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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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d. h. er hat sie M -ibsnränm geführt. Denn was ist lächerlicher, als den Ton
des Soldatenliedes mit seiner kurz angebundenen, zerhackten Redeweise, mit
seinen Wendungen aus dem Ordvnnanzdentsch, mit seiner den Rhythmus wie
absichtlich unterbrechenden Prosa des militärisch sachlichen Nerichterstattens
-- lauter Eigenschaften, die ein kurzes Lied prächtig zieren -- für eine Er¬
zählung von 343 Seiten zu benutzen? Was in der Kürze gefällt, gewinnt
durchaus nicht in der Häufung. Welche Verkennung des Wesens einer künst¬
lerischen Form offenbart sich hier! Die Schönheit des Soldatenliedes besteht
in dem köstlichen Kontrast zwischen Inhalt und Form: die mächtigste Empfin¬
dung wird im kühl referirenden Tone verborgen; es handelt sich um Leben und
Tod ganzer Regimenter, es ist von kühnen, verwegenen Thaten die Rede, aber
gesprochen wird davon wie von etwas selbstverständlichen, denu dergleichen
kommt ja alle Tage vor, das Leben des Soldaten bewegt sich jn auf des
Messers Schneide, und er ist durch strengste Zucht darau gewöhnt, kurz in
seiner Rede zu sein, sachlich, er darf seine Gefühle uicht verraten; darum der
Schein von Härte bei allem Gefühl. Aber eben nur als Lied ist dieser Ton
schön, man muß ihn sparsam genießen, denn viel Variationen ermöglicht er
nicht. Wenn man diesen Reiz so häuft wie Wolfs in seinem Buche, denn wird
er stumpf, dann wirkt er wie alles Virtuosentum im Gegensatz zur echten
Kunst bei längerer Dauer abgeschmackt, wie eine leere Hülse ohne Inhalt,
wie Stroh.

Aber nicht bloß in der Form, auch im Gehalt will uns dieses "Reiter¬
lied" als ein Fehlgriff erscheinen. Wolff hat sich an einen Gegenstand gewagt,
für dessen tragische Größe sein kleines Talent nicht ausreicht. Um den dreißig¬
jährigen Krieg poetisch zu erfassen, nachdem es Schiller mit seinem Wallenstein
gethan hat, und nachdem sogar Schillers prosaische Darstellung in die Schulen
gedrungen ist, bedarf es doch uoch andrer Gaben als der, die Sprache des
Soldatenliedes nachzuahmen. Wolfs findet die poetische Seite der ganzen Zeit
im Svldatentum. Er nimmt, sehr vorsichtig, nicht Partei, weder für die
Protestanten uoch für die Ligisten; er lobt und tadelt beide. Wenn er
Gustav Adolf oder Wallenstein oder Tilly oder Pappenheim in seiner unplastisch
schattenhaften Weise reden läßt, so weiß er an allen etwas Gutes zu finden
und nennt das wohl poetische Gerechtigkeit. Die Hauptsache bleiben ihm die
Reiter mit ihren Galgenhumor, die sich zu keiner religiösen Partei halten,
sondern nnr Soldatenehre kennen, einen frischen Krieg, das Plündern und Ver¬
wüster lieben, nicht weiter als bis morgen denken: für diese Helden der Ver¬
zweiflung will uns Wolff mit seinen zierlichen Mitteln, mit seiner sanften
Porzellanmalerei begeistern. Da trifft er es gar übel! Wenn es je eine Zeit
gab, die den Krieg haßte, so ist es die unsrige. Wir leben in der ständigen
Furcht vor dem Kriege, wir wissen von ihm nichts andres zu sagen, als daß
er ein Unglück sei; auch Moltke nannte jeden Krieg ein Unglück. Wenn wir


d. h. er hat sie M -ibsnränm geführt. Denn was ist lächerlicher, als den Ton
des Soldatenliedes mit seiner kurz angebundenen, zerhackten Redeweise, mit
seinen Wendungen aus dem Ordvnnanzdentsch, mit seiner den Rhythmus wie
absichtlich unterbrechenden Prosa des militärisch sachlichen Nerichterstattens
— lauter Eigenschaften, die ein kurzes Lied prächtig zieren — für eine Er¬
zählung von 343 Seiten zu benutzen? Was in der Kürze gefällt, gewinnt
durchaus nicht in der Häufung. Welche Verkennung des Wesens einer künst¬
lerischen Form offenbart sich hier! Die Schönheit des Soldatenliedes besteht
in dem köstlichen Kontrast zwischen Inhalt und Form: die mächtigste Empfin¬
dung wird im kühl referirenden Tone verborgen; es handelt sich um Leben und
Tod ganzer Regimenter, es ist von kühnen, verwegenen Thaten die Rede, aber
gesprochen wird davon wie von etwas selbstverständlichen, denu dergleichen
kommt ja alle Tage vor, das Leben des Soldaten bewegt sich jn auf des
Messers Schneide, und er ist durch strengste Zucht darau gewöhnt, kurz in
seiner Rede zu sein, sachlich, er darf seine Gefühle uicht verraten; darum der
Schein von Härte bei allem Gefühl. Aber eben nur als Lied ist dieser Ton
schön, man muß ihn sparsam genießen, denn viel Variationen ermöglicht er
nicht. Wenn man diesen Reiz so häuft wie Wolfs in seinem Buche, denn wird
er stumpf, dann wirkt er wie alles Virtuosentum im Gegensatz zur echten
Kunst bei längerer Dauer abgeschmackt, wie eine leere Hülse ohne Inhalt,
wie Stroh.

