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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alnmneumserinnerungen

und die Feiertagsmusiken einzuüben hatte, auch noch die Chöre für die Theater-
aufführung mit uns durchnehmen. Umso mehr freuten wir uns darauf.
Was habe ich damals als Junge alles keimen lernen! Wie viel Anregung
und Genuß verdanke ich diesem Konzerten! Und wir machten unserm Kantor
die Sache doch wirklich leicht. Die Chöre eines Händelschen Oratoriums -- was
war das weiter für uns? wir fraßen sie ja nur so hinein, wir saugen sie
wirklich fast vom Blatt herunter. Nach wenigen Singestunden konnten wir
schon an den Proben der Singakademie teilnehmen, dann kam die große Orchester¬
probe im Theater und endlich -- um Sonnabend vor Palmsonntag -- abends
die Generalprobe, die eigentlich schon eine Aufführung war, denn das Publikum
hatte dazu zu halben Theaterpreisen Zutritt, und das Haus war stets aus¬
verkauft; viele behaupteten sogar, diese Generalprobe sei eine bessere Aufführung
als das wirkliche Konzert, und sie mochten damit nicht ganz Unrecht haben,
denn die Spannung und Begeisterung dieses Abends, wo zum erstenmale alles
klappen mußte, nichts getadelt, nichts wiederholt werden durste, war am zweiten
Abend doch nicht wieder so zu erreichen.

Wir Jungen im Sopran und Alt waren natürlich fest überzeugt, daß wir
allein die Chöre hielten, ja daß wir sie eigentlich sängen; die Damen der Sing¬
akademie schienen uns mehr zur Dekoration dazusein. Thatsache ist, daß
wir für alle schwierige" Eiusütze einzustehen hatten und auch wirklich einstanden.
In den Proben gaben wir uns manchmal bei irgend einer Stelle das Wort:
Hier wollen wir einmal still sein, wollen einmal sehen, ob die Damen einsetzen
werden! Ja, drei oder vier setzten wohl zaghaft ein, die andern aber kamen
alle erst beim zweiten oder dritten Takte hinterher. Die Stelle wurde natürlich
wiederholt, nun legten wir uns ins Zeug, und da ging es denn. Namentlich
gönnten wir uns diesen kleinen Triumph in der ersten Orchesterprobe im Theater,
wo die Dcnueu breitspurig in den vordersten Reihen saßen, und wir kleinen
Kerle, auf die doch so viel ankam, bescheiden und sast unsichtbar dahintersteckten.
Dafür kam aber auch Kapellmeister Krebs einmal vor einer Generalprobe be¬
sonders zu uns hinter, klopfte uns auf die Schultern und sagte: "Na, Jungens,
nun singt einmal, daß die Zähne wackeln!" Zu solcher (Aptutiu ließ er sich
den Damen gegenüber nicht herab.

Auch die Chöre aus der Neunten Symphonie haben wir bei einem solchen
Palmsvnntagskvnzert mitgesungen -- für mein ganzes Lebe" eine der schönste"
Erinnerungen. "O Freunde, nicht diese Töne!" kann ich mir ja gar nicht mehr
anders gesungen denken, als wie es Mitterwurzer damals sang. Es war über¬
wältigend, dieser Durchbruch der Menschenstimme, dieser Menschenstimme! durch
das Gewirr der Instrumente. Es war das übrigens das Konzert, wo Nietz,
der um Reißigers Stelle vom Leipziger Gewaudhnuse nach Dresden berufen
worden war, zum erstenmale dirigirte. Er erschien in blauem Frack mit goldnen
Knöpfen. Beim Scherzo legte er uach einigen Seiten zum allgemeinen Er-


Alnmneumserinnerungen

und die Feiertagsmusiken einzuüben hatte, auch noch die Chöre für die Theater-
aufführung mit uns durchnehmen. Umso mehr freuten wir uns darauf.
Was habe ich damals als Junge alles keimen lernen! Wie viel Anregung
und Genuß verdanke ich diesem Konzerten! Und wir machten unserm Kantor
die Sache doch wirklich leicht. Die Chöre eines Händelschen Oratoriums — was
war das weiter für uns? wir fraßen sie ja nur so hinein, wir saugen sie
wirklich fast vom Blatt herunter. Nach wenigen Singestunden konnten wir
schon an den Proben der Singakademie teilnehmen, dann kam die große Orchester¬
probe im Theater und endlich — um Sonnabend vor Palmsonntag — abends
die Generalprobe, die eigentlich schon eine Aufführung war, denn das Publikum
hatte dazu zu halben Theaterpreisen Zutritt, und das Haus war stets aus¬
verkauft; viele behaupteten sogar, diese Generalprobe sei eine bessere Aufführung
als das wirkliche Konzert, und sie mochten damit nicht ganz Unrecht haben,
denn die Spannung und Begeisterung dieses Abends, wo zum erstenmale alles
klappen mußte, nichts getadelt, nichts wiederholt werden durste, war am zweiten
Abend doch nicht wieder so zu erreichen.

