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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Friihlingsbilder

sprechen, die den gegenwärtigen halben Kriegsz" stand, den fortgesetzten Protest
der Kurie gegen die Existenz des italienischen Nationalstaates, den tötlichen Haß
gegen die neue Ordnung der Dinge als das kleinere Übel betrachten und einen
förmlichen und feierliche" Friedensschluß zwischen der Kirche und dem König¬
reich Italien als den Beginn neuer, großer und nach menschlichem Ermessen
unüberwindlicher Schwierigkeiten fürchten. So lange sich die Weltmacht des
Papsttums in die Mauern des winzigen exterritorialen Gebietes einschließt, so
lange der Papst und der nationale König einander gegenüber, nicht neben
einander stehen, so lange wird Italien im Vorteil sein. Wenn morgen die
Macht der jesuitischen Partei im Vatikan gebrochen würde, ein national ge¬
sinnter Papst frei und rückhaltlos die thatsächlichen Verhältnisse anerkannte,
dafür auch alles in Anspruch nudae, was ihm dann nach Lage der Dinge
nicht versagt werden könnte, so schlösse voraussichtlich dieser Friede den
Beginn neuer, unabsehbarer, unberechenbarer Kämpfe in sich ein. Auch Dantes
Prophezeiungen von einem Zustande, in dem das weltliche und geistliche
Schwert nicht gegen einander gezückt sind, bleiben dunkel und ihre Anwendung
auf die Gegenwart schließt tausend Gefahren in sich. Am allerkläglichsten
nimmt sich angesichts dieser ernsten und schweren Frage der flache italienische
Radikalismus aus, der, Natur, Eigenart und Geschichte des eignen Volkes
verkennend und vergessend, die Lösung durch die Weisheit seiner Zeitungen
für möglich hält.

Gedanken solcher und ähnlicher Art mußten sich uns sowohl bei der
Privatmesse des Papstes, die ein Ergebnis und Sinnbild der gegenwärtigen
grollenden Zurückgezogenheit war, als bei dem prachtvollen Hochamt aufdrängen,
das noch in demselben Monat völlig unerwartet, aber mit Aufgebot des ganzen
alten Pompes der dreifachen Krone zu Ehren der Tausende von sizilicinischen
und süditalienischen Pilgern veranstaltet wurde, die Rom besuchten. Völlig un¬
erwartet, denn es waren ja Jahre verstrichen, seit der Papst zum letztenmal" am
Hochaltar seiner Basilika gestanden hatte. Die Kunde von dem bevorstehenden
Erscheinen des Papstes mit seinem gesamten Hofstaat, getragen auf dem goldnen
Sessel, umgeben von der Blüte des jungen römischen Adels, der alten Baronial-
familien, brachte alle Kreise der italienischen Hauptstadt und nicht am wenigsten
die Fremdenkolonie in Aufregung. Zwar hatte es diesmal keine Schwierig¬
keiten, Einlaß zur Peterskirche zu erhalten. Die religiösen Korporationen und
Institute, die Gesandtschaften beim heiligen Stuhl, die Konsulate, die dein
Vatikan irgend nahestehenden Kreise verteilten massenhaft Zutrittskarteu, den
Pilgern und geleitenden Priestern waren ihre Plätze ohnehin gesichert, selbst
die spanischen Stierfechter, die in diesen Tagen in Rom verweilten, fehlten
unter den gaffenden Zuschauern und andächtigen Hörern der großen und
seltenen Feierlichkeit nicht. Aller geistliche, militärische, höfische Prunk, über den
das Papsttum zu gebieten hat, erfüllte an dem sonnigen Morgen des 21. April


Römische Friihlingsbilder

sprechen, die den gegenwärtigen halben Kriegsz» stand, den fortgesetzten Protest
der Kurie gegen die Existenz des italienischen Nationalstaates, den tötlichen Haß
gegen die neue Ordnung der Dinge als das kleinere Übel betrachten und einen
förmlichen und feierliche» Friedensschluß zwischen der Kirche und dem König¬
reich Italien als den Beginn neuer, großer und nach menschlichem Ermessen
unüberwindlicher Schwierigkeiten fürchten. So lange sich die Weltmacht des
Papsttums in die Mauern des winzigen exterritorialen Gebietes einschließt, so
lange der Papst und der nationale König einander gegenüber, nicht neben
einander stehen, so lange wird Italien im Vorteil sein. Wenn morgen die
Macht der jesuitischen Partei im Vatikan gebrochen würde, ein national ge¬
sinnter Papst frei und rückhaltlos die thatsächlichen Verhältnisse anerkannte,
dafür auch alles in Anspruch nudae, was ihm dann nach Lage der Dinge
nicht versagt werden könnte, so schlösse voraussichtlich dieser Friede den
Beginn neuer, unabsehbarer, unberechenbarer Kämpfe in sich ein. Auch Dantes
Prophezeiungen von einem Zustande, in dem das weltliche und geistliche
Schwert nicht gegen einander gezückt sind, bleiben dunkel und ihre Anwendung
auf die Gegenwart schließt tausend Gefahren in sich. Am allerkläglichsten
nimmt sich angesichts dieser ernsten und schweren Frage der flache italienische
Radikalismus aus, der, Natur, Eigenart und Geschichte des eignen Volkes
verkennend und vergessend, die Lösung durch die Weisheit seiner Zeitungen
für möglich hält.

