Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Römische Frühlingsbilder

Hans- oder Wagengemeinschaft, ein zufälliges Nebeueinanderstehen als eine
Verrichtung, sich ihrer dürftigen Auschauungs- und Urteilsweise unterzuordnen.
Ein unter den Deutschen in Rom vielverbreitetes Scherzgedicht, eine Parodie
der Schillerschell Glocke, "Das Lied vom Forestiere," spottet der großen Zahl
unsrer Landsleute, die wahllos und mit konventionellen Enthusiasmus in Rom
alles bewundern, was ihnen gezeigt wird, die sich im Entzücken über Gebäude
und Fresken, römische Landschaften und römische Volkstrachten nicht geung
thun können. Das Gedicht muß entschieden aus harmloseren Zeiten stammen.
Hie und da bin ich einigen autvritätsgläubigen Personen des Gepräges be¬
gegnet, das im "Lied vom Forestiere" lustig verspottet wird, im allgemeinen
sind die gegenwärtigen Bädekerreisenden vom Autoritätsglauben gründlich frei.
Redensarten wie die, daß Michel Angelos Bauten auf dem Kapitol eigentlich
aller Großartigkeit entbehrten, und daß der gefeierte Rafael im Gründe nichts
Rechtes gekvimt habe, kann man aus dem Munde deutscher Romfahrer alle
Tage hören.

Natürlich kommt es nicht immer so grob und wird gelegentlich spaßhaft,
obschon unsre verehrlichen Landsleute sich selten zu der Kunst der unfreiwilligen
Komik aufschwingen. Nicht alle Tage erlebt man so hübsche Geschichten, wie
die, die uns ein englischer Hofmeister zum Besten gab, mit dem und dessen
Zöglingen wir gemeinsam auf dem Rasen des Monte Testaecio standen lind
in die Campagna hinausschauten Trocknen Tones unterrichtete der Führer
seine Zöglinge über einzelne Punkte der Aussicht und sagte endlich auf das
Grabmal der Cüeilia Metella deutend, das im Lichte der Ostersonne sehr
deutlich aus der hellgrünen Umgebung der Via Appia aufglänzte: UM is
tue, tonrv ot' Nistrsss NötsIIa! Ur", Nötella? fragte einer der Zöglinge, dem
das Prädikat auf die römische Matrone nicht recht anwendbar scheinen mochte,
im Zweifelstone zurück. ?Sö, fus og." umrriöä! versetzte der unerschütterliche
Lehrer und ging zum Zirkus des Maxentius über. Da hatten wir denn eine
jener hübschen Geschichten, die die Reisestimmung frisch halten. Doch geschieht
es selten, daß die Gemüts- und Urteilssicherheit auch unsrer Reichsgenvssen
sich humoristisch auffassen läßt. Beim Besuche der alten, prachtvoll -- allzu
Prachtvoll -- erneuerten Kirche von San Paolo fuori le Mura siel uns einer
unsrer Mitgüste aus "Albergo Haßler" in die Augen, ein schwärzlicher Herr
aus Berlin, den wir schon ein paar Abende an der Tafel nur zu gut ver¬
nommen hatten, und der heute einigen Begleitern und Begleiterinnen die
Schönheiten des Tempels eifrig zu demonstriren schien. Bei Tische gab er
dann als seine Überzeugung zum Besten, daß die römischen Kirchen, den großen
Se. Peter eingeschlossen, das Ansehen nicht wert seien. "Aber San Paolo -- das
ist etwas andres -- das ist fein -- sehr fein -- wahrhaft elegant, durchaus
mein Geschmack -- der Besuch entschieden zu empfehlen!" Natürlich waren
es nicht die unverwüstlichen Schönheiten der uralten Basilika, die Macht der


Römische Frühlingsbilder

Hans- oder Wagengemeinschaft, ein zufälliges Nebeueinanderstehen als eine
Verrichtung, sich ihrer dürftigen Auschauungs- und Urteilsweise unterzuordnen.
Ein unter den Deutschen in Rom vielverbreitetes Scherzgedicht, eine Parodie
der Schillerschell Glocke, „Das Lied vom Forestiere," spottet der großen Zahl
unsrer Landsleute, die wahllos und mit konventionellen Enthusiasmus in Rom
alles bewundern, was ihnen gezeigt wird, die sich im Entzücken über Gebäude
und Fresken, römische Landschaften und römische Volkstrachten nicht geung
thun können. Das Gedicht muß entschieden aus harmloseren Zeiten