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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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geistert anschloß; Nur erinnern nur an den Beschluß der Versammlung von
22. Dezember 1877, worin der Wunsch ausgesprochen wurde, es möge dem
Reichslande eine eigue Verfassung als Bundesstaat mit dem Sitze der Regierung
in Straßburg und einer Vertretung im Bundesrate gewährt werdeu, indem die
unmittelbare Souveränität des Kaisers an Stelle der Gesamtsouveränität des
Bundesrates trete.

Deutschland ist keineswegs von Schuld freizusprechen, wenn das Land,
sei es infolge der von uns geschaffenen Einrichtungen, sei es durch bedauerliche
Störungen des Ganges der Dinge, von dem ins Auge gefaßten Ziele, im
dentschen Reiche sich eine bundesstaatliche Stellung zu verschaffen, hat ab¬
drängen lassen. Wir wollen über diesen Gegenstand hier keine Betrachtung
anstellen. Die in diesem Punkte gemachten Erfahrungen bieten hinlänglichen
Stoff zum -- Stillschweigen. Heute ist die alte Partei der Autonvmisten von
Schallplatze verschwunden. Nicht den Rücktritt der Leute selbst bedauern Nur,
aber die Thatsache der allgemeinen Fahnenflucht. Der Freiherr Zorn von
Bulach ist kürzlich zu seinen Vätern versammelt worden. Wer wird künftig
dieses L!Ltorniu vMsgv übernehmen? Wird etwa der Unglaube an die Er¬
füllung des Wunsches, wird die Wunschlosigkeit selbst vorwalten? Wie denkt
sich dann das Reichsland seine deutsche Zukunft? Die Führer haben das
Volk im Stiche gelassen, aber das ganze Volk ist keineswegs der Meinung,
daß es genüge, sich notdürftig mit den deutschen Anforderungen abzufinden,
bis das Land wieder französisch sein werde. Gegenüber den Zusicherungen des
Freiherrn v. Manteuffel, daß er seinen Lebensrest daran setzen werde, den,
Lande die Autonomie zu verschaffen, blieben die sogenannten Notabeln teil-
nahmslos, und die Partei der Autvnvmisten verschwand spurlos, während
Manteuffel um die Herzen der Protestler warb, da er, wie die Engel im
Himmel, an Bekehrnngsbedürftigcn größeres Gefallen fand als an Gerechten.
Dasselbe Land, das vor dreizehn Jahren durch seine Vertreter das Verlangen
ausgesprochen hatte, daß ihm an Stelle der schwer faßlichen juristischen Per¬
sönlichkeit des Reiches ein sichtbarer persönlicher Herrscher gegeben werde, eines
der reichsten, wirtschaftlich bedeutendsten Länder des Reiches, ist völlig unbe¬
kümmert um sein staatliches Schicksal. Daneben sehen wir eine rührige deutsche
Einwanderung, die in den Gemeinderäten, in den Kreis- und Bezirkstagen und
im Landesausschusse Fuß faßt und bei den Reichstagswahlen deutschgesinnten
Bewerbern zum Siege verhilft. Wenn die alte Autonomistenpartei in ihrer
Gleichgiltigkeit für die Ausgestaltung des Landes verharrt, auf die Wahrung
der materiellen Interessen sich beschränkend, wird auch im deutschen Reiche das
Politische Interesse an der Zukunft und um den eignen Wünschen des Landes
immer mehr schwinden; Vertreter dieses politischen Interesses werden immer
mehr die eingewanderten Altdeutschen werden, umso mehr als diese nicht mir
unter der Beamtenschaft, sondern ans allen Gebieten geistiger Thätigkeit die


geistert anschloß; Nur erinnern nur an den Beschluß der Versammlung von
22. Dezember 1877, worin der Wunsch ausgesprochen wurde, es möge dem
Reichslande eine eigue Verfassung als Bundesstaat mit dem Sitze der Regierung
in Straßburg und einer Vertretung im Bundesrate gewährt werdeu, indem die
unmittelbare Souveränität des Kaisers an Stelle der Gesamtsouveränität des
Bundesrates trete.

