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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumneumserinnerungen

kleinen Dorfkirche, angestaunt von den Bauern, die in langschößigen, blauen
Röcken die Empore füllten und ihre alten rauhen Filzzylinder rings herum
an der Emporenbrüstung aufgehängt hatten, angestaunt vor allem nach von
den pausbäckigen, kurzgeschornen Blondköpfen, denen wir für heute ihre Ver¬
richtungen auf dem Orgelchor abgenommen hatten, ein paar unsrer heitersten
und faßlichsten Motetten, eine zu Beginn, die andre, nachdem der Pfarrer seine
ebenso heitere und faßliche Erntepredigt gehalten hatte. Dann ging es unter
Führung des wackern Dvrfkantors auf ein Nachbardorf, wo wir im Gasthofs¬
garten ungestört -- es war ja alles drüben zur Kirmes; -- bis zum Abend
Kegel schoben, und am Abend waren wir im Kantorhause zu Gaste, vergalten
nnserm freundlichen Wirt und seiner Familie das leckere Abendbrot damit, daß
wir eine Motette "ach der andern sangen, und traten dann vergnügt den Rückweg
an. Ob außer der Bewirtung für dieses Kirmeßsingen noch etwas bezahlt
würde, war mir eine Zeit lang zweifelhaft; jedenfalls bekamen die Kleinen
nichts davon zu sehen, wir vermuteten aber, daß die beiden Präfekten nicht
ganz leer ausgingen. Und so war es denn auch. Das einemal, als Nur uns
spät abends verabschiedeten, kollerte plötzlich, während der Kantor dem Prä¬
fekten die Hand schüttelte, ein blanker Thaler auf der Diele, und in der Ver¬
legenheit, die beim Aufheben entstand, horte man in einer andern Hand noch
einige weitere klimpern. Damit war der Zweifel gelöst. Davon bekommen
habe ich aber trotzdem nichts, habe es freilich später als Präfekt auch nicht
besser gemacht.

Eine andre Gastrolle, zu der, wenn nicht der ganze Chor, so doch der
größere und bessere Teil alljährlich zugezogen wurde, war unsre Teilnahme am
Palmsonntagskonzert im königlichen Hofthenter. Regelmäßig am Palmsonntags
fand im Theater eine große Kvnzertauffnhrung statt, die nur aus zwei Nummern
bestand, einem Oratorium und einer Symphonie. Es war die glänzendste
Dresdner Konzertanffnhrnng des ganzen Jahres. Die vier Großen, für die
Wagner seinerzeit die Hauptrollen im Rienzi, im Tannhäuser und im Lohengrin
geschrieben hatte: Frau Bürde-Ney, Frau Krebs-Michalesi, Tichatschek und
Mitterwurzer, waren damals noch in voller Wirksamkeit und saugen die Soli
im Oratorium (nur an Tichatscheks Stelle trat später Rudolph), die königliche
Kapelle war verstärkt --- ich glaube das einemal acht Celli und acht Bässe
gezählt zu haben --, und die Chöre sang die Singakademie in Verbindung
mit dem Kreuzchor. Die ganze Bühne war als Saal zur Aufstellung des
Orchesters hergerichtet, davor, in dem gewöhnlichen Orchesterraum, standen die
Sänger und Sängerinnen. In die Direktion teilten sich die beiden Kapell¬
meister; der eine leitete das Oratorium, der andre die Symphonie.

Dein Kantor lag nicht viel an diesen Palmsonntagskonzerten, denn er
mußte dann in den Wochen vor Ostern, in einer Zeit, wo es ohnehin etwas
mehr für ihn zu thun gab als gewöhnlich, wo er das Karfreitagsoratvrium


Grenzboten III 1890 24
Alumneumserinnerungen

kleinen Dorfkirche, angestaunt von den Bauern, die in langschößigen, blauen
Röcken die Empore füllten und ihre alten rauhen Filzzylinder rings herum
an der Emporenbrüstung aufgehängt hatten, angestaunt vor allem nach von
den pausbäckigen, kurzgeschornen Blondköpfen, denen wir für heute ihre Ver¬
richtungen auf dem Orgelchor abgenommen hatten, ein paar unsrer heitersten
und faßlichsten Motetten, eine zu Beginn, die andre, nachdem der Pfarrer seine
ebenso heitere und faßliche Erntepredigt gehalten hatte. Dann ging es unter
Führung des wackern Dvrfkantors auf ein Nachbardorf, wo wir im Gasthofs¬
garten ungestört — es war ja alles drüben zur Kirmes; — bis zum Abend
Kegel schoben, und am Abend waren wir im Kantorhause zu Gaste, vergalten
nnserm freundlichen Wirt und seiner Familie das leckere Abendbrot damit, daß
wir eine Motette »ach der andern sangen, und traten dann vergnügt den Rückweg
an. Ob außer der Bewirtung für dieses Kirmeßsingen noch etwas bezahlt
würde, war mir eine Zeit lang zweifelhaft; jedenfalls bekamen die Kleinen
nichts davon zu sehen, wir vermuteten aber, daß die beiden Präfekten nicht
ganz leer ausgingen. Und so war es denn auch. Das einemal, als Nur uns
spät abends verabschiedeten, kollerte plötzlich, während der Kantor dem Prä¬
fekten die Hand schüttelte, ein blanker Thaler auf der Diele, und in der Ver¬
legenheit, die beim Aufheben entstand, horte man in einer andern Hand noch
einige weitere klimpern. Damit war der Zweifel gelöst. Davon bekommen
habe ich aber trotzdem nichts, habe es freilich später als Präfekt auch nicht
besser gemacht.

