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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Line brennende Ohrfeige

Dieser Tabak war nun ein wenig zu stark. Wo Deutsche im Lande wohnen,
äußerte sich die Entrüstung sehr entschieden, und fast überall waren sie dar¬
über einig, welche Antwort ans diese unverschämte Beleidigung zu erteilen sei.
Im nächsten Jahre soll nämlich in Prag eine böhmische Landesausstellung
stattfinden. Nur von tschechischer Seite beschickt, würde sie kaum groß inter-
essiren, selbst wenn die Besucher gewiß wären, die berühmtesten Landesprodukte,
die Gebrüder Gregr, Marat-Vnschath, die tschechischen Granden "Kaunic" und
Laschanskh und den Ehrentschechen Heinrich in den Schaukästen zu finden.
Daher war eins der ersten Desiderien beim Ausgleich, daß die Deutschen den
Beschluß, der Ausstellung fern zu bleiben, fallen lassen sollten, und in den
Flitterwochen der Versöhnung wurde diesem Wunsche bereitwillig entsprochen.
Nun erklären die Nordböhmen es ziemlich einhellig für unstatthaft, als Aus¬
steller die Gastfreundschaft einer Stadt anzunehmen, deren offizielle Vertretung
sie eingestandenermaßen absichtlich beleidigt hat. Die Parteileitung aber ver¬
öffentlicht eine Erklärung, die von dem Zurückziehen der Zusage abrät. Zwei
Gründe werden dafür angeführt. Einzelne hätten sich bereits Kosten für die
Ausstellung gemacht; das läßt sich hören, obwohl anch die Meinung etwas
für sich hat, es sei wirtschaftlicher, die Auslagen verloren zu geben, anstatt
noch mehr Geld an ein so wenig Aussicht bietendes Unternehmen zu wenden.
Auch ist dieser Grund augenscheinlich nicht der entscheidende, sondern der
folgende: obwohl die in Prag versammelt gewesenen Abgeordneten nicht mehr
an das Gelingen des Ausgleichswerkes glauben, wollen sie sich nicht nach¬
sagen lassen, sie hätten, wenn auch nur in einer Nebensache, ein Versprechen
zurückgenommen.

So trocken hingestellt muß dieses Rüsonnement Verwunderung erregen.
Denn die tschechischen Blätter scheuen vor keinem Unsinn, vor keiner Verdrehung
der Wahrheit zurück, um den Deutschen die Zerstörung des Versöhnungswerkes
vorzuwerfen, sie würden sich auch nichts daraus macheu, gerade das Erscheinen
der Deutschen auf der Ausstellung in demselben Sinne zu benutzen. Daß
ihnen kein vernünftiger Mensch glaubt, wissen sie ganz gut, sie Wollen eben Bruch
und Skandal haben um jeden Preis. Indessen ist zu berücksichtigen, daß der
Kaiser das Protektorat der Ausstellung angenommen hat, und ihn würden die
Deutschen zu verletzen fürchten. Sollte, was ja nach all diesen Vorgängen
nicht unmöglich ist, der Kaiser seine Zusage zurücknehmen, so würde das die
Sachlage ändern.

Manche Zeitungsstimmen lassen auch erkennen, daß den Führern der
"Altliberalen," wie die Partei der "Vereinigten Linken" jetzt häufig genaunt
wird, der "Fall Heinrich" keineswegs unwillkommen ist. Nach ihrer Doktrin
müßte Graf Taaffe doch endlich den Platz räumen, da er mit seinem Pro¬
gramm so vollständig auf den Sand geraten ist, und dann bliebe keine andre
Möglichkeit, als die Berufung eines deutschen Ministeriums. Auf die Frage:


Line brennende Ohrfeige

Dieser Tabak war nun ein wenig zu stark. Wo Deutsche im Lande wohnen,
äußerte sich die Entrüstung sehr entschieden, und fast überall waren sie dar¬
über einig, welche Antwort ans diese unverschämte Beleidigung zu erteilen sei.
Im nächsten Jahre soll nämlich in Prag eine böhmische Landesausstellung
stattfinden. Nur von tschechischer Seite beschickt, würde sie kaum groß inter-
essiren, selbst wenn die Besucher gewiß wären, die berühmtesten Landesprodukte,
die Gebrüder Gregr, Marat-Vnschath, die tschechischen Granden „Kaunic" und
Laschanskh und den Ehrentschechen Heinrich in den Schaukästen zu finden.
Daher war eins der ersten Desiderien beim Ausgleich, daß die Deutschen den
Beschluß, der Ausstellung fern zu bleiben, fallen lassen sollten, und in den
Flitterwochen der Versöhnung wurde diesem Wunsche bereitwillig entsprochen.
Nun erklären die Nordböhmen es ziemlich einhellig für unstatthaft, als Aus¬
steller die Gastfreundschaft einer Stadt anzunehmen, deren offizielle Vertretung
sie eingestandenermaßen absichtlich beleidigt hat. Die Parteileitung aber ver¬
öffentlicht eine Erklärung, die von dem Zurückziehen der Zusage abrät. Zwei
Gründe werden dafür angeführt. Einzelne hätten sich bereits Kosten für die
Ausstellung gemacht; das läßt sich hören, obwohl anch die Meinung etwas
für sich hat, es sei wirtschaftlicher, die Auslagen verloren zu geben, anstatt
noch mehr Geld an ein so wenig Aussicht bietendes Unternehmen zu wenden.
Auch ist dieser Grund augenscheinlich nicht der entscheidende, sondern der
folgende: obwohl die in Prag versammelt gewesenen Abgeordneten nicht mehr
an das Gelingen des Ausgleichswerkes glauben, wollen sie sich nicht nach¬
sagen lassen, sie hätten, wenn auch nur in einer Nebensache, ein Versprechen
zurückgenommen.