Wir Jungen im Sopran und Alt waren natürlich fest überzeugt, daß wir
allein die Chöre hielten, ja daß wir sie eigentlich sängen; die Damen der Sing¬
akademie schienen uns mehr zur Dekoration dazusein. Thatsache ist, daß
wir für alle schwierige» Eiusütze einzustehen hatten und auch wirklich einstanden.
In den Proben gaben wir uns manchmal bei irgend einer Stelle das Wort:
Hier wollen wir einmal still sein, wollen einmal sehen, ob die Damen einsetzen
werden! Ja, drei oder vier setzten wohl zaghaft ein, die andern aber kamen
alle erst beim zweiten oder dritten Takte hinterher. Die Stelle wurde natürlich
wiederholt, nun legten wir uns ins Zeug, und da ging es denn. Namentlich
gönnten wir uns diesen kleinen Triumph in der ersten Orchesterprobe im Theater,
wo die Dcnueu breitspurig in den vordersten Reihen saßen, und wir kleinen
Kerle, auf die doch so viel ankam, bescheiden und sast unsichtbar dahintersteckten.
Dafür kam aber auch Kapellmeister Krebs einmal vor einer Generalprobe be¬
sonders zu uns hinter, klopfte uns auf die Schultern und sagte: „Na, Jungens,
nun singt einmal, daß die Zähne wackeln!" Zu solcher (Aptutiu ließ er sich
den Damen gegenüber nicht herab.

Auch die Chöre aus der Neunten Symphonie haben wir bei einem solchen
Palmsvnntagskvnzert mitgesungen — für mein ganzes Lebe« eine der schönste»
Erinnerungen. „O Freunde, nicht diese Töne!" kann ich mir ja gar nicht mehr
anders gesungen denken, als wie es Mitterwurzer damals sang. Es war über¬
wältigend, dieser Durchbruch der Menschenstimme, dieser Menschenstimme! durch
das Gewirr der Instrumente. Es war das übrigens das Konzert, wo Nietz,
der um Reißigers Stelle vom Leipziger Gewaudhnuse nach Dresden berufen
worden war, zum erstenmale dirigirte. Er erschien in blauem Frack mit goldnen
Knöpfen. Beim Scherzo legte er uach einigen Seiten zum allgemeinen Er-


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[0194] Alnmneumserinnerungen und die Feiertagsmusiken einzuüben hatte, auch noch die Chöre für die Theater- aufführung mit uns durchnehmen. Umso mehr freuten wir uns darauf. Was habe ich damals als Junge alles keimen lernen! Wie viel Anregung und Genuß verdanke ich diesem Konzerten! Und wir machten unserm Kantor die Sache doch wirklich leicht. Die Chöre eines Händelschen Oratoriums — was war das weiter für uns? wir fraßen sie ja nur so hinein, wir saugen sie wirklich fast vom Blatt herunter. Nach wenigen Singestunden konnten wir schon an den Proben der Singakademie teilnehmen, dann kam die große Orchester¬ probe im Theater und endlich — um Sonnabend vor Palmsonntag — abends die Generalprobe, die eigentlich schon eine Aufführung war, denn das Publikum hatte dazu zu halben Theaterpreisen Zutritt, und das Haus war stets aus¬ verkauft; viele behaupteten sogar, diese Generalprobe sei eine bessere Aufführung als das wirkliche Konzert, und sie mochten damit nicht ganz Unrecht haben, denn die Spannung und Begeisterung dieses Abends, wo zum erstenmale alles klappen mußte, nichts getadelt, nichts wiederholt werden durste, war am zweiten Abend doch nicht wieder so zu erreichen. Wir Jungen im Sopran und Alt waren natürlich fest überzeugt, daß wir allein die Chöre hielten, ja daß wir sie eigentlich sängen; die Damen der Sing¬ akademie schienen uns mehr zur Dekoration dazusein. Thatsache ist, daß wir für alle schwierige» Eiusütze einzustehen hatten und auch wirklich einstanden. In den Proben gaben wir uns manchmal bei irgend einer Stelle das Wort: Hier wollen wir einmal still sein, wollen einmal sehen, ob die Damen einsetzen werden! Ja, drei oder vier setzten wohl zaghaft ein, die andern aber kamen alle erst beim zweiten oder dritten Takte hinterher. Die Stelle wurde natürlich wiederholt, nun legten wir uns ins Zeug, und da ging es denn. Namentlich gönnten wir uns diesen kleinen Triumph in der ersten Orchesterprobe im Theater, wo die Dcnueu breitspurig in den vordersten Reihen saßen, und wir kleinen Kerle, auf die doch so viel ankam, bescheiden und sast unsichtbar dahintersteckten. Dafür kam aber auch Kapellmeister Krebs einmal vor einer Generalprobe be¬ sonders zu uns hinter, klopfte uns auf die Schultern und sagte: „Na, Jungens, nun singt einmal, daß die Zähne wackeln!" Zu solcher (Aptutiu ließ er sich den Damen gegenüber nicht herab. Auch die Chöre aus der Neunten Symphonie haben wir bei einem solchen Palmsvnntagskvnzert mitgesungen — für mein ganzes Lebe« eine der schönste» Erinnerungen. „O Freunde, nicht diese Töne!" kann ich mir ja gar nicht mehr anders gesungen denken, als wie es Mitterwurzer damals sang. Es war über¬ wältigend, dieser Durchbruch der Menschenstimme, dieser Menschenstimme! durch das Gewirr der Instrumente. Es war das übrigens das Konzert, wo Nietz, der um Reißigers Stelle vom Leipziger Gewaudhnuse nach Dresden berufen worden war, zum erstenmale dirigirte. Er erschien in blauem Frack mit goldnen Knöpfen. Beim Scherzo legte er uach einigen Seiten zum allgemeinen Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/194>, abgerufen am 17.06.2024.