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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

Publikaner geworden war und Frankreich, wie aus seinen Memoiren hervor¬
geht, auch gern republikanisch organisirt gesehen hätte, hatte seine eben erwähnte
Erklärung der Rechte an Jefferson gesandt und damit dessen Beifall in einer
Weise gefunden, daß von ihm die Absendung derselben an Washington an¬
geordnet worden war. Bekanntlich hatten sich zahlreiche französische Genie-
uud Artillerieoffiziere, wie la Colombe, Gimat, Flenrh, Marquis de la Roherie,
Tonzard, Lenfcmt, auch Lnfahette, in hervorragender Stellung mit Genehmigung
ihrer Regierung an den amerikanischen Kämpfen beteiligt; später trat der
französische Staat aus alter Eifersucht gegen England, dem er im Laufe des
achtzehnten Jahrhunderts seinen nordamerikanischen Kolonialbesitz hatte abtreten
müssen, im Kampfe zur See auf die Seite der Nordamerikaner, wie er ihnen
auch bedeutende Summen zur Kriegführung vorstreckte, und machte dadurch
wider Willen den Kampf eines unterdrückten Volkes für seine Freiheit in Frank¬
reich populär. Voll von kühnen, auf die eigue Befreiung gerichteten Hoffnungen
wandte das französische Volk seine bewegten Blicke den Amerikanern zu, die in
eine Laufbahn eingetreten waren, die es selbst zu durcheilen brannte. Wenn
mau die Gesetze als den Ausdruck des leidenschaftslosen Gemeinwillens be¬
zeichnet hat, so waren die nüchternen Amerikaner in besondrer Weise zu Gesetz¬
gebern berufen. William Peru schon, der seinen Quäkern Gesetze gab und mit
England für Pennshlvanien vorteilhafte Verträge abschloß, wird von Montes¬
quieu der Lykurg der modernen Zeit genannt. Es würde zu weit führen,
wollten wir hier nachweisen, wie das amerikanische Verfafsungswesen ein Aus¬
fluß des englischen ist, und amerikanische Rechtsanschauungen ans dem englischen
und französischen Deismus herausgewachsen sind. Lockesche, Montesqnieusche,
Rousseausche Ideen finden sich in amerikanischen Verfassungswerken oft wörtlich
wieder, wie umgekehrt französische Politiker die amerikanischen Verfassungen
mit den sie einleitenden Erklärungen der Menschenrechte eifrig studiren.

Im Laufe des Juli und August 1789, als die Freiheitsideen in Frankreich
allgemein geworden waren, mehren sich auch in der Nationalversammlung die
Entwürfe zu Erklärungen der Menschenrechte, die übrigens vom Volke zum Teil
schou vor dem Zusammentritt der Nationalversammlung, ganz besonders in den
('ÄüvrL, durch die die Wahlkreise ihren Abgeordneten für die ut"es-A6n6lAux
Instruktionen zu geben pflegten, gefordert worden waren. So sollen die Vertreter
des geistlichen Standes eine auf allgemeine Grundsätze aufgebaute Konstitution
verlangen, die die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums ver¬
bürgt, die Sklaverei der Neger beseitigt, das Briefgeheimnis wahrt u. s. w.
Die Deputirten des dritten Standes von Clermont werden beauftragt, eine
Erklärung der Meiischenrechte zu fordern, die Freiheit, Eigentum und Sicher¬
heit der Person gewährleistet. Die Pariser Wähler übergeben ihren Abge¬
ordneten für den dritten Stand sogar eine Erklärung der Menschenrechte
und eine darauf gegründete Konstitution uach amerikanischem Muster und


Grenzboten III 1L90 ^
Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

Publikaner geworden war und Frankreich, wie aus seinen Memoiren hervor¬
geht, auch gern republikanisch organisirt gesehen hätte, hatte seine eben erwähnte
Erklärung der Rechte an Jefferson gesandt und damit dessen Beifall in einer
Weise gefunden, daß von ihm die Absendung derselben an Washington an¬
geordnet worden war. Bekanntlich hatten sich zahlreiche französische Genie-
uud Artillerieoffiziere, wie la Colombe, Gimat, Flenrh, Marquis de la Roherie,
Tonzard, Lenfcmt, auch Lnfahette, in hervorragender Stellung mit Genehmigung
ihrer Regierung an den amerikanischen Kämpfen beteiligt; später trat der
französische Staat aus alter Eifersucht gegen England, dem er im Laufe des
achtzehnten Jahrhunderts seinen nordamerikanischen Kolonialbesitz hatte abtreten
müssen, im Kampfe zur See auf die Seite der Nordamerikaner, wie er ihnen
auch bedeutende Summen zur Kriegführung vorstreckte, und machte dadurch
wider Willen den Kampf eines unterdrückten Volkes für seine Freiheit in Frank¬
reich populär. Voll von kühnen, auf die eigue Befreiung gerichteten Hoffnungen
wandte das französische Volk seine bewegten Blicke den Amerikanern zu, die in
eine Laufbahn eingetreten waren, die es selbst zu durcheilen brannte. Wenn
mau die Gesetze als den Ausdruck des leidenschaftslosen Gemeinwillens be¬
zeichnet hat, so waren die nüchternen Amerikaner in besondrer Weise zu Gesetz¬
gebern berufen. William Peru schon, der seinen Quäkern Gesetze gab und mit
England für Pennshlvanien vorteilhafte Verträge abschloß, wird von Montes¬
quieu der Lykurg der modernen Zeit genannt. Es würde zu weit führen,
wollten wir hier nachweisen, wie das amerikanische Verfafsungswesen ein Aus¬
fluß des englischen ist, und amerikanische Rechtsanschauungen ans dem englischen
und französischen Deismus herausgewachsen sind. Lockesche, Montesqnieusche,
Rousseausche Ideen finden sich in amerikanischen Verfassungswerken oft wörtlich
wieder, wie umgekehrt französische Politiker die amerikanischen Verfassungen
mit den sie einleitenden Erklärungen der Menschenrechte eifrig studiren.

