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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erklärung der allgemeine" Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

denken. Erst nachdem die Gleichberechtigung der durch neue Verfassungen
umgestalteten Staaten neben den fortbestehenden unumschränkten Monarchien
Europas errungen war, fand im Wiener Kongreß der äußere Abschluß des
Wettkampfes statt, in dem von der Sierra Estrella bis zur Moskwa, von
Malta bis zum Torneo die Leichenhügel von Hunderttausenden aufgetürmt
worden waren. Vos lois ävvivixircmt ce-IlW av l'Pmroxg, si <z1Jo8 sont äiMLS
"to von", hatte Mirabeau schon bei der Beratung über die Menschenrechte in
der Nationalversammlung am 17. August 1789 prophetisch ausgerufen.

Es ist auffallend, wie peinlich die konstitnirende Versammlung bemüht ist,
die allgemeinen Ideen und Grundsätze, die dem zu begründenden neuen Staats¬
system als Grundlage dienen sollen, in Präzise, volkstümliche Form zu bringen.
Das Volk, meint Durand-Maillane, werde sich den Gesetzen besser fügen, wenn
es deren Ursprung und die Grundsätze, aus denen sie hervorgegangen seien,
kenne, und so berät man denn, nachdem man die erste Scheu vor der Gefahr
so neuer Anschauungen für den bestehenden Staat überwunden hat, monate¬
lang über die Rechte, wie sie aus der Natur jedes vernünftig-sittlichen Wesens
unmittelbar hervorgehen, ergeht sich mit jugendlicher Begeisterung und feuriger
Beredsamkeit in metaphysischen Erörterungen über naturrechtliche Fragen, um
eine systematische Darstellung aller aus der Idee der Rechtsherrschaft hervor¬
gehenden ursprünglichen Rechte zu geben und auf diese die neuen sozialen
Rechtsverhältnisse zu gründen. Die Erklärung der Menschenrechte soll der
neuen Verfassung als Einleitung (xrvg,indulc>.) dienen, den Gesetzgebern bei
Bearbeitung des Verfassungswerkes, wie später den Exekutivbeamten bei Aus¬
führung seiner Bestimmungen ein Wegweiser sein. Die erste Vorlage, die der
Nationalversammlung am 11. Juli 1789 durch Lafayette nach mit lebhaftem.
Beifall aufgenommenen einleitenden Worten von dem "Freiheitskatechismns
Frankreichs" gemacht wurde, und die der später von der Nationalversammlung
wirklich beschlossenen Erklärung in gewisser Weise als Grundlage dient, wird
von dem kühl denkenden Grafen von Lally-Tolendal mit großer Zurückhaltung
besprochen. Es mögen hier einige charakteristische Stellen aus seiner Rede
folgen: "Alle diese Grundsätze sind heilig, die Ideen groß und erhaben; der
Urheber des Antrages spricht von der Freiheit, wie er sie zu verteidigen ge-
wußt hat. Der Antrag soll Gegenstand unsrer Beratung (travml) sein. Doch
je mehr uns dessen Inhalt (t'vint) hinreißend erscheint, desto mehr müssen wir
wegen der Form, die wir ihm geben, auf der Hut sein. Erlauben Sie denn,
daß ich bei den Befürchtungen, deren ich mich nicht erwehren kann, beharre
"ut meine Angst in den Schoß (fällt) Ihrer Vaterlandsliebe niederlege. Lassen
Sie uus den gewaltigen Unterschied nicht vergessen zwischen einem jungen
Volke, das sich im Weltall ankündigt, indem es sein Joch abschüttelt und seine
Fessel" bricht, und einem alten, mächtigen Volke, das seit vierzehn Jahr¬
hunderten Fürsten gehorcht, die es uach altem Brauch erwählt hat und der


Die Erklärung der allgemeine» Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

denken. Erst nachdem die Gleichberechtigung der durch neue Verfassungen
umgestalteten Staaten neben den fortbestehenden unumschränkten Monarchien
Europas errungen war, fand im Wiener Kongreß der äußere Abschluß des
Wettkampfes statt, in dem von der Sierra Estrella bis zur Moskwa, von
Malta bis zum Torneo die Leichenhügel von Hunderttausenden aufgetürmt
worden waren. Vos lois ävvivixircmt ce-IlW av l'Pmroxg, si <z1Jo8 sont äiMLS
«to von«, hatte Mirabeau schon bei der Beratung über die Menschenrechte in
der Nationalversammlung am 17. August 1789 prophetisch ausgerufen.

