzlose niedere Bevölkerung Lakoniens ihre starke Herrenfaust fühlen
ließen. Und dieses herrische Auftreten war den Spartiaten so zur andern
Natur geworden, daß sie es auch den übrige" vertrauensseligen Griechen gegen¬
über, die sie ja von der angeblichen Thrannin Athen befreit hatten, in echt
junkerlichen Übermute nicht verleugnen konnten.

Nur das lange gering geschätzte Theben wagte die Übergriffe eigen¬
mächtiger spartanischer Heerführer, die von den Königen nnr zum Schein ge¬
mißbilligt wurden, energisch zurückzuweisen unter Führung der edeln Dioskuren
Epameinondas und Pelopidas, die als geborene Fürsten im republikanischen
Staate walteten und auf kurze Zeit die Erinnerung an des Ödipus kraftvolle
Negierung wieder aufleben ließen. Und die Größe ihrer Vaterstadt hing so
sichtlich an der Person dieser beiden fürstlichen Gestalten, daß man sie mit


Grenzboten 111 1890 2Y

Staffeln der unseligen Entwicklung bis zur vollen Ochlokratie, nur endlich in
dein furchtbaren dreißigjährigen Kriege Griechenlands durch eigne Maßlosigkeit
und Launenhaftigkeit völlig zu erliegen der heimtückischen Verschwörung vnter-
landslvser Oligarchen, die von jeher Anschluß suchten an das aristokratische
Sparta.

Denn auch dieser dorische Kriegerstaat hat sich der allgemein hellenischen
Wandlung der Regierungsformen nicht entzogen, trotz der äußern Erstarrung
und scheinbaren UnVeränderlichkeit von der Einwanderung unter den Herakliden-
königen an bis auf Kleomenes III. Es wäre ein Irrtum, hier den Grund
des zähen Festhaltens am bewährten Alten, den rettenden Felsen in der Bran¬
dung des griechischen Staatslebens in der scheinbar unangetasteten Monarchie zu
suchen. Die bloße Thatsache des verfassungsmäßigen Dvppelkönigtnms, dieser
rätselhaften, das monarchische Prinzip geradezu aufhebenden Mißbildung müßte
eines Bessern belehren, noch deutlicher ein Blick auf die spartanische Geschichte.
Denn wenn wir auch öfters kraftvolle, echt königliche Gestalten an der Spitze
der Spartiaten sehen, zumal im Kriege glänzende Vertreter ihrer Würde, ich
erinnere nur an Leonidas oder Agesilaos, so handelten doch selbst diese nicht
auf eigne freie Verantwortlichkeit hin, sondern gehorsam den Gesetzen des
Staates. Und neben ihnen treten von Anfang an andre, nicht gekrönte Per¬
sönlichkeiten hervor und werden gerade in den kritischsten Zeiten Spartas aus¬
schlaggebend für den Gang seiner äußern und innern Geschichte: weder Lhknrg,
der seinem Volke die besten Gesetze gegeben hat, noch Pausanias, der seinen end-
giltigen Sieg über das persische Laudheer nicht vergessen konnte, noch etwa
Vrasidas und Lysnnder, die dem ersten und zweiten Teile des peloponnesischen
Krieges die entscheidende, für Athen so verhängnisvolle Wendung gegeben
haben, waren szeptertragende Könige. Kein Zweifel, auch in Sparta war
thatsächlich die Königsgewalt überwunden und beschränkt durch die gleich-
begüterten Adlichen, die sich in den Ephoren eine Behörde geschaffen hatten,
deren Befehlen selbst die Könige gehorchten, und die nun ohne Schelk die recht-
und schutzlose niedere Bevölkerung Lakoniens ihre starke Herrenfaust fühlen
ließen. Und dieses herrische Auftreten war den Spartiaten so zur andern
Natur geworden, daß sie es auch den übrige» vertrauensseligen Griechen gegen¬
über, die sie ja von der angeblichen Thrannin Athen befreit hatten, in echt
junkerlichen Übermute nicht verleugnen konnten.

