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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Ballführung des Mittelcilters

floß fortan der Fabrikkasse (5^irchbankasse) zu, die ein .Kanonikus unter dem
Titel Mgßistor kadrivkdv als eigentlicher Bauleiter verwaltete. Das sonstige
Vermögen der Kirchbaukasse bestand in Grundstücken und Erbrcuteu von mehr
als zwanzig Häusern. Ferner flössen dieser Kasse zu die Strafgelder von
Geistlichen, die ihren Dienst versäumten oder zu spät in die Kirche kamen,
die Gebühren für das Geläute bei Begräbnissen, gelegentliche Geschenke,
Kollekten, die unvermeidlichen Ablaßgelder und die Eintrittsgebühren der Mit¬
glieder der Kegelgilde, der tratros KvKöloruin. Ihr gehörten nicht allein alle
Honoratioren der Stadt, sondern auch die Stiftsherren an, deren Kegelbahn
hinter der Kirche lag. Selbstverständlich trug auch diese Brüderschaft einen
geistlichen Charakter und ließ es an Gebeten, Gottesdiensten, Umzügen und
Brudermahlen nicht fehlen; kein Zeitvertreib ohne den weihenden Zusatz von
Frömmigkeit -- und umgekehrt! Wurde die Elle einmal länger als der Kram,
so sahen sich die Kanoniker wohl genötigt, eine Anleihe aufzunehmen? Bei¬
leibe nicht! Das wäre ja ein verbotenes Wuchergeschäft gewesen; sondern nnr
gegen das aufgenommene Kapital eine Leibrente zu verkaufen. Je nachdem
die Rente nur für die Lebenszeit des Darleihers galt oder eine Erbrente war,
schwankte der Zinsfuß zwischen zwölf und fünf Prozent. War dann wieder
einmal mehr Geld vorhanden, als man augenblicklich brauchte, so kaufte nun
die Rente zurück, d. h. man stieß die Schuld ab. Obwohl demnach das Leid¬
wesen schon im vierzehnten Jahrhundert begann, führte es doch nicht zu
dauernder Verschuldung. Der Ablaßverschleiß im fünfzehnten und im Anfange
des sechzehnten Jahrhunderts trägt, abgesehen von dem wunderlichen geistlichen
Vorwande, schon in viel höherm Grade den Charakter moderner Finanzope¬
rationen. Davon schweigtBeissel klüglich. Freilich war er nicht gerade ge¬
nötigt auf die heikle Sache einzugehen, weil der Ablaß für die.Lantener Kirche
nnr in bescheidnen Grenzen und ohne Vermittlung von Geldinstituten aus¬
genutzt wurde. Man kann in den von Beissel aufgestellten Listen von Jahr
zu Jahr verfolgen, wie die einzelnen irn^istri tÄdriea-o wirtschafteten. Ge¬
wöhnlich reichten sie mit der ordentlichen Jahreseinnahme oder behielten am
Ende des Jahres noch etwas übrig, zuweilen schlössen sie mit einem Defizit
ab; ans einen ganz besonders baulustigen, der nach dem Grundsatze: Es muß
alles verruugenirt werden, verfuhr, sind die Herren Kvnfratrcs sehr schlecht
zu sprechen. Von 1360, wo die Baurechnungen anfangen (sie sind sehr
genau; kein Trinkgeld -- pro tih-nidus -- und keine Maß Wein wird aus¬
gelassen), bis 1559 wurden nach heutigem Gelde (und Geldwerte) 1500000
Reichsmark verbaut. Das in der Zeit vor 13K0 verbrauchte, die nicht ver¬
rechneten Geschenke, die Reparaturen und die Ausschmückung veranschlagt
Beissel ans das Dreifache dieser Summe, sodaß der ganze Bau sechs Millionen
Mark gekostet haben mag. Hätte man, meint der Verfasser, den Drachenfels nahe
gehabt, dem ein großer Teil des Materials entnommen ist, so würde der Van