Eine andre Gastrolle, zu der, wenn nicht der ganze Chor, so doch der
größere und bessere Teil alljährlich zugezogen wurde, war unsre Teilnahme am
Palmsonntagskonzert im königlichen Hofthenter. Regelmäßig am Palmsonntags
fand im Theater eine große Kvnzertauffnhrung statt, die nur aus zwei Nummern
bestand, einem Oratorium und einer Symphonie. Es war die glänzendste
Dresdner Konzertanffnhrnng des ganzen Jahres. Die vier Großen, für die
Wagner seinerzeit die Hauptrollen im Rienzi, im Tannhäuser und im Lohengrin
geschrieben hatte: Frau Bürde-Ney, Frau Krebs-Michalesi, Tichatschek und
Mitterwurzer, waren damals noch in voller Wirksamkeit und saugen die Soli
im Oratorium (nur an Tichatscheks Stelle trat später Rudolph), die königliche
Kapelle war verstärkt -— ich glaube das einemal acht Celli und acht Bässe
gezählt zu haben —, und die Chöre sang die Singakademie in Verbindung
mit dem Kreuzchor. Die ganze Bühne war als Saal zur Aufstellung des
Orchesters hergerichtet, davor, in dem gewöhnlichen Orchesterraum, standen die
Sänger und Sängerinnen. In die Direktion teilten sich die beiden Kapell¬
meister; der eine leitete das Oratorium, der andre die Symphonie.

Dein Kantor lag nicht viel an diesen Palmsonntagskonzerten, denn er
mußte dann in den Wochen vor Ostern, in einer Zeit, wo es ohnehin etwas
mehr für ihn zu thun gab als gewöhnlich, wo er das Karfreitagsoratvrium


Grenzboten III 1890 24
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[0193] Alumneumserinnerungen kleinen Dorfkirche, angestaunt von den Bauern, die in langschößigen, blauen Röcken die Empore füllten und ihre alten rauhen Filzzylinder rings herum an der Emporenbrüstung aufgehängt hatten, angestaunt vor allem nach von den pausbäckigen, kurzgeschornen Blondköpfen, denen wir für heute ihre Ver¬ richtungen auf dem Orgelchor abgenommen hatten, ein paar unsrer heitersten und faßlichsten Motetten, eine zu Beginn, die andre, nachdem der Pfarrer seine ebenso heitere und faßliche Erntepredigt gehalten hatte. Dann ging es unter Führung des wackern Dvrfkantors auf ein Nachbardorf, wo wir im Gasthofs¬ garten ungestört — es war ja alles drüben zur Kirmes; — bis zum Abend Kegel schoben, und am Abend waren wir im Kantorhause zu Gaste, vergalten nnserm freundlichen Wirt und seiner Familie das leckere Abendbrot damit, daß wir eine Motette »ach der andern sangen, und traten dann vergnügt den Rückweg an. Ob außer der Bewirtung für dieses Kirmeßsingen noch etwas bezahlt würde, war mir eine Zeit lang zweifelhaft; jedenfalls bekamen die Kleinen nichts davon zu sehen, wir vermuteten aber, daß die beiden Präfekten nicht ganz leer ausgingen. Und so war es denn auch. Das einemal, als Nur uns spät abends verabschiedeten, kollerte plötzlich, während der Kantor dem Prä¬ fekten die Hand schüttelte, ein blanker Thaler auf der Diele, und in der Ver¬ legenheit, die beim Aufheben entstand, horte man in einer andern Hand noch einige weitere klimpern. Damit war der Zweifel gelöst. Davon bekommen habe ich aber trotzdem nichts, habe es freilich später als Präfekt auch nicht besser gemacht. Eine andre Gastrolle, zu der, wenn nicht der ganze Chor, so doch der größere und bessere Teil alljährlich zugezogen wurde, war unsre Teilnahme am Palmsonntagskonzert im königlichen Hofthenter. Regelmäßig am Palmsonntags fand im Theater eine große Kvnzertauffnhrung statt, die nur aus zwei Nummern bestand, einem Oratorium und einer Symphonie. Es war die glänzendste Dresdner Konzertanffnhrnng des ganzen Jahres. Die vier Großen, für die Wagner seinerzeit die Hauptrollen im Rienzi, im Tannhäuser und im Lohengrin geschrieben hatte: Frau Bürde-Ney, Frau Krebs-Michalesi, Tichatschek und Mitterwurzer, waren damals noch in voller Wirksamkeit und saugen die Soli im Oratorium (nur an Tichatscheks Stelle trat später Rudolph), die königliche Kapelle war verstärkt -— ich glaube das einemal acht Celli und acht Bässe gezählt zu haben —, und die Chöre sang die Singakademie in Verbindung mit dem Kreuzchor. Die ganze Bühne war als Saal zur Aufstellung des Orchesters hergerichtet, davor, in dem gewöhnlichen Orchesterraum, standen die Sänger und Sängerinnen. In die Direktion teilten sich die beiden Kapell¬ meister; der eine leitete das Oratorium, der andre die Symphonie. Dein Kantor lag nicht viel an diesen Palmsonntagskonzerten, denn er mußte dann in den Wochen vor Ostern, in einer Zeit, wo es ohnehin etwas mehr für ihn zu thun gab als gewöhnlich, wo er das Karfreitagsoratvrium Grenzboten III 1890 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/193>, abgerufen am 17.06.2024.