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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Doppelsterne

das; die Pflege einer so edeln und hohen Wissenschaft, wie die Astronomie,
über den sittlichen und geistigen Rückgang unsrer Zeit, die leere und hohle
Genußsucht, den thörichten Kultus der Theatergrvßen, deu hohlen Prunk und
sittlichen Verfall hinweghelfen könne; einer Wissenschaft, die lehre, daß dieses
Weltall wie unser Menschengeschlecht ewigen unerschütterlichen Entwicklungs¬
gesetzen folge, und die darum den, der sich mit ihr beschäftigt, nur sittlich
heben und läutern könne. In Belgien lasse neuerdings der Unterrichtsminister
für sämtliche Schulen Fernrohre anschaffen. Diesem Beispiele müsse man
folgen, und um die Welt sittlich zu hebe", zu den Sterne" aufschauen. Das
sind Träumereien, die mit den wirklichen Dingen und wirklichen Menschen
wenig genug zu thun haben. Ich erinnere mich, vor etlichen Jahren in Wester-
manns Monatsheften einen Aufsatz gelesen zu haben, in dem der Verfasser
-- ich weiß seinen Namen nicht mehr -- allen Ernstes vorschlug, auf den
öffentlichen Plätzen Fernrohre aufzustellen zur unentgeltlichen Benutzung für
das Volk. Die Beobachtung der in stiller Gesetzmäßigkeit kreisenden Jupiters -
Monde werde ohne Zweifel die nnzufriednen Volksklassen über die ewigen
Gesetze belehren und mit ihrer Lage versöhnen. Man könnte ebenso gilt als
wirksames soziales Heilmittel die liebevolle Pflege des alten schönen Liedes
"Guter Mond, du gehst so stille" empfehlen, auch an Stindes Professor Desens
denken, der die Betrachtung der mild-blauen Cäsinmlinien des Spektrums nu
die Stelle der Tröstungen der Religion setzen wollte. Wir wären nicht böse
darüber, wenn die Stelle über die ethische Bedeutung der Astronomie in einer
spätern Auflage fehlte.

Um aber ans deu "Astronomischen Abenden" eine Probe mitzuteilen,
wählen wir die Frage der Doppelsterne, die durch allerneueste Entdeckungen
in den Vordergrund des Interesses getreten ist.

Unter den Fixsternen des nächtlichen Himmels, die mit völliger Regel¬
losigkeit an der scheinbaren Himmelsdecke ausgestreut sind, finden sich viele,
die paarweise in so großer Nähe bei einander stehen, daß sie dem unbewaff-
neten Ange nur als ein Stern erscheinen. Mau könnte annehmen, daß diese
Nähe ans einer zufälligen Anordnung beruhe, aber die Forschung hat ergeben,
daß diese Doppelsterne jeder für sich ein eignes System bilden. Der erste,
der dies aussprach, war Christian Mäher im Jahre 1778. Doch war die
Vorstellung von Fixsterntrabanten dieser Art vor hundert Jahren eine so
ungewohnte, daß Mäher den heftigsten Widerspruch fand. Ja man machte
gegen die Annahme zweier zusammengehörigen Sonnen geltend, daß zwei sich
gegenseitig beleuchtende Sonnen zwecklos, also in einer zweckmäßig gebunden
Welt unmöglich seien.

Zu gleicher Zeit wandte Herschel sein Riesenteleskop den Doppelsternen
zu lind entdeckte und vermaß in vier Jahren nicht weniger als 269 Doppel¬
sterne, von denen die "leisten einen geringeren Abstand als 32 Bvgensekunden


Doppelsterne

das; die Pflege einer so edeln und hohen Wissenschaft, wie die Astronomie,
über den sittlichen und geistigen Rückgang unsrer Zeit, die leere und hohle
Genußsucht, den thörichten Kultus der Theatergrvßen, deu hohlen Prunk und
sittlichen Verfall hinweghelfen könne; einer Wissenschaft, die lehre, daß dieses
Weltall wie unser Menschengeschlecht ewigen unerschütterlichen Entwicklungs¬
gesetzen folge, und die darum den, der sich mit ihr beschäftigt, nur sittlich
heben und läutern könne. In Belgien lasse neuerdings der Unterrichtsminister
für sämtliche Schulen Fernrohre anschaffen. Diesem Beispiele müsse man
folgen, und um die Welt sittlich zu hebe», zu den Sterne« aufschauen. Das
sind Träumereien, die mit den wirklichen Dingen und wirklichen Menschen
wenig genug zu thun haben. Ich erinnere mich, vor etlichen Jahren in Wester-
manns Monatsheften einen Aufsatz gelesen zu haben, in dem der Verfasser
— ich weiß seinen Namen nicht mehr — allen Ernstes vorschlug, auf den
öffentlichen Plätzen Fernrohre aufzustellen zur unentgeltlichen Benutzung für
das Volk. Die Beobachtung der in stiller Gesetzmäßigkeit kreisenden Jupiters -
Monde werde ohne Zweifel die nnzufriednen Volksklassen über die ewigen
Gesetze belehren und mit ihrer Lage versöhnen. Man könnte ebenso gilt als
wirksames soziales Heilmittel die liebevolle Pflege des alten schönen Liedes
„Guter Mond, du gehst so stille" empfehlen, auch an Stindes Professor Desens
denken, der die Betrachtung der mild-blauen Cäsinmlinien des Spektrums nu
die Stelle der Tröstungen der Religion setzen wollte. Wir wären nicht böse
darüber, wenn die Stelle über die ethische Bedeutung der Astronomie in einer
spätern Auflage fehlte.

