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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hegels Lehre über die Familie

Fall der Trennung der Ehe, sei es durch Tod "der sonstwie. Für solchen
Fall wird dann durch Gesetz oder Bertrag den zur Familie gehörigen ihr
Anteil an dein Gemeinsamen erhalten. Daß aber das Vermögensverhn'tems
einen wesentlichem Zusammenhang habe mit einer noch weitern Blutsverwandt¬
schaft, als mit den in der Familie durch die Ehe verbundenen Personen, daß
etwa, um den Familienglanz, den 8xIönÄor k-urrilws, zu erhalten, nur die
männlichen Mitglieder zur Familie gerechnet werden oder, soweit das Ver¬
mögen in Betracht kommt, in einem besondern, bevorzugten Verhältnis stehen,
entspricht dem sittlichen Wesen der Familie nicht.

Das dritte "Moment," durch das sich die Familie vollendet, ist die
Erziehung der Kinder. Gehört zur Ehe die Einheit, die als ihr natürlich¬
sittlicher Gehalt, als ihre "Substantialität" vorerst Innigkeit, Gesinnung ist
und in beiden Eheleuten gesondert besteht, so tritt im Kinde die Einheit der
beiden Eltern als eine für sich seiende Existenz, als Gegenstand auf, und zwar
als Gegenstand ihrer Liebe. Ihre eigne Liebe wird ihnen im Kinde objektiv.
Die Mutter liebt im Kinde den Gatten, dieser in ihm die Gattin. Sie haben
beide in ihm ihre Liebe vor sich. Ist im Vermögen die Einheit nur in einer
äußerlichen Sache vorhanden, so ist sie es in den Kindern in einem Geistigen,
in dem die Eltern sich lieben und das sie lieben.

Wegen der Einheit mit den Eltern hat das Kind das Recht, aus dem
gemeinsamen Familienvermögen ernährt und erzogen zu werden. Erzogen,
weil der Mensch das, was er sein soll, nicht aus Instinkt wird, sondern es
sich erwerben muß. Das Kind hat also ein Recht, erzogen zu werden. Da¬
gegen haben die Eltern ein Recht auf die Dienste der Kinder. Sie haben
auch ein Recht auf die Willensbestimmung des Kindes. Aber dies wird in
beiderlei Hinsicht durch den Zweck bestimmt, sie in Zucht zu halten und zu
erziehen. Auch die Dienste, die von den Kindern gefordert werden, dürfen
nur den Zweck der Erziehung haben und müssen sich auf sie beziehen; sie
dürfen nicht etwas für sich sein wollen. Das unsittlichste Verhältnis ist das
Sklavenverhältnis der Kinder.

Eine Hauptsache der Erziehung ist die Zucht. Durch sie gilt es, das
bloß Natürliche auszurotten, d. h. den Eigenwillen zu brechen. Wenn im
Staate der Zweck der Bestrcisnng die Erfüllung der Gerechtigkeit ist, d. h.
daß dem Recht genug geschehe, so ist am Kinde die Strafe sittlicher Natur,
nämlich Erhebung des noch im Sinnlichen, im Natürlichem? befangnen Willens
und Bewußtseins zum allgemeinen (allgemein giltigen), zum sittlichen Wollen.
Wo es aber gilt, das Natürliche auszurotten, da muß man nicht meinen,
bloß mit Güte, mit Gründen und Vorstellungen auszukommen. Denn gerade
darin besteht der natürliche Wille, daß er nach Gelüsten, also nach unmittel¬
baren Einfällen handelt, nicht nach Gründen und Vorstellungen- Legt man
den Kindern Gründe vor, so stellt man alles in ihr Belieben; denn man über-


Hegels Lehre über die Familie

Fall der Trennung der Ehe, sei es durch Tod »der sonstwie. Für solchen
Fall wird dann durch Gesetz oder Bertrag den zur Familie gehörigen ihr
Anteil an dein Gemeinsamen erhalten. Daß aber das Vermögensverhn'tems
einen wesentlichem Zusammenhang habe mit einer noch weitern Blutsverwandt¬
schaft, als mit den in der Familie durch die Ehe verbundenen Personen, daß
etwa, um den Familienglanz, den 8xIönÄor k-urrilws, zu erhalten, nur die
männlichen Mitglieder zur Familie gerechnet werden oder, soweit das Ver¬
mögen in Betracht kommt, in einem besondern, bevorzugten Verhältnis stehen,
entspricht dem sittlichen Wesen der Familie nicht.

Das dritte „Moment," durch das sich die Familie vollendet, ist die
Erziehung der Kinder. Gehört zur Ehe die Einheit, die als ihr natürlich¬
sittlicher Gehalt, als ihre „Substantialität" vorerst Innigkeit, Gesinnung ist
und in beiden Eheleuten gesondert besteht, so tritt im Kinde die Einheit der
beiden Eltern als eine für sich seiende Existenz, als Gegenstand auf, und zwar
als Gegenstand ihrer Liebe. Ihre eigne Liebe wird ihnen im Kinde objektiv.
Die Mutter liebt im Kinde den Gatten, dieser in ihm die Gattin. Sie haben
beide in ihm ihre Liebe vor sich. Ist im Vermögen die Einheit nur in einer
äußerlichen Sache vorhanden, so ist sie es in den Kindern in einem Geistigen,
in dem die Eltern sich lieben und das sie lieben.

