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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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für oder wider gedrängt werden, statt ihnen eine fortwährende pendelartige
Bewegung zwischen zwei Seiten zu gestatten. Die Ungewöhnlichkeit dieser
Maßregel muß man sich durch das unehrliche Verhalten Frankreichs erklären,
das alle Verhöhnungen des Frankfurter Friedensvertrages zuläßt, sowie dnrch
die erziehende Bedeutung der Sache. Wenn der freie Wechsel zwischen Frank¬
reich und Deutschland erschwert wird, wenn die, die für Frankreich vptirt
haben oder dorthin ausgewandert sind, ans diese Wahl verwiesen bleiben, dann
wird notwendig zunächst Unzufriedenheit entstehen, durch die man sich bei Er¬
strebung des Endzieles nicht irre machen lassen darf, weil sie vorauszusehen
war. Der Paßzwang ist aber nicht nur durch das unehrliche Verhalten
Frankreichs notwendig geworden, sondern durch das unzuverlässige Verhalten
der -Führer im Lande, die, als gleichzeitig der Feldmarschnll v. Manteuffel
über den Eifer, die Protestler zu gewinnen, die alten Autonomisten beiseite
schob, und die Franzosen die ehemaligen Landsleute im Reichslande immer
dringender und zuversichtlicher aufforderten, sich für eine nahe bevorstehende
Erlösung zu rüsten, das Programm der Autonomie völlig im Stiche ließen.
Das ganze öffentliche Leben im Reichslande ist beherrscht durch diesen Gedanke"
der Unsicherheit der Zukunft. Wenn man auch nicht mehr, wie vor etwa drei
Jahren, den Krieg als unmittelbar bevorstehend und unvermeidlich betrachtet
oder den Krieg überhaupt wünscht und ersehnt, so hat sich dafür jetzt die
Uberzeugung allgemein ausgebildet, daß es Frankreich mit seinen unerschöpf¬
lichen Hilfsquellen sehr bald gelingen werde, durch fortgesetzte Überbietungen
in den Rüstungen zum Kriege Deutschland bis zu einem Punkte zu drängen,
wo sich die Unmöglichkeit ergeben wird, den Widerwillen der reichsfeindliche"
Parteien zu überwinden und die mangelhafte Neichssteuermaschiue noch weiter
zu heizen.

Es hängt auch mit dem Gedanken der Unsicherheit der Zukunft zusammen,
daß mau im Landesausschufse sich nicht mehr wie früher mit der Zukunft des
Landes beschäftigt. Nur der kürzlich verstorbene Freiherr Zorn von Bulach
der Ältere, der langjährige Vizepräsident der Versammlung, verlangte auch
noch in den letzten Jahren die Gewährung der Autonomie, der vollen bundes-
staatliche" Rechte für das Land. Schon die sympathische Erscheimmg des alte"
Edelmannes, der einem der ältesten und ruhmreichsten Geschlechter der alten
reichsunmittelbare" Ritterschaft des Unterelsaß angehörte, wirkte herzerfrischend,
"och mehr der persönliche Mut des Freiherrn, der, den Anfeindungen seiner
ehemaligen Mitbürger wie dein Spotte der engern Laiidsleute trotzend, für das
Recht seines Heimatslandes eintrat und forderte, daß es in dieser oder jener
Weise den ander" Bundesstaaten gleichgestellt, daß die Elsaß-Lothringer aus
Deutschen zweiter Klasse zu Deutschen erster Klasse, aus unmittelbaren Unter¬
thanen des Reiches zu gleichberechtigten Vollbürger" gemacht werden sollten.
Es hat eine Zeit gegeben, wo sich der Landesausschuß solchem Verlnugeu be-


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für oder wider gedrängt werden, statt ihnen eine fortwährende pendelartige
Bewegung zwischen zwei Seiten zu gestatten. Die Ungewöhnlichkeit dieser
Maßregel muß man sich durch das unehrliche Verhalten Frankreichs erklären,
das alle Verhöhnungen des Frankfurter Friedensvertrages zuläßt, sowie dnrch
die erziehende Bedeutung der Sache. Wenn der freie Wechsel zwischen Frank¬
reich und Deutschland erschwert wird, wenn die, die für Frankreich vptirt
haben oder dorthin ausgewandert sind, ans diese Wahl verwiesen bleiben, dann
wird notwendig zunächst Unzufriedenheit entstehen, durch die man sich bei Er¬
strebung des Endzieles nicht irre machen lassen darf, weil sie vorauszusehen
war. Der Paßzwang ist aber nicht nur durch das unehrliche Verhalten
Frankreichs notwendig geworden, sondern durch das unzuverlässige Verhalten
der -Führer im Lande, die, als gleichzeitig der Feldmarschnll v. Manteuffel
über den Eifer, die Protestler zu gewinnen, die alten Autonomisten beiseite
schob, und die Franzosen die ehemaligen Landsleute im Reichslande immer
dringender und zuversichtlicher aufforderten, sich für eine nahe bevorstehende
Erlösung zu rüsten, das Programm der Autonomie völlig im Stiche ließen.
Das ganze öffentliche Leben im Reichslande ist beherrscht durch diesen Gedanke»
der Unsicherheit der Zukunft. Wenn man auch nicht mehr, wie vor etwa drei
Jahren, den Krieg als unmittelbar bevorstehend und unvermeidlich betrachtet
oder den Krieg überhaupt wünscht und ersehnt, so hat sich dafür jetzt die
Uberzeugung allgemein ausgebildet, daß es Frankreich mit seinen unerschöpf¬
lichen Hilfsquellen sehr bald gelingen werde, durch fortgesetzte Überbietungen
in den Rüstungen zum Kriege Deutschland bis zu einem Punkte zu drängen,
wo sich die Unmöglichkeit ergeben wird, den Widerwillen der reichsfeindliche»
Parteien zu überwinden und die mangelhafte Neichssteuermaschiue noch weiter
zu heizen.

