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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Sie neuen Gewerbegerichte

Darnach sollen Gewerbegerichte auch fernerhin dnrch statutarische Regelung der
Gemeinde oder eines weitern Kvmmunalverbaudes geschaffen werden tonnen,
diese Körperschaften auch zur Tragung der Kosten Pflichtig sein. Unterlassen sie
aber die Errichtung solcher Gerichte, so sollen diese auch dnrch Anordnung der
Landeszentralbehörde ins Leben gerufen werden können.

Fragen wir nun, was diese Gewerbegerichte von den ordentlichen Gerichten
unterscheidet, so liegen die charakteristischen Unterschiede in dreierlei: in der
Bildung des Gerichtes, in dem Verfahren und in den Kosten. Ehe wir aber
hierauf im einzelnen eingehen, müssen wir eine Hauptfrage erörtern, die freilich
an Ivgv !'"um.l!> erledigt ist, deren Erörterung wir aber gleichwohl für unsre
Betrachtung nicht entbehren können.

Es ist das die Frage: Haben denn Streitigkeiten der Gewerbetreibenden
wirklich eine so eigentümliche Natur, daß für sie die Herstellung einer besondern
Gerichtsbarkeit sachlich geboten erscheint? Darauf kauu man mir mit einem
entschiedenen Nein antworten. Alle Rechtsverhältnisse hängen mehr oder minder
mit dem besondern Kreise der Lebensverhältnisse zusammen, aus denen sie hervor¬
gehen. Man erwartet von dem Richter als einem, gebildeten Manne, daß er
alle Lebensverhältnisse so weit kenne oder doch zu erkunden vermöge, daß er
ein gerechtes Urteil zu fallen imstmide sei. Die Gewerbeverhältnisse nehmen
in dieser Beziehung keine besondre Stellung ein. Sie sind um nichts mehr
eigentümlich, als z. B. die Verhältnisse der Landwirtschaft, die man anch einiger¬
maßen kennen muß, um daraus hervorgegangene Rechtsstreitigkeiten richtig zu
beurteilen. Wir wüßten nicht, worin der Unterschied läge, ob der Fabrikherr
mit seinem Arbeiter oder der Bauer mit seinem Knecht über eine Lohnfrage in
Streit gerät. Die ganz besondern technischen Verhältnisse eines einzelnen Ge¬
werbes kommen bei Rechtsstreitigkeiten nur selten in Betracht, und für solche
wird auch bei de" Gewerbegerichten nur selten und ganz zufällig wirkliche Sach¬
kunde vertreten sein. Wenn es sich z. B. um die besondern Verhältnisse des
Hufschmiede- oder des Schornsteinfegergewerbes handelt, so ist doch nicht ab¬
zusehen, weshalb ein zu Gericht sitzender Buchbinder und Konditor davon mehr
verstehen sollten, als jeder andre lebenserfahrene Mensch, Eigentümlichkeiten
in den Rechtsverhältnissen weist noch am meisten der Handelsstand ans. Im
Handelsrechte haben sich wirklich eine Anzahl Rechtsbildungen entwickelt, die
vom gemeinen Rechte mehr oder minder abweichen und die in den meisten
Ländern und auch bei uus in einem besondern Handelsgesetzbuche zum gesetz¬
lichen Ausdruck gekommen sind. Gleichwohl war im Jahre 1"75 die Reichs-
jnstizkommission in ihrer großen Mehrheit der Ansicht, daß es kein Bedürfnis
sei, besondre Handelsgerichte zu schaffen; und erst auf heftiges äußeres An¬
drängen aus Kreisen des Handelsstandes (von dem man sagte, daß es mehr
durch persönliche als dnrch sachliche Gründe veranlaßt worden sei) entschloß sich
die Kommission, nachträglich Handelsgerichte in die Organisation aufzunehmen.


Sie neuen Gewerbegerichte

Darnach sollen Gewerbegerichte auch fernerhin dnrch statutarische Regelung der
Gemeinde oder eines weitern Kvmmunalverbaudes geschaffen werden tonnen,
diese Körperschaften auch zur Tragung der Kosten Pflichtig sein. Unterlassen sie
aber die Errichtung solcher Gerichte, so sollen diese auch dnrch Anordnung der
Landeszentralbehörde ins Leben gerufen werden können.

Fragen wir nun, was diese Gewerbegerichte von den ordentlichen Gerichten
unterscheidet, so liegen die charakteristischen Unterschiede in dreierlei: in der
Bildung des Gerichtes, in dem Verfahren und in den Kosten. Ehe wir aber
hierauf im einzelnen eingehen, müssen wir eine Hauptfrage erörtern, die freilich
an Ivgv !'"um.l!> erledigt ist, deren Erörterung wir aber gleichwohl für unsre
Betrachtung nicht entbehren können.

