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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hegels Lehre über die Familie

er in seiner Familie nicht Person für sich sein, sondern er weiß sich als
"Mitglied" seiner Familie. In der Einheit der Familie giebt es kein "Für¬
sichsein." Mein wahres Selbstbewußtsein hube ich da vielmehr im Aufgeben
meines Selbst. In der wahren Familie ist die Liebe allein der sie be¬
stimmende Geist.

Wenn nun die Liebe Empfindung, empfundene Einheit ist, so erklärt es
sich, wie im Staate nicht mehr sie das Bestimmende sein kann; denn die Einheit
des Staates ruht nicht mehr in der Empfindung, sondern in der Bernnuft;
das Bestimmende im Staate ist die Einheit des Gesetzes, denn im Gesetze giebt
sich die Vernunft des Staates ihren Ausdruck. Je mehr nun die Familie in
ihre Auflösung übergeht, was dadurch geschieht, daß die Glieder einer Familie
zu selbständigen Personen werden, umso mehr tritt auch das Gesetz um die
Stelle der Liebe; je mehr dagegen die Familie in ihrer Einheit ruht, desto
weiter ist sie vom Gesetz. Ihre Wahrheit besteht in der Einigkeit.

Aus diesen Sätzen ergiebt sich von selbst die Stellung, die Hegel der Frau
anweist, deren Leben und Wirken sich in der Einheit der Familie abspinnt und
nichts mit der Leitung des Staates und der öffentlichen Geschäfte zu thun
hat. Frauenemanzipation als ein Heraustreten der Frau aus den Grenzen
des Hauses und eine Teilnahme an den öffentlichen Geschäften war für Hegel
nicht nur ein Greuel, sondern auch ein Unsinn, ein Verstoß gegen die Vernunft.
Vorschläge, wie den unsrer fortschrittlichen Politiker diesseits und jenseits des
Wassers, ältern oder jünger" Damen das Wahlrecht zu geben, oder auch uur
sich als Studenten aufspielen zu lassen, oder gar Versuche von Frauenhänden,
die Staatsmaschine regieren zu wollen, würde Hegel als ganz unstatthaft und
weil mit dem Wesen der Frau nicht verträglich, darum unvernünftig, zurück¬
gewiesen haben.

Es fragt sich null weiter: Welches sind die "die Totalität der Familie
konstitilirenden Momente/' d. h. was gehört zur Bildung der Familie, nach
welchen Seiten hin vollendet sie sich? Als solche die Familie vollendende Seiten,
wie Hegel es nennt, "Momente," giebt er drei an; sie vollendet sich in der Ehe,
in dem Gut der Familie, in der Erziehung der Kinder.

Die Ehe ist die natürlich-geistige Einheit zweier Personen verschiednen
Geschlechts. Mit dieser Bestimmung ist ausgesagt, daß in der Ehe das "bloß
Natürliche" in ein Geistiges, Bewnßtes, sittliches umgewandelt wird. Die
Ehe ist darum wesentlich ein sittliches Verhältnis. Sie ist nicht bloß in die
Liebe zu setzen als zufällige Neigung, sondern in die sittliche Liebe, "die zu¬
gleich das Moment des Rechts in sich aufgenommen," das Recht als Bestand¬
teil in sich hat, wodurch die Ehe ein "Ehestand" und damit von dem "bloß
Subjektiven," d. h. hier von dem Launenhaften der Neigung, befreit wird.
Allerdings, der Ausgangspunkt der Ehe ist subjektiv; zunächst die besondre
Neigung der beiden Personen, oder auch die Veranstaltung der Eltern; Hegel


Hegels Lehre über die Familie

er in seiner Familie nicht Person für sich sein, sondern er weiß sich als
„Mitglied" seiner Familie. In der Einheit der Familie giebt es kein „Für¬
sichsein." Mein wahres Selbstbewußtsein hube ich da vielmehr im Aufgeben
meines Selbst. In der wahren Familie ist die Liebe allein der sie be¬
stimmende Geist.

Wenn nun die Liebe Empfindung, empfundene Einheit ist, so erklärt es
sich, wie im Staate nicht mehr sie das Bestimmende sein kann; denn die Einheit
des Staates ruht nicht mehr in der Empfindung, sondern in der Bernnuft;
das Bestimmende im Staate ist die Einheit des Gesetzes, denn im Gesetze giebt
sich die Vernunft des Staates ihren Ausdruck. Je mehr nun die Familie in
ihre Auflösung übergeht, was dadurch geschieht, daß die Glieder einer Familie
zu selbständigen Personen werden, umso mehr tritt auch das Gesetz um die
Stelle der Liebe; je mehr dagegen die Familie in ihrer Einheit ruht, desto
weiter ist sie vom Gesetz. Ihre Wahrheit besteht in der Einigkeit.

Aus diesen Sätzen ergiebt sich von selbst die Stellung, die Hegel der Frau
anweist, deren Leben und Wirken sich in der Einheit der Familie abspinnt und
nichts mit der Leitung des Staates und der öffentlichen Geschäfte zu thun
hat. Frauenemanzipation als ein Heraustreten der Frau aus den Grenzen
des Hauses und eine Teilnahme an den öffentlichen Geschäften war für Hegel
nicht nur ein Greuel, sondern auch ein Unsinn, ein Verstoß gegen die Vernunft.
Vorschläge, wie den unsrer fortschrittlichen Politiker diesseits und jenseits des
Wassers, ältern oder jünger» Damen das Wahlrecht zu geben, oder auch uur
sich als Studenten aufspielen zu lassen, oder gar Versuche von Frauenhänden,
die Staatsmaschine regieren zu wollen, würde Hegel als ganz unstatthaft und
weil mit dem Wesen der Frau nicht verträglich, darum unvernünftig, zurück¬
gewiesen haben.

