Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

für das Altertum unbestreitbare Thatsache -- ist es niemals das Volk gewesen,
welches den Sturz der Könige herbeigeführt hat.

Sowohl bei des Kodros Tode in Athen, als mich bei des Tarquinius
Vertreibung aus Rom ist es der Adel, der unverzüglich die Erbschaft des
Königtums antritt und besonders in letzterer Stadt die Herrschaft mit staunens¬
werter Zähigkeit und Thatkraft festhält, bis endlich Ciisar den neuen Fürsten¬
thron in der Liebe des Volkes begründet, trotz der mörderischen Wut einiger
allzusehr geschonten, nicht zufrieden zu stellenden Senatoren. Der Adel ist
demnach nicht die zuverlässigste Stütze des Thrones, sondern des Königtums
mächtigster Rival, und nach den großartigen Proben von Negierungsfähigkeit,
die wir in Rom, wie in Athen und Sparta von ihm zu bewundern hatte",
unstreitig eine politische Macht, die aus alleu Wandlungen stets neugekräftigt
hervorgeht und für alle Zeiten in der Staatsverfassung eine gewisse Berück¬
sichtigung fordert.

Ähnlich verhält es sich mit der andern sogenannten Stütze der Monarchie,
der Kirche: anch der Bund zwischen Thron und Altar ist kein ewiger, unab¬
änderlicher Bund. Schon zwischen Agamemnon und Kalchas, zwischen Ödipus
und Teiresias besteht nach der Anschauung der alten Dichter ein entschiedener
Gegensatz, und in ihren heftigen Vorwürfen spricht sich ein tiefgewnrzeltes
Mißtrauen der Könige gegen priesterliche Anschläge aus. Und in der That
findet sich später die Priesterschaft in Athen wie in Rom gar leicht durch die
vom Adel ausgehende Umwälzung der monarchischen Verfassung völlig be¬
ruhigt, wenn nur noch dem Namen nach ein König den Göttern gegenüber¬
steht. Überhaupt lehnen sich Geistlichkeit und Adel schon im Altertum gern
an einander. So sind die erbittertsten, unversöhnlichen Feinde des Vvlkslieb-
lings Alkibiades, des selbst von Aristophanes den Athenern empfohlenen
"jungen Löwen," die Priester im Bunde mit den Oligarcheu. Und ähnlich
verschanzen sich in Rom die Patrizier gegen den Ansturm der Plebejer auf
das Konsulat hinter religiösen Bedenken, die Priesterämter sind die letzten
Vollwerke ihres Geburtsvorrechtes; ja noch der ersterbende Widerstand der
Nobilität gegen den Konsul Cäsar stützt sich auf die scheinheilige Beobachtung
des Himmels, freilich ohne auf deu vom Volk erwählten ?ouMsx uutxiiuu"
noch den gewünschten Eindruck zu machen.

Und dieselben Neigungen zum Bündnis zwischen den beiden privilegirten
Ständen, Adel und Geistlichkeit, gegenüber dem weltlichen Oberhaupte des
Staates lassen sich weiter verfolgen durch das äußerlich so streng monarchische
Mittelalter herab bis zur Neuzeit. Hat doch das den geheiligten Sitz der
Cäsaren, das ewige Rom, einnehmende Oberhaupt der abendländischen Christen¬
heit nicht bloß einmal versucht, auch die höchste weltliche Macht um sich zu
reißen und mit Hilfe der zum Abfall verlockten, ihres Lehnseides entbundenen
hohen Adlichen den römischen Kaiser deutscher Nation vor der dreifachen Papst-


für das Altertum unbestreitbare Thatsache — ist es niemals das Volk gewesen,
welches den Sturz der Könige herbeigeführt hat.

Sowohl bei des Kodros Tode in Athen, als mich bei des Tarquinius
Vertreibung aus Rom ist es der Adel, der unverzüglich die Erbschaft des
Königtums antritt und besonders in letzterer Stadt die Herrschaft mit staunens¬
werter Zähigkeit und Thatkraft festhält, bis endlich Ciisar den neuen Fürsten¬
thron in der Liebe des Volkes begründet, trotz der mörderischen Wut einiger
allzusehr geschonten, nicht zufrieden zu stellenden Senatoren. Der Adel ist
demnach nicht die zuverlässigste Stütze des Thrones, sondern des Königtums
mächtigster Rival, und nach den großartigen Proben von Negierungsfähigkeit,
die wir in Rom, wie in Athen und Sparta von ihm zu bewundern hatte»,
unstreitig eine politische Macht, die aus alleu Wandlungen stets neugekräftigt
hervorgeht und für alle Zeiten in der Staatsverfassung eine gewisse Berück¬
sichtigung fordert.

