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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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heutzutage vom Kriege sprechen, so geschieht es nur, um an die großartigen
Vorkehrungen zu denken, die getroffen werden, um das Elend und die Wunden,
die er schlüge, zu lindern. Die Poesie des Krieges kann uus kein Mensch
mehr einreden; nur als ein zur Zeit noch für die Menschheit notwendiges Übel
erscheint er uns, worein wir uns zwar mit aller Kraft und Würde des
Mannes fügen können, das zu preisen uns aber niemand mehr bewegen kann.
So unwahr daher die auempfundeue Reiterpvesie Wolffs ihrer Herkunft nach
ist, so wirkungslos ist sie auch, was Wolff übrigens inzwischen gemerkt haben
dürfte, denn sein "Reiterlied" ist schon sechs Monate in der Welt, und von
Erfolg im Publikum ist gar nichts zu vermeide". Hoffentlich hat Wolff bei
dieser Gelegenheit einmal die Schwäche feiner von erborgten Scheine lebenden
Kunst erkannt.

Anspruchsloser und wenn anch nicht geeignet, im Sturm zu erobern, so
doch immerhin fähig, für sich und seine Kunst zu gewinnen, tritt Georg
Bormann mit seiner "Geschichte eines Künstlers" hervor: Hans Bvlkmar
(Berlin, Kurt Vrachvvgel, lLW). Georg Bormann ist uns ein ganz neuer
Name, aber wir werden ihn nicht wieder vergessen. Es scheint, daß er zur
Zeit noch nicht seine volle Selbständigkeit nud Individualität ausgebildet und
erreicht hat. Er ist ein feiner nud vornehmer Geist, der mit möglichst ein¬
fachen Mitteln wirken will, ein echt dichterischer Mensch, der tief und rein
fühlt, dessen allgemeine Lebensbetrachtungen stets gehaltvoll und wahrhaft sind.
Er hat den Blick in die reine Menschennatur nud sieht seine Gestalten mit
großer .Klarheit und gefunden Gefühl. Auch steht ihm eine rechtschaffene
Bildung zu Gebote, die umso besser wirkt, als sie anspruchslos auftritt, mit
ihrer Wissenschaft nicht flunkert und in der That zur schönen Natur geworden
ist. So ist auch seine Sprache von schlichtem Adel, von natürlicher Bered¬
samkeit. Nur scheint ihm noch die Fähigkeit abzugehen, seine Fabel interessant
zu verwickeln, mau wünschte ihm mehr oder ursprünglicheres Erfindnngstalent;
man wünschte ferner, daß er seine Charaktere, die er in dieser Dichtung in
allzu schlichter Schönheit gezeichnet hat, reicher mit Einzelzügen ausstattete,
man hat das Bedürfnis, daß er die trotz des stattlichen Umfanges der Er¬
zählung doch nur wie in Umrißlinien gezeichneten Personen mehr verinnerlichte,
damit wir in ihrem Bildungsgang Einblick gewännen, der uus nicht genügend
enthüllt ist. Wir wollen damit nicht der jetzt in der Romanlitteratur beliebten
Analyse der Seelen das Wort reden, die wir für sehr unkünstlerisch halten.
Der Erzähler soll eigentlich nur das sinnlich Wahrnehmbare mitteilen, mir
das, was sich durch Auge und Ohr des Berichterstatters an den Thaten,
Reden und Bewegungen der Menschen wahrnehmen läßt. Bormann hält sich
so ziemlich an dieses Grundgesetz aller Erzählungskunst, aber -- er nimmt zu
wenig wahr, und dieses wenige stellt er zu ausführlich dar. Mehr Stoff
und weniger Worte sollte seine Losung werden.


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heutzutage vom Kriege sprechen, so geschieht es nur, um an die großartigen
Vorkehrungen zu denken, die getroffen werden, um das Elend und die Wunden,
die er schlüge, zu lindern. Die Poesie des Krieges kann uus kein Mensch
mehr einreden; nur als ein zur Zeit noch für die Menschheit notwendiges Übel
erscheint er uns, worein wir uns zwar mit aller Kraft und Würde des
Mannes fügen können, das zu preisen uns aber niemand mehr bewegen kann.
So unwahr daher die auempfundeue Reiterpvesie Wolffs ihrer Herkunft nach
ist, so wirkungslos ist sie auch, was Wolff übrigens inzwischen gemerkt haben
dürfte, denn sein „Reiterlied" ist schon sechs Monate in der Welt, und von
Erfolg im Publikum ist gar nichts zu vermeide». Hoffentlich hat Wolff bei
dieser Gelegenheit einmal die Schwäche feiner von erborgten Scheine lebenden
Kunst erkannt.

