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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Ballführung des Mittelalters

die des Mittelschiffs, müßten zusammengeschlossen werden. Es sei unmöglich,
nur die Hälfte standfest zu machen. Aber die Baugeschichte des Mittelalters
beweist, daß nur Akademiker solche Dinge als unmöglich erklären können. Ein
praktischer Mann wird Mittel und Wege finden, heute das zu leisten, was die
Vorzeit geleistet durch Balkenlage" und andre Mittel, die der Dilettant nicht
anzugeben vermag, der Techniker aber keimen oder wiederfinden muß . . .
Massenproduktion und Fabrikarbeit haben heute die wahre Kunst des tüchtigen
Handwerkers überwuchert und erstickt. Wir sind verwöhnt durch die Billigkeit,
mit der "Fabriken für Kunstgegenstände" ihre Erzeugnisse anbieten, und durch
den geringen Preis, den Tagelöhner und Spekulanten für ihre Leistungen ver¬
langen. So find wir dazu gekommen, eine Kirche fabelhaft rasch zu bauen
und ebenso rasch auszustatten. Aber man sieht den Leistungen die Eile an."

Diese Bemerkungen verdienen Beachtuug. Ich gehe fast täglich an einer
Kirche vorüber, die auf Kosten des Fiskus -- natürlich im "gothischen" Stil --
binnen vier Jahren "fertig gestellt" worden ist, und ärgere mich jedesmal über
die plumpen gebacknen Zapfen, die Fialen vorstellen sollen, über die gleichfalls
im Ofen gebacknen Kreuzblumen und das dito Maßwerk. Und wie dem, jeder
ästhetische und unästhetische Schein ans ein Sein hinweist, so ist auch diese
gebackene Herrlichkeit der getreue Ausdruck unsrer sozialen Jämmerlichkeit. Aus
dein künstlerisch arbeitenden Steinmetzen ist der lehmknetende und vfenheizende
Tagelöhner geworden, und hierdurch sowohl der innere Menschenwert wie die
änßere Lebensstellung einer ganzen Klasse herabgesetzt worden. Und da nicht
langsam, gleichmäßig fortgebaut wird, nach dem Maße der vorhandenen Mittel,
sondern die Mittel zu unsern binnen kürzester Frist zu vollendenden Bauten
durch Anleihen und Lotterien aufgebracht werden, so fließt stets ein Teil des
Arbeitslohnes in die Taschen der Geldlieferanten, d. h. also der unproduktiven
Bevölkeruugselemeute ab. Endlich werden durch das rasche Bauen und durch
das ebenso rasche Auschnffeu von Ausstattuugeu, Ausrüstungsgegenständeu u. s. w.
zeitweilig große Arbeitermassen ans einen Hnnfeu zusammengebracht, die nach
Vollendung ihrer Aufgabe leicht arbeitslos, elend für ihre Person und eine
Gefahr für den Staat werden und diesen wohl gar zu gefährlichen Experi¬
menten verleiten, z. B. zu Unternehmungen, die an sich durch kein Bedürfnis
gerechtfertigt nur den Zweck haben, Menschen zu beschäftigen.

Der Ban zu lauten war auf fortlaufende feste oder doch mir wenig
schwankende Einnahmen- gegründet. Dahin gehörte zunächst die Steinmetzen-
Pfründe, die nach heutigem Gelde etwa zweihundert Thaler jährlich abwarf.
Der Steinmetzmeister war nämlich ursprünglich ein Geistlicher. Als später
Kunst nud Handwerk'in die Hände der Laien übergingen, behielt man die
Pfründe als^ Besoldung .bei, sodaß ein weltlicher verheirateter Handwerks¬
meister Mitglied des Kapitels wurde. Dero letzte solche Präbendar war Meister
Jakob. Nach seinem Tode 1374 ward die Pfründe eingezogen, und ihr Ertrag


Die Ballführung des Mittelalters

die des Mittelschiffs, müßten zusammengeschlossen werden. Es sei unmöglich,
nur die Hälfte standfest zu machen. Aber die Baugeschichte des Mittelalters
beweist, daß nur Akademiker solche Dinge als unmöglich erklären können. Ein
praktischer Mann wird Mittel und Wege finden, heute das zu leisten, was die
Vorzeit geleistet durch Balkenlage» und andre Mittel, die der Dilettant nicht
anzugeben vermag, der Techniker aber keimen oder wiederfinden muß . . .
Massenproduktion und Fabrikarbeit haben heute die wahre Kunst des tüchtigen
Handwerkers überwuchert und erstickt. Wir sind verwöhnt durch die Billigkeit,
mit der »Fabriken für Kunstgegenstände« ihre Erzeugnisse anbieten, und durch
den geringen Preis, den Tagelöhner und Spekulanten für ihre Leistungen ver¬
langen. So find wir dazu gekommen, eine Kirche fabelhaft rasch zu bauen
und ebenso rasch auszustatten. Aber man sieht den Leistungen die Eile an."