Nur das lange gering geschätzte Theben wagte die Übergriffe eigen¬
mächtiger spartanischer Heerführer, die von den Königen nnr zum Schein ge¬
mißbilligt wurden, energisch zurückzuweisen unter Führung der edeln Dioskuren
Epameinondas und Pelopidas, die als geborene Fürsten im republikanischen
Staate walteten und auf kurze Zeit die Erinnerung an des Ödipus kraftvolle
Negierung wieder aufleben ließen. Und die Größe ihrer Vaterstadt hing so
sichtlich an der Person dieser beiden fürstlichen Gestalten, daß man sie mit


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[0161] Staffeln der unseligen Entwicklung bis zur vollen Ochlokratie, nur endlich in dein furchtbaren dreißigjährigen Kriege Griechenlands durch eigne Maßlosigkeit und Launenhaftigkeit völlig zu erliegen der heimtückischen Verschwörung vnter- landslvser Oligarchen, die von jeher Anschluß suchten an das aristokratische Sparta. Denn auch dieser dorische Kriegerstaat hat sich der allgemein hellenischen Wandlung der Regierungsformen nicht entzogen, trotz der äußern Erstarrung und scheinbaren UnVeränderlichkeit von der Einwanderung unter den Herakliden- königen an bis auf Kleomenes III. Es wäre ein Irrtum, hier den Grund des zähen Festhaltens am bewährten Alten, den rettenden Felsen in der Bran¬ dung des griechischen Staatslebens in der scheinbar unangetasteten Monarchie zu suchen. Die bloße Thatsache des verfassungsmäßigen Dvppelkönigtnms, dieser rätselhaften, das monarchische Prinzip geradezu aufhebenden Mißbildung müßte eines Bessern belehren, noch deutlicher ein Blick auf die spartanische Geschichte. Denn wenn wir auch öfters kraftvolle, echt königliche Gestalten an der Spitze der Spartiaten sehen, zumal im Kriege glänzende Vertreter ihrer Würde, ich erinnere nur an Leonidas oder Agesilaos, so handelten doch selbst diese nicht auf eigne freie Verantwortlichkeit hin, sondern gehorsam den Gesetzen des Staates. Und neben ihnen treten von Anfang an andre, nicht gekrönte Per¬ sönlichkeiten hervor und werden gerade in den kritischsten Zeiten Spartas aus¬ schlaggebend für den Gang seiner äußern und innern Geschichte: weder Lhknrg, der seinem Volke die besten Gesetze gegeben hat, noch Pausanias, der seinen end- giltigen Sieg über das persische Laudheer nicht vergessen konnte, noch etwa Vrasidas und Lysnnder, die dem ersten und zweiten Teile des peloponnesischen Krieges die entscheidende, für Athen so verhängnisvolle Wendung gegeben haben, waren szeptertragende Könige. Kein Zweifel, auch in Sparta war thatsächlich die Königsgewalt überwunden und beschränkt durch die gleich- begüterten Adlichen, die sich in den Ephoren eine Behörde geschaffen hatten, deren Befehlen selbst die Könige gehorchten, und die nun ohne Schelk die recht- und schutzlose niedere Bevölkerung Lakoniens ihre starke Herrenfaust fühlen ließen. Und dieses herrische Auftreten war den Spartiaten so zur andern Natur geworden, daß sie es auch den übrige» vertrauensseligen Griechen gegen¬ über, die sie ja von der angeblichen Thrannin Athen befreit hatten, in echt junkerlichen Übermute nicht verleugnen konnten. Nur das lange gering geschätzte Theben wagte die Übergriffe eigen¬ mächtiger spartanischer Heerführer, die von den Königen nnr zum Schein ge¬ mißbilligt wurden, energisch zurückzuweisen unter Führung der edeln Dioskuren Epameinondas und Pelopidas, die als geborene Fürsten im republikanischen Staate walteten und auf kurze Zeit die Erinnerung an des Ödipus kraftvolle Negierung wieder aufleben ließen. Und die Größe ihrer Vaterstadt hing so sichtlich an der Person dieser beiden fürstlichen Gestalten, daß man sie mit Grenzboten 111 1890 2Y

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/161>, abgerufen am 26.05.2024.