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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die neuen Gewerbegenchte

gebrochen hat. Man fühlt sich wie von einem Alp befreit, wenn man liest,
daß der Sinn für das Natürliche und Gesunde doch noch nicht völlig aus der
Jurisprudenz verschwunden ist.

lind nun kommt noch die Hauptsache. Für die Verhandlung des Rechts¬
streites vor den Gewerbegerichten wird eine einmalige Gebühr nach folgenden
Sätzen erhoben: in Sachen bis zu 20 Mark 1 Mark, in Sachen von 20 bis
50 Mark 1 Mark 50 Pf., in Sachen von 50 bis 100 Mark 3 Mark. Von da
an steigen die Gebühren für je 100 Mark um 3 Mark. Die höchste Gebühr
betrügt 30 Mark. Wird der Prozeß durch Anerkennung oder Versäumnisurteil
erledigt, so wird die Gebühr nur zur Hälfte erhoben. Kommt ein Vergleich
zu stände, so wird gar leine Gebühr erhoben. Schreibgcbühren kommen gar
uicht in Ansatz. Die zur Kostentragung verurteilte Partei braucht die Kosten
eines vom Gegner zugezogenen Prozeßbevollmächtigten oder Beistandes uur zu
bezahlen, wenn die Zuziehung durch besondre Umstände gerechtfertigt ist, und
nur in beni vom Gericht für angemessen erachteten Betrage. Auch von den
hohen Gebühren der Gerichtsvollzieher sind die Gewerbeprozesse durch die Zu¬
stellung mittels der Post und weiter dadurch befreit, daß für die Zustellungen
Gemeindebeamte verwendet werden können.

Nun vergleiche man einmal mit diesen Gebührensätzen die des allgemeinen
Tarifs. Schon die einfachen Sätze sind in diesem zum Teil höher; sie werden
aber in jedem Prozeß, je nach der Art seines Verlaufes, doppelt und dreifach
erhoben. Dazu kommen dann noch alle die Nebengebühren, Schreibgebühren,
Zustellungskosten u. s. w. So summt sich die Gebührenrechnung in einer Weise
auf, daß man für den gemeinen Prozeß das Vier- bis Fünffache dessen rechnen
kann, was ein Prozeß vor dem Gewerbegerichte kosten soll. Vermehrt werden
die Kosten des gemeinen Prozesses dann noch dnrch die Kosten der Vertretung
der Parteien, die bei dein Landgerichtsprozeß eine erzwungene ist. So haben
diese Kosten eine Höhe erreicht, die dahin führt, daß Menschen mitunter sich
lieber jedem Unrecht unterwerfen, als in eine so kostspielige Prozedur sich
hineinstürzen.

Wenn man nun diesen ganzen Gegensatz betrachtet, in dem dieser nen-
geordnete Prozeß zu dem gemeinen Prozeß steht, und wenn man weiter in
Betracht zieht, daß Gewerbestreitigkeiten von allen übrigen Streitigkeiten nicht
im geringsten verschieden sind, so gelangt man unwillkürlich zu der Frage: Mit
welchem Rechte hält man, während man den Arbeitern für ihre Streitigkeiten
ein einfaches, verständiges und wohlfeiles Verfahren giebt, alle übrigen Staats¬
angehörigen unter dem Bann eines formalistischen und mit schweren Kohle"
verbundenen Prozesses fest? Wir gönnen unsern Arbeitern alles mögliche
Gute. Aber haben sie allein einen Anspruch auf das Wohlwollen des Staates,
und braucht man auf die übrigen Stände, weil sie nicht so laut den Mund
aufthun, keine Rücksicht zu nehmen?


Grenzboten III i"90 Lee
Die neuen Gewerbegenchte

gebrochen hat. Man fühlt sich wie von einem Alp befreit, wenn man liest,
daß der Sinn für das Natürliche und Gesunde doch noch nicht völlig aus der
Jurisprudenz verschwunden ist.

lind nun kommt noch die Hauptsache. Für die Verhandlung des Rechts¬
streites vor den Gewerbegerichten wird eine einmalige Gebühr nach folgenden
Sätzen erhoben: in Sachen bis zu 20 Mark 1 Mark, in Sachen von 20 bis
50 Mark 1 Mark 50 Pf., in Sachen von 50 bis 100 Mark 3 Mark. Von da
an steigen die Gebühren für je 100 Mark um 3 Mark. Die höchste Gebühr
betrügt 30 Mark. Wird der Prozeß durch Anerkennung oder Versäumnisurteil
erledigt, so wird die Gebühr nur zur Hälfte erhoben. Kommt ein Vergleich
zu stände, so wird gar leine Gebühr erhoben. Schreibgcbühren kommen gar
uicht in Ansatz. Die zur Kostentragung verurteilte Partei braucht die Kosten
eines vom Gegner zugezogenen Prozeßbevollmächtigten oder Beistandes uur zu
bezahlen, wenn die Zuziehung durch besondre Umstände gerechtfertigt ist, und
nur in beni vom Gericht für angemessen erachteten Betrage. Auch von den
hohen Gebühren der Gerichtsvollzieher sind die Gewerbeprozesse durch die Zu¬
stellung mittels der Post und weiter dadurch befreit, daß für die Zustellungen
Gemeindebeamte verwendet werden können.

