Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sozialdemokratie und das Theater

der Sozialdemokratin, die sich übrigens gerade jetzt, kurz vor Ablauf des
Svzinlistengesetzes, in bedenkenerregendem Maße zu lockern scheint, nicht im¬
stande sein wird, zwei Mächte niederzuhalten, die jeder Theatervorstellung deu
Tod bringen: die im Berliner Blut tief eingewurzelte Lust ant Skandal und
die Langeweile, und deshalb werden die Vorstellungen der "Freien Volksbühne,"
falls ihre zu Reibereien und Streitigkeiten geradezu herausfordernden, mit
völliger Unkenntnis der einfachsten Geschäftspraxis abgefaßten Statuten die
polizeiliche Genehmigung finden sollten, voraussichtlich dasselbe Schauspiel wie
die Aufführungen der "Freien Bühne" bieten, nur in größerm Maßstab und
mit verstärkten Lnngenkräften, die immer die Hauptrolle spielen werden, mag
die Langeweile oder die begeisterte Zustimmung der "Genossen" der augen¬
blickliche Stiutmnngsmacher sein.

Daß die "Freie Volksbühue" nur eine unter svzialdeinokratischer Flagge
segelnde Spielart der "Freien Bühne" werden wird, lehrt nicht nur die Gleich¬
artigkeit des Repertoires, worin das Dreiblatt: Franzosen, Russen und Nor¬
weger, das sich immer zusammenfindet, wo es gilt, deutsche Kultur und
deutschen Idealismus zu vernichten, die Oberhand hat, sondern auch die Wahl
des Herrn Dr. Otto Brahm in deu Ausschuß, der über die litterarische Rich¬
tung des Unternehmens zu entscheiden hat. Diesem Ausschüsse und dein Vor¬
stände gehören außerdem an: der Schriftsteller Dr. Bruno Wille, der Tape¬
zierer Wildberger, der Kaufmann Türk, die Redakteure Baake und Dr. Kommt
Schmidt, die Schriftsteller Wilhelm Bölsche und Julius Hart und der Buch¬
händler Baginsky. Es muß auffallen, daß sich unter den Taufpaten dieser
offenkundig sozialdemokratischen Gründung fünf oder sechs Personen befinden,
die akademische Bildung genossen oder doch einen akademischen Grad erlangt
haben. Wir glauben, daß einige von ihnen, insbesondre Herr Julius
Hart, mit Entrüstung ihre Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei ab¬
weisen und sich auf ihren Idealismus berufen werden, der sie treibe, ihre
Kraft in den Dienst des Volkes an sich zu stellen. Das politische Glaubens¬
bekenntnis des Herrn Dr. Brahm, der früher Mitarbeiter der "Vossischen
Zeitung" war und auch durch die Schule der demokratischen "Frankfurter
Zeitung" gegangen ist, ist schon etwas zweifelhafter und hat vielleicht wirklich
unter den Verdrießlichkeiten seiner nicht immer rühmlich geführten litterarischen
Feldzüge eine etwas rötere Färbung angenommen. Aber von den Herren Dr.
Wille, Baake und Dr. Konrad Schmidt ist es gewiß, daß sie sich zur sozial¬
demokratischen Partei bekennen. Der letztgenannte hat erst in diesen Tagen
die Redaktion der sozialdemokratischen "Vvlkstribüue" übernommen. Auch in
dieser Erscheinung haben wir ein Vorspiel dessen zu erblicken, was uns nach
dem 1. Oktober erwartet.

Es ist schon seit geraumer Zeit in verschiednen Zeitungen darauf auf¬
merksam gemacht worden, daß die sozialdemokratische Bewegung und was damit


Die Sozialdemokratie und das Theater

der Sozialdemokratin, die sich übrigens gerade jetzt, kurz vor Ablauf des
Svzinlistengesetzes, in bedenkenerregendem Maße zu lockern scheint, nicht im¬
stande sein wird, zwei Mächte niederzuhalten, die jeder Theatervorstellung deu
Tod bringen: die im Berliner Blut tief eingewurzelte Lust ant Skandal und
die Langeweile, und deshalb werden die Vorstellungen der „Freien Volksbühne,"
falls ihre zu Reibereien und Streitigkeiten geradezu herausfordernden, mit
völliger Unkenntnis der einfachsten Geschäftspraxis abgefaßten Statuten die
polizeiliche Genehmigung finden sollten, voraussichtlich dasselbe Schauspiel wie
die Aufführungen der „Freien Bühne" bieten, nur in größerm Maßstab und
mit verstärkten Lnngenkräften, die immer die Hauptrolle spielen werden, mag
die Langeweile oder die begeisterte Zustimmung der „Genossen" der augen¬
blickliche Stiutmnngsmacher sein.