Es hängt auch mit dem Gedanken der Unsicherheit der Zukunft zusammen,
daß mau im Landesausschufse sich nicht mehr wie früher mit der Zukunft des
Landes beschäftigt. Nur der kürzlich verstorbene Freiherr Zorn von Bulach
der Ältere, der langjährige Vizepräsident der Versammlung, verlangte auch
noch in den letzten Jahren die Gewährung der Autonomie, der vollen bundes-
staatliche» Rechte für das Land. Schon die sympathische Erscheimmg des alte»
Edelmannes, der einem der ältesten und ruhmreichsten Geschlechter der alten
reichsunmittelbare» Ritterschaft des Unterelsaß angehörte, wirkte herzerfrischend,
»och mehr der persönliche Mut des Freiherrn, der, den Anfeindungen seiner
ehemaligen Mitbürger wie dein Spotte der engern Laiidsleute trotzend, für das
Recht seines Heimatslandes eintrat und forderte, daß es in dieser oder jener
Weise den ander» Bundesstaaten gleichgestellt, daß die Elsaß-Lothringer aus
Deutschen zweiter Klasse zu Deutschen erster Klasse, aus unmittelbaren Unter¬
thanen des Reiches zu gleichberechtigten Vollbürger» gemacht werden sollten.
Es hat eine Zeit gegeben, wo sich der Landesausschuß solchem Verlnugeu be-


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[0268] Aus Llsasi-Lothringen für oder wider gedrängt werden, statt ihnen eine fortwährende pendelartige Bewegung zwischen zwei Seiten zu gestatten. Die Ungewöhnlichkeit dieser Maßregel muß man sich durch das unehrliche Verhalten Frankreichs erklären, das alle Verhöhnungen des Frankfurter Friedensvertrages zuläßt, sowie dnrch die erziehende Bedeutung der Sache. Wenn der freie Wechsel zwischen Frank¬ reich und Deutschland erschwert wird, wenn die, die für Frankreich vptirt haben oder dorthin ausgewandert sind, ans diese Wahl verwiesen bleiben, dann wird notwendig zunächst Unzufriedenheit entstehen, durch die man sich bei Er¬ strebung des Endzieles nicht irre machen lassen darf, weil sie vorauszusehen war. Der Paßzwang ist aber nicht nur durch das unehrliche Verhalten Frankreichs notwendig geworden, sondern durch das unzuverlässige Verhalten der -Führer im Lande, die, als gleichzeitig der Feldmarschnll v. Manteuffel über den Eifer, die Protestler zu gewinnen, die alten Autonomisten beiseite schob, und die Franzosen die ehemaligen Landsleute im Reichslande immer dringender und zuversichtlicher aufforderten, sich für eine nahe bevorstehende Erlösung zu rüsten, das Programm der Autonomie völlig im Stiche ließen. Das ganze öffentliche Leben im Reichslande ist beherrscht durch diesen Gedanke» der Unsicherheit der Zukunft. Wenn man auch nicht mehr, wie vor etwa drei Jahren, den Krieg als unmittelbar bevorstehend und unvermeidlich betrachtet oder den Krieg überhaupt wünscht und ersehnt, so hat sich dafür jetzt die Uberzeugung allgemein ausgebildet, daß es Frankreich mit seinen unerschöpf¬ lichen Hilfsquellen sehr bald gelingen werde, durch fortgesetzte Überbietungen in den Rüstungen zum Kriege Deutschland bis zu einem Punkte zu drängen, wo sich die Unmöglichkeit ergeben wird, den Widerwillen der reichsfeindliche» Parteien zu überwinden und die mangelhafte Neichssteuermaschiue noch weiter zu heizen. Es hängt auch mit dem Gedanken der Unsicherheit der Zukunft zusammen, daß mau im Landesausschufse sich nicht mehr wie früher mit der Zukunft des Landes beschäftigt. Nur der kürzlich verstorbene Freiherr Zorn von Bulach der Ältere, der langjährige Vizepräsident der Versammlung, verlangte auch noch in den letzten Jahren die Gewährung der Autonomie, der vollen bundes- staatliche» Rechte für das Land. Schon die sympathische Erscheimmg des alte» Edelmannes, der einem der ältesten und ruhmreichsten Geschlechter der alten reichsunmittelbare» Ritterschaft des Unterelsaß angehörte, wirkte herzerfrischend, »och mehr der persönliche Mut des Freiherrn, der, den Anfeindungen seiner ehemaligen Mitbürger wie dein Spotte der engern Laiidsleute trotzend, für das Recht seines Heimatslandes eintrat und forderte, daß es in dieser oder jener Weise den ander» Bundesstaaten gleichgestellt, daß die Elsaß-Lothringer aus Deutschen zweiter Klasse zu Deutschen erster Klasse, aus unmittelbaren Unter¬ thanen des Reiches zu gleichberechtigten Vollbürger» gemacht werden sollten. Es hat eine Zeit gegeben, wo sich der Landesausschuß solchem Verlnugeu be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/268>, abgerufen am 23.05.2024.