Nun vergleiche man einmal mit diesen Gebührensätzen die des allgemeinen
Tarifs. Schon die einfachen Sätze sind in diesem zum Teil höher; sie werden
aber in jedem Prozeß, je nach der Art seines Verlaufes, doppelt und dreifach
erhoben. Dazu kommen dann noch alle die Nebengebühren, Schreibgebühren,
Zustellungskosten u. s. w. So summt sich die Gebührenrechnung in einer Weise
auf, daß man für den gemeinen Prozeß das Vier- bis Fünffache dessen rechnen
kann, was ein Prozeß vor dem Gewerbegerichte kosten soll. Vermehrt werden
die Kosten des gemeinen Prozesses dann noch dnrch die Kosten der Vertretung
der Parteien, die bei dein Landgerichtsprozeß eine erzwungene ist. So haben
diese Kosten eine Höhe erreicht, die dahin führt, daß Menschen mitunter sich
lieber jedem Unrecht unterwerfen, als in eine so kostspielige Prozedur sich
hineinstürzen.

Wenn man nun diesen ganzen Gegensatz betrachtet, in dem dieser nen-
geordnete Prozeß zu dem gemeinen Prozeß steht, und wenn man weiter in
Betracht zieht, daß Gewerbestreitigkeiten von allen übrigen Streitigkeiten nicht
im geringsten verschieden sind, so gelangt man unwillkürlich zu der Frage: Mit
welchem Rechte hält man, während man den Arbeitern für ihre Streitigkeiten
ein einfaches, verständiges und wohlfeiles Verfahren giebt, alle übrigen Staats¬
angehörigen unter dem Bann eines formalistischen und mit schweren Kohle»
verbundenen Prozesses fest? Wir gönnen unsern Arbeitern alles mögliche
Gute. Aber haben sie allein einen Anspruch auf das Wohlwollen des Staates,
und braucht man auf die übrigen Stände, weil sie nicht so laut den Mund
aufthun, keine Rücksicht zu nehmen?


Grenzboten III i«90 Lee
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[0209] Die neuen Gewerbegenchte gebrochen hat. Man fühlt sich wie von einem Alp befreit, wenn man liest, daß der Sinn für das Natürliche und Gesunde doch noch nicht völlig aus der Jurisprudenz verschwunden ist. lind nun kommt noch die Hauptsache. Für die Verhandlung des Rechts¬ streites vor den Gewerbegerichten wird eine einmalige Gebühr nach folgenden Sätzen erhoben: in Sachen bis zu 20 Mark 1 Mark, in Sachen von 20 bis 50 Mark 1 Mark 50 Pf., in Sachen von 50 bis 100 Mark 3 Mark. Von da an steigen die Gebühren für je 100 Mark um 3 Mark. Die höchste Gebühr betrügt 30 Mark. Wird der Prozeß durch Anerkennung oder Versäumnisurteil erledigt, so wird die Gebühr nur zur Hälfte erhoben. Kommt ein Vergleich zu stände, so wird gar leine Gebühr erhoben. Schreibgcbühren kommen gar uicht in Ansatz. Die zur Kostentragung verurteilte Partei braucht die Kosten eines vom Gegner zugezogenen Prozeßbevollmächtigten oder Beistandes uur zu bezahlen, wenn die Zuziehung durch besondre Umstände gerechtfertigt ist, und nur in beni vom Gericht für angemessen erachteten Betrage. Auch von den hohen Gebühren der Gerichtsvollzieher sind die Gewerbeprozesse durch die Zu¬ stellung mittels der Post und weiter dadurch befreit, daß für die Zustellungen Gemeindebeamte verwendet werden können. Nun vergleiche man einmal mit diesen Gebührensätzen die des allgemeinen Tarifs. Schon die einfachen Sätze sind in diesem zum Teil höher; sie werden aber in jedem Prozeß, je nach der Art seines Verlaufes, doppelt und dreifach erhoben. Dazu kommen dann noch alle die Nebengebühren, Schreibgebühren, Zustellungskosten u. s. w. So summt sich die Gebührenrechnung in einer Weise auf, daß man für den gemeinen Prozeß das Vier- bis Fünffache dessen rechnen kann, was ein Prozeß vor dem Gewerbegerichte kosten soll. Vermehrt werden die Kosten des gemeinen Prozesses dann noch dnrch die Kosten der Vertretung der Parteien, die bei dein Landgerichtsprozeß eine erzwungene ist. So haben diese Kosten eine Höhe erreicht, die dahin führt, daß Menschen mitunter sich lieber jedem Unrecht unterwerfen, als in eine so kostspielige Prozedur sich hineinstürzen. Wenn man nun diesen ganzen Gegensatz betrachtet, in dem dieser nen- geordnete Prozeß zu dem gemeinen Prozeß steht, und wenn man weiter in Betracht zieht, daß Gewerbestreitigkeiten von allen übrigen Streitigkeiten nicht im geringsten verschieden sind, so gelangt man unwillkürlich zu der Frage: Mit welchem Rechte hält man, während man den Arbeitern für ihre Streitigkeiten ein einfaches, verständiges und wohlfeiles Verfahren giebt, alle übrigen Staats¬ angehörigen unter dem Bann eines formalistischen und mit schweren Kohle» verbundenen Prozesses fest? Wir gönnen unsern Arbeitern alles mögliche Gute. Aber haben sie allein einen Anspruch auf das Wohlwollen des Staates, und braucht man auf die übrigen Stände, weil sie nicht so laut den Mund aufthun, keine Rücksicht zu nehmen? Grenzboten III i«90 Lee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/209>, abgerufen am 06.06.2024.