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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Frlchlingsbilder

gewinnend und ehrfurchtgebietend wirkte, so flößte auch die ersichtlich von Alter
mit Krankheit gebeugte, nur durch die starke Willenskraft aufrecht und würde¬
voll erhaltene Gestalt des heilige" Vaters innige menschliche Teilnahme el".
Als wir zwei Wochen später Papst Leo bei dem. großen Hochamt wiedersahen,
das er am 21. April in Se. Peter abhielt, erschien er minder blaß und leidend,
als an diesem Ostermontag; es mag also sein, daß sein Gesundheitszustand
ungleich ist. Aber begreiflich wurde nur, wie die römischen Zeitungen von
Zeit zu Zeit das Publikum mit Gerüchten von ernster Erkrankung und
drohender Gefahr alarmiren können.

Sobald die Messe vorüber, der päpstliche Segen knieend in Empfang
genommen war, drängte sich der größte, namentlich der weibliche Teil
der Versammlung näher an den heiligen Vater hinan. Derselbe Raum,
der eben zur Kirche gedient hatte, verwandelte sich in ein Audienzzimmer. Aus
wunderlichen Verstecken in Kleiderfnlten, ans Kästchen und Pappschachteln
kamen, trotz des Verbotes, Rosenkränze, kleine Bilder, Kruzifixe und Blumen
zum Vorschein, die der Papst weihen sollte und, soviel ich sah, auch großen¬
teils weihte. Wir waren, nachdem er in italienischer und französischer Sprache
die Anwesenden begrüßt hatte, schicklicherweise zur Seite getreten, um den
Katholiken, die hier ein besseres Recht hatten, ihrem Kirchenfürsten zunächst
zu sein, nicht Weg und Platz zu rauben. Es währte immerhin eine Viertel¬
stunde lang, und der Arzt des Papstes hatte Ursache genug, unzufrieden und
besorgt dreinzublicken, bis Leo XIII. sich entschloß, den ihn umringenden ver-
chrnngsvollen, aber ungestümen Andrang der Gläubigen, unter die sich doch
auch eiuzelue bloß Neugierige mischten, nach abermaliger Spendung des
Segens zu durchbrechen und zu seinen Privatgemücheru zurückzukehren.

Lauter, als er gekommen war, von dein Erlebten erfüllt, mit reger gewordener
Neugier um sich schauend, flutete der Fremdenstrom die Marmortreppen hinab,
durch Hallen und Höfe dem Ausgange wieder zu. Fast alle Sprachen Europas
schlugen an unser Ohr, auffällig war das Überwiegen des Englischen. Mit
stolzer und sicherer Haltung blickten die Insassen wie die bewaffneten Wächter
des Vatikans den Hinweggehenden nach, und jeder Besucher verließ den Niesen-
palast, den großen Mittelpunkt der katholischen Welt, mit dem Gefühl, daß er
dem Walten und Weben einer Macht gegenübergestanden habe, deren Stärke trok
aller Kämpfe bis heute noch nicht völlig gemessen ist. Mit erdrückender Schwere
überkommt jede ernstere Natur die Gewißheit, daß hier ein ungelöstes welt¬
geschichtliches Problem der Lösung harrt. Das italienische Garautiegesetz vom
Jahre 1870 hat für so lange Zeit ungewisse und unerquickliche Zustände geschaffen,
als der Priesterkönig die freiwillige Gefangenschaft im Vatikan dem Leben mit
und unter den neuen Zuständen vorzieht, als große Parteien in der Mehrzahl
der europäischen Staaten in dem gegenwärtigen Zustand eine Vergewaltigung
sehen. Und doch kann man den denkenden Italienern nicht schlechthin wider-


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gewinnend und ehrfurchtgebietend wirkte, so flößte auch die ersichtlich von Alter
mit Krankheit gebeugte, nur durch die starke Willenskraft aufrecht und würde¬
voll erhaltene Gestalt des heilige» Vaters innige menschliche Teilnahme el».
Als wir zwei Wochen später Papst Leo bei dem. großen Hochamt wiedersahen,
das er am 21. April in Se. Peter abhielt, erschien er minder blaß und leidend,
als an diesem Ostermontag; es mag also sein, daß sein Gesundheitszustand
ungleich ist. Aber begreiflich wurde nur, wie die römischen Zeitungen von
Zeit zu Zeit das Publikum mit Gerüchten von ernster Erkrankung und
drohender Gefahr alarmiren können.

Sobald die Messe vorüber, der päpstliche Segen knieend in Empfang
genommen war, drängte sich der größte, namentlich der weibliche Teil
der Versammlung näher an den heiligen Vater hinan. Derselbe Raum,
der eben zur Kirche gedient hatte, verwandelte sich in ein Audienzzimmer. Aus
wunderlichen Verstecken in Kleiderfnlten, ans Kästchen und Pappschachteln
kamen, trotz des Verbotes, Rosenkränze, kleine Bilder, Kruzifixe und Blumen
zum Vorschein, die der Papst weihen sollte und, soviel ich sah, auch großen¬
teils weihte. Wir waren, nachdem er in italienischer und französischer Sprache
die Anwesenden begrüßt hatte, schicklicherweise zur Seite getreten, um den
Katholiken, die hier ein besseres Recht hatten, ihrem Kirchenfürsten zunächst
zu sein, nicht Weg und Platz zu rauben. Es währte immerhin eine Viertel¬
stunde lang, und der Arzt des Papstes hatte Ursache genug, unzufrieden und
besorgt dreinzublicken, bis Leo XIII. sich entschloß, den ihn umringenden ver-
chrnngsvollen, aber ungestümen Andrang der Gläubigen, unter die sich doch
auch eiuzelue bloß Neugierige mischten, nach abermaliger Spendung des
Segens zu durchbrechen und zu seinen Privatgemücheru zurückzukehren.

