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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Monarchie und Republik im Altertum

Rücksicht auf Belohnung als echt republikanische Tugenden erscheinen -- dieses
in unvergänglichen Farben strahlende Gesamtbild freier menschlicher Entwick¬
lung wirkt allerdings erhebend. Aber es entbehrt gleichwohl bei näherer Be¬
sichtigung nicht der tiefen Schatten.

Oder wer wollte leugnen, daß die launenhafte Willkür der kurzsichtigen
Menge in Athen, die in der höchsten Not des peloponnesischen Krieges ihren
Retter, den genialen Alkibiades, ohne jeden vernünftigen Grund in die Ver¬
bannung treibt und alsdann die siegreichen Feldherrn bei den Arginnsen, ihre
letzten, wahnwitzig zum Tode verurteilt, auch den begeistertsten Lobredner der
unfehlbaren Volksherrschaft irre machen muß? Man begreift nach solchen
Vorgängen wenigstens einigermaßen, wie selbst ätherische Schriftsteller, zumal
Piano, die uns so großartig erscheinende Wirksamkeit ihrer größten Staats¬
männer, namentlich des Themistokles und Perikles, so absprechend beurteilen
können. Und nun in Rom! Wem wäre da nicht schon die allen gesetzlichen
Schranken Hohn sprechende, selbst die Gerichte schamlos zu einem Parteimittel
herabwürdigende Mißwirtschaft der Nobilität verabscheuungswürdig und die
allzeit geduldige, unterthünigste Haltung des Volkes ihr gegenüber geradezu
kläglich erschienen, das alles ruhig über sich ergehen läßt und, ohne eine Hand
zu rühren, selbst seine entschiedensten Wohlthäter, einen Spurius Maelius,
Maulius Capitolinus, Tiberius Gracchus vor seinen Augen umbringen läßt
nnter dem bezeichnenden Vorwnnde, sie strebten nach dem Diadem?

Und doch muß man vielleicht gerade in diesem ehrerbietigen, streng loyalen
Charakterzug der Römer, die den selbstgewählten Beamten nicht nur vor dem
Feinde, sondern auch in den erbittertsten Parteikämpfen unverbrüchlichen Gehorsam
leisteten, die geheime Kraft erkennen, die sie auf die Dauer von fast fünfundeinhalb
Jahrhunderten des Königtums von Gottes Gnaden entbehren ließ. (Auch ihren
vom Volke ernannten Konsuln enthielten die Götter ihre Bestätigung in den
Auspizien nicht vor.) Und haben nicht auch die Athener ihren aus edeln
Häusern ununterbrochen nachwachsenden großen Männern, einem Miltiades,
Themistokles, Aristides, Kimvn bis hinab ans Demosthenes aufs freudigste in
Krieg und Frieden Gehorsam geleistet und ihnen zeitweilig mit Hilfe des
Ostrazismus unumschränkte Machtfülle verliehen, beinahe wie römischen Dikta¬
toren? Ja was fehlte dem bedeutendsten von allen, dem das Werk des
Peisistratos und des Themistokles krönenden Perikles noch, als die äußere
Zierde und der Name "König"? In der That war ers bis zu seinem
Tode, wie schon Thukydides klar erkannt und ausgesprochen hat am Schluß
seiner Charakteristik des bewunderten Zeitgenossen mit den Worten (II, 65):
"Es war dem Namen nach zwar Volksherrschaft, in der That aber unter
dem ersten Manne Regierung."

So erkennt also das Volk selbst unwillkürlich seine Bedürftigkeit der Leitung
dnrch geistig höher stehende Männer an; jedenfalls -- das ist eine weitere


Monarchie und Republik im Altertum

Rücksicht auf Belohnung als echt republikanische Tugenden erscheinen — dieses
in unvergänglichen Farben strahlende Gesamtbild freier menschlicher Entwick¬
lung wirkt allerdings erhebend. Aber es entbehrt gleichwohl bei näherer Be¬
sichtigung nicht der tiefen Schatten.

Oder wer wollte leugnen, daß die launenhafte Willkür der kurzsichtigen
Menge in Athen, die in der höchsten Not des peloponnesischen Krieges ihren
Retter, den genialen Alkibiades, ohne jeden vernünftigen Grund in die Ver¬
bannung treibt und alsdann die siegreichen Feldherrn bei den Arginnsen, ihre
letzten, wahnwitzig zum Tode verurteilt, auch den begeistertsten Lobredner der
unfehlbaren Volksherrschaft irre machen muß? Man begreift nach solchen
Vorgängen wenigstens einigermaßen, wie selbst ätherische Schriftsteller, zumal
Piano, die uns so großartig erscheinende Wirksamkeit ihrer größten Staats¬
männer, namentlich des Themistokles und Perikles, so absprechend beurteilen
können. Und nun in Rom! Wem wäre da nicht schon die allen gesetzlichen
Schranken Hohn sprechende, selbst die Gerichte schamlos zu einem Parteimittel
herabwürdigende Mißwirtschaft der Nobilität verabscheuungswürdig und die
allzeit geduldige, unterthünigste Haltung des Volkes ihr gegenüber geradezu
kläglich erschienen, das alles ruhig über sich ergehen läßt und, ohne eine Hand
zu rühren, selbst seine entschiedensten Wohlthäter, einen Spurius Maelius,
Maulius Capitolinus, Tiberius Gracchus vor seinen Augen umbringen läßt
nnter dem bezeichnenden Vorwnnde, sie strebten nach dem Diadem?

