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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Friihliiigsbilder

tausenden, vou so uneriueßlichen Erlebnissen, Thätigkeiten, Kämpfen und Leiden
zeugende steinerne Wirklichkeit zu sich sprechen lassen muß. Meine Lieblings-
stelle, wie die manches andern, war der Raum zwischen der einsam aber prächtig
gelegenen Villn Lante und der Eiche des Torquato Tasso, die gestützt und
mit eisernen Klammern zusanunengehalten, dem Blitzstrahl wie den Jahrhun¬
derten getrotzt hat. Von dieser Stelle herab schaut man in die Reste der
Corsinigärteu und jenseits in die griiue Einsamkeit, in der das Juwel der
Renaissnucekunst, die Farnesina, noch immer unangetastet, von dein zerstörenden
Atem der Zeit kaum angehaucht liegt; von hier ans läßt sich an den auf¬
ragenden Türmen und Kuppeln der unzähligen Kirchen, an den Tiberbriickeu
und den schärferen Umrissen der gegenüber liegenden Hügel jedes einzelne
Quartier, jeder bedeutende Punkt der Stadt erkennen. Hier empfindet man
lebhaft, ja überwältigend, daß dies mannichfaltige Rom mit seineu tausend
verwirrenden Einzelheiten, seinen durch und übereinander geschobenen historischen
Schichten doch eine Einheit ist, daß auch heute noch das Goethische Wort gilt,
daß hier das Große war, ist und sein wird. Die drei Jahrhunderte, die ver¬
gangen sind, seit Torquato Tasso im letzten Frühling seines Lebens von diesem
Hügel auf die ewige Stadt hinuutergesehen hat, heißen mit Recht in der unend¬
lichen Geschichte Roms eine schlechte und ärmliche Zeit, und doch -- was haben
anch sie gesehen, geschaffen und hinterlassen!

Wer heute eine Beschreibung der Stadt Rom unternähme, wie sie von
Bunsen, Platner und andern in den dreißiger und vierziger Jahren in ver¬
hältnismäßig stiller Zeit vollendet worden ist, liefe Gefahr, überall auf Ver¬
änderungen, unruhige Übergänge und unerfreuliche Widersprüche zu stoßen, die
in dem innern Leben der ewigen Stadt walten und natürlich ihren äußern
Ausdruck finden. Wenn man aber von der Höhe unsrer Passegiata das Ge¬
samtbild Roms aufmerksam und immer wieder betrachtet, wenn man wahrnimmt,
wie hier die alten und die neuen Teile wunderbar in einander gehen und zu einem
mächtigen Ganzen werden, auch wenn der Himmel deu leuchtenden Schimmer
einmal versagt, der in der Regel über dem herrlichen Bilde liegt, wenn man
mit frohem Schauer gewiß wird,, daß das Unbedeutende, zufällig Aufgepfropfte
von dem Bedeutenden, Charakteristischen, Bleibenden vollständig überwältigt und
gleichsam verflüchtigt erscheint, so hegt man wenig Besorgnisse darum, ob auch
künftige Geschlechter noch mit Begeisterung und Entzücken auf Rom hinüber¬
schauen werden.

Das wandelbar Zufällige und das Dauernde haben hier vou je in eigen¬
tümlicher Wechselwirkung gestanden. Selbst die wohlerhaltenen Kunstwerke
waren den Veränderungen der Zeit und des gerade herrschenden Geschmacks
unterworfen, lind nicht alle wurden so verhältnismäßig glücklich umgestellt, wie
das antike Reiterstandbild Mure Aurels, das vom Lateranpalast auf die Höhe
des Kapitols versetzt wurde, oder die Tmnsfigurntion Rafaels, die noch Goethe


Römische Friihliiigsbilder

tausenden, vou so uneriueßlichen Erlebnissen, Thätigkeiten, Kämpfen und Leiden
zeugende steinerne Wirklichkeit zu sich sprechen lassen muß. Meine Lieblings-
stelle, wie die manches andern, war der Raum zwischen der einsam aber prächtig
gelegenen Villn Lante und der Eiche des Torquato Tasso, die gestützt und
mit eisernen Klammern zusanunengehalten, dem Blitzstrahl wie den Jahrhun¬
derten getrotzt hat. Von dieser Stelle herab schaut man in die Reste der
Corsinigärteu und jenseits in die griiue Einsamkeit, in der das Juwel der
Renaissnucekunst, die Farnesina, noch immer unangetastet, von dein zerstörenden
Atem der Zeit kaum angehaucht liegt; von hier ans läßt sich an den auf¬
ragenden Türmen und Kuppeln der unzähligen Kirchen, an den Tiberbriickeu
und den schärferen Umrissen der gegenüber liegenden Hügel jedes einzelne
Quartier, jeder bedeutende Punkt der Stadt erkennen. Hier empfindet man
lebhaft, ja überwältigend, daß dies mannichfaltige Rom mit seineu tausend
verwirrenden Einzelheiten, seinen durch und übereinander geschobenen historischen
Schichten doch eine Einheit ist, daß auch heute noch das Goethische Wort gilt,
daß hier das Große war, ist und sein wird. Die drei Jahrhunderte, die ver¬
gangen sind, seit Torquato Tasso im letzten Frühling seines Lebens von diesem
Hügel auf die ewige Stadt hinuutergesehen hat, heißen mit Recht in der unend¬
lichen Geschichte Roms eine schlechte und ärmliche Zeit, und doch — was haben
anch sie gesehen, geschaffen und hinterlassen!