Die Ballführung des Mittelcilters

floß fortan der Fabrikkasse (5^irchbankasse) zu, die ein .Kanonikus unter dem
Titel Mgßistor kadrivkdv als eigentlicher Bauleiter verwaltete. Das sonstige
Vermögen der Kirchbaukasse bestand in Grundstücken und Erbrcuteu von mehr
als zwanzig Häusern. Ferner flössen dieser Kasse zu die Strafgelder von
Geistlichen, die ihren Dienst versäumten oder zu spät in die Kirche kamen,
die Gebühren für das Geläute bei Begräbnissen, gelegentliche Geschenke,
Kollekten, die unvermeidlichen Ablaßgelder und die Eintrittsgebühren der Mit¬
glieder der Kegelgilde, der tratros KvKöloruin. Ihr gehörten nicht allein alle
Honoratioren der Stadt, sondern auch die Stiftsherren an, deren Kegelbahn
hinter der Kirche lag. Selbstverständlich trug auch diese Brüderschaft einen
geistlichen Charakter und ließ es an Gebeten, Gottesdiensten, Umzügen und
Brudermahlen nicht fehlen; kein Zeitvertreib ohne den weihenden Zusatz von
Frömmigkeit — und umgekehrt! Wurde die Elle einmal länger als der Kram,
so sahen sich die Kanoniker wohl genötigt, eine Anleihe aufzunehmen? Bei¬
leibe nicht! Das wäre ja ein verbotenes Wuchergeschäft gewesen; sondern nnr
gegen das aufgenommene Kapital eine Leibrente zu verkaufen. Je nachdem
die Rente nur für die Lebenszeit des Darleihers galt oder eine Erbrente war,
schwankte der Zinsfuß zwischen zwölf und fünf Prozent. War dann wieder
einmal mehr Geld vorhanden, als man augenblicklich brauchte, so kaufte nun
die Rente zurück, d. h. man stieß die Schuld ab. Obwohl demnach das Leid¬
wesen schon im vierzehnten Jahrhundert begann, führte es doch nicht zu
dauernder Verschuldung. Der Ablaßverschleiß im fünfzehnten und im Anfange
des sechzehnten Jahrhunderts trägt, abgesehen von dem wunderlichen geistlichen
Vorwande, schon in viel höherm Grade den Charakter moderner Finanzope¬
rationen. Davon schweigtBeissel klüglich. Freilich war er nicht gerade ge¬
nötigt auf die heikle Sache einzugehen, weil der Ablaß für die.Lantener Kirche
nnr in bescheidnen Grenzen und ohne Vermittlung von Geldinstituten aus¬
genutzt wurde. Man kann in den von Beissel aufgestellten Listen von Jahr
zu Jahr verfolgen, wie die einzelnen irn^istri tÄdriea-o wirtschafteten. Ge¬
wöhnlich reichten sie mit der ordentlichen Jahreseinnahme oder behielten am
Ende des Jahres noch etwas übrig, zuweilen schlössen sie mit einem Defizit
ab; ans einen ganz besonders baulustigen, der nach dem Grundsatze: Es muß
alles verruugenirt werden, verfuhr, sind die Herren Kvnfratrcs sehr schlecht
zu sprechen. Von 1360, wo die Baurechnungen anfangen (sie sind sehr
genau; kein Trinkgeld — pro tih-nidus — und keine Maß Wein wird aus¬
gelassen), bis 1559 wurden nach heutigem Gelde (und Geldwerte) 1500000
Reichsmark verbaut. Das in der Zeit vor 13K0 verbrauchte, die nicht ver¬
rechneten Geschenke, die Reparaturen und die Ausschmückung veranschlagt
Beissel ans das Dreifache dieser Summe, sodaß der ganze Bau sechs Millionen
Mark gekostet haben mag. Hätte man, meint der Verfasser, den Drachenfels nahe
gehabt, dem ein großer Teil des Materials entnommen ist, so würde der Van


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/30>, abgerufen am 26.05.2024.