Ähnlich verhält es sich mit der andern sogenannten Stütze der Monarchie,
der Kirche: anch der Bund zwischen Thron und Altar ist kein ewiger, unab¬
änderlicher Bund. Schon zwischen Agamemnon und Kalchas, zwischen Ödipus
und Teiresias besteht nach der Anschauung der alten Dichter ein entschiedener
Gegensatz, und in ihren heftigen Vorwürfen spricht sich ein tiefgewnrzeltes
Mißtrauen der Könige gegen priesterliche Anschläge aus. Und in der That
findet sich später die Priesterschaft in Athen wie in Rom gar leicht durch die
vom Adel ausgehende Umwälzung der monarchischen Verfassung völlig be¬
ruhigt, wenn nur noch dem Namen nach ein König den Göttern gegenüber¬
steht. Überhaupt lehnen sich Geistlichkeit und Adel schon im Altertum gern
an einander. So sind die erbittertsten, unversöhnlichen Feinde des Vvlkslieb-
lings Alkibiades, des selbst von Aristophanes den Athenern empfohlenen
„jungen Löwen," die Priester im Bunde mit den Oligarcheu. Und ähnlich
verschanzen sich in Rom die Patrizier gegen den Ansturm der Plebejer auf
das Konsulat hinter religiösen Bedenken, die Priesterämter sind die letzten
Vollwerke ihres Geburtsvorrechtes; ja noch der ersterbende Widerstand der
Nobilität gegen den Konsul Cäsar stützt sich auf die scheinheilige Beobachtung
des Himmels, freilich ohne auf deu vom Volk erwählten ?ouMsx uutxiiuu»
noch den gewünschten Eindruck zu machen.