Wer heute eine Beschreibung der Stadt Rom unternähme, wie sie von
Bunsen, Platner und andern in den dreißiger und vierziger Jahren in ver¬
hältnismäßig stiller Zeit vollendet worden ist, liefe Gefahr, überall auf Ver¬
änderungen, unruhige Übergänge und unerfreuliche Widersprüche zu stoßen, die
in dem innern Leben der ewigen Stadt walten und natürlich ihren äußern
Ausdruck finden. Wenn man aber von der Höhe unsrer Passegiata das Ge¬
samtbild Roms aufmerksam und immer wieder betrachtet, wenn man wahrnimmt,
wie hier die alten und die neuen Teile wunderbar in einander gehen und zu einem
mächtigen Ganzen werden, auch wenn der Himmel deu leuchtenden Schimmer
einmal versagt, der in der Regel über dem herrlichen Bilde liegt, wenn man
mit frohem Schauer gewiß wird,, daß das Unbedeutende, zufällig Aufgepfropfte
von dem Bedeutenden, Charakteristischen, Bleibenden vollständig überwältigt und
gleichsam verflüchtigt erscheint, so hegt man wenig Besorgnisse darum, ob auch
künftige Geschlechter noch mit Begeisterung und Entzücken auf Rom hinüber¬
schauen werden.

Das wandelbar Zufällige und das Dauernde haben hier vou je in eigen¬
tümlicher Wechselwirkung gestanden. Selbst die wohlerhaltenen Kunstwerke
waren den Veränderungen der Zeit und des gerade herrschenden Geschmacks
unterworfen, lind nicht alle wurden so verhältnismäßig glücklich umgestellt, wie
das antike Reiterstandbild Mure Aurels, das vom Lateranpalast auf die Höhe
des Kapitols versetzt wurde, oder die Tmnsfigurntion Rafaels, die noch Goethe


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[0179] Römische Friihliiigsbilder tausenden, vou so uneriueßlichen Erlebnissen, Thätigkeiten, Kämpfen und Leiden zeugende steinerne Wirklichkeit zu sich sprechen lassen muß. Meine Lieblings- stelle, wie die manches andern, war der Raum zwischen der einsam aber prächtig gelegenen Villn Lante und der Eiche des Torquato Tasso, die gestützt und mit eisernen Klammern zusanunengehalten, dem Blitzstrahl wie den Jahrhun¬ derten getrotzt hat. Von dieser Stelle herab schaut man in die Reste der Corsinigärteu und jenseits in die griiue Einsamkeit, in der das Juwel der Renaissnucekunst, die Farnesina, noch immer unangetastet, von dein zerstörenden Atem der Zeit kaum angehaucht liegt; von hier ans läßt sich an den auf¬ ragenden Türmen und Kuppeln der unzähligen Kirchen, an den Tiberbriickeu und den schärferen Umrissen der gegenüber liegenden Hügel jedes einzelne Quartier, jeder bedeutende Punkt der Stadt erkennen. Hier empfindet man lebhaft, ja überwältigend, daß dies mannichfaltige Rom mit seineu tausend verwirrenden Einzelheiten, seinen durch und übereinander geschobenen historischen Schichten doch eine Einheit ist, daß auch heute noch das Goethische Wort gilt, daß hier das Große war, ist und sein wird. Die drei Jahrhunderte, die ver¬ gangen sind, seit Torquato Tasso im letzten Frühling seines Lebens von diesem Hügel auf die ewige Stadt hinuutergesehen hat, heißen mit Recht in der unend¬ lichen Geschichte Roms eine schlechte und ärmliche Zeit, und doch — was haben anch sie gesehen, geschaffen und hinterlassen! Wer heute eine Beschreibung der Stadt Rom unternähme, wie sie von Bunsen, Platner und andern in den dreißiger und vierziger Jahren in ver¬ hältnismäßig stiller Zeit vollendet worden ist, liefe Gefahr, überall auf Ver¬ änderungen, unruhige Übergänge und unerfreuliche Widersprüche zu stoßen, die in dem innern Leben der ewigen Stadt walten und natürlich ihren äußern Ausdruck finden. Wenn man aber von der Höhe unsrer Passegiata das Ge¬ samtbild Roms aufmerksam und immer wieder betrachtet, wenn man wahrnimmt, wie hier die alten und die neuen Teile wunderbar in einander gehen und zu einem mächtigen Ganzen werden, auch wenn der Himmel deu leuchtenden Schimmer einmal versagt, der in der Regel über dem herrlichen Bilde liegt, wenn man mit frohem Schauer gewiß wird,, daß das Unbedeutende, zufällig Aufgepfropfte von dem Bedeutenden, Charakteristischen, Bleibenden vollständig überwältigt und gleichsam verflüchtigt erscheint, so hegt man wenig Besorgnisse darum, ob auch künftige Geschlechter noch mit Begeisterung und Entzücken auf Rom hinüber¬ schauen werden. Das wandelbar Zufällige und das Dauernde haben hier vou je in eigen¬ tümlicher Wechselwirkung gestanden. Selbst die wohlerhaltenen Kunstwerke waren den Veränderungen der Zeit und des gerade herrschenden Geschmacks unterworfen, lind nicht alle wurden so verhältnismäßig glücklich umgestellt, wie das antike Reiterstandbild Mure Aurels, das vom Lateranpalast auf die Höhe des Kapitols versetzt wurde, oder die Tmnsfigurntion Rafaels, die noch Goethe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/179>, abgerufen am 17.06.2024.