Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
N!^Wi>S

Fußboden bis zur Decke mit alten, verstaubten, fettigen und zerleseneu Büchern
angefüllt; nicht bloß auf den Borten an den Wänden standen sie, sie lagen
auch aufgeschichtet in Haufen, die umstürzten, sobald man daran rührte; dazu
kam einem eine Atmosphäre entgegen, in der es unmöglich schien länger als
einige Minuten zu atmen, und das spärliche Licht eines einzigen Fensters,
das von Folianten halb verdeckt war und fingerdick voll Staub lag, erlaubte
einem erst nach und nach, die Höhle und ihren Troglodyten zu unterscheiden.
Er saß gewöhnlich auf einem dreibeinigen Stuhl hinter einem kleinen Tisch;
sein langer grauer Bart reichte ihm bis auf die Brust herab, ein Paar tiefliegende
Augen stierten lichtscheu aus einem unbeweglichen pergamentner Gesicht, und wenn
sich seine lange gekrümmte Gestalt vom Stuhl erhob, bekam man unwillkürlich
den Eindruck, daß der krumme Rücken einfach von der Unmöglichkeit herrühre,
hier aufrecht zu steheu. Es ging die Sage vou ihm, daß er sich seit seiner
Konfirmation nicht wieder gewaschen habe, und wenn diese Sage auch auf
etwas Übertreibung beruhte, so genügte doch ein flüchtiger Blick auf die Hände
des Mannes, um zu zeigen, daß die Kruste, womit seine Greifwerkzeuge bedeckt
waren, von einer fortgesetzten, dnrch keine neptunische Periode unterbrochenen
Ablagerung herrührte.

Blau fragte nach seiner ?tora., erhielt die Antwort, daß sie noch nicht
zu haben gewesen sei, und war schon im Begriff, wieder fortzugehen, als der
Antiquar auf seiue gewöhnliche eintönige Art fragte, ob die Herren nicht Ver¬
wendung für ein altes Herbarium hätten, das er soeben bekommen habe. Er
handelte nämlich auch mit Naturalien. Vlnu antwortete erst mit nein, als
aber der Alte trotzdem einen Haufen verstaubter Papiere vom Alkoven her¬
holte und hinzufügte, die Herren könnten das Ganze für einen Reichsthaler
haben, schlug Blau zu und bekam das Packet in eine alte Zeitung eingeschlagen.
Ich begleitete ihn bis an seine Thür, und ehe wir uns trennten, versprach ich
ihm, am Nachmittag wieder zu kommen, um ihm nochmals Lebewohl zu sagen,
ehe er reiste.

Am Nachmittag wurde ich auf dem Wege zu ihm etwas aufgehalten und
fürchtete fast, daß er schon nach der Station gefahren sei. Aber zu meiner
größten Verwunderung saß er in guter Ruhe an seinem Schreibtisch und unter¬
suchte etwas mit der Lupe.

Du wolltest doch verreisen? sagte ich.

Ja gewiß will ich das, antwortete er, ohne aufzusehen.

Aber dann ist keine Zeit zu verlieren, der Zug geht in zwanzig Minuten!

Jawohl, uach Korsör, sagte er mit einem stillen Lächeln; aber ich gehe
nach Falster, da habe ich noch gute Zeit.

Was?

Ich werde dir alles erzählen. Sage mir nur erst, ob du lesen kannst,
was hier steht.


N!^Wi>S

Fußboden bis zur Decke mit alten, verstaubten, fettigen und zerleseneu Büchern
angefüllt; nicht bloß auf den Borten an den Wänden standen sie, sie lagen
auch aufgeschichtet in Haufen, die umstürzten, sobald man daran rührte; dazu
kam einem eine Atmosphäre entgegen, in der es unmöglich schien länger als
einige Minuten zu atmen, und das spärliche Licht eines einzigen Fensters,
das von Folianten halb verdeckt war und fingerdick voll Staub lag, erlaubte
einem erst nach und nach, die Höhle und ihren Troglodyten zu unterscheiden.
Er saß gewöhnlich auf einem dreibeinigen Stuhl hinter einem kleinen Tisch;
sein langer grauer Bart reichte ihm bis auf die Brust herab, ein Paar tiefliegende
Augen stierten lichtscheu aus einem unbeweglichen pergamentner Gesicht, und wenn
sich seine lange gekrümmte Gestalt vom Stuhl erhob, bekam man unwillkürlich
den Eindruck, daß der krumme Rücken einfach von der Unmöglichkeit herrühre,
hier aufrecht zu steheu. Es ging die Sage vou ihm, daß er sich seit seiner
Konfirmation nicht wieder gewaschen habe, und wenn diese Sage auch auf
etwas Übertreibung beruhte, so genügte doch ein flüchtiger Blick auf die Hände
des Mannes, um zu zeigen, daß die Kruste, womit seine Greifwerkzeuge bedeckt
waren, von einer fortgesetzten, dnrch keine neptunische Periode unterbrochenen
Ablagerung herrührte.