Lauter, als er gekommen war, von dein Erlebten erfüllt, mit reger gewordener
Neugier um sich schauend, flutete der Fremdenstrom die Marmortreppen hinab,
durch Hallen und Höfe dem Ausgange wieder zu. Fast alle Sprachen Europas
schlugen an unser Ohr, auffällig war das Überwiegen des Englischen. Mit
stolzer und sicherer Haltung blickten die Insassen wie die bewaffneten Wächter
des Vatikans den Hinweggehenden nach, und jeder Besucher verließ den Niesen-
palast, den großen Mittelpunkt der katholischen Welt, mit dem Gefühl, daß er
dem Walten und Weben einer Macht gegenübergestanden habe, deren Stärke trok
aller Kämpfe bis heute noch nicht völlig gemessen ist. Mit erdrückender Schwere
überkommt jede ernstere Natur die Gewißheit, daß hier ein ungelöstes welt¬
geschichtliches Problem der Lösung harrt. Das italienische Garautiegesetz vom
Jahre 1870 hat für so lange Zeit ungewisse und unerquickliche Zustände geschaffen,
als der Priesterkönig die freiwillige Gefangenschaft im Vatikan dem Leben mit
und unter den neuen Zuständen vorzieht, als große Parteien in der Mehrzahl
der europäischen Staaten in dem gegenwärtigen Zustand eine Vergewaltigung
sehen. Und doch kann man den denkenden Italienern nicht schlechthin wider-


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[0283] Römische Frlchlingsbilder gewinnend und ehrfurchtgebietend wirkte, so flößte auch die ersichtlich von Alter mit Krankheit gebeugte, nur durch die starke Willenskraft aufrecht und würde¬ voll erhaltene Gestalt des heilige» Vaters innige menschliche Teilnahme el». Als wir zwei Wochen später Papst Leo bei dem. großen Hochamt wiedersahen, das er am 21. April in Se. Peter abhielt, erschien er minder blaß und leidend, als an diesem Ostermontag; es mag also sein, daß sein Gesundheitszustand ungleich ist. Aber begreiflich wurde nur, wie die römischen Zeitungen von Zeit zu Zeit das Publikum mit Gerüchten von ernster Erkrankung und drohender Gefahr alarmiren können. Sobald die Messe vorüber, der päpstliche Segen knieend in Empfang genommen war, drängte sich der größte, namentlich der weibliche Teil der Versammlung näher an den heiligen Vater hinan. Derselbe Raum, der eben zur Kirche gedient hatte, verwandelte sich in ein Audienzzimmer. Aus wunderlichen Verstecken in Kleiderfnlten, ans Kästchen und Pappschachteln kamen, trotz des Verbotes, Rosenkränze, kleine Bilder, Kruzifixe und Blumen zum Vorschein, die der Papst weihen sollte und, soviel ich sah, auch großen¬ teils weihte. Wir waren, nachdem er in italienischer und französischer Sprache die Anwesenden begrüßt hatte, schicklicherweise zur Seite getreten, um den Katholiken, die hier ein besseres Recht hatten, ihrem Kirchenfürsten zunächst zu sein, nicht Weg und Platz zu rauben. Es währte immerhin eine Viertel¬ stunde lang, und der Arzt des Papstes hatte Ursache genug, unzufrieden und besorgt dreinzublicken, bis Leo XIII. sich entschloß, den ihn umringenden ver- chrnngsvollen, aber ungestümen Andrang der Gläubigen, unter die sich doch auch eiuzelue bloß Neugierige mischten, nach abermaliger Spendung des Segens zu durchbrechen und zu seinen Privatgemücheru zurückzukehren. Lauter, als er gekommen war, von dein Erlebten erfüllt, mit reger gewordener Neugier um sich schauend, flutete der Fremdenstrom die Marmortreppen hinab, durch Hallen und Höfe dem Ausgange wieder zu. Fast alle Sprachen Europas schlugen an unser Ohr, auffällig war das Überwiegen des Englischen. Mit stolzer und sicherer Haltung blickten die Insassen wie die bewaffneten Wächter des Vatikans den Hinweggehenden nach, und jeder Besucher verließ den Niesen- palast, den großen Mittelpunkt der katholischen Welt, mit dem Gefühl, daß er dem Walten und Weben einer Macht gegenübergestanden habe, deren Stärke trok aller Kämpfe bis heute noch nicht völlig gemessen ist. Mit erdrückender Schwere überkommt jede ernstere Natur die Gewißheit, daß hier ein ungelöstes welt¬ geschichtliches Problem der Lösung harrt. Das italienische Garautiegesetz vom Jahre 1870 hat für so lange Zeit ungewisse und unerquickliche Zustände geschaffen, als der Priesterkönig die freiwillige Gefangenschaft im Vatikan dem Leben mit und unter den neuen Zuständen vorzieht, als große Parteien in der Mehrzahl der europäischen Staaten in dem gegenwärtigen Zustand eine Vergewaltigung sehen. Und doch kann man den denkenden Italienern nicht schlechthin wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/283>, abgerufen am 16.06.2024.