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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Das Heidentum in der römischen Uirche

Renaissnnee als Heidentum bezeichnet wird, so darf man unter diesem Worte
nicht den Götterglnubeu, sondern nur den Naturalismus verstehe,,, so etwa
das Heidentum Goethes.

Ein zweites, was wir an Tredes Buch auszusetzen haben, ist sein pvle-
mischer Charakter. Eben der polemische Eifer ist es, der den Verfasser zum
Schaden des wissenschaftlichen Wertes seines Buches verleitet, in manchen
Dingen Heidentum zu sehen, die nur allgemein menschlich oder gar neutesta-
mentlich sind; außerdem aber vereitelt er auch den Zweck der Arbeit. Trete
wollte ohne Zweifel der evangelischen Kirche einen Dienst erweisen und der
katholischen einen Streich versetzen. Aber um diesen Zweck zu erreichen, hätte
er sich auf die wissenschaftliche Erörterung, deren Wirkung er ja durch schöne
Darstellung zu verstärken versteht, beschränken müssen. So wie das Buch jetzt
ist, ist es ein Schlag ins Wasser. Judem Trete bei jeder Gelegenheit den
Papst und die Katholiken des Fetischismus beschuldigt und den ganzen katho¬
lische" Kultus verächtlich macht, bringt er das Buch um jede Wirkung. Auf
wen wollte er Eindruck machen? Auf die italienischen Analphabeten doch gewiß
nicht. Auf deu Papst und die Kardinäle auch nicht. Wenn diese, die eigentlich
Schuldigen, überhaupt von seinem Buche Notiz nehmen, so geschieht es nur,
um das Werk neben unzählige ähnliche auf den Index zu setzen; damit ist die
Sache für die Herren abgethan. Trete konnte also nur die gebildeten Katho-
liken Deutschlands im Auge haben. Für diese aber ist sein Buch in der gegen¬
wärtigen Gestalt ungenießbar. Sie sind keineswegs blind gegen die Mängel
ihres eignen Kirchenwesens, und sie beklagen namentlich die Verderbnis des
italienischen Klerus. Aber sie befinden sich in der Lage von Staatsbürgern,
die, vor die Wahl gestellt, ob sie ihren Staat zertrümmern oder dessen offen-
bare Mängel ertragen wollen, das zweite vorziehen. Die Beseitigung dieser
Mängel ist eben ungeheuer schwierig und ohne Erschütterung der Kirche
nicht durchzuführen. Ein rechtschaffener Pfarrer kann die Frucht seiner jahre¬
langen aufopfernden Wirksamkeit vernichten, wenn er sich beikommen läßt, eine
bekleidete Puppe aus der Kirche zu schaffen, die unter dem Namen einer "Mutter
Gottes" von seiner Gemeinde verehrt wird. Die Leutchen mögen an ihrem
Pfarrer uoch so sehr hängen, an der Puppe hängen sie mehr, und das nicht
bloß in Italien, sondern auch in Deutschland. Die Jubiläen, Ablässe,
Enzykliken und Dogmen des Papstes Pius IX. brachten viele gebildete Katho¬
liken Deutschlands in große Verlegenheit und stürzten sie in schwere Gewissens-
kämpfe. Da kam ihnen -- der Kulturkampf zu Hilfe. Jetzt, sagten sie sich,
jetzt dürfen wir nicht bloß, jetzt müssen wir alle diese Dinge vergessen; wenn
es uns an Kopf und Kragen geht, wenn die Existenz der Kirche in Preußen
auf dein Spiele steht, da müssen wir allen innern Zwist und alle Bedenken
zurückdrängen und Front machen gegen den äußern Feind. Jeder litterarische
Angriff, der nicht gegen einzelne katholische Lehre", Gebräuche und Eiurich-


Das Heidentum in der römischen Uirche

Renaissnnee als Heidentum bezeichnet wird, so darf man unter diesem Worte
nicht den Götterglnubeu, sondern nur den Naturalismus verstehe,,, so etwa
das Heidentum Goethes.