Blau fragte nach seiner ?tora., erhielt die Antwort, daß sie noch nicht
zu haben gewesen sei, und war schon im Begriff, wieder fortzugehen, als der
Antiquar auf seiue gewöhnliche eintönige Art fragte, ob die Herren nicht Ver¬
wendung für ein altes Herbarium hätten, das er soeben bekommen habe. Er
handelte nämlich auch mit Naturalien. Vlnu antwortete erst mit nein, als
aber der Alte trotzdem einen Haufen verstaubter Papiere vom Alkoven her¬
holte und hinzufügte, die Herren könnten das Ganze für einen Reichsthaler
haben, schlug Blau zu und bekam das Packet in eine alte Zeitung eingeschlagen.
Ich begleitete ihn bis an seine Thür, und ehe wir uns trennten, versprach ich
ihm, am Nachmittag wieder zu kommen, um ihm nochmals Lebewohl zu sagen,
ehe er reiste.

Am Nachmittag wurde ich auf dem Wege zu ihm etwas aufgehalten und
fürchtete fast, daß er schon nach der Station gefahren sei. Aber zu meiner
größten Verwunderung saß er in guter Ruhe an seinem Schreibtisch und unter¬
suchte etwas mit der Lupe.

Du wolltest doch verreisen? sagte ich.

Ja gewiß will ich das, antwortete er, ohne aufzusehen.

Aber dann ist keine Zeit zu verlieren, der Zug geht in zwanzig Minuten!

Jawohl, uach Korsör, sagte er mit einem stillen Lächeln; aber ich gehe
nach Falster, da habe ich noch gute Zeit.

Was?