Es fragt sich null weiter: Welches sind die „die Totalität der Familie
konstitilirenden Momente/' d. h. was gehört zur Bildung der Familie, nach
welchen Seiten hin vollendet sie sich? Als solche die Familie vollendende Seiten,
wie Hegel es nennt, „Momente," giebt er drei an; sie vollendet sich in der Ehe,
in dem Gut der Familie, in der Erziehung der Kinder.

Die Ehe ist die natürlich-geistige Einheit zweier Personen verschiednen
Geschlechts. Mit dieser Bestimmung ist ausgesagt, daß in der Ehe das „bloß
Natürliche" in ein Geistiges, Bewnßtes, sittliches umgewandelt wird. Die
Ehe ist darum wesentlich ein sittliches Verhältnis. Sie ist nicht bloß in die
Liebe zu setzen als zufällige Neigung, sondern in die sittliche Liebe, „die zu¬
gleich das Moment des Rechts in sich aufgenommen," das Recht als Bestand¬
teil in sich hat, wodurch die Ehe ein „Ehestand" und damit von dem „bloß
Subjektiven," d. h. hier von dem Launenhaften der Neigung, befreit wird.
Allerdings, der Ausgangspunkt der Ehe ist subjektiv; zunächst die besondre
Neigung der beiden Personen, oder auch die Veranstaltung der Eltern; Hegel


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[0405] Hegels Lehre über die Familie er in seiner Familie nicht Person für sich sein, sondern er weiß sich als „Mitglied" seiner Familie. In der Einheit der Familie giebt es kein „Für¬ sichsein." Mein wahres Selbstbewußtsein hube ich da vielmehr im Aufgeben meines Selbst. In der wahren Familie ist die Liebe allein der sie be¬ stimmende Geist. Wenn nun die Liebe Empfindung, empfundene Einheit ist, so erklärt es sich, wie im Staate nicht mehr sie das Bestimmende sein kann; denn die Einheit des Staates ruht nicht mehr in der Empfindung, sondern in der Bernnuft; das Bestimmende im Staate ist die Einheit des Gesetzes, denn im Gesetze giebt sich die Vernunft des Staates ihren Ausdruck. Je mehr nun die Familie in ihre Auflösung übergeht, was dadurch geschieht, daß die Glieder einer Familie zu selbständigen Personen werden, umso mehr tritt auch das Gesetz um die Stelle der Liebe; je mehr dagegen die Familie in ihrer Einheit ruht, desto weiter ist sie vom Gesetz. Ihre Wahrheit besteht in der Einigkeit. Aus diesen Sätzen ergiebt sich von selbst die Stellung, die Hegel der Frau anweist, deren Leben und Wirken sich in der Einheit der Familie abspinnt und nichts mit der Leitung des Staates und der öffentlichen Geschäfte zu thun hat. Frauenemanzipation als ein Heraustreten der Frau aus den Grenzen des Hauses und eine Teilnahme an den öffentlichen Geschäften war für Hegel nicht nur ein Greuel, sondern auch ein Unsinn, ein Verstoß gegen die Vernunft. Vorschläge, wie den unsrer fortschrittlichen Politiker diesseits und jenseits des Wassers, ältern oder jünger» Damen das Wahlrecht zu geben, oder auch uur sich als Studenten aufspielen zu lassen, oder gar Versuche von Frauenhänden, die Staatsmaschine regieren zu wollen, würde Hegel als ganz unstatthaft und weil mit dem Wesen der Frau nicht verträglich, darum unvernünftig, zurück¬ gewiesen haben. Es fragt sich null weiter: Welches sind die „die Totalität der Familie konstitilirenden Momente/' d. h. was gehört zur Bildung der Familie, nach welchen Seiten hin vollendet sie sich? Als solche die Familie vollendende Seiten, wie Hegel es nennt, „Momente," giebt er drei an; sie vollendet sich in der Ehe, in dem Gut der Familie, in der Erziehung der Kinder. Die Ehe ist die natürlich-geistige Einheit zweier Personen verschiednen Geschlechts. Mit dieser Bestimmung ist ausgesagt, daß in der Ehe das „bloß Natürliche" in ein Geistiges, Bewnßtes, sittliches umgewandelt wird. Die Ehe ist darum wesentlich ein sittliches Verhältnis. Sie ist nicht bloß in die Liebe zu setzen als zufällige Neigung, sondern in die sittliche Liebe, „die zu¬ gleich das Moment des Rechts in sich aufgenommen," das Recht als Bestand¬ teil in sich hat, wodurch die Ehe ein „Ehestand" und damit von dem „bloß Subjektiven," d. h. hier von dem Launenhaften der Neigung, befreit wird. Allerdings, der Ausgangspunkt der Ehe ist subjektiv; zunächst die besondre Neigung der beiden Personen, oder auch die Veranstaltung der Eltern; Hegel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/405>, abgerufen am 17.06.2024.