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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hcmsindustrielle Zustände

sei als in den Fabriken. Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigen die vor¬
liegenden Berichte von neuem. Es beträgt z, B. in Berlin der durchschnitt¬
liche Wochenlohn eines Hauswebers 18 Mark, in Rixdorf 9 bis 18 Mark, in
Bernau 9 bis 15 Mark, in Nowawes bei Berlin nicht über 12 Mark. In
Bernau warm eingeschätzt mit einem Jahreseinkommen bis zu 660 Mark 240,
bis zu 900 Mark 4 und bis zu 1050 Mark 3 Weber. In der schlesischen
Handweberei ist eine fünfzehn- bis sechzehnstündige Arbeitszeit die Regel, in
flotter Geschäftszeit sitzen die erwachsenen Familienmitglieder sogar vielfach ab¬
wechselnd fast bis zum grauenden Morgen am Webstuhl. Bei dieser fieberhaften
Thätigkeit ohne die nötigen Pansen schwankt der Wochenlohn von 5 bis höchstens
10 Mark und füllt sogar bis zu dem ärmlichen Verdienst von 3,50 Mark
für durchschnittlich mindestens sechsmal fünfzehn Stunden Arbeit. Der schlesische
Weber kommt über einen durchschnittlichen Wochenlohn von 6 Mark Zeit seines
Lebens nicht hinaus, und dabei hat er noch für den Unterhalt seines Web¬
stuhles mit allem Zubehör und Beleuchtung und Heizung seiner Arbeitsstätte
zu sorgein Nach den Lohnermittelnngcn des statistischen Amtes der Stadt
Breslau verdienten in der Zeit vom Januar 1883 bis zum Juli 1886 die in
der Schneiderei beschäftigten Nähmädchen durchschnittlich wöchentlich im Januar
und Juli 1883 1,50 Mark, in denselben Monaten 1884 2 Mark, im Februar
1885 4,50 Mark, im Juli 1885 und 1886 den höchsten Satz von 6 Mark.
Die schlesische Filetnäherin erzielte bei zwölf Stunden Arbeit im Jahre 1888
einen Tagesverdienst von 40 bis 45 Pfennigen, im Jahre 1889 bei vierzehn
Stunden Arbeit einen Verdienst von 35 Pfennigen. In der Glatzer Zündholz¬
schachtelfabrikation zahlt der Unternehmer für tausend Stück Schwedenschachteln
60 Pfennige, wenn sie etikettirt sind, 70 Pfennige.

Diese traurigen Zahlen, die sich beliebig aus dem vorliegenden Material
vermehren lassen, geben zu denken. Die Berichte heben an verschiednen Stellen
hervor, daß ein großer Teil der Hausarbeiter gezwungen ist, das Darben zur
Kunst zu machen und in den notwendigsten Bedürfnissen unnatürliche Ein¬
schränkungen eintreten zu lassen, wenn nicht der Mann dein Verbrechen und
die Frau dem. Laster anheimzufallen vorzieht.

Über die Wohnungsverhältnisse der Hausindustriellen äußern sich die
Mitarbeiter des vorliegenden Bandes nur sehr knapp. Der Bericht über
die Hansweberei im Fichtelgebirge enthält in dieser Hinsicht nur die kurze,
aber inhaltsschwere Bemerkung: Die Arbeitsräume lassen in Bezug auf
Licht und Luft nahezu alles zu wünschen übrig, die meisten Arbeiter haben
eine Stube und schlafen mit ihren sämtlichen Familienangehörigen auf dem
Boden in einem Raume. Die Osnabrücker Handelskammer begnügt sich in
ihrem Bericht sogar mit der harmlosen Bemerkung, daß die Wohnungsverhält-
nisse den ortsüblichen angemessen seien. Nur die Berichte über Berlin und
über Schlesien enthalten einiges, aber auch nur geringes Material. Es ist


Hcmsindustrielle Zustände

sei als in den Fabriken. Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigen die vor¬
liegenden Berichte von neuem. Es beträgt z, B. in Berlin der durchschnitt¬
liche Wochenlohn eines Hauswebers 18 Mark, in Rixdorf 9 bis 18 Mark, in
Bernau 9 bis 15 Mark, in Nowawes bei Berlin nicht über 12 Mark. In
Bernau warm eingeschätzt mit einem Jahreseinkommen bis zu 660 Mark 240,
bis zu 900 Mark 4 und bis zu 1050 Mark 3 Weber. In der schlesischen
Handweberei ist eine fünfzehn- bis sechzehnstündige Arbeitszeit die Regel, in
flotter Geschäftszeit sitzen die erwachsenen Familienmitglieder sogar vielfach ab¬
wechselnd fast bis zum grauenden Morgen am Webstuhl. Bei dieser fieberhaften
Thätigkeit ohne die nötigen Pansen schwankt der Wochenlohn von 5 bis höchstens
10 Mark und füllt sogar bis zu dem ärmlichen Verdienst von 3,50 Mark
für durchschnittlich mindestens sechsmal fünfzehn Stunden Arbeit. Der schlesische
Weber kommt über einen durchschnittlichen Wochenlohn von 6 Mark Zeit seines
Lebens nicht hinaus, und dabei hat er noch für den Unterhalt seines Web¬
stuhles mit allem Zubehör und Beleuchtung und Heizung seiner Arbeitsstätte
zu sorgein Nach den Lohnermittelnngcn des statistischen Amtes der Stadt
Breslau verdienten in der Zeit vom Januar 1883 bis zum Juli 1886 die in
der Schneiderei beschäftigten Nähmädchen durchschnittlich wöchentlich im Januar
und Juli 1883 1,50 Mark, in denselben Monaten 1884 2 Mark, im Februar
1885 4,50 Mark, im Juli 1885 und 1886 den höchsten Satz von 6 Mark.
Die schlesische Filetnäherin erzielte bei zwölf Stunden Arbeit im Jahre 1888
einen Tagesverdienst von 40 bis 45 Pfennigen, im Jahre 1889 bei vierzehn
Stunden Arbeit einen Verdienst von 35 Pfennigen. In der Glatzer Zündholz¬
schachtelfabrikation zahlt der Unternehmer für tausend Stück Schwedenschachteln
60 Pfennige, wenn sie etikettirt sind, 70 Pfennige.