Es ist das die Frage: Haben denn Streitigkeiten der Gewerbetreibenden
wirklich eine so eigentümliche Natur, daß für sie die Herstellung einer besondern
Gerichtsbarkeit sachlich geboten erscheint? Darauf kauu man mir mit einem
entschiedenen Nein antworten. Alle Rechtsverhältnisse hängen mehr oder minder
mit dem besondern Kreise der Lebensverhältnisse zusammen, aus denen sie hervor¬
gehen. Man erwartet von dem Richter als einem, gebildeten Manne, daß er
alle Lebensverhältnisse so weit kenne oder doch zu erkunden vermöge, daß er
ein gerechtes Urteil zu fallen imstmide sei. Die Gewerbeverhältnisse nehmen
in dieser Beziehung keine besondre Stellung ein. Sie sind um nichts mehr
eigentümlich, als z. B. die Verhältnisse der Landwirtschaft, die man anch einiger¬
maßen kennen muß, um daraus hervorgegangene Rechtsstreitigkeiten richtig zu
beurteilen. Wir wüßten nicht, worin der Unterschied läge, ob der Fabrikherr
mit seinem Arbeiter oder der Bauer mit seinem Knecht über eine Lohnfrage in
Streit gerät. Die ganz besondern technischen Verhältnisse eines einzelnen Ge¬
werbes kommen bei Rechtsstreitigkeiten nur selten in Betracht, und für solche
wird auch bei de» Gewerbegerichten nur selten und ganz zufällig wirkliche Sach¬
kunde vertreten sein. Wenn es sich z. B. um die besondern Verhältnisse des
Hufschmiede- oder des Schornsteinfegergewerbes handelt, so ist doch nicht ab¬
zusehen, weshalb ein zu Gericht sitzender Buchbinder und Konditor davon mehr
verstehen sollten, als jeder andre lebenserfahrene Mensch, Eigentümlichkeiten
in den Rechtsverhältnissen weist noch am meisten der Handelsstand ans. Im
Handelsrechte haben sich wirklich eine Anzahl Rechtsbildungen entwickelt, die
vom gemeinen Rechte mehr oder minder abweichen und die in den meisten
Ländern und auch bei uus in einem besondern Handelsgesetzbuche zum gesetz¬
lichen Ausdruck gekommen sind. Gleichwohl war im Jahre 1«75 die Reichs-
jnstizkommission in ihrer großen Mehrheit der Ansicht, daß es kein Bedürfnis
sei, besondre Handelsgerichte zu schaffen; und erst auf heftiges äußeres An¬
drängen aus Kreisen des Handelsstandes (von dem man sagte, daß es mehr
durch persönliche als dnrch sachliche Gründe veranlaßt worden sei) entschloß sich
die Kommission, nachträglich Handelsgerichte in die Organisation aufzunehmen.


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[0203] Sie neuen Gewerbegerichte Darnach sollen Gewerbegerichte auch fernerhin dnrch statutarische Regelung der Gemeinde oder eines weitern Kvmmunalverbaudes geschaffen werden tonnen, diese Körperschaften auch zur Tragung der Kosten Pflichtig sein. Unterlassen sie aber die Errichtung solcher Gerichte, so sollen diese auch dnrch Anordnung der Landeszentralbehörde ins Leben gerufen werden können. Fragen wir nun, was diese Gewerbegerichte von den ordentlichen Gerichten unterscheidet, so liegen die charakteristischen Unterschiede in dreierlei: in der Bildung des Gerichtes, in dem Verfahren und in den Kosten. Ehe wir aber hierauf im einzelnen eingehen, müssen wir eine Hauptfrage erörtern, die freilich an Ivgv !'"um.l!> erledigt ist, deren Erörterung wir aber gleichwohl für unsre Betrachtung nicht entbehren können. Es ist das die Frage: Haben denn Streitigkeiten der Gewerbetreibenden wirklich eine so eigentümliche Natur, daß für sie die Herstellung einer besondern Gerichtsbarkeit sachlich geboten erscheint? Darauf kauu man mir mit einem entschiedenen Nein antworten. Alle Rechtsverhältnisse hängen mehr oder minder mit dem besondern Kreise der Lebensverhältnisse zusammen, aus denen sie hervor¬ gehen. Man erwartet von dem Richter als einem, gebildeten Manne, daß er alle Lebensverhältnisse so weit kenne oder doch zu erkunden vermöge, daß er ein gerechtes Urteil zu fallen imstmide sei. Die Gewerbeverhältnisse nehmen in dieser Beziehung keine besondre Stellung ein. Sie sind um nichts mehr eigentümlich, als z. B. die Verhältnisse der Landwirtschaft, die man anch einiger¬ maßen kennen muß, um daraus hervorgegangene Rechtsstreitigkeiten richtig zu beurteilen. Wir wüßten nicht, worin der Unterschied läge, ob der Fabrikherr mit seinem Arbeiter oder der Bauer mit seinem Knecht über eine Lohnfrage in Streit gerät. Die ganz besondern technischen Verhältnisse eines einzelnen Ge¬ werbes kommen bei Rechtsstreitigkeiten nur selten in Betracht, und für solche wird auch bei de» Gewerbegerichten nur selten und ganz zufällig wirkliche Sach¬ kunde vertreten sein. Wenn es sich z. B. um die besondern Verhältnisse des Hufschmiede- oder des Schornsteinfegergewerbes handelt, so ist doch nicht ab¬ zusehen, weshalb ein zu Gericht sitzender Buchbinder und Konditor davon mehr verstehen sollten, als jeder andre lebenserfahrene Mensch, Eigentümlichkeiten in den Rechtsverhältnissen weist noch am meisten der Handelsstand ans. Im Handelsrechte haben sich wirklich eine Anzahl Rechtsbildungen entwickelt, die vom gemeinen Rechte mehr oder minder abweichen und die in den meisten Ländern und auch bei uus in einem besondern Handelsgesetzbuche zum gesetz¬ lichen Ausdruck gekommen sind. Gleichwohl war im Jahre 1«75 die Reichs- jnstizkommission in ihrer großen Mehrheit der Ansicht, daß es kein Bedürfnis sei, besondre Handelsgerichte zu schaffen; und erst auf heftiges äußeres An¬ drängen aus Kreisen des Handelsstandes (von dem man sagte, daß es mehr durch persönliche als dnrch sachliche Gründe veranlaßt worden sei) entschloß sich die Kommission, nachträglich Handelsgerichte in die Organisation aufzunehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/203>, abgerufen am 16.06.2024.