So trocken hingestellt muß dieses Rüsonnement Verwunderung erregen.
Denn die tschechischen Blätter scheuen vor keinem Unsinn, vor keiner Verdrehung
der Wahrheit zurück, um den Deutschen die Zerstörung des Versöhnungswerkes
vorzuwerfen, sie würden sich auch nichts daraus macheu, gerade das Erscheinen
der Deutschen auf der Ausstellung in demselben Sinne zu benutzen. Daß
ihnen kein vernünftiger Mensch glaubt, wissen sie ganz gut, sie Wollen eben Bruch
und Skandal haben um jeden Preis. Indessen ist zu berücksichtigen, daß der
Kaiser das Protektorat der Ausstellung angenommen hat, und ihn würden die
Deutschen zu verletzen fürchten. Sollte, was ja nach all diesen Vorgängen
nicht unmöglich ist, der Kaiser seine Zusage zurücknehmen, so würde das die
Sachlage ändern.

Manche Zeitungsstimmen lassen auch erkennen, daß den Führern der
„Altliberalen," wie die Partei der „Vereinigten Linken" jetzt häufig genaunt
wird, der „Fall Heinrich" keineswegs unwillkommen ist. Nach ihrer Doktrin
müßte Graf Taaffe doch endlich den Platz räumen, da er mit seinem Pro¬
gramm so vollständig auf den Sand geraten ist, und dann bliebe keine andre
Möglichkeit, als die Berufung eines deutschen Ministeriums. Auf die Frage:


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[0299] Line brennende Ohrfeige Dieser Tabak war nun ein wenig zu stark. Wo Deutsche im Lande wohnen, äußerte sich die Entrüstung sehr entschieden, und fast überall waren sie dar¬ über einig, welche Antwort ans diese unverschämte Beleidigung zu erteilen sei. Im nächsten Jahre soll nämlich in Prag eine böhmische Landesausstellung stattfinden. Nur von tschechischer Seite beschickt, würde sie kaum groß inter- essiren, selbst wenn die Besucher gewiß wären, die berühmtesten Landesprodukte, die Gebrüder Gregr, Marat-Vnschath, die tschechischen Granden „Kaunic" und Laschanskh und den Ehrentschechen Heinrich in den Schaukästen zu finden. Daher war eins der ersten Desiderien beim Ausgleich, daß die Deutschen den Beschluß, der Ausstellung fern zu bleiben, fallen lassen sollten, und in den Flitterwochen der Versöhnung wurde diesem Wunsche bereitwillig entsprochen. Nun erklären die Nordböhmen es ziemlich einhellig für unstatthaft, als Aus¬ steller die Gastfreundschaft einer Stadt anzunehmen, deren offizielle Vertretung sie eingestandenermaßen absichtlich beleidigt hat. Die Parteileitung aber ver¬ öffentlicht eine Erklärung, die von dem Zurückziehen der Zusage abrät. Zwei Gründe werden dafür angeführt. Einzelne hätten sich bereits Kosten für die Ausstellung gemacht; das läßt sich hören, obwohl anch die Meinung etwas für sich hat, es sei wirtschaftlicher, die Auslagen verloren zu geben, anstatt noch mehr Geld an ein so wenig Aussicht bietendes Unternehmen zu wenden. Auch ist dieser Grund augenscheinlich nicht der entscheidende, sondern der folgende: obwohl die in Prag versammelt gewesenen Abgeordneten nicht mehr an das Gelingen des Ausgleichswerkes glauben, wollen sie sich nicht nach¬ sagen lassen, sie hätten, wenn auch nur in einer Nebensache, ein Versprechen zurückgenommen. So trocken hingestellt muß dieses Rüsonnement Verwunderung erregen. Denn die tschechischen Blätter scheuen vor keinem Unsinn, vor keiner Verdrehung der Wahrheit zurück, um den Deutschen die Zerstörung des Versöhnungswerkes vorzuwerfen, sie würden sich auch nichts daraus macheu, gerade das Erscheinen der Deutschen auf der Ausstellung in demselben Sinne zu benutzen. Daß ihnen kein vernünftiger Mensch glaubt, wissen sie ganz gut, sie Wollen eben Bruch und Skandal haben um jeden Preis. Indessen ist zu berücksichtigen, daß der Kaiser das Protektorat der Ausstellung angenommen hat, und ihn würden die Deutschen zu verletzen fürchten. Sollte, was ja nach all diesen Vorgängen nicht unmöglich ist, der Kaiser seine Zusage zurücknehmen, so würde das die Sachlage ändern. Manche Zeitungsstimmen lassen auch erkennen, daß den Führern der „Altliberalen," wie die Partei der „Vereinigten Linken" jetzt häufig genaunt wird, der „Fall Heinrich" keineswegs unwillkommen ist. Nach ihrer Doktrin müßte Graf Taaffe doch endlich den Platz räumen, da er mit seinem Pro¬ gramm so vollständig auf den Sand geraten ist, und dann bliebe keine andre Möglichkeit, als die Berufung eines deutschen Ministeriums. Auf die Frage:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/299>, abgerufen am 23.05.2024.