Und dieselben Neigungen zum Bündnis zwischen den beiden privilegirten
Ständen, Adel und Geistlichkeit, gegenüber dem weltlichen Oberhaupte des
Staates lassen sich weiter verfolgen durch das äußerlich so streng monarchische
Mittelalter herab bis zur Neuzeit. Hat doch das den geheiligten Sitz der
Cäsaren, das ewige Rom, einnehmende Oberhaupt der abendländischen Christen¬
heit nicht bloß einmal versucht, auch die höchste weltliche Macht um sich zu
reißen und mit Hilfe der zum Abfall verlockten, ihres Lehnseides entbundenen
hohen Adlichen den römischen Kaiser deutscher Nation vor der dreifachen Papst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208104"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_449" prev="#ID_448"> für das Altertum unbestreitbare Thatsache &#x2014; ist es niemals das Volk gewesen,<lb/>
welches den Sturz der Könige herbeigeführt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_450"> Sowohl bei des Kodros Tode in Athen, als mich bei des Tarquinius<lb/>
Vertreibung aus Rom ist es der Adel, der unverzüglich die Erbschaft des<lb/>
Königtums antritt und besonders in letzterer Stadt die Herrschaft mit staunens¬<lb/>
werter Zähigkeit und Thatkraft festhält, bis endlich Ciisar den neuen Fürsten¬<lb/>
thron in der Liebe des Volkes begründet, trotz der mörderischen Wut einiger<lb/>
allzusehr geschonten, nicht zufrieden zu stellenden Senatoren. Der Adel ist<lb/>
demnach nicht die zuverlässigste Stütze des Thrones, sondern des Königtums<lb/>
mächtigster Rival, und nach den großartigen Proben von Negierungsfähigkeit,<lb/>
die wir in Rom, wie in Athen und Sparta von ihm zu bewundern hatte»,<lb/>
unstreitig eine politische Macht, die aus alleu Wandlungen stets neugekräftigt<lb/>
hervorgeht und für alle Zeiten in der Staatsverfassung eine gewisse Berück¬<lb/>
sichtigung fordert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_451"> Ähnlich verhält es sich mit der andern sogenannten Stütze der Monarchie,<lb/>
der Kirche: anch der Bund zwischen Thron und Altar ist kein ewiger, unab¬<lb/>
änderlicher Bund. Schon zwischen Agamemnon und Kalchas, zwischen Ödipus<lb/>
und Teiresias besteht nach der Anschauung der alten Dichter ein entschiedener<lb/>
Gegensatz, und in ihren heftigen Vorwürfen spricht sich ein tiefgewnrzeltes<lb/>
Mißtrauen der Könige gegen priesterliche Anschläge aus. Und in der That<lb/>
findet sich später die Priesterschaft in Athen wie in Rom gar leicht durch die<lb/>
vom Adel ausgehende Umwälzung der monarchischen Verfassung völlig be¬<lb/>
ruhigt, wenn nur noch dem Namen nach ein König den Göttern gegenüber¬<lb/>
steht. Überhaupt lehnen sich Geistlichkeit und Adel schon im Altertum gern<lb/>
an einander. So sind die erbittertsten, unversöhnlichen Feinde des Vvlkslieb-<lb/>
lings Alkibiades, des selbst von Aristophanes den Athenern empfohlenen<lb/>
&#x201E;jungen Löwen," die Priester im Bunde mit den Oligarcheu. Und ähnlich<lb/>
verschanzen sich in Rom die Patrizier gegen den Ansturm der Plebejer auf<lb/>
das Konsulat hinter religiösen Bedenken, die Priesterämter sind die letzten<lb/>
Vollwerke ihres Geburtsvorrechtes; ja noch der ersterbende Widerstand der<lb/>
Nobilität gegen den Konsul Cäsar stützt sich auf die scheinheilige Beobachtung<lb/>
des Himmels, freilich ohne auf deu vom Volk erwählten ?ouMsx uutxiiuu»<lb/>
noch den gewünschten Eindruck zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_452" next="#ID_453"> Und dieselben Neigungen zum Bündnis zwischen den beiden privilegirten<lb/>
Ständen, Adel und Geistlichkeit, gegenüber dem weltlichen Oberhaupte des<lb/>
Staates lassen sich weiter verfolgen durch das äußerlich so streng monarchische<lb/>
Mittelalter herab bis zur Neuzeit. Hat doch das den geheiligten Sitz der<lb/>
Cäsaren, das ewige Rom, einnehmende Oberhaupt der abendländischen Christen¬<lb/>
heit nicht bloß einmal versucht, auch die höchste weltliche Macht um sich zu<lb/>
reißen und mit Hilfe der zum Abfall verlockten, ihres Lehnseides entbundenen<lb/>
hohen Adlichen den römischen Kaiser deutscher Nation vor der dreifachen Papst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] für das Altertum unbestreitbare Thatsache — ist es niemals das Volk gewesen, welches den Sturz der Könige herbeigeführt hat. Sowohl bei des Kodros Tode in Athen, als mich bei des Tarquinius Vertreibung aus Rom ist es der Adel, der unverzüglich die Erbschaft des Königtums antritt und besonders in letzterer Stadt die Herrschaft mit staunens¬ werter Zähigkeit und Thatkraft festhält, bis endlich Ciisar den neuen Fürsten¬ thron in der Liebe des Volkes begründet, trotz der mörderischen Wut einiger allzusehr geschonten, nicht zufrieden zu stellenden Senatoren. Der Adel ist demnach nicht die zuverlässigste Stütze des Thrones, sondern des Königtums mächtigster Rival, und nach den großartigen Proben von Negierungsfähigkeit, die wir in Rom, wie in Athen und Sparta von ihm zu bewundern hatte», unstreitig eine politische Macht, die aus alleu Wandlungen stets neugekräftigt hervorgeht und für alle Zeiten in der Staatsverfassung eine gewisse Berück¬ sichtigung fordert. Ähnlich verhält es sich mit der andern sogenannten Stütze der Monarchie, der Kirche: anch der Bund zwischen Thron und Altar ist kein ewiger, unab¬ änderlicher Bund. Schon zwischen Agamemnon und Kalchas, zwischen Ödipus und Teiresias besteht nach der Anschauung der alten Dichter ein entschiedener Gegensatz, und in ihren heftigen Vorwürfen spricht sich ein tiefgewnrzeltes Mißtrauen der Könige gegen priesterliche Anschläge aus. Und in der That findet sich später die Priesterschaft in Athen wie in Rom gar leicht durch die vom Adel ausgehende Umwälzung der monarchischen Verfassung völlig be¬ ruhigt, wenn nur noch dem Namen nach ein König den Göttern gegenüber¬ steht. Überhaupt lehnen sich Geistlichkeit und Adel schon im Altertum gern an einander. So sind die erbittertsten, unversöhnlichen Feinde des Vvlkslieb- lings Alkibiades, des selbst von Aristophanes den Athenern empfohlenen „jungen Löwen," die Priester im Bunde mit den Oligarcheu. Und ähnlich verschanzen sich in Rom die Patrizier gegen den Ansturm der Plebejer auf das Konsulat hinter religiösen Bedenken, die Priesterämter sind die letzten Vollwerke ihres Geburtsvorrechtes; ja noch der ersterbende Widerstand der Nobilität gegen den Konsul Cäsar stützt sich auf die scheinheilige Beobachtung des Himmels, freilich ohne auf deu vom Volk erwählten ?ouMsx uutxiiuu» noch den gewünschten Eindruck zu machen. Und dieselben Neigungen zum Bündnis zwischen den beiden privilegirten Ständen, Adel und Geistlichkeit, gegenüber dem weltlichen Oberhaupte des Staates lassen sich weiter verfolgen durch das äußerlich so streng monarchische Mittelalter herab bis zur Neuzeit. Hat doch das den geheiligten Sitz der Cäsaren, das ewige Rom, einnehmende Oberhaupt der abendländischen Christen¬ heit nicht bloß einmal versucht, auch die höchste weltliche Macht um sich zu reißen und mit Hilfe der zum Abfall verlockten, ihres Lehnseides entbundenen hohen Adlichen den römischen Kaiser deutscher Nation vor der dreifachen Papst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/167>, abgerufen am 11.05.2024.