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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Frühliiigsl'liber

die ungeheuer" Räume der Peterskirche, Spaliere von Nobelgarden und
Schweizergarden schlössen den Gang von der Eintrittskapelle bis zu den am
Hvchaltcir erbauten Sitzen mit ihren Purpurbehängen ab, gegen dreißigtausend
Menschen drängten sich im Mittelschiff des Riesenbaues zusaimuen und ließen,
zur bessern Erkenntnis der unermeßlichen Ausdehnung des Ganzen, die Seiten¬
schiffe und Kapellen, die mächtigen säulengetragenen Wölbungen zunächst der
Eingangsthore fast völlig menschenleer. Denn die Thore gegen die Grenze
des Königreichs Italien (bis auf das mittlere sonst zu jeder Tageszeit offen)
waren heute vollständig geschlossen, die ganze zuströmende Menge mußte ihren
Weg durch das "Thor Karls des Großen" nehmen und sich, soweit sie nicht
bestimmt angewiesene Plätze vorfand, uach Gefallen und eignem Ermessen ver¬
teilen. Uns genügte für diesmal ein Platz unmittelbar hinter der Reihe der
Schweizer in der Nähe des Eingangs, den der päpstliche Zug vom Vatikan
her nehmen mußte. Und so sahen wir denn zum zweitenmal, fast ohne ge¬
drängt zu werden, die ehrwürdige Gestalt des Oberhauptes der katholischen
Christenheit, diesmal, wie ihn in alten Zeiten Stadt und Erdkreis geschaut
hatten, von der Höhe seines Tragsitzes die Pilger wie die bloßen Zuschauer
des prächtigen Schauspiels segnend, von kirchlichen Würdenträgern, Kämmerern,
und schimmernden Dienern aller Art umgeben. Man fühlte aus dem Pomp
und der feierlichen Würde des Aufzuges heraus, daß die Enthaltung, die für
jetzt zur Regel geworden ist, ihre Spitze gegen die Anhänger der neuen Ord¬
nung der Dinge richtet. Wohl gab der heilige Vater gerade bei diesem Anlaß
den italienischen Pilgern die Versicherung, daß er dein Gedeihen Italiens nicht
feindlich gegenüberstehe, und dieser Versicherung darf man ohne weiteres
Glauben schenken. Dennoch sind die Überlieferungen stärker als die persön¬
lichen Gesinnungen, und der Endeindruck, den man von den kirchlichen Festen
wie von dem sichtbaren und dem gesellschaftlich fühlbaren unterirdischen Krieg
in Rom davonträgt, bleibt der, daß unsre Bundesgenossen am Tiber mit Über¬
lieferungen kämpfen, um die sie wahrlich weniger zu beneiden sind, als um
die Weltbedeutung und Kunstpracht ihrer einzigen und ewigen Hauptstadt.




