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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumnouinserinnerungou

selber dem Pietsch auf, und er sagte nach der Stunde, was denn heute mit
dein Morgenliede gewesen sei, das habe doch so merkwürdig geklungen. Da
wurde ihm denn gesagt, das sei die neue Melodie, aber wir könnten sie noch
nicht ordentlich. Dabei beruhigte er sich. Beim Pietsch nun kam es öfter vor,
daß in einer griechischen Stunde alle Alumnen der Klasse mit Ausnahme eines
einzigen -- es war der Cacus -- schwärzten, sodaß die halbe Klasse leer war.
Da fragte endlich einmal der Pietsch den Cacus: "Wie kommts denn nur,
daß immer bloß die andern fehlen und Sie immer da sind?" Und was ant¬
wortete der brave Junge? "Ich bin kein Solofänger."

Großes sittliches Unheil ist trotzdem durch die Bäre und die gelegent¬
lichen Schwänzbäre nicht angerichtet worden, ebenso wenig großer wissen¬
schaftlicher Schaden. Ich hatte Hunderte von Bären mitgesungen, darunter
auch manchen Schwänzbär, und ging beim Maturitätsexamen doch mit der 1"
als wissenschaftlicher Zensur ab, ein Beweis, daß der gesetzliche Unterrichts¬
plan die kleinen Abkürzungen, die wir gelegentlich damit vornahmen, recht wohl
vertrug. Ich will allerdings nicht verschweigen, daß gerade unter den Alumnen
damals eine große Anzahl in ihrer Schullaufbahu Schiffbruch litten. In
Freundeshand hat sich das Bruchstück eines Tagebuches erhalten, das mein
lieber Vierhändigspieler eine Zeit lang ans dem Alumneum geführt hat. Es
enthält unter andern: auch eine vollständige Liste der Alumnen ans den Jahren
1857 bis 1859, im ganzen sechzig Namen; bei allen ist der Geburtstag, der Ge¬
burtsort, der Stand des Vaters, der Tag der Aufnahme auf die Schule und
der der Aufnahme aufs Alnmncum angegeben, bei achtunddreißig außerdem
noch der Tag und die Art des Abganges, zum Teil von andrer Hand später
nachgetragen. Da zeigt sich denn, daß von diesen achtunddreißig drei "fort¬
geschickt," d. h. ganz von der Schule gejagt, fünf "vom Alumneum gewiesen"
worden, zwei "davongelaufen" sind; bei einem endlich steht: "geht nach Hanse,
wollte sich ersaufend!)." Nimmt man hinzu, daß auch unter den übrigen noch
so mancher ist, dessen Abgang zwar freiwillig geschah, aber doch vor der Zeit
und nnr, um Schlimmerem zuvorzukommen, so gelangt man zu einem ganz er¬
schreckenden Prozentsatz Schiffbrüchiger. Aber die Ursachen davon waren
von der mannichfaltigsten Art, zum Teil geradezu gemeine Vergehen, wie
Diebstahl, wozu die Versuchung leider nahe genug lag. Die meiste" der Un¬
glücklichen hatten wohl schon aus dein Elternhause keinen rechten Halt mit¬
gebracht. Der Schwänzverführnng ist keiner zum Opfer gefallen. Einer hatte
etwas ganz Sonderbares verbrochen. Der Lehrer des Deutschen in Ober-
ftknnda -- er hieß "der Forscher," weil er namentlich Geschichtsunterricht
gab -- hatte zum deutschen Aufsatz das Thema gestellt: "Nausikaa." Da
hatte einer die unglaubliche Frechheit, das Thema in den Schmutz zu ziehen
und den Odysseus als einen schamlosen Patron hinzustellen. Er wurde darauf
zwar uicht fortgeschickt, empfand aber doch seine ganze Stellung von Stund


Alumnouinserinnerungou

selber dem Pietsch auf, und er sagte nach der Stunde, was denn heute mit
dein Morgenliede gewesen sei, das habe doch so merkwürdig geklungen. Da
wurde ihm denn gesagt, das sei die neue Melodie, aber wir könnten sie noch
nicht ordentlich. Dabei beruhigte er sich. Beim Pietsch nun kam es öfter vor,
daß in einer griechischen Stunde alle Alumnen der Klasse mit Ausnahme eines
einzigen — es war der Cacus — schwärzten, sodaß die halbe Klasse leer war.
Da fragte endlich einmal der Pietsch den Cacus: „Wie kommts denn nur,
daß immer bloß die andern fehlen und Sie immer da sind?" Und was ant¬
wortete der brave Junge? „Ich bin kein Solofänger."

Großes sittliches Unheil ist trotzdem durch die Bäre und die gelegent¬
lichen Schwänzbäre nicht angerichtet worden, ebenso wenig großer wissen¬
schaftlicher Schaden. Ich hatte Hunderte von Bären mitgesungen, darunter
auch manchen Schwänzbär, und ging beim Maturitätsexamen doch mit der 1"
als wissenschaftlicher Zensur ab, ein Beweis, daß der gesetzliche Unterrichts¬
plan die kleinen Abkürzungen, die wir gelegentlich damit vornahmen, recht wohl
vertrug. Ich will allerdings nicht verschweigen, daß gerade unter den Alumnen
damals eine große Anzahl in ihrer Schullaufbahu Schiffbruch litten. In
Freundeshand hat sich das Bruchstück eines Tagebuches erhalten, das mein
lieber Vierhändigspieler eine Zeit lang ans dem Alumneum geführt hat. Es
enthält unter andern: auch eine vollständige Liste der Alumnen ans den Jahren
1857 bis 1859, im ganzen sechzig Namen; bei allen ist der Geburtstag, der Ge¬
burtsort, der Stand des Vaters, der Tag der Aufnahme auf die Schule und
der der Aufnahme aufs Alnmncum angegeben, bei achtunddreißig außerdem
noch der Tag und die Art des Abganges, zum Teil von andrer Hand später
nachgetragen. Da zeigt sich denn, daß von diesen achtunddreißig drei „fort¬
geschickt," d. h. ganz von der Schule gejagt, fünf „vom Alumneum gewiesen"
worden, zwei „davongelaufen" sind; bei einem endlich steht: „geht nach Hanse,
wollte sich ersaufend!)." Nimmt man hinzu, daß auch unter den übrigen noch
so mancher ist, dessen Abgang zwar freiwillig geschah, aber doch vor der Zeit
und nnr, um Schlimmerem zuvorzukommen, so gelangt man zu einem ganz er¬
schreckenden Prozentsatz Schiffbrüchiger. Aber die Ursachen davon waren
von der mannichfaltigsten Art, zum Teil geradezu gemeine Vergehen, wie
Diebstahl, wozu die Versuchung leider nahe genug lag. Die meiste» der Un¬
glücklichen hatten wohl schon aus dein Elternhause keinen rechten Halt mit¬
gebracht. Der Schwänzverführnng ist keiner zum Opfer gefallen. Einer hatte
etwas ganz Sonderbares verbrochen. Der Lehrer des Deutschen in Ober-
ftknnda — er hieß „der Forscher," weil er namentlich Geschichtsunterricht
gab — hatte zum deutschen Aufsatz das Thema gestellt: „Nausikaa." Da
hatte einer die unglaubliche Frechheit, das Thema in den Schmutz zu ziehen
und den Odysseus als einen schamlosen Patron hinzustellen. Er wurde darauf
zwar uicht fortgeschickt, empfand aber doch seine ganze Stellung von Stund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/189>, abgerufen am 17.06.2024.