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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alnmneumsenunenmgou

an als so erschüttert, daß er es vorzog, sich kurz darauf aufs "Klinikum" zu
retten, das überhaupt damals für viele, auch für ganz brave, aber arme Jungen,
die sich auf der Universität nicht durchzukommen getranten, eine Zufluchts¬
stätte war.

Viel näher lag bei den häufigen Straßen- und Kirchhofssingen eine
andre Gefahr, nämlich die, daß wir unsre Gesundheit dabei schädigten.
Wie oft haben wir im Winter eine Stunde lang und länger mit eiskalten
Füßen auf dem Kirchhofe hernmgestamvft und auf die Leiche gewartet, wie
oft während einer endlosen Grabrede in zollhohen Schneewasser zwischen den
Gräbern gestanden, wie oft beim Singen uns den Nord- oder Ostwind in den
Mund blasen lassen! Der Prediger stellte sich natürlich vorsichtig ans,
daß ihm der Wind hübsch in den Rücken pfiff und die weiten Talarärmel
nach vorn wehten; aber darnach fragten wir Jungen doch nicht, wo wir standen,
da standen wir eben. Daß da keine ernstlichen Erkrankungen vorkamen, niemand
auch, soviel mir bekannt geworden ist, den Keim zu spätern Krankheiten mit
fortgenommen hat, ist ein wahres Wunder.

Die Krankenstube wurde freilich im Winter nicht recht leer. Aber das
wollte nicht viel sagen. Jeder, der sich einen Husten oder Schnupfen geholt hatte,
meldete sich beim Inspektor krank und setzte sich dann ein paar Tage in die
Krankenstube. Für manche" war auch das nur eine willkommene Gelegenheit,
in das Einerlei des Schulunterrichts einmal etwas Abwechslung zu bringen.
Der Schularzt war ein alter Herr, der sich alles vorreden ließ, die Zunge
besah und den Puls befühlte und dann jedesmal dieselbe rote Flasche oder
denselben bunten Thee verschrieb, zu dessen Bestandteilen auch Feigeustückchen
und kleine Rosinen gehörten, die natürlich vor dem Kochen herausgelesen und
gegessen wurden. Angefertigt wurden die Rezepte in der Marienapotheke am
Markte, die übrigens -- jetzt fällt mirs ein! -- zu den Kurrendeuhäusern gehörte,
also wohl die Arzneien etwas billiger lieferte. Wer Zahnschmerzen hatte, ging
zum Natsbader, zu dessen Amtspflichten es gehörte, die Alnmnenzühne unentgeltlich
auszuziehen. Der Solofänger, den etwa vor den Feiertagen plötzlich Heiserkeit
befiel, half sich selbst: er holte sich in der Apotheke ein Stück Lederzucker oder in
schlimmern Fällen ein Mschchen Pimpinellentinktnr. Ein Solofänger im Alt, der
gern den Kraftmeier spielte und in seinem ganzen Wesen ein bischen Renommist
war, kochte sich einmal am ersten Pfingstfeiertage früh ein Tnubennest mitsamt
dem Taubenmist aus und trank die ganze Brühe. Sehr gemütlich war es des
Abends und -- des Nachts in der Krankenstube. Da saßen zwei oder drei ver¬
gnügt beisammen, es war gut geheizt, man hatte seine besondre Tischlampe und
konnte ungestört Schustern. Einer, ein baumlanger Kerl, der sich für einen
großen dramatischen Dichter hielt und durchaus Schauspieler werden wollte
-- er soll auch später bei einer herumziehenden Truppe gesehen worden
sein -- wurde jedesmal krank, wenn er wieder über einem Drama brütete.


Alnmneumsenunenmgou

an als so erschüttert, daß er es vorzog, sich kurz darauf aufs „Klinikum" zu
retten, das überhaupt damals für viele, auch für ganz brave, aber arme Jungen,
die sich auf der Universität nicht durchzukommen getranten, eine Zufluchts¬
stätte war.

Viel näher lag bei den häufigen Straßen- und Kirchhofssingen eine
andre Gefahr, nämlich die, daß wir unsre Gesundheit dabei schädigten.
Wie oft haben wir im Winter eine Stunde lang und länger mit eiskalten
Füßen auf dem Kirchhofe hernmgestamvft und auf die Leiche gewartet, wie
oft während einer endlosen Grabrede in zollhohen Schneewasser zwischen den
Gräbern gestanden, wie oft beim Singen uns den Nord- oder Ostwind in den
Mund blasen lassen! Der Prediger stellte sich natürlich vorsichtig ans,
daß ihm der Wind hübsch in den Rücken pfiff und die weiten Talarärmel
nach vorn wehten; aber darnach fragten wir Jungen doch nicht, wo wir standen,
da standen wir eben. Daß da keine ernstlichen Erkrankungen vorkamen, niemand
auch, soviel mir bekannt geworden ist, den Keim zu spätern Krankheiten mit
fortgenommen hat, ist ein wahres Wunder.