Römische Frühliiigsl'liber

die ungeheuer» Räume der Peterskirche, Spaliere von Nobelgarden und
Schweizergarden schlössen den Gang von der Eintrittskapelle bis zu den am
Hvchaltcir erbauten Sitzen mit ihren Purpurbehängen ab, gegen dreißigtausend
Menschen drängten sich im Mittelschiff des Riesenbaues zusaimuen und ließen,
zur bessern Erkenntnis der unermeßlichen Ausdehnung des Ganzen, die Seiten¬
schiffe und Kapellen, die mächtigen säulengetragenen Wölbungen zunächst der
Eingangsthore fast völlig menschenleer. Denn die Thore gegen die Grenze
des Königreichs Italien (bis auf das mittlere sonst zu jeder Tageszeit offen)
waren heute vollständig geschlossen, die ganze zuströmende Menge mußte ihren
Weg durch das „Thor Karls des Großen" nehmen und sich, soweit sie nicht
bestimmt angewiesene Plätze vorfand, uach Gefallen und eignem Ermessen ver¬
teilen. Uns genügte für diesmal ein Platz unmittelbar hinter der Reihe der
Schweizer in der Nähe des Eingangs, den der päpstliche Zug vom Vatikan
her nehmen mußte. Und so sahen wir denn zum zweitenmal, fast ohne ge¬
drängt zu werden, die ehrwürdige Gestalt des Oberhauptes der katholischen
Christenheit, diesmal, wie ihn in alten Zeiten Stadt und Erdkreis geschaut
hatten, von der Höhe seines Tragsitzes die Pilger wie die bloßen Zuschauer
des prächtigen Schauspiels segnend, von kirchlichen Würdenträgern, Kämmerern,
und schimmernden Dienern aller Art umgeben. Man fühlte aus dem Pomp
und der feierlichen Würde des Aufzuges heraus, daß die Enthaltung, die für
jetzt zur Regel geworden ist, ihre Spitze gegen die Anhänger der neuen Ord¬
nung der Dinge richtet. Wohl gab der heilige Vater gerade bei diesem Anlaß
den italienischen Pilgern die Versicherung, daß er dein Gedeihen Italiens nicht
feindlich gegenüberstehe, und dieser Versicherung darf man ohne weiteres
Glauben schenken. Dennoch sind die Überlieferungen stärker als die persön¬
lichen Gesinnungen, und der Endeindruck, den man von den kirchlichen Festen
wie von dem sichtbaren und dem gesellschaftlich fühlbaren unterirdischen Krieg
in Rom davonträgt, bleibt der, daß unsre Bundesgenossen am Tiber mit Über¬
lieferungen kämpfen, um die sie wahrlich weniger zu beneiden sind, als um
die Weltbedeutung und Kunstpracht ihrer einzigen und ewigen Hauptstadt.




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[0285] Römische Frühliiigsl'liber die ungeheuer» Räume der Peterskirche, Spaliere von Nobelgarden und Schweizergarden schlössen den Gang von der Eintrittskapelle bis zu den am Hvchaltcir erbauten Sitzen mit ihren Purpurbehängen ab, gegen dreißigtausend Menschen drängten sich im Mittelschiff des Riesenbaues zusaimuen und ließen, zur bessern Erkenntnis der unermeßlichen Ausdehnung des Ganzen, die Seiten¬ schiffe und Kapellen, die mächtigen säulengetragenen Wölbungen zunächst der Eingangsthore fast völlig menschenleer. Denn die Thore gegen die Grenze des Königreichs Italien (bis auf das mittlere sonst zu jeder Tageszeit offen) waren heute vollständig geschlossen, die ganze zuströmende Menge mußte ihren Weg durch das „Thor Karls des Großen" nehmen und sich, soweit sie nicht bestimmt angewiesene Plätze vorfand, uach Gefallen und eignem Ermessen ver¬ teilen. Uns genügte für diesmal ein Platz unmittelbar hinter der Reihe der Schweizer in der Nähe des Eingangs, den der päpstliche Zug vom Vatikan her nehmen mußte. Und so sahen wir denn zum zweitenmal, fast ohne ge¬ drängt zu werden, die ehrwürdige Gestalt des Oberhauptes der katholischen Christenheit, diesmal, wie ihn in alten Zeiten Stadt und Erdkreis geschaut hatten, von der Höhe seines Tragsitzes die Pilger wie die bloßen Zuschauer des prächtigen Schauspiels segnend, von kirchlichen Würdenträgern, Kämmerern, und schimmernden Dienern aller Art umgeben. Man fühlte aus dem Pomp und der feierlichen Würde des Aufzuges heraus, daß die Enthaltung, die für jetzt zur Regel geworden ist, ihre Spitze gegen die Anhänger der neuen Ord¬ nung der Dinge richtet. Wohl gab der heilige Vater gerade bei diesem Anlaß den italienischen Pilgern die Versicherung, daß er dein Gedeihen Italiens nicht feindlich gegenüberstehe, und dieser Versicherung darf man ohne weiteres Glauben schenken. Dennoch sind die Überlieferungen stärker als die persön¬ lichen Gesinnungen, und der Endeindruck, den man von den kirchlichen Festen wie von dem sichtbaren und dem gesellschaftlich fühlbaren unterirdischen Krieg in Rom davonträgt, bleibt der, daß unsre Bundesgenossen am Tiber mit Über¬ lieferungen kämpfen, um die sie wahrlich weniger zu beneiden sind, als um die Weltbedeutung und Kunstpracht ihrer einzigen und ewigen Hauptstadt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/285>, abgerufen am 13.05.2024.