Wegen der Einheit mit den Eltern hat das Kind das Recht, aus dem
gemeinsamen Familienvermögen ernährt und erzogen zu werden. Erzogen,
weil der Mensch das, was er sein soll, nicht aus Instinkt wird, sondern es
sich erwerben muß. Das Kind hat also ein Recht, erzogen zu werden. Da¬
gegen haben die Eltern ein Recht auf die Dienste der Kinder. Sie haben
auch ein Recht auf die Willensbestimmung des Kindes. Aber dies wird in
beiderlei Hinsicht durch den Zweck bestimmt, sie in Zucht zu halten und zu
erziehen. Auch die Dienste, die von den Kindern gefordert werden, dürfen
nur den Zweck der Erziehung haben und müssen sich auf sie beziehen; sie
dürfen nicht etwas für sich sein wollen. Das unsittlichste Verhältnis ist das
Sklavenverhältnis der Kinder.

Eine Hauptsache der Erziehung ist die Zucht. Durch sie gilt es, das
bloß Natürliche auszurotten, d. h. den Eigenwillen zu brechen. Wenn im
Staate der Zweck der Bestrcisnng die Erfüllung der Gerechtigkeit ist, d. h.
daß dem Recht genug geschehe, so ist am Kinde die Strafe sittlicher Natur,
nämlich Erhebung des noch im Sinnlichen, im Natürlichem? befangnen Willens
und Bewußtseins zum allgemeinen (allgemein giltigen), zum sittlichen Wollen.
Wo es aber gilt, das Natürliche auszurotten, da muß man nicht meinen,
bloß mit Güte, mit Gründen und Vorstellungen auszukommen. Denn gerade
darin besteht der natürliche Wille, daß er nach Gelüsten, also nach unmittel¬
baren Einfällen handelt, nicht nach Gründen und Vorstellungen- Legt man
den Kindern Gründe vor, so stellt man alles in ihr Belieben; denn man über-


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[0410] Hegels Lehre über die Familie Fall der Trennung der Ehe, sei es durch Tod »der sonstwie. Für solchen Fall wird dann durch Gesetz oder Bertrag den zur Familie gehörigen ihr Anteil an dein Gemeinsamen erhalten. Daß aber das Vermögensverhn'tems einen wesentlichem Zusammenhang habe mit einer noch weitern Blutsverwandt¬ schaft, als mit den in der Familie durch die Ehe verbundenen Personen, daß etwa, um den Familienglanz, den 8xIönÄor k-urrilws, zu erhalten, nur die männlichen Mitglieder zur Familie gerechnet werden oder, soweit das Ver¬ mögen in Betracht kommt, in einem besondern, bevorzugten Verhältnis stehen, entspricht dem sittlichen Wesen der Familie nicht. Das dritte „Moment," durch das sich die Familie vollendet, ist die Erziehung der Kinder. Gehört zur Ehe die Einheit, die als ihr natürlich¬ sittlicher Gehalt, als ihre „Substantialität" vorerst Innigkeit, Gesinnung ist und in beiden Eheleuten gesondert besteht, so tritt im Kinde die Einheit der beiden Eltern als eine für sich seiende Existenz, als Gegenstand auf, und zwar als Gegenstand ihrer Liebe. Ihre eigne Liebe wird ihnen im Kinde objektiv. Die Mutter liebt im Kinde den Gatten, dieser in ihm die Gattin. Sie haben beide in ihm ihre Liebe vor sich. Ist im Vermögen die Einheit nur in einer äußerlichen Sache vorhanden, so ist sie es in den Kindern in einem Geistigen, in dem die Eltern sich lieben und das sie lieben. Wegen der Einheit mit den Eltern hat das Kind das Recht, aus dem gemeinsamen Familienvermögen ernährt und erzogen zu werden. Erzogen, weil der Mensch das, was er sein soll, nicht aus Instinkt wird, sondern es sich erwerben muß. Das Kind hat also ein Recht, erzogen zu werden. Da¬ gegen haben die Eltern ein Recht auf die Dienste der Kinder. Sie haben auch ein Recht auf die Willensbestimmung des Kindes. Aber dies wird in beiderlei Hinsicht durch den Zweck bestimmt, sie in Zucht zu halten und zu erziehen. Auch die Dienste, die von den Kindern gefordert werden, dürfen nur den Zweck der Erziehung haben und müssen sich auf sie beziehen; sie dürfen nicht etwas für sich sein wollen. Das unsittlichste Verhältnis ist das Sklavenverhältnis der Kinder. Eine Hauptsache der Erziehung ist die Zucht. Durch sie gilt es, das bloß Natürliche auszurotten, d. h. den Eigenwillen zu brechen. Wenn im Staate der Zweck der Bestrcisnng die Erfüllung der Gerechtigkeit ist, d. h. daß dem Recht genug geschehe, so ist am Kinde die Strafe sittlicher Natur, nämlich Erhebung des noch im Sinnlichen, im Natürlichem? befangnen Willens und Bewußtseins zum allgemeinen (allgemein giltigen), zum sittlichen Wollen. Wo es aber gilt, das Natürliche auszurotten, da muß man nicht meinen, bloß mit Güte, mit Gründen und Vorstellungen auszukommen. Denn gerade darin besteht der natürliche Wille, daß er nach Gelüsten, also nach unmittel¬ baren Einfällen handelt, nicht nach Gründen und Vorstellungen- Legt man den Kindern Gründe vor, so stellt man alles in ihr Belieben; denn man über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/410>, abgerufen am 16.06.2024.