Ein zweites, was wir an Tredes Buch auszusetzen haben, ist sein pvle-
mischer Charakter. Eben der polemische Eifer ist es, der den Verfasser zum
Schaden des wissenschaftlichen Wertes seines Buches verleitet, in manchen
Dingen Heidentum zu sehen, die nur allgemein menschlich oder gar neutesta-
mentlich sind; außerdem aber vereitelt er auch den Zweck der Arbeit. Trete
wollte ohne Zweifel der evangelischen Kirche einen Dienst erweisen und der
katholischen einen Streich versetzen. Aber um diesen Zweck zu erreichen, hätte
er sich auf die wissenschaftliche Erörterung, deren Wirkung er ja durch schöne
Darstellung zu verstärken versteht, beschränken müssen. So wie das Buch jetzt
ist, ist es ein Schlag ins Wasser. Judem Trete bei jeder Gelegenheit den
Papst und die Katholiken des Fetischismus beschuldigt und den ganzen katho¬
lische» Kultus verächtlich macht, bringt er das Buch um jede Wirkung. Auf
wen wollte er Eindruck machen? Auf die italienischen Analphabeten doch gewiß
nicht. Auf deu Papst und die Kardinäle auch nicht. Wenn diese, die eigentlich
Schuldigen, überhaupt von seinem Buche Notiz nehmen, so geschieht es nur,
um das Werk neben unzählige ähnliche auf den Index zu setzen; damit ist die
Sache für die Herren abgethan. Trete konnte also nur die gebildeten Katho-
liken Deutschlands im Auge haben. Für diese aber ist sein Buch in der gegen¬
wärtigen Gestalt ungenießbar. Sie sind keineswegs blind gegen die Mängel
ihres eignen Kirchenwesens, und sie beklagen namentlich die Verderbnis des
italienischen Klerus. Aber sie befinden sich in der Lage von Staatsbürgern,
die, vor die Wahl gestellt, ob sie ihren Staat zertrümmern oder dessen offen-
bare Mängel ertragen wollen, das zweite vorziehen. Die Beseitigung dieser
Mängel ist eben ungeheuer schwierig und ohne Erschütterung der Kirche
nicht durchzuführen. Ein rechtschaffener Pfarrer kann die Frucht seiner jahre¬
langen aufopfernden Wirksamkeit vernichten, wenn er sich beikommen läßt, eine
bekleidete Puppe aus der Kirche zu schaffen, die unter dem Namen einer „Mutter
Gottes" von seiner Gemeinde verehrt wird. Die Leutchen mögen an ihrem
Pfarrer uoch so sehr hängen, an der Puppe hängen sie mehr, und das nicht
bloß in Italien, sondern auch in Deutschland. Die Jubiläen, Ablässe,
Enzykliken und Dogmen des Papstes Pius IX. brachten viele gebildete Katho¬
liken Deutschlands in große Verlegenheit und stürzten sie in schwere Gewissens-
kämpfe. Da kam ihnen — der Kulturkampf zu Hilfe. Jetzt, sagten sie sich,
jetzt dürfen wir nicht bloß, jetzt müssen wir alle diese Dinge vergessen; wenn
es uns an Kopf und Kragen geht, wenn die Existenz der Kirche in Preußen
auf dein Spiele steht, da müssen wir allen innern Zwist und alle Bedenken
zurückdrängen und Front machen gegen den äußern Feind. Jeder litterarische
Angriff, der nicht gegen einzelne katholische Lehre», Gebräuche und Eiurich-


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[0224] Das Heidentum in der römischen Uirche Renaissnnee als Heidentum bezeichnet wird, so darf man unter diesem Worte nicht den Götterglnubeu, sondern nur den Naturalismus verstehe,,, so etwa das Heidentum Goethes. Ein zweites, was wir an Tredes Buch auszusetzen haben, ist sein pvle- mischer Charakter. Eben der polemische Eifer ist es, der den Verfasser zum Schaden des wissenschaftlichen Wertes seines Buches verleitet, in manchen Dingen Heidentum zu sehen, die nur allgemein menschlich oder gar neutesta- mentlich sind; außerdem aber vereitelt er auch den Zweck der Arbeit. Trete wollte ohne Zweifel der evangelischen Kirche einen Dienst erweisen und der katholischen einen Streich versetzen. Aber um diesen Zweck zu erreichen, hätte er sich auf die wissenschaftliche Erörterung, deren Wirkung er ja durch schöne Darstellung zu verstärken versteht, beschränken müssen. So wie das Buch jetzt ist, ist es ein Schlag ins Wasser. Judem Trete bei jeder Gelegenheit den Papst und die Katholiken des Fetischismus beschuldigt und den ganzen katho¬ lische» Kultus verächtlich macht, bringt er das Buch um jede Wirkung. Auf wen wollte er Eindruck machen? Auf die italienischen Analphabeten doch gewiß nicht. Auf deu Papst und die Kardinäle auch nicht. Wenn diese, die eigentlich Schuldigen, überhaupt von seinem Buche Notiz nehmen, so geschieht es nur, um das Werk neben unzählige ähnliche auf den Index zu setzen; damit ist die Sache für die Herren abgethan. Trete konnte also nur die gebildeten Katho- liken Deutschlands im Auge haben. Für diese aber ist sein Buch in der gegen¬ wärtigen Gestalt ungenießbar. Sie sind keineswegs blind gegen die Mängel ihres eignen Kirchenwesens, und sie beklagen namentlich die Verderbnis des italienischen Klerus. Aber sie befinden sich in der Lage von Staatsbürgern, die, vor die Wahl gestellt, ob sie ihren Staat zertrümmern oder dessen offen- bare Mängel ertragen wollen, das zweite vorziehen. Die Beseitigung dieser Mängel ist eben ungeheuer schwierig und ohne Erschütterung der Kirche nicht durchzuführen. Ein rechtschaffener Pfarrer kann die Frucht seiner jahre¬ langen aufopfernden Wirksamkeit vernichten, wenn er sich beikommen läßt, eine bekleidete Puppe aus der Kirche zu schaffen, die unter dem Namen einer „Mutter Gottes" von seiner Gemeinde verehrt wird. Die Leutchen mögen an ihrem Pfarrer uoch so sehr hängen, an der Puppe hängen sie mehr, und das nicht bloß in Italien, sondern auch in Deutschland. Die Jubiläen, Ablässe, Enzykliken und Dogmen des Papstes Pius IX. brachten viele gebildete Katho¬ liken Deutschlands in große Verlegenheit und stürzten sie in schwere Gewissens- kämpfe. Da kam ihnen — der Kulturkampf zu Hilfe. Jetzt, sagten sie sich, jetzt dürfen wir nicht bloß, jetzt müssen wir alle diese Dinge vergessen; wenn es uns an Kopf und Kragen geht, wenn die Existenz der Kirche in Preußen auf dein Spiele steht, da müssen wir allen innern Zwist und alle Bedenken zurückdrängen und Front machen gegen den äußern Feind. Jeder litterarische Angriff, der nicht gegen einzelne katholische Lehre», Gebräuche und Eiurich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/224>, abgerufen am 14.05.2024.