Daß die „Freie Volksbühue" nur eine unter svzialdeinokratischer Flagge
segelnde Spielart der „Freien Bühne" werden wird, lehrt nicht nur die Gleich¬
artigkeit des Repertoires, worin das Dreiblatt: Franzosen, Russen und Nor¬
weger, das sich immer zusammenfindet, wo es gilt, deutsche Kultur und
deutschen Idealismus zu vernichten, die Oberhand hat, sondern auch die Wahl
des Herrn Dr. Otto Brahm in deu Ausschuß, der über die litterarische Rich¬
tung des Unternehmens zu entscheiden hat. Diesem Ausschüsse und dein Vor¬
stände gehören außerdem an: der Schriftsteller Dr. Bruno Wille, der Tape¬
zierer Wildberger, der Kaufmann Türk, die Redakteure Baake und Dr. Kommt
Schmidt, die Schriftsteller Wilhelm Bölsche und Julius Hart und der Buch¬
händler Baginsky. Es muß auffallen, daß sich unter den Taufpaten dieser
offenkundig sozialdemokratischen Gründung fünf oder sechs Personen befinden,
die akademische Bildung genossen oder doch einen akademischen Grad erlangt
haben. Wir glauben, daß einige von ihnen, insbesondre Herr Julius
Hart, mit Entrüstung ihre Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei ab¬
weisen und sich auf ihren Idealismus berufen werden, der sie treibe, ihre
Kraft in den Dienst des Volkes an sich zu stellen. Das politische Glaubens¬
bekenntnis des Herrn Dr. Brahm, der früher Mitarbeiter der „Vossischen
Zeitung" war und auch durch die Schule der demokratischen „Frankfurter
Zeitung" gegangen ist, ist schon etwas zweifelhafter und hat vielleicht wirklich
unter den Verdrießlichkeiten seiner nicht immer rühmlich geführten litterarischen
Feldzüge eine etwas rötere Färbung angenommen. Aber von den Herren Dr.
Wille, Baake und Dr. Konrad Schmidt ist es gewiß, daß sie sich zur sozial¬
demokratischen Partei bekennen. Der letztgenannte hat erst in diesen Tagen
die Redaktion der sozialdemokratischen „Vvlkstribüue" übernommen. Auch in
dieser Erscheinung haben wir ein Vorspiel dessen zu erblicken, was uns nach
dem 1. Oktober erwartet.