Diese traurigen Zahlen, die sich beliebig aus dem vorliegenden Material
vermehren lassen, geben zu denken. Die Berichte heben an verschiednen Stellen
hervor, daß ein großer Teil der Hausarbeiter gezwungen ist, das Darben zur
Kunst zu machen und in den notwendigsten Bedürfnissen unnatürliche Ein¬
schränkungen eintreten zu lassen, wenn nicht der Mann dein Verbrechen und
die Frau dem. Laster anheimzufallen vorzieht.

Über die Wohnungsverhältnisse der Hausindustriellen äußern sich die
Mitarbeiter des vorliegenden Bandes nur sehr knapp. Der Bericht über
die Hansweberei im Fichtelgebirge enthält in dieser Hinsicht nur die kurze,
aber inhaltsschwere Bemerkung: Die Arbeitsräume lassen in Bezug auf
Licht und Luft nahezu alles zu wünschen übrig, die meisten Arbeiter haben
eine Stube und schlafen mit ihren sämtlichen Familienangehörigen auf dem
Boden in einem Raume. Die Osnabrücker Handelskammer begnügt sich in
ihrem Bericht sogar mit der harmlosen Bemerkung, daß die Wohnungsverhält-
nisse den ortsüblichen angemessen seien. Nur die Berichte über Berlin und
über Schlesien enthalten einiges, aber auch nur geringes Material. Es ist


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[0366] Hcmsindustrielle Zustände sei als in den Fabriken. Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigen die vor¬ liegenden Berichte von neuem. Es beträgt z, B. in Berlin der durchschnitt¬ liche Wochenlohn eines Hauswebers 18 Mark, in Rixdorf 9 bis 18 Mark, in Bernau 9 bis 15 Mark, in Nowawes bei Berlin nicht über 12 Mark. In Bernau warm eingeschätzt mit einem Jahreseinkommen bis zu 660 Mark 240, bis zu 900 Mark 4 und bis zu 1050 Mark 3 Weber. In der schlesischen Handweberei ist eine fünfzehn- bis sechzehnstündige Arbeitszeit die Regel, in flotter Geschäftszeit sitzen die erwachsenen Familienmitglieder sogar vielfach ab¬ wechselnd fast bis zum grauenden Morgen am Webstuhl. Bei dieser fieberhaften Thätigkeit ohne die nötigen Pansen schwankt der Wochenlohn von 5 bis höchstens 10 Mark und füllt sogar bis zu dem ärmlichen Verdienst von 3,50 Mark für durchschnittlich mindestens sechsmal fünfzehn Stunden Arbeit. Der schlesische Weber kommt über einen durchschnittlichen Wochenlohn von 6 Mark Zeit seines Lebens nicht hinaus, und dabei hat er noch für den Unterhalt seines Web¬ stuhles mit allem Zubehör und Beleuchtung und Heizung seiner Arbeitsstätte zu sorgein Nach den Lohnermittelnngcn des statistischen Amtes der Stadt Breslau verdienten in der Zeit vom Januar 1883 bis zum Juli 1886 die in der Schneiderei beschäftigten Nähmädchen durchschnittlich wöchentlich im Januar und Juli 1883 1,50 Mark, in denselben Monaten 1884 2 Mark, im Februar 1885 4,50 Mark, im Juli 1885 und 1886 den höchsten Satz von 6 Mark. Die schlesische Filetnäherin erzielte bei zwölf Stunden Arbeit im Jahre 1888 einen Tagesverdienst von 40 bis 45 Pfennigen, im Jahre 1889 bei vierzehn Stunden Arbeit einen Verdienst von 35 Pfennigen. In der Glatzer Zündholz¬ schachtelfabrikation zahlt der Unternehmer für tausend Stück Schwedenschachteln 60 Pfennige, wenn sie etikettirt sind, 70 Pfennige. Diese traurigen Zahlen, die sich beliebig aus dem vorliegenden Material vermehren lassen, geben zu denken. Die Berichte heben an verschiednen Stellen hervor, daß ein großer Teil der Hausarbeiter gezwungen ist, das Darben zur Kunst zu machen und in den notwendigsten Bedürfnissen unnatürliche Ein¬ schränkungen eintreten zu lassen, wenn nicht der Mann dein Verbrechen und die Frau dem. Laster anheimzufallen vorzieht. Über die Wohnungsverhältnisse der Hausindustriellen äußern sich die Mitarbeiter des vorliegenden Bandes nur sehr knapp. Der Bericht über die Hansweberei im Fichtelgebirge enthält in dieser Hinsicht nur die kurze, aber inhaltsschwere Bemerkung: Die Arbeitsräume lassen in Bezug auf Licht und Luft nahezu alles zu wünschen übrig, die meisten Arbeiter haben eine Stube und schlafen mit ihren sämtlichen Familienangehörigen auf dem Boden in einem Raume. Die Osnabrücker Handelskammer begnügt sich in ihrem Bericht sogar mit der harmlosen Bemerkung, daß die Wohnungsverhält- nisse den ortsüblichen angemessen seien. Nur die Berichte über Berlin und über Schlesien enthalten einiges, aber auch nur geringes Material. Es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/366>, abgerufen am 12.05.2024.