Ich werde dir alles erzählen. Sage mir nur erst, ob du lesen kannst,
was hier steht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208273"/>
          <fw type="header" place="top"> N!^Wi&gt;S</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_922" prev="#ID_921"> Fußboden bis zur Decke mit alten, verstaubten, fettigen und zerleseneu Büchern<lb/>
angefüllt; nicht bloß auf den Borten an den Wänden standen sie, sie lagen<lb/>
auch aufgeschichtet in Haufen, die umstürzten, sobald man daran rührte; dazu<lb/>
kam einem eine Atmosphäre entgegen, in der es unmöglich schien länger als<lb/>
einige Minuten zu atmen, und das spärliche Licht eines einzigen Fensters,<lb/>
das von Folianten halb verdeckt war und fingerdick voll Staub lag, erlaubte<lb/>
einem erst nach und nach, die Höhle und ihren Troglodyten zu unterscheiden.<lb/>
Er saß gewöhnlich auf einem dreibeinigen Stuhl hinter einem kleinen Tisch;<lb/>
sein langer grauer Bart reichte ihm bis auf die Brust herab, ein Paar tiefliegende<lb/>
Augen stierten lichtscheu aus einem unbeweglichen pergamentner Gesicht, und wenn<lb/>
sich seine lange gekrümmte Gestalt vom Stuhl erhob, bekam man unwillkürlich<lb/>
den Eindruck, daß der krumme Rücken einfach von der Unmöglichkeit herrühre,<lb/>
hier aufrecht zu steheu. Es ging die Sage vou ihm, daß er sich seit seiner<lb/>
Konfirmation nicht wieder gewaschen habe, und wenn diese Sage auch auf<lb/>
etwas Übertreibung beruhte, so genügte doch ein flüchtiger Blick auf die Hände<lb/>
des Mannes, um zu zeigen, daß die Kruste, womit seine Greifwerkzeuge bedeckt<lb/>
waren, von einer fortgesetzten, dnrch keine neptunische Periode unterbrochenen<lb/>
Ablagerung herrührte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_923"> Blau fragte nach seiner ?tora., erhielt die Antwort, daß sie noch nicht<lb/>
zu haben gewesen sei, und war schon im Begriff, wieder fortzugehen, als der<lb/>
Antiquar auf seiue gewöhnliche eintönige Art fragte, ob die Herren nicht Ver¬<lb/>
wendung für ein altes Herbarium hätten, das er soeben bekommen habe. Er<lb/>
handelte nämlich auch mit Naturalien. Vlnu antwortete erst mit nein, als<lb/>
aber der Alte trotzdem einen Haufen verstaubter Papiere vom Alkoven her¬<lb/>
holte und hinzufügte, die Herren könnten das Ganze für einen Reichsthaler<lb/>
haben, schlug Blau zu und bekam das Packet in eine alte Zeitung eingeschlagen.<lb/>
Ich begleitete ihn bis an seine Thür, und ehe wir uns trennten, versprach ich<lb/>
ihm, am Nachmittag wieder zu kommen, um ihm nochmals Lebewohl zu sagen,<lb/>
ehe er reiste.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_924"> Am Nachmittag wurde ich auf dem Wege zu ihm etwas aufgehalten und<lb/>
fürchtete fast, daß er schon nach der Station gefahren sei. Aber zu meiner<lb/>
größten Verwunderung saß er in guter Ruhe an seinem Schreibtisch und unter¬<lb/>
suchte etwas mit der Lupe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_925"> Du wolltest doch verreisen? sagte ich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_926"> Ja gewiß will ich das, antwortete er, ohne aufzusehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_927"> Aber dann ist keine Zeit zu verlieren, der Zug geht in zwanzig Minuten!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_928"> Jawohl, uach Korsör, sagte er mit einem stillen Lächeln; aber ich gehe<lb/>
nach Falster, da habe ich noch gute Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_929"> Was?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_930"> Ich werde dir alles erzählen. Sage mir nur erst, ob du lesen kannst,<lb/>
was hier steht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] N!^Wi>S Fußboden bis zur Decke mit alten, verstaubten, fettigen und zerleseneu Büchern angefüllt; nicht bloß auf den Borten an den Wänden standen sie, sie lagen auch aufgeschichtet in Haufen, die umstürzten, sobald man daran rührte; dazu kam einem eine Atmosphäre entgegen, in der es unmöglich schien länger als einige Minuten zu atmen, und das spärliche Licht eines einzigen Fensters, das von Folianten halb verdeckt war und fingerdick voll Staub lag, erlaubte einem erst nach und nach, die Höhle und ihren Troglodyten zu unterscheiden. Er saß gewöhnlich auf einem dreibeinigen Stuhl hinter einem kleinen Tisch; sein langer grauer Bart reichte ihm bis auf die Brust herab, ein Paar tiefliegende Augen stierten lichtscheu aus einem unbeweglichen pergamentner Gesicht, und wenn sich seine lange gekrümmte Gestalt vom Stuhl erhob, bekam man unwillkürlich den Eindruck, daß der krumme Rücken einfach von der Unmöglichkeit herrühre, hier aufrecht zu steheu. Es ging die Sage vou ihm, daß er sich seit seiner Konfirmation nicht wieder gewaschen habe, und wenn diese Sage auch auf etwas Übertreibung beruhte, so genügte doch ein flüchtiger Blick auf die Hände des Mannes, um zu zeigen, daß die Kruste, womit seine Greifwerkzeuge bedeckt waren, von einer fortgesetzten, dnrch keine neptunische Periode unterbrochenen Ablagerung herrührte. Blau fragte nach seiner ?tora., erhielt die Antwort, daß sie noch nicht zu haben gewesen sei, und war schon im Begriff, wieder fortzugehen, als der Antiquar auf seiue gewöhnliche eintönige Art fragte, ob die Herren nicht Ver¬ wendung für ein altes Herbarium hätten, das er soeben bekommen habe. Er handelte nämlich auch mit Naturalien. Vlnu antwortete erst mit nein, als aber der Alte trotzdem einen Haufen verstaubter Papiere vom Alkoven her¬ holte und hinzufügte, die Herren könnten das Ganze für einen Reichsthaler haben, schlug Blau zu und bekam das Packet in eine alte Zeitung eingeschlagen. Ich begleitete ihn bis an seine Thür, und ehe wir uns trennten, versprach ich ihm, am Nachmittag wieder zu kommen, um ihm nochmals Lebewohl zu sagen, ehe er reiste. Am Nachmittag wurde ich auf dem Wege zu ihm etwas aufgehalten und fürchtete fast, daß er schon nach der Station gefahren sei. Aber zu meiner größten Verwunderung saß er in guter Ruhe an seinem Schreibtisch und unter¬ suchte etwas mit der Lupe. Du wolltest doch verreisen? sagte ich. Ja gewiß will ich das, antwortete er, ohne aufzusehen. Aber dann ist keine Zeit zu verlieren, der Zug geht in zwanzig Minuten! Jawohl, uach Korsör, sagte er mit einem stillen Lächeln; aber ich gehe nach Falster, da habe ich noch gute Zeit. Was? Ich werde dir alles erzählen. Sage mir nur erst, ob du lesen kannst, was hier steht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/336>, abgerufen am 30.05.2024.