Es ist schon seit geraumer Zeit in verschiednen Zeitungen darauf auf¬
merksam gemacht worden, daß die sozialdemokratische Bewegung und was damit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208269"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Sozialdemokratie und das Theater</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_904" prev="#ID_903"> der Sozialdemokratin, die sich übrigens gerade jetzt, kurz vor Ablauf des<lb/>
Svzinlistengesetzes, in bedenkenerregendem Maße zu lockern scheint, nicht im¬<lb/>
stande sein wird, zwei Mächte niederzuhalten, die jeder Theatervorstellung deu<lb/>
Tod bringen: die im Berliner Blut tief eingewurzelte Lust ant Skandal und<lb/>
die Langeweile, und deshalb werden die Vorstellungen der &#x201E;Freien Volksbühne,"<lb/>
falls ihre zu Reibereien und Streitigkeiten geradezu herausfordernden, mit<lb/>
völliger Unkenntnis der einfachsten Geschäftspraxis abgefaßten Statuten die<lb/>
polizeiliche Genehmigung finden sollten, voraussichtlich dasselbe Schauspiel wie<lb/>
die Aufführungen der &#x201E;Freien Bühne" bieten, nur in größerm Maßstab und<lb/>
mit verstärkten Lnngenkräften, die immer die Hauptrolle spielen werden, mag<lb/>
die Langeweile oder die begeisterte Zustimmung der &#x201E;Genossen" der augen¬<lb/>
blickliche Stiutmnngsmacher sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_905"> Daß die &#x201E;Freie Volksbühue" nur eine unter svzialdeinokratischer Flagge<lb/>
segelnde Spielart der &#x201E;Freien Bühne" werden wird, lehrt nicht nur die Gleich¬<lb/>
artigkeit des Repertoires, worin das Dreiblatt: Franzosen, Russen und Nor¬<lb/>
weger, das sich immer zusammenfindet, wo es gilt, deutsche Kultur und<lb/>
deutschen Idealismus zu vernichten, die Oberhand hat, sondern auch die Wahl<lb/>
des Herrn Dr. Otto Brahm in deu Ausschuß, der über die litterarische Rich¬<lb/>
tung des Unternehmens zu entscheiden hat. Diesem Ausschüsse und dein Vor¬<lb/>
stände gehören außerdem an: der Schriftsteller Dr. Bruno Wille, der Tape¬<lb/>
zierer Wildberger, der Kaufmann Türk, die Redakteure Baake und Dr. Kommt<lb/>
Schmidt, die Schriftsteller Wilhelm Bölsche und Julius Hart und der Buch¬<lb/>
händler Baginsky. Es muß auffallen, daß sich unter den Taufpaten dieser<lb/>
offenkundig sozialdemokratischen Gründung fünf oder sechs Personen befinden,<lb/>
die akademische Bildung genossen oder doch einen akademischen Grad erlangt<lb/>
haben. Wir glauben, daß einige von ihnen, insbesondre Herr Julius<lb/>
Hart, mit Entrüstung ihre Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei ab¬<lb/>
weisen und sich auf ihren Idealismus berufen werden, der sie treibe, ihre<lb/>
Kraft in den Dienst des Volkes an sich zu stellen. Das politische Glaubens¬<lb/>
bekenntnis des Herrn Dr. Brahm, der früher Mitarbeiter der &#x201E;Vossischen<lb/>
Zeitung" war und auch durch die Schule der demokratischen &#x201E;Frankfurter<lb/>
Zeitung" gegangen ist, ist schon etwas zweifelhafter und hat vielleicht wirklich<lb/>
unter den Verdrießlichkeiten seiner nicht immer rühmlich geführten litterarischen<lb/>
Feldzüge eine etwas rötere Färbung angenommen. Aber von den Herren Dr.<lb/>
Wille, Baake und Dr. Konrad Schmidt ist es gewiß, daß sie sich zur sozial¬<lb/>
demokratischen Partei bekennen. Der letztgenannte hat erst in diesen Tagen<lb/>
die Redaktion der sozialdemokratischen &#x201E;Vvlkstribüue" übernommen. Auch in<lb/>
dieser Erscheinung haben wir ein Vorspiel dessen zu erblicken, was uns nach<lb/>
dem 1. Oktober erwartet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906" next="#ID_907"> Es ist schon seit geraumer Zeit in verschiednen Zeitungen darauf auf¬<lb/>
merksam gemacht worden, daß die sozialdemokratische Bewegung und was damit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] Die Sozialdemokratie und das Theater der Sozialdemokratin, die sich übrigens gerade jetzt, kurz vor Ablauf des Svzinlistengesetzes, in bedenkenerregendem Maße zu lockern scheint, nicht im¬ stande sein wird, zwei Mächte niederzuhalten, die jeder Theatervorstellung deu Tod bringen: die im Berliner Blut tief eingewurzelte Lust ant Skandal und die Langeweile, und deshalb werden die Vorstellungen der „Freien Volksbühne," falls ihre zu Reibereien und Streitigkeiten geradezu herausfordernden, mit völliger Unkenntnis der einfachsten Geschäftspraxis abgefaßten Statuten die polizeiliche Genehmigung finden sollten, voraussichtlich dasselbe Schauspiel wie die Aufführungen der „Freien Bühne" bieten, nur in größerm Maßstab und mit verstärkten Lnngenkräften, die immer die Hauptrolle spielen werden, mag die Langeweile oder die begeisterte Zustimmung der „Genossen" der augen¬ blickliche Stiutmnngsmacher sein. Daß die „Freie Volksbühue" nur eine unter svzialdeinokratischer Flagge segelnde Spielart der „Freien Bühne" werden wird, lehrt nicht nur die Gleich¬ artigkeit des Repertoires, worin das Dreiblatt: Franzosen, Russen und Nor¬ weger, das sich immer zusammenfindet, wo es gilt, deutsche Kultur und deutschen Idealismus zu vernichten, die Oberhand hat, sondern auch die Wahl des Herrn Dr. Otto Brahm in deu Ausschuß, der über die litterarische Rich¬ tung des Unternehmens zu entscheiden hat. Diesem Ausschüsse und dein Vor¬ stände gehören außerdem an: der Schriftsteller Dr. Bruno Wille, der Tape¬ zierer Wildberger, der Kaufmann Türk, die Redakteure Baake und Dr. Kommt Schmidt, die Schriftsteller Wilhelm Bölsche und Julius Hart und der Buch¬ händler Baginsky. Es muß auffallen, daß sich unter den Taufpaten dieser offenkundig sozialdemokratischen Gründung fünf oder sechs Personen befinden, die akademische Bildung genossen oder doch einen akademischen Grad erlangt haben. Wir glauben, daß einige von ihnen, insbesondre Herr Julius Hart, mit Entrüstung ihre Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei ab¬ weisen und sich auf ihren Idealismus berufen werden, der sie treibe, ihre Kraft in den Dienst des Volkes an sich zu stellen. Das politische Glaubens¬ bekenntnis des Herrn Dr. Brahm, der früher Mitarbeiter der „Vossischen Zeitung" war und auch durch die Schule der demokratischen „Frankfurter Zeitung" gegangen ist, ist schon etwas zweifelhafter und hat vielleicht wirklich unter den Verdrießlichkeiten seiner nicht immer rühmlich geführten litterarischen Feldzüge eine etwas rötere Färbung angenommen. Aber von den Herren Dr. Wille, Baake und Dr. Konrad Schmidt ist es gewiß, daß sie sich zur sozial¬ demokratischen Partei bekennen. Der letztgenannte hat erst in diesen Tagen die Redaktion der sozialdemokratischen „Vvlkstribüue" übernommen. Auch in dieser Erscheinung haben wir ein Vorspiel dessen zu erblicken, was uns nach dem 1. Oktober erwartet. Es ist schon seit geraumer Zeit in verschiednen Zeitungen darauf auf¬ merksam gemacht worden, daß die sozialdemokratische Bewegung und was damit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/332
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/332>, abgerufen am 31.05.2024.