Und doch muß man vielleicht gerade in diesem ehrerbietigen, streng loyalen
Charakterzug der Römer, die den selbstgewählten Beamten nicht nur vor dem
Feinde, sondern auch in den erbittertsten Parteikämpfen unverbrüchlichen Gehorsam
leisteten, die geheime Kraft erkennen, die sie auf die Dauer von fast fünfundeinhalb
Jahrhunderten des Königtums von Gottes Gnaden entbehren ließ. (Auch ihren
vom Volke ernannten Konsuln enthielten die Götter ihre Bestätigung in den
Auspizien nicht vor.) Und haben nicht auch die Athener ihren aus edeln
Häusern ununterbrochen nachwachsenden großen Männern, einem Miltiades,
Themistokles, Aristides, Kimvn bis hinab ans Demosthenes aufs freudigste in
Krieg und Frieden Gehorsam geleistet und ihnen zeitweilig mit Hilfe des
Ostrazismus unumschränkte Machtfülle verliehen, beinahe wie römischen Dikta¬
toren? Ja was fehlte dem bedeutendsten von allen, dem das Werk des
Peisistratos und des Themistokles krönenden Perikles noch, als die äußere
Zierde und der Name „König"? In der That war ers bis zu seinem
Tode, wie schon Thukydides klar erkannt und ausgesprochen hat am Schluß
seiner Charakteristik des bewunderten Zeitgenossen mit den Worten (II, 65):
„Es war dem Namen nach zwar Volksherrschaft, in der That aber unter
dem ersten Manne Regierung."

So erkennt also das Volk selbst unwillkürlich seine Bedürftigkeit der Leitung
dnrch geistig höher stehende Männer an; jedenfalls — das ist eine weitere


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[0166] Monarchie und Republik im Altertum Rücksicht auf Belohnung als echt republikanische Tugenden erscheinen — dieses in unvergänglichen Farben strahlende Gesamtbild freier menschlicher Entwick¬ lung wirkt allerdings erhebend. Aber es entbehrt gleichwohl bei näherer Be¬ sichtigung nicht der tiefen Schatten. Oder wer wollte leugnen, daß die launenhafte Willkür der kurzsichtigen Menge in Athen, die in der höchsten Not des peloponnesischen Krieges ihren Retter, den genialen Alkibiades, ohne jeden vernünftigen Grund in die Ver¬ bannung treibt und alsdann die siegreichen Feldherrn bei den Arginnsen, ihre letzten, wahnwitzig zum Tode verurteilt, auch den begeistertsten Lobredner der unfehlbaren Volksherrschaft irre machen muß? Man begreift nach solchen Vorgängen wenigstens einigermaßen, wie selbst ätherische Schriftsteller, zumal Piano, die uns so großartig erscheinende Wirksamkeit ihrer größten Staats¬ männer, namentlich des Themistokles und Perikles, so absprechend beurteilen können. Und nun in Rom! Wem wäre da nicht schon die allen gesetzlichen Schranken Hohn sprechende, selbst die Gerichte schamlos zu einem Parteimittel herabwürdigende Mißwirtschaft der Nobilität verabscheuungswürdig und die allzeit geduldige, unterthünigste Haltung des Volkes ihr gegenüber geradezu kläglich erschienen, das alles ruhig über sich ergehen läßt und, ohne eine Hand zu rühren, selbst seine entschiedensten Wohlthäter, einen Spurius Maelius, Maulius Capitolinus, Tiberius Gracchus vor seinen Augen umbringen läßt nnter dem bezeichnenden Vorwnnde, sie strebten nach dem Diadem? Und doch muß man vielleicht gerade in diesem ehrerbietigen, streng loyalen Charakterzug der Römer, die den selbstgewählten Beamten nicht nur vor dem Feinde, sondern auch in den erbittertsten Parteikämpfen unverbrüchlichen Gehorsam leisteten, die geheime Kraft erkennen, die sie auf die Dauer von fast fünfundeinhalb Jahrhunderten des Königtums von Gottes Gnaden entbehren ließ. (Auch ihren vom Volke ernannten Konsuln enthielten die Götter ihre Bestätigung in den Auspizien nicht vor.) Und haben nicht auch die Athener ihren aus edeln Häusern ununterbrochen nachwachsenden großen Männern, einem Miltiades, Themistokles, Aristides, Kimvn bis hinab ans Demosthenes aufs freudigste in Krieg und Frieden Gehorsam geleistet und ihnen zeitweilig mit Hilfe des Ostrazismus unumschränkte Machtfülle verliehen, beinahe wie römischen Dikta¬ toren? Ja was fehlte dem bedeutendsten von allen, dem das Werk des Peisistratos und des Themistokles krönenden Perikles noch, als die äußere Zierde und der Name „König"? In der That war ers bis zu seinem Tode, wie schon Thukydides klar erkannt und ausgesprochen hat am Schluß seiner Charakteristik des bewunderten Zeitgenossen mit den Worten (II, 65): „Es war dem Namen nach zwar Volksherrschaft, in der That aber unter dem ersten Manne Regierung." So erkennt also das Volk selbst unwillkürlich seine Bedürftigkeit der Leitung dnrch geistig höher stehende Männer an; jedenfalls — das ist eine weitere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/166>, abgerufen am 05.06.2024.