Gedanken solcher und ähnlicher Art mußten sich uns sowohl bei der
Privatmesse des Papstes, die ein Ergebnis und Sinnbild der gegenwärtigen
grollenden Zurückgezogenheit war, als bei dem prachtvollen Hochamt aufdrängen,
das noch in demselben Monat völlig unerwartet, aber mit Aufgebot des ganzen
alten Pompes der dreifachen Krone zu Ehren der Tausende von sizilicinischen
und süditalienischen Pilgern veranstaltet wurde, die Rom besuchten. Völlig un¬
erwartet, denn es waren ja Jahre verstrichen, seit der Papst zum letztenmal« am
Hochaltar seiner Basilika gestanden hatte. Die Kunde von dem bevorstehenden
Erscheinen des Papstes mit seinem gesamten Hofstaat, getragen auf dem goldnen
Sessel, umgeben von der Blüte des jungen römischen Adels, der alten Baronial-
familien, brachte alle Kreise der italienischen Hauptstadt und nicht am wenigsten
die Fremdenkolonie in Aufregung. Zwar hatte es diesmal keine Schwierig¬
keiten, Einlaß zur Peterskirche zu erhalten. Die religiösen Korporationen und
Institute, die Gesandtschaften beim heiligen Stuhl, die Konsulate, die dein
Vatikan irgend nahestehenden Kreise verteilten massenhaft Zutrittskarteu, den
Pilgern und geleitenden Priestern waren ihre Plätze ohnehin gesichert, selbst
die spanischen Stierfechter, die in diesen Tagen in Rom verweilten, fehlten
unter den gaffenden Zuschauern und andächtigen Hörern der großen und
seltenen Feierlichkeit nicht. Aller geistliche, militärische, höfische Prunk, über den
das Papsttum zu gebieten hat, erfüllte an dem sonnigen Morgen des 21. April


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[0284] Römische Friihlingsbilder sprechen, die den gegenwärtigen halben Kriegsz» stand, den fortgesetzten Protest der Kurie gegen die Existenz des italienischen Nationalstaates, den tötlichen Haß gegen die neue Ordnung der Dinge als das kleinere Übel betrachten und einen förmlichen und feierliche» Friedensschluß zwischen der Kirche und dem König¬ reich Italien als den Beginn neuer, großer und nach menschlichem Ermessen unüberwindlicher Schwierigkeiten fürchten. So lange sich die Weltmacht des Papsttums in die Mauern des winzigen exterritorialen Gebietes einschließt, so lange der Papst und der nationale König einander gegenüber, nicht neben einander stehen, so lange wird Italien im Vorteil sein. Wenn morgen die Macht der jesuitischen Partei im Vatikan gebrochen würde, ein national ge¬ sinnter Papst frei und rückhaltlos die thatsächlichen Verhältnisse anerkannte, dafür auch alles in Anspruch nudae, was ihm dann nach Lage der Dinge nicht versagt werden könnte, so schlösse voraussichtlich dieser Friede den Beginn neuer, unabsehbarer, unberechenbarer Kämpfe in sich ein. Auch Dantes Prophezeiungen von einem Zustande, in dem das weltliche und geistliche Schwert nicht gegen einander gezückt sind, bleiben dunkel und ihre Anwendung auf die Gegenwart schließt tausend Gefahren in sich. Am allerkläglichsten nimmt sich angesichts dieser ernsten und schweren Frage der flache italienische Radikalismus aus, der, Natur, Eigenart und Geschichte des eignen Volkes verkennend und vergessend, die Lösung durch die Weisheit seiner Zeitungen für möglich hält. Gedanken solcher und ähnlicher Art mußten sich uns sowohl bei der Privatmesse des Papstes, die ein Ergebnis und Sinnbild der gegenwärtigen grollenden Zurückgezogenheit war, als bei dem prachtvollen Hochamt aufdrängen, das noch in demselben Monat völlig unerwartet, aber mit Aufgebot des ganzen alten Pompes der dreifachen Krone zu Ehren der Tausende von sizilicinischen und süditalienischen Pilgern veranstaltet wurde, die Rom besuchten. Völlig un¬ erwartet, denn es waren ja Jahre verstrichen, seit der Papst zum letztenmal« am Hochaltar seiner Basilika gestanden hatte. Die Kunde von dem bevorstehenden Erscheinen des Papstes mit seinem gesamten Hofstaat, getragen auf dem goldnen Sessel, umgeben von der Blüte des jungen römischen Adels, der alten Baronial- familien, brachte alle Kreise der italienischen Hauptstadt und nicht am wenigsten die Fremdenkolonie in Aufregung. Zwar hatte es diesmal keine Schwierig¬ keiten, Einlaß zur Peterskirche zu erhalten. Die religiösen Korporationen und Institute, die Gesandtschaften beim heiligen Stuhl, die Konsulate, die dein Vatikan irgend nahestehenden Kreise verteilten massenhaft Zutrittskarteu, den Pilgern und geleitenden Priestern waren ihre Plätze ohnehin gesichert, selbst die spanischen Stierfechter, die in diesen Tagen in Rom verweilten, fehlten unter den gaffenden Zuschauern und andächtigen Hörern der großen und seltenen Feierlichkeit nicht. Aller geistliche, militärische, höfische Prunk, über den das Papsttum zu gebieten hat, erfüllte an dem sonnigen Morgen des 21. April

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/284>, abgerufen am 23.05.2024.