Um aber ans deu „Astronomischen Abenden" eine Probe mitzuteilen,
wählen wir die Frage der Doppelsterne, die durch allerneueste Entdeckungen
in den Vordergrund des Interesses getreten ist.

Unter den Fixsternen des nächtlichen Himmels, die mit völliger Regel¬
losigkeit an der scheinbaren Himmelsdecke ausgestreut sind, finden sich viele,
die paarweise in so großer Nähe bei einander stehen, daß sie dem unbewaff-
neten Ange nur als ein Stern erscheinen. Mau könnte annehmen, daß diese
Nähe ans einer zufälligen Anordnung beruhe, aber die Forschung hat ergeben,
daß diese Doppelsterne jeder für sich ein eignes System bilden. Der erste,
der dies aussprach, war Christian Mäher im Jahre 1778. Doch war die
Vorstellung von Fixsterntrabanten dieser Art vor hundert Jahren eine so
ungewohnte, daß Mäher den heftigsten Widerspruch fand. Ja man machte
gegen die Annahme zweier zusammengehörigen Sonnen geltend, daß zwei sich
gegenseitig beleuchtende Sonnen zwecklos, also in einer zweckmäßig gebunden
Welt unmöglich seien.

Zu gleicher Zeit wandte Herschel sein Riesenteleskop den Doppelsternen
zu lind entdeckte und vermaß in vier Jahren nicht weniger als 269 Doppel¬
sterne, von denen die »leisten einen geringeren Abstand als 32 Bvgensekunden


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[0182] Doppelsterne das; die Pflege einer so edeln und hohen Wissenschaft, wie die Astronomie, über den sittlichen und geistigen Rückgang unsrer Zeit, die leere und hohle Genußsucht, den thörichten Kultus der Theatergrvßen, deu hohlen Prunk und sittlichen Verfall hinweghelfen könne; einer Wissenschaft, die lehre, daß dieses Weltall wie unser Menschengeschlecht ewigen unerschütterlichen Entwicklungs¬ gesetzen folge, und die darum den, der sich mit ihr beschäftigt, nur sittlich heben und läutern könne. In Belgien lasse neuerdings der Unterrichtsminister für sämtliche Schulen Fernrohre anschaffen. Diesem Beispiele müsse man folgen, und um die Welt sittlich zu hebe», zu den Sterne« aufschauen. Das sind Träumereien, die mit den wirklichen Dingen und wirklichen Menschen wenig genug zu thun haben. Ich erinnere mich, vor etlichen Jahren in Wester- manns Monatsheften einen Aufsatz gelesen zu haben, in dem der Verfasser — ich weiß seinen Namen nicht mehr — allen Ernstes vorschlug, auf den öffentlichen Plätzen Fernrohre aufzustellen zur unentgeltlichen Benutzung für das Volk. Die Beobachtung der in stiller Gesetzmäßigkeit kreisenden Jupiters - Monde werde ohne Zweifel die nnzufriednen Volksklassen über die ewigen Gesetze belehren und mit ihrer Lage versöhnen. Man könnte ebenso gilt als wirksames soziales Heilmittel die liebevolle Pflege des alten schönen Liedes „Guter Mond, du gehst so stille" empfehlen, auch an Stindes Professor Desens denken, der die Betrachtung der mild-blauen Cäsinmlinien des Spektrums nu die Stelle der Tröstungen der Religion setzen wollte. Wir wären nicht böse darüber, wenn die Stelle über die ethische Bedeutung der Astronomie in einer spätern Auflage fehlte. Um aber ans deu „Astronomischen Abenden" eine Probe mitzuteilen, wählen wir die Frage der Doppelsterne, die durch allerneueste Entdeckungen in den Vordergrund des Interesses getreten ist. Unter den Fixsternen des nächtlichen Himmels, die mit völliger Regel¬ losigkeit an der scheinbaren Himmelsdecke ausgestreut sind, finden sich viele, die paarweise in so großer Nähe bei einander stehen, daß sie dem unbewaff- neten Ange nur als ein Stern erscheinen. Mau könnte annehmen, daß diese Nähe ans einer zufälligen Anordnung beruhe, aber die Forschung hat ergeben, daß diese Doppelsterne jeder für sich ein eignes System bilden. Der erste, der dies aussprach, war Christian Mäher im Jahre 1778. Doch war die Vorstellung von Fixsterntrabanten dieser Art vor hundert Jahren eine so ungewohnte, daß Mäher den heftigsten Widerspruch fand. Ja man machte gegen die Annahme zweier zusammengehörigen Sonnen geltend, daß zwei sich gegenseitig beleuchtende Sonnen zwecklos, also in einer zweckmäßig gebunden Welt unmöglich seien. Zu gleicher Zeit wandte Herschel sein Riesenteleskop den Doppelsternen zu lind entdeckte und vermaß in vier Jahren nicht weniger als 269 Doppel¬ sterne, von denen die »leisten einen geringeren Abstand als 32 Bvgensekunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/182>, abgerufen am 11.05.2024.