Deutschland ist keineswegs von Schuld freizusprechen, wenn das Land,
sei es infolge der von uns geschaffenen Einrichtungen, sei es durch bedauerliche
Störungen des Ganges der Dinge, von dem ins Auge gefaßten Ziele, im
dentschen Reiche sich eine bundesstaatliche Stellung zu verschaffen, hat ab¬
drängen lassen. Wir wollen über diesen Gegenstand hier keine Betrachtung
anstellen. Die in diesem Punkte gemachten Erfahrungen bieten hinlänglichen
Stoff zum — Stillschweigen. Heute ist die alte Partei der Autonvmisten von
Schallplatze verschwunden. Nicht den Rücktritt der Leute selbst bedauern Nur,
aber die Thatsache der allgemeinen Fahnenflucht. Der Freiherr Zorn von
Bulach ist kürzlich zu seinen Vätern versammelt worden. Wer wird künftig
dieses L!Ltorniu vMsgv übernehmen? Wird etwa der Unglaube an die Er¬
füllung des Wunsches, wird die Wunschlosigkeit selbst vorwalten? Wie denkt
sich dann das Reichsland seine deutsche Zukunft? Die Führer haben das
Volk im Stiche gelassen, aber das ganze Volk ist keineswegs der Meinung,
daß es genüge, sich notdürftig mit den deutschen Anforderungen abzufinden,
bis das Land wieder französisch sein werde. Gegenüber den Zusicherungen des
Freiherrn v. Manteuffel, daß er seinen Lebensrest daran setzen werde, den,
Lande die Autonomie zu verschaffen, blieben die sogenannten Notabeln teil-
nahmslos, und die Partei der Autvnvmisten verschwand spurlos, während
Manteuffel um die Herzen der Protestler warb, da er, wie die Engel im
Himmel, an Bekehrnngsbedürftigcn größeres Gefallen fand als an Gerechten.
Dasselbe Land, das vor dreizehn Jahren durch seine Vertreter das Verlangen
ausgesprochen hatte, daß ihm an Stelle der schwer faßlichen juristischen Per¬
sönlichkeit des Reiches ein sichtbarer persönlicher Herrscher gegeben werde, eines
der reichsten, wirtschaftlich bedeutendsten Länder des Reiches, ist völlig unbe¬
kümmert um sein staatliches Schicksal. Daneben sehen wir eine rührige deutsche
Einwanderung, die in den Gemeinderäten, in den Kreis- und Bezirkstagen und
im Landesausschusse Fuß faßt und bei den Reichstagswahlen deutschgesinnten
Bewerbern zum Siege verhilft. Wenn die alte Autonomistenpartei in ihrer
Gleichgiltigkeit für die Ausgestaltung des Landes verharrt, auf die Wahrung
der materiellen Interessen sich beschränkend, wird auch im deutschen Reiche das
Politische Interesse an der Zukunft und um den eignen Wünschen des Landes
immer mehr schwinden; Vertreter dieses politischen Interesses werden immer
mehr die eingewanderten Altdeutschen werden, umso mehr als diese nicht mir
unter der Beamtenschaft, sondern ans allen Gebieten geistiger Thätigkeit die


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[0269] geistert anschloß; Nur erinnern nur an den Beschluß der Versammlung von 22. Dezember 1877, worin der Wunsch ausgesprochen wurde, es möge dem Reichslande eine eigue Verfassung als Bundesstaat mit dem Sitze der Regierung in Straßburg und einer Vertretung im Bundesrate gewährt werdeu, indem die unmittelbare Souveränität des Kaisers an Stelle der Gesamtsouveränität des Bundesrates trete. Deutschland ist keineswegs von Schuld freizusprechen, wenn das Land, sei es infolge der von uns geschaffenen Einrichtungen, sei es durch bedauerliche Störungen des Ganges der Dinge, von dem ins Auge gefaßten Ziele, im dentschen Reiche sich eine bundesstaatliche Stellung zu verschaffen, hat ab¬ drängen lassen. Wir wollen über diesen Gegenstand hier keine Betrachtung anstellen. Die in diesem Punkte gemachten Erfahrungen bieten hinlänglichen Stoff zum — Stillschweigen. Heute ist die alte Partei der Autonvmisten von Schallplatze verschwunden. Nicht den Rücktritt der Leute selbst bedauern Nur, aber die Thatsache der allgemeinen Fahnenflucht. Der Freiherr Zorn von Bulach ist kürzlich zu seinen Vätern versammelt worden. Wer wird künftig dieses L!Ltorniu vMsgv übernehmen? Wird etwa der Unglaube an die Er¬ füllung des Wunsches, wird die Wunschlosigkeit selbst vorwalten? Wie denkt sich dann das Reichsland seine deutsche Zukunft? Die Führer haben das Volk im Stiche gelassen, aber das ganze Volk ist keineswegs der Meinung, daß es genüge, sich notdürftig mit den deutschen Anforderungen abzufinden, bis das Land wieder französisch sein werde. Gegenüber den Zusicherungen des Freiherrn v. Manteuffel, daß er seinen Lebensrest daran setzen werde, den, Lande die Autonomie zu verschaffen, blieben die sogenannten Notabeln teil- nahmslos, und die Partei der Autvnvmisten verschwand spurlos, während Manteuffel um die Herzen der Protestler warb, da er, wie die Engel im Himmel, an Bekehrnngsbedürftigcn größeres Gefallen fand als an Gerechten. Dasselbe Land, das vor dreizehn Jahren durch seine Vertreter das Verlangen ausgesprochen hatte, daß ihm an Stelle der schwer faßlichen juristischen Per¬ sönlichkeit des Reiches ein sichtbarer persönlicher Herrscher gegeben werde, eines der reichsten, wirtschaftlich bedeutendsten Länder des Reiches, ist völlig unbe¬ kümmert um sein staatliches Schicksal. Daneben sehen wir eine rührige deutsche Einwanderung, die in den Gemeinderäten, in den Kreis- und Bezirkstagen und im Landesausschusse Fuß faßt und bei den Reichstagswahlen deutschgesinnten Bewerbern zum Siege verhilft. Wenn die alte Autonomistenpartei in ihrer Gleichgiltigkeit für die Ausgestaltung des Landes verharrt, auf die Wahrung der materiellen Interessen sich beschränkend, wird auch im deutschen Reiche das Politische Interesse an der Zukunft und um den eignen Wünschen des Landes immer mehr schwinden; Vertreter dieses politischen Interesses werden immer mehr die eingewanderten Altdeutschen werden, umso mehr als diese nicht mir unter der Beamtenschaft, sondern ans allen Gebieten geistiger Thätigkeit die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/269>, abgerufen am 12.05.2024.