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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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daß ich mich mit dieses Halbonkels einziger Tochter verheiraten möchte, nud
nun reise ich hinüber und periode mich.

Kennst dn sie denn? unterbrach ich ihn erstaunt.

Nein, ich habe sie nur gesehen, als sie noch ganz klein war; jetzt ist sie
achtzehn Jahre alt, sie wird sich wohl ziemlich verändert haben. Aber ich
weiß, daß sie ein frisches und liebenswürdiges Mädchen ist und jedenfalls
mehr als schön genug für mich -- überzeuge dich selbst! Damit zeigte er
mir eine Photographie von einem nicht gerade schönen, aber doch recht hübschen
Mädchen.

Aber trotz alledem, wandte ich ein, wie kannst du dich in eine reine
Kvnvenienzehe finden! das Heiraten so als Geschäft nehmen!

Ja, das will ich dir sagen. Ich glaube ganz gewiß, daß es Menschen
geben kann, die für einander geschaffen sind, oder die, wie ich es nennen möchte,
auf dem Gebiete der Liebe Genialität besitzen; es kaun gewiß auf der Welt
so zugehen, wie es in den Büchern geschrieben wird: die Wirklichkeit kann uns
in ein Märchen hineindichten, das das Leben hindurch andauert. Aber das
ist jedenfalls selten, sehr selten! Und sollte die Liebe wirklich jemals Macht
über mich gewinnen, so müßte es so zugehen, daß ich deutlich fühlte, das
Leben dichtete für mich. Aber diese Mühe, glaube ich, giebt sich das Leben
meinetwegen nicht. Und mir selbst und andern etwas einbilden, das kann ich
nicht. Deshalb will ich mich lieber ohne Illusionen mit einem Mädchen ver¬
heiraten, von dem ich weiß, daß sie "guter Leute Kind" ist, das ist schon
eine große Empfehlung; ich werde ihr gewiß ein guter Mann sein, und sie
wird einem Häuschen kleiner Blaus eine gute Mutter werden -- unser Geschlecht
darf nämlich nicht aussterben, dazu ist es viel zu alt!

Das letzte sagte er sicherlich im Scherz, aber ich kannte ihn zu gut, um
uicht zu merken, daß das meiste in seinem Vortrage wirklich sein Ernst war.
Ich machte deshalb mich keine weitern Einwendungen, sondern fragte nur,
wann er reisen wolle.

Morgen Abend, lautete die Antwort. Aber es fällt mir ein, daß ich noch
einige Kleinigkeiten brauche. Gehst du mit?

Unterwegs blieb er plötzlich vor dem Schaufenster eines Bnchlndens stehen
und sah hinein.

Wonach siehst du? fragte ich.

O, eigentlich nach nichts, aber ich habe den Mann gebeten, mir gelegentlich
Simon Paulis Nora parles. zu besorgen; ich will doch einmal hören, ob er
das Buch bekommen hat.

Wir gingen zu dem Antiquar hinein, der damals zu den Originalen der
Hauptstadt gehörte, aber leider nur einem kleinen Kreise bekannt war. Es
ist schwer, zu sagen, was merkwürdiger war: die Höhle oder ihr Bewohner.
Ein Raum, nicht viel größer als eine gewöhnliche Speisekammer, war vom


l'rKpir nat-ins

daß ich mich mit dieses Halbonkels einziger Tochter verheiraten möchte, nud
nun reise ich hinüber und periode mich.

Kennst dn sie denn? unterbrach ich ihn erstaunt.

Nein, ich habe sie nur gesehen, als sie noch ganz klein war; jetzt ist sie
achtzehn Jahre alt, sie wird sich wohl ziemlich verändert haben. Aber ich
weiß, daß sie ein frisches und liebenswürdiges Mädchen ist und jedenfalls
mehr als schön genug für mich — überzeuge dich selbst! Damit zeigte er
mir eine Photographie von einem nicht gerade schönen, aber doch recht hübschen
Mädchen.

Aber trotz alledem, wandte ich ein, wie kannst du dich in eine reine
Kvnvenienzehe finden! das Heiraten so als Geschäft nehmen!

Ja, das will ich dir sagen. Ich glaube ganz gewiß, daß es Menschen
geben kann, die für einander geschaffen sind, oder die, wie ich es nennen möchte,
auf dem Gebiete der Liebe Genialität besitzen; es kaun gewiß auf der Welt
so zugehen, wie es in den Büchern geschrieben wird: die Wirklichkeit kann uns
in ein Märchen hineindichten, das das Leben hindurch andauert. Aber das
ist jedenfalls selten, sehr selten! Und sollte die Liebe wirklich jemals Macht
über mich gewinnen, so müßte es so zugehen, daß ich deutlich fühlte, das
Leben dichtete für mich. Aber diese Mühe, glaube ich, giebt sich das Leben
meinetwegen nicht. Und mir selbst und andern etwas einbilden, das kann ich
nicht. Deshalb will ich mich lieber ohne Illusionen mit einem Mädchen ver¬
heiraten, von dem ich weiß, daß sie „guter Leute Kind" ist, das ist schon
eine große Empfehlung; ich werde ihr gewiß ein guter Mann sein, und sie
wird einem Häuschen kleiner Blaus eine gute Mutter werden — unser Geschlecht
darf nämlich nicht aussterben, dazu ist es viel zu alt!

Das letzte sagte er sicherlich im Scherz, aber ich kannte ihn zu gut, um
uicht zu merken, daß das meiste in seinem Vortrage wirklich sein Ernst war.
Ich machte deshalb mich keine weitern Einwendungen, sondern fragte nur,
wann er reisen wolle.

Morgen Abend, lautete die Antwort. Aber es fällt mir ein, daß ich noch
einige Kleinigkeiten brauche. Gehst du mit?

Unterwegs blieb er plötzlich vor dem Schaufenster eines Bnchlndens stehen
und sah hinein.

Wonach siehst du? fragte ich.

O, eigentlich nach nichts, aber ich habe den Mann gebeten, mir gelegentlich
Simon Paulis Nora parles. zu besorgen; ich will doch einmal hören, ob er
das Buch bekommen hat.

Wir gingen zu dem Antiquar hinein, der damals zu den Originalen der
Hauptstadt gehörte, aber leider nur einem kleinen Kreise bekannt war. Es
ist schwer, zu sagen, was merkwürdiger war: die Höhle oder ihr Bewohner.
Ein Raum, nicht viel größer als eine gewöhnliche Speisekammer, war vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/335>, abgerufen am 14.05.2024.