Anspruchsloser und wenn anch nicht geeignet, im Sturm zu erobern, so
doch immerhin fähig, für sich und seine Kunst zu gewinnen, tritt Georg
Bormann mit seiner „Geschichte eines Künstlers" hervor: Hans Bvlkmar
(Berlin, Kurt Vrachvvgel, lLW). Georg Bormann ist uns ein ganz neuer
Name, aber wir werden ihn nicht wieder vergessen. Es scheint, daß er zur
Zeit noch nicht seine volle Selbständigkeit nud Individualität ausgebildet und
erreicht hat. Er ist ein feiner nud vornehmer Geist, der mit möglichst ein¬
fachen Mitteln wirken will, ein echt dichterischer Mensch, der tief und rein
fühlt, dessen allgemeine Lebensbetrachtungen stets gehaltvoll und wahrhaft sind.
Er hat den Blick in die reine Menschennatur nud sieht seine Gestalten mit
großer .Klarheit und gefunden Gefühl. Auch steht ihm eine rechtschaffene
Bildung zu Gebote, die umso besser wirkt, als sie anspruchslos auftritt, mit
ihrer Wissenschaft nicht flunkert und in der That zur schönen Natur geworden
ist. So ist auch seine Sprache von schlichtem Adel, von natürlicher Bered¬
samkeit. Nur scheint ihm noch die Fähigkeit abzugehen, seine Fabel interessant
zu verwickeln, mau wünschte ihm mehr oder ursprünglicheres Erfindnngstalent;
man wünschte ferner, daß er seine Charaktere, die er in dieser Dichtung in
allzu schlichter Schönheit gezeichnet hat, reicher mit Einzelzügen ausstattete,
man hat das Bedürfnis, daß er die trotz des stattlichen Umfanges der Er¬
zählung doch nur wie in Umrißlinien gezeichneten Personen mehr verinnerlichte,
damit wir in ihrem Bildungsgang Einblick gewännen, der uus nicht genügend
enthüllt ist. Wir wollen damit nicht der jetzt in der Romanlitteratur beliebten
Analyse der Seelen das Wort reden, die wir für sehr unkünstlerisch halten.
Der Erzähler soll eigentlich nur das sinnlich Wahrnehmbare mitteilen, mir
das, was sich durch Auge und Ohr des Berichterstatters an den Thaten,
Reden und Bewegungen der Menschen wahrnehmen läßt. Bormann hält sich
so ziemlich an dieses Grundgesetz aller Erzählungskunst, aber — er nimmt zu
wenig wahr, und dieses wenige stellt er zu ausführlich dar. Mehr Stoff
und weniger Worte sollte seine Losung werden.


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[0023] Neue Lpik heutzutage vom Kriege sprechen, so geschieht es nur, um an die großartigen Vorkehrungen zu denken, die getroffen werden, um das Elend und die Wunden, die er schlüge, zu lindern. Die Poesie des Krieges kann uus kein Mensch mehr einreden; nur als ein zur Zeit noch für die Menschheit notwendiges Übel erscheint er uns, worein wir uns zwar mit aller Kraft und Würde des Mannes fügen können, das zu preisen uns aber niemand mehr bewegen kann. So unwahr daher die auempfundeue Reiterpvesie Wolffs ihrer Herkunft nach ist, so wirkungslos ist sie auch, was Wolff übrigens inzwischen gemerkt haben dürfte, denn sein „Reiterlied" ist schon sechs Monate in der Welt, und von Erfolg im Publikum ist gar nichts zu vermeide». Hoffentlich hat Wolff bei dieser Gelegenheit einmal die Schwäche feiner von erborgten Scheine lebenden Kunst erkannt. Anspruchsloser und wenn anch nicht geeignet, im Sturm zu erobern, so doch immerhin fähig, für sich und seine Kunst zu gewinnen, tritt Georg Bormann mit seiner „Geschichte eines Künstlers" hervor: Hans Bvlkmar (Berlin, Kurt Vrachvvgel, lLW). Georg Bormann ist uns ein ganz neuer Name, aber wir werden ihn nicht wieder vergessen. Es scheint, daß er zur Zeit noch nicht seine volle Selbständigkeit nud Individualität ausgebildet und erreicht hat. Er ist ein feiner nud vornehmer Geist, der mit möglichst ein¬ fachen Mitteln wirken will, ein echt dichterischer Mensch, der tief und rein fühlt, dessen allgemeine Lebensbetrachtungen stets gehaltvoll und wahrhaft sind. Er hat den Blick in die reine Menschennatur nud sieht seine Gestalten mit großer .Klarheit und gefunden Gefühl. Auch steht ihm eine rechtschaffene Bildung zu Gebote, die umso besser wirkt, als sie anspruchslos auftritt, mit ihrer Wissenschaft nicht flunkert und in der That zur schönen Natur geworden ist. So ist auch seine Sprache von schlichtem Adel, von natürlicher Bered¬ samkeit. Nur scheint ihm noch die Fähigkeit abzugehen, seine Fabel interessant zu verwickeln, mau wünschte ihm mehr oder ursprünglicheres Erfindnngstalent; man wünschte ferner, daß er seine Charaktere, die er in dieser Dichtung in allzu schlichter Schönheit gezeichnet hat, reicher mit Einzelzügen ausstattete, man hat das Bedürfnis, daß er die trotz des stattlichen Umfanges der Er¬ zählung doch nur wie in Umrißlinien gezeichneten Personen mehr verinnerlichte, damit wir in ihrem Bildungsgang Einblick gewännen, der uus nicht genügend enthüllt ist. Wir wollen damit nicht der jetzt in der Romanlitteratur beliebten Analyse der Seelen das Wort reden, die wir für sehr unkünstlerisch halten. Der Erzähler soll eigentlich nur das sinnlich Wahrnehmbare mitteilen, mir das, was sich durch Auge und Ohr des Berichterstatters an den Thaten, Reden und Bewegungen der Menschen wahrnehmen läßt. Bormann hält sich so ziemlich an dieses Grundgesetz aller Erzählungskunst, aber — er nimmt zu wenig wahr, und dieses wenige stellt er zu ausführlich dar. Mehr Stoff und weniger Worte sollte seine Losung werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/23>, abgerufen am 26.05.2024.