Aber nicht bloß in der Form, auch im Gehalt will uns dieses „Reiter¬
lied" als ein Fehlgriff erscheinen. Wolff hat sich an einen Gegenstand gewagt,
für dessen tragische Größe sein kleines Talent nicht ausreicht. Um den dreißig¬
jährigen Krieg poetisch zu erfassen, nachdem es Schiller mit seinem Wallenstein
gethan hat, und nachdem sogar Schillers prosaische Darstellung in die Schulen
gedrungen ist, bedarf es doch uoch andrer Gaben als der, die Sprache des
Soldatenliedes nachzuahmen. Wolfs findet die poetische Seite der ganzen Zeit
im Svldatentum. Er nimmt, sehr vorsichtig, nicht Partei, weder für die
Protestanten uoch für die Ligisten; er lobt und tadelt beide. Wenn er
Gustav Adolf oder Wallenstein oder Tilly oder Pappenheim in seiner unplastisch
schattenhaften Weise reden läßt, so weiß er an allen etwas Gutes zu finden
und nennt das wohl poetische Gerechtigkeit. Die Hauptsache bleiben ihm die
Reiter mit ihren Galgenhumor, die sich zu keiner religiösen Partei halten,
sondern nnr Soldatenehre kennen, einen frischen Krieg, das Plündern und Ver¬
wüster lieben, nicht weiter als bis morgen denken: für diese Helden der Ver¬
zweiflung will uns Wolff mit seinen zierlichen Mitteln, mit seiner sanften
Porzellanmalerei begeistern. Da trifft er es gar übel! Wenn es je eine Zeit
gab, die den Krieg haßte, so ist es die unsrige. Wir leben in der ständigen
Furcht vor dem Kriege, wir wissen von ihm nichts andres zu sagen, als daß
er ein Unglück sei; auch Moltke nannte jeden Krieg ein Unglück. Wenn wir


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[0022] d. h. er hat sie M -ibsnränm geführt. Denn was ist lächerlicher, als den Ton des Soldatenliedes mit seiner kurz angebundenen, zerhackten Redeweise, mit seinen Wendungen aus dem Ordvnnanzdentsch, mit seiner den Rhythmus wie absichtlich unterbrechenden Prosa des militärisch sachlichen Nerichterstattens — lauter Eigenschaften, die ein kurzes Lied prächtig zieren — für eine Er¬ zählung von 343 Seiten zu benutzen? Was in der Kürze gefällt, gewinnt durchaus nicht in der Häufung. Welche Verkennung des Wesens einer künst¬ lerischen Form offenbart sich hier! Die Schönheit des Soldatenliedes besteht in dem köstlichen Kontrast zwischen Inhalt und Form: die mächtigste Empfin¬ dung wird im kühl referirenden Tone verborgen; es handelt sich um Leben und Tod ganzer Regimenter, es ist von kühnen, verwegenen Thaten die Rede, aber gesprochen wird davon wie von etwas selbstverständlichen, denu dergleichen kommt ja alle Tage vor, das Leben des Soldaten bewegt sich jn auf des Messers Schneide, und er ist durch strengste Zucht darau gewöhnt, kurz in seiner Rede zu sein, sachlich, er darf seine Gefühle uicht verraten; darum der Schein von Härte bei allem Gefühl. Aber eben nur als Lied ist dieser Ton schön, man muß ihn sparsam genießen, denn viel Variationen ermöglicht er nicht. Wenn man diesen Reiz so häuft wie Wolfs in seinem Buche, denn wird er stumpf, dann wirkt er wie alles Virtuosentum im Gegensatz zur echten Kunst bei längerer Dauer abgeschmackt, wie eine leere Hülse ohne Inhalt, wie Stroh. Aber nicht bloß in der Form, auch im Gehalt will uns dieses „Reiter¬ lied" als ein Fehlgriff erscheinen. Wolff hat sich an einen Gegenstand gewagt, für dessen tragische Größe sein kleines Talent nicht ausreicht. Um den dreißig¬ jährigen Krieg poetisch zu erfassen, nachdem es Schiller mit seinem Wallenstein gethan hat, und nachdem sogar Schillers prosaische Darstellung in die Schulen gedrungen ist, bedarf es doch uoch andrer Gaben als der, die Sprache des Soldatenliedes nachzuahmen. Wolfs findet die poetische Seite der ganzen Zeit im Svldatentum. Er nimmt, sehr vorsichtig, nicht Partei, weder für die Protestanten uoch für die Ligisten; er lobt und tadelt beide. Wenn er Gustav Adolf oder Wallenstein oder Tilly oder Pappenheim in seiner unplastisch schattenhaften Weise reden läßt, so weiß er an allen etwas Gutes zu finden und nennt das wohl poetische Gerechtigkeit. Die Hauptsache bleiben ihm die Reiter mit ihren Galgenhumor, die sich zu keiner religiösen Partei halten, sondern nnr Soldatenehre kennen, einen frischen Krieg, das Plündern und Ver¬ wüster lieben, nicht weiter als bis morgen denken: für diese Helden der Ver¬ zweiflung will uns Wolff mit seinen zierlichen Mitteln, mit seiner sanften Porzellanmalerei begeistern. Da trifft er es gar übel! Wenn es je eine Zeit gab, die den Krieg haßte, so ist es die unsrige. Wir leben in der ständigen Furcht vor dem Kriege, wir wissen von ihm nichts andres zu sagen, als daß er ein Unglück sei; auch Moltke nannte jeden Krieg ein Unglück. Wenn wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/22>, abgerufen am 26.05.2024.