Diese Bemerkungen verdienen Beachtuug. Ich gehe fast täglich an einer
Kirche vorüber, die auf Kosten des Fiskus — natürlich im „gothischen" Stil —
binnen vier Jahren „fertig gestellt" worden ist, und ärgere mich jedesmal über
die plumpen gebacknen Zapfen, die Fialen vorstellen sollen, über die gleichfalls
im Ofen gebacknen Kreuzblumen und das dito Maßwerk. Und wie dem, jeder
ästhetische und unästhetische Schein ans ein Sein hinweist, so ist auch diese
gebackene Herrlichkeit der getreue Ausdruck unsrer sozialen Jämmerlichkeit. Aus
dein künstlerisch arbeitenden Steinmetzen ist der lehmknetende und vfenheizende
Tagelöhner geworden, und hierdurch sowohl der innere Menschenwert wie die
änßere Lebensstellung einer ganzen Klasse herabgesetzt worden. Und da nicht
langsam, gleichmäßig fortgebaut wird, nach dem Maße der vorhandenen Mittel,
sondern die Mittel zu unsern binnen kürzester Frist zu vollendenden Bauten
durch Anleihen und Lotterien aufgebracht werden, so fließt stets ein Teil des
Arbeitslohnes in die Taschen der Geldlieferanten, d. h. also der unproduktiven
Bevölkeruugselemeute ab. Endlich werden durch das rasche Bauen und durch
das ebenso rasche Auschnffeu von Ausstattuugeu, Ausrüstungsgegenständeu u. s. w.
zeitweilig große Arbeitermassen ans einen Hnnfeu zusammengebracht, die nach
Vollendung ihrer Aufgabe leicht arbeitslos, elend für ihre Person und eine
Gefahr für den Staat werden und diesen wohl gar zu gefährlichen Experi¬
menten verleiten, z. B. zu Unternehmungen, die an sich durch kein Bedürfnis
gerechtfertigt nur den Zweck haben, Menschen zu beschäftigen.

Der Ban zu lauten war auf fortlaufende feste oder doch mir wenig
schwankende Einnahmen- gegründet. Dahin gehörte zunächst die Steinmetzen-
Pfründe, die nach heutigem Gelde etwa zweihundert Thaler jährlich abwarf.
Der Steinmetzmeister war nämlich ursprünglich ein Geistlicher. Als später
Kunst nud Handwerk'in die Hände der Laien übergingen, behielt man die
Pfründe als^ Besoldung .bei, sodaß ein weltlicher verheirateter Handwerks¬
meister Mitglied des Kapitels wurde. Dero letzte solche Präbendar war Meister
Jakob. Nach seinem Tode 1374 ward die Pfründe eingezogen, und ihr Ertrag


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[0029] Die Ballführung des Mittelalters die des Mittelschiffs, müßten zusammengeschlossen werden. Es sei unmöglich, nur die Hälfte standfest zu machen. Aber die Baugeschichte des Mittelalters beweist, daß nur Akademiker solche Dinge als unmöglich erklären können. Ein praktischer Mann wird Mittel und Wege finden, heute das zu leisten, was die Vorzeit geleistet durch Balkenlage» und andre Mittel, die der Dilettant nicht anzugeben vermag, der Techniker aber keimen oder wiederfinden muß . . . Massenproduktion und Fabrikarbeit haben heute die wahre Kunst des tüchtigen Handwerkers überwuchert und erstickt. Wir sind verwöhnt durch die Billigkeit, mit der »Fabriken für Kunstgegenstände« ihre Erzeugnisse anbieten, und durch den geringen Preis, den Tagelöhner und Spekulanten für ihre Leistungen ver¬ langen. So find wir dazu gekommen, eine Kirche fabelhaft rasch zu bauen und ebenso rasch auszustatten. Aber man sieht den Leistungen die Eile an." Diese Bemerkungen verdienen Beachtuug. Ich gehe fast täglich an einer Kirche vorüber, die auf Kosten des Fiskus — natürlich im „gothischen" Stil — binnen vier Jahren „fertig gestellt" worden ist, und ärgere mich jedesmal über die plumpen gebacknen Zapfen, die Fialen vorstellen sollen, über die gleichfalls im Ofen gebacknen Kreuzblumen und das dito Maßwerk. Und wie dem, jeder ästhetische und unästhetische Schein ans ein Sein hinweist, so ist auch diese gebackene Herrlichkeit der getreue Ausdruck unsrer sozialen Jämmerlichkeit. Aus dein künstlerisch arbeitenden Steinmetzen ist der lehmknetende und vfenheizende Tagelöhner geworden, und hierdurch sowohl der innere Menschenwert wie die änßere Lebensstellung einer ganzen Klasse herabgesetzt worden. Und da nicht langsam, gleichmäßig fortgebaut wird, nach dem Maße der vorhandenen Mittel, sondern die Mittel zu unsern binnen kürzester Frist zu vollendenden Bauten durch Anleihen und Lotterien aufgebracht werden, so fließt stets ein Teil des Arbeitslohnes in die Taschen der Geldlieferanten, d. h. also der unproduktiven Bevölkeruugselemeute ab. Endlich werden durch das rasche Bauen und durch das ebenso rasche Auschnffeu von Ausstattuugeu, Ausrüstungsgegenständeu u. s. w. zeitweilig große Arbeitermassen ans einen Hnnfeu zusammengebracht, die nach Vollendung ihrer Aufgabe leicht arbeitslos, elend für ihre Person und eine Gefahr für den Staat werden und diesen wohl gar zu gefährlichen Experi¬ menten verleiten, z. B. zu Unternehmungen, die an sich durch kein Bedürfnis gerechtfertigt nur den Zweck haben, Menschen zu beschäftigen. Der Ban zu lauten war auf fortlaufende feste oder doch mir wenig schwankende Einnahmen- gegründet. Dahin gehörte zunächst die Steinmetzen- Pfründe, die nach heutigem Gelde etwa zweihundert Thaler jährlich abwarf. Der Steinmetzmeister war nämlich ursprünglich ein Geistlicher. Als später Kunst nud Handwerk'in die Hände der Laien übergingen, behielt man die Pfründe als^ Besoldung .bei, sodaß ein weltlicher verheirateter Handwerks¬ meister Mitglied des Kapitels wurde. Dero letzte solche Präbendar war Meister Jakob. Nach seinem Tode 1374 ward die Pfründe eingezogen, und ihr Ertrag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/29>, abgerufen am 26.05.2024.