Im Laufe des Juli und August 1789, als die Freiheitsideen in Frankreich
allgemein geworden waren, mehren sich auch in der Nationalversammlung die
Entwürfe zu Erklärungen der Menschenrechte, die übrigens vom Volke zum Teil
schou vor dem Zusammentritt der Nationalversammlung, ganz besonders in den
('ÄüvrL, durch die die Wahlkreise ihren Abgeordneten für die ut»es-A6n6lAux
Instruktionen zu geben pflegten, gefordert worden waren. So sollen die Vertreter
des geistlichen Standes eine auf allgemeine Grundsätze aufgebaute Konstitution
verlangen, die die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums ver¬
bürgt, die Sklaverei der Neger beseitigt, das Briefgeheimnis wahrt u. s. w.
Die Deputirten des dritten Standes von Clermont werden beauftragt, eine
Erklärung der Meiischenrechte zu fordern, die Freiheit, Eigentum und Sicher¬
heit der Person gewährleistet. Die Pariser Wähler übergeben ihren Abge¬
ordneten für den dritten Stand sogar eine Erklärung der Menschenrechte
und eine darauf gegründete Konstitution uach amerikanischem Muster und


Grenzboten III 1L90 ^
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[0273] Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich Publikaner geworden war und Frankreich, wie aus seinen Memoiren hervor¬ geht, auch gern republikanisch organisirt gesehen hätte, hatte seine eben erwähnte Erklärung der Rechte an Jefferson gesandt und damit dessen Beifall in einer Weise gefunden, daß von ihm die Absendung derselben an Washington an¬ geordnet worden war. Bekanntlich hatten sich zahlreiche französische Genie- uud Artillerieoffiziere, wie la Colombe, Gimat, Flenrh, Marquis de la Roherie, Tonzard, Lenfcmt, auch Lnfahette, in hervorragender Stellung mit Genehmigung ihrer Regierung an den amerikanischen Kämpfen beteiligt; später trat der französische Staat aus alter Eifersucht gegen England, dem er im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts seinen nordamerikanischen Kolonialbesitz hatte abtreten müssen, im Kampfe zur See auf die Seite der Nordamerikaner, wie er ihnen auch bedeutende Summen zur Kriegführung vorstreckte, und machte dadurch wider Willen den Kampf eines unterdrückten Volkes für seine Freiheit in Frank¬ reich populär. Voll von kühnen, auf die eigue Befreiung gerichteten Hoffnungen wandte das französische Volk seine bewegten Blicke den Amerikanern zu, die in eine Laufbahn eingetreten waren, die es selbst zu durcheilen brannte. Wenn mau die Gesetze als den Ausdruck des leidenschaftslosen Gemeinwillens be¬ zeichnet hat, so waren die nüchternen Amerikaner in besondrer Weise zu Gesetz¬ gebern berufen. William Peru schon, der seinen Quäkern Gesetze gab und mit England für Pennshlvanien vorteilhafte Verträge abschloß, wird von Montes¬ quieu der Lykurg der modernen Zeit genannt. Es würde zu weit führen, wollten wir hier nachweisen, wie das amerikanische Verfafsungswesen ein Aus¬ fluß des englischen ist, und amerikanische Rechtsanschauungen ans dem englischen und französischen Deismus herausgewachsen sind. Lockesche, Montesqnieusche, Rousseausche Ideen finden sich in amerikanischen Verfassungswerken oft wörtlich wieder, wie umgekehrt französische Politiker die amerikanischen Verfassungen mit den sie einleitenden Erklärungen der Menschenrechte eifrig studiren. Im Laufe des Juli und August 1789, als die Freiheitsideen in Frankreich allgemein geworden waren, mehren sich auch in der Nationalversammlung die Entwürfe zu Erklärungen der Menschenrechte, die übrigens vom Volke zum Teil schou vor dem Zusammentritt der Nationalversammlung, ganz besonders in den ('ÄüvrL, durch die die Wahlkreise ihren Abgeordneten für die ut»es-A6n6lAux Instruktionen zu geben pflegten, gefordert worden waren. So sollen die Vertreter des geistlichen Standes eine auf allgemeine Grundsätze aufgebaute Konstitution verlangen, die die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums ver¬ bürgt, die Sklaverei der Neger beseitigt, das Briefgeheimnis wahrt u. s. w. Die Deputirten des dritten Standes von Clermont werden beauftragt, eine Erklärung der Meiischenrechte zu fordern, die Freiheit, Eigentum und Sicher¬ heit der Person gewährleistet. Die Pariser Wähler übergeben ihren Abge¬ ordneten für den dritten Stand sogar eine Erklärung der Menschenrechte und eine darauf gegründete Konstitution uach amerikanischem Muster und Grenzboten III 1L90 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/273>, abgerufen am 16.06.2024.