Die Krankenstube wurde freilich im Winter nicht recht leer. Aber das
wollte nicht viel sagen. Jeder, der sich einen Husten oder Schnupfen geholt hatte,
meldete sich beim Inspektor krank und setzte sich dann ein paar Tage in die
Krankenstube. Für manche» war auch das nur eine willkommene Gelegenheit,
in das Einerlei des Schulunterrichts einmal etwas Abwechslung zu bringen.
Der Schularzt war ein alter Herr, der sich alles vorreden ließ, die Zunge
besah und den Puls befühlte und dann jedesmal dieselbe rote Flasche oder
denselben bunten Thee verschrieb, zu dessen Bestandteilen auch Feigeustückchen
und kleine Rosinen gehörten, die natürlich vor dem Kochen herausgelesen und
gegessen wurden. Angefertigt wurden die Rezepte in der Marienapotheke am
Markte, die übrigens — jetzt fällt mirs ein! — zu den Kurrendeuhäusern gehörte,
also wohl die Arzneien etwas billiger lieferte. Wer Zahnschmerzen hatte, ging
zum Natsbader, zu dessen Amtspflichten es gehörte, die Alnmnenzühne unentgeltlich
auszuziehen. Der Solofänger, den etwa vor den Feiertagen plötzlich Heiserkeit
befiel, half sich selbst: er holte sich in der Apotheke ein Stück Lederzucker oder in
schlimmern Fällen ein Mschchen Pimpinellentinktnr. Ein Solofänger im Alt, der
gern den Kraftmeier spielte und in seinem ganzen Wesen ein bischen Renommist
war, kochte sich einmal am ersten Pfingstfeiertage früh ein Tnubennest mitsamt
dem Taubenmist aus und trank die ganze Brühe. Sehr gemütlich war es des
Abends und — des Nachts in der Krankenstube. Da saßen zwei oder drei ver¬
gnügt beisammen, es war gut geheizt, man hatte seine besondre Tischlampe und
konnte ungestört Schustern. Einer, ein baumlanger Kerl, der sich für einen
großen dramatischen Dichter hielt und durchaus Schauspieler werden wollte
— er soll auch später bei einer herumziehenden Truppe gesehen worden
sein — wurde jedesmal krank, wenn er wieder über einem Drama brütete.


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[0190] Alnmneumsenunenmgou an als so erschüttert, daß er es vorzog, sich kurz darauf aufs „Klinikum" zu retten, das überhaupt damals für viele, auch für ganz brave, aber arme Jungen, die sich auf der Universität nicht durchzukommen getranten, eine Zufluchts¬ stätte war. Viel näher lag bei den häufigen Straßen- und Kirchhofssingen eine andre Gefahr, nämlich die, daß wir unsre Gesundheit dabei schädigten. Wie oft haben wir im Winter eine Stunde lang und länger mit eiskalten Füßen auf dem Kirchhofe hernmgestamvft und auf die Leiche gewartet, wie oft während einer endlosen Grabrede in zollhohen Schneewasser zwischen den Gräbern gestanden, wie oft beim Singen uns den Nord- oder Ostwind in den Mund blasen lassen! Der Prediger stellte sich natürlich vorsichtig ans, daß ihm der Wind hübsch in den Rücken pfiff und die weiten Talarärmel nach vorn wehten; aber darnach fragten wir Jungen doch nicht, wo wir standen, da standen wir eben. Daß da keine ernstlichen Erkrankungen vorkamen, niemand auch, soviel mir bekannt geworden ist, den Keim zu spätern Krankheiten mit fortgenommen hat, ist ein wahres Wunder. Die Krankenstube wurde freilich im Winter nicht recht leer. Aber das wollte nicht viel sagen. Jeder, der sich einen Husten oder Schnupfen geholt hatte, meldete sich beim Inspektor krank und setzte sich dann ein paar Tage in die Krankenstube. Für manche» war auch das nur eine willkommene Gelegenheit, in das Einerlei des Schulunterrichts einmal etwas Abwechslung zu bringen. Der Schularzt war ein alter Herr, der sich alles vorreden ließ, die Zunge besah und den Puls befühlte und dann jedesmal dieselbe rote Flasche oder denselben bunten Thee verschrieb, zu dessen Bestandteilen auch Feigeustückchen und kleine Rosinen gehörten, die natürlich vor dem Kochen herausgelesen und gegessen wurden. Angefertigt wurden die Rezepte in der Marienapotheke am Markte, die übrigens — jetzt fällt mirs ein! — zu den Kurrendeuhäusern gehörte, also wohl die Arzneien etwas billiger lieferte. Wer Zahnschmerzen hatte, ging zum Natsbader, zu dessen Amtspflichten es gehörte, die Alnmnenzühne unentgeltlich auszuziehen. Der Solofänger, den etwa vor den Feiertagen plötzlich Heiserkeit befiel, half sich selbst: er holte sich in der Apotheke ein Stück Lederzucker oder in schlimmern Fällen ein Mschchen Pimpinellentinktnr. Ein Solofänger im Alt, der gern den Kraftmeier spielte und in seinem ganzen Wesen ein bischen Renommist war, kochte sich einmal am ersten Pfingstfeiertage früh ein Tnubennest mitsamt dem Taubenmist aus und trank die ganze Brühe. Sehr gemütlich war es des Abends und — des Nachts in der Krankenstube. Da saßen zwei oder drei ver¬ gnügt beisammen, es war gut geheizt, man hatte seine besondre Tischlampe und konnte ungestört Schustern. Einer, ein baumlanger Kerl, der sich für einen großen dramatischen Dichter hielt und durchaus Schauspieler werden wollte — er soll auch später bei einer herumziehenden Truppe gesehen worden sein — wurde jedesmal krank, wenn er wieder über einem Drama brütete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/190>, abgerufen am 17.06.2024.