Es ist auffallend, wie peinlich die konstitnirende Versammlung bemüht ist,
die allgemeinen Ideen und Grundsätze, die dem zu begründenden neuen Staats¬
system als Grundlage dienen sollen, in Präzise, volkstümliche Form zu bringen.
Das Volk, meint Durand-Maillane, werde sich den Gesetzen besser fügen, wenn
es deren Ursprung und die Grundsätze, aus denen sie hervorgegangen seien,
kenne, und so berät man denn, nachdem man die erste Scheu vor der Gefahr
so neuer Anschauungen für den bestehenden Staat überwunden hat, monate¬
lang über die Rechte, wie sie aus der Natur jedes vernünftig-sittlichen Wesens
unmittelbar hervorgehen, ergeht sich mit jugendlicher Begeisterung und feuriger
Beredsamkeit in metaphysischen Erörterungen über naturrechtliche Fragen, um
eine systematische Darstellung aller aus der Idee der Rechtsherrschaft hervor¬
gehenden ursprünglichen Rechte zu geben und auf diese die neuen sozialen
Rechtsverhältnisse zu gründen. Die Erklärung der Menschenrechte soll der
neuen Verfassung als Einleitung (xrvg,indulc>.) dienen, den Gesetzgebern bei
Bearbeitung des Verfassungswerkes, wie später den Exekutivbeamten bei Aus¬
führung seiner Bestimmungen ein Wegweiser sein. Die erste Vorlage, die der
Nationalversammlung am 11. Juli 1789 durch Lafayette nach mit lebhaftem.
Beifall aufgenommenen einleitenden Worten von dem „Freiheitskatechismns
Frankreichs" gemacht wurde, und die der später von der Nationalversammlung
wirklich beschlossenen Erklärung in gewisser Weise als Grundlage dient, wird
von dem kühl denkenden Grafen von Lally-Tolendal mit großer Zurückhaltung
besprochen. Es mögen hier einige charakteristische Stellen aus seiner Rede
folgen: „Alle diese Grundsätze sind heilig, die Ideen groß und erhaben; der
Urheber des Antrages spricht von der Freiheit, wie er sie zu verteidigen ge-
wußt hat. Der Antrag soll Gegenstand unsrer Beratung (travml) sein. Doch
je mehr uns dessen Inhalt (t'vint) hinreißend erscheint, desto mehr müssen wir
wegen der Form, die wir ihm geben, auf der Hut sein. Erlauben Sie denn,
daß ich bei den Befürchtungen, deren ich mich nicht erwehren kann, beharre
»ut meine Angst in den Schoß (fällt) Ihrer Vaterlandsliebe niederlege. Lassen
Sie uus den gewaltigen Unterschied nicht vergessen zwischen einem jungen
Volke, das sich im Weltall ankündigt, indem es sein Joch abschüttelt und seine
Fessel» bricht, und einem alten, mächtigen Volke, das seit vierzehn Jahr¬
hunderten Fürsten gehorcht, die es uach altem Brauch erwählt hat und der


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[0271] Die Erklärung der allgemeine» Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich denken. Erst nachdem die Gleichberechtigung der durch neue Verfassungen umgestalteten Staaten neben den fortbestehenden unumschränkten Monarchien Europas errungen war, fand im Wiener Kongreß der äußere Abschluß des Wettkampfes statt, in dem von der Sierra Estrella bis zur Moskwa, von Malta bis zum Torneo die Leichenhügel von Hunderttausenden aufgetürmt worden waren. Vos lois ävvivixircmt ce-IlW av l'Pmroxg, si <z1Jo8 sont äiMLS «to von«, hatte Mirabeau schon bei der Beratung über die Menschenrechte in der Nationalversammlung am 17. August 1789 prophetisch ausgerufen. Es ist auffallend, wie peinlich die konstitnirende Versammlung bemüht ist, die allgemeinen Ideen und Grundsätze, die dem zu begründenden neuen Staats¬ system als Grundlage dienen sollen, in Präzise, volkstümliche Form zu bringen. Das Volk, meint Durand-Maillane, werde sich den Gesetzen besser fügen, wenn es deren Ursprung und die Grundsätze, aus denen sie hervorgegangen seien, kenne, und so berät man denn, nachdem man die erste Scheu vor der Gefahr so neuer Anschauungen für den bestehenden Staat überwunden hat, monate¬ lang über die Rechte, wie sie aus der Natur jedes vernünftig-sittlichen Wesens unmittelbar hervorgehen, ergeht sich mit jugendlicher Begeisterung und feuriger Beredsamkeit in metaphysischen Erörterungen über naturrechtliche Fragen, um eine systematische Darstellung aller aus der Idee der Rechtsherrschaft hervor¬ gehenden ursprünglichen Rechte zu geben und auf diese die neuen sozialen Rechtsverhältnisse zu gründen. Die Erklärung der Menschenrechte soll der neuen Verfassung als Einleitung (xrvg,indulc>.) dienen, den Gesetzgebern bei Bearbeitung des Verfassungswerkes, wie später den Exekutivbeamten bei Aus¬ führung seiner Bestimmungen ein Wegweiser sein. Die erste Vorlage, die der Nationalversammlung am 11. Juli 1789 durch Lafayette nach mit lebhaftem. Beifall aufgenommenen einleitenden Worten von dem „Freiheitskatechismns Frankreichs" gemacht wurde, und die der später von der Nationalversammlung wirklich beschlossenen Erklärung in gewisser Weise als Grundlage dient, wird von dem kühl denkenden Grafen von Lally-Tolendal mit großer Zurückhaltung besprochen. Es mögen hier einige charakteristische Stellen aus seiner Rede folgen: „Alle diese Grundsätze sind heilig, die Ideen groß und erhaben; der Urheber des Antrages spricht von der Freiheit, wie er sie zu verteidigen ge- wußt hat. Der Antrag soll Gegenstand unsrer Beratung (travml) sein. Doch je mehr uns dessen Inhalt (t'vint) hinreißend erscheint, desto mehr müssen wir wegen der Form, die wir ihm geben, auf der Hut sein. Erlauben Sie denn, daß ich bei den Befürchtungen, deren ich mich nicht erwehren kann, beharre »ut meine Angst in den Schoß (fällt) Ihrer Vaterlandsliebe niederlege. Lassen Sie uus den gewaltigen Unterschied nicht vergessen zwischen einem jungen Volke, das sich im Weltall ankündigt, indem es sein Joch abschüttelt und seine Fessel» bricht, und einem alten, mächtigen Volke, das seit vierzehn Jahr¬ hunderten Fürsten gehorcht, die es uach altem Brauch erwählt hat und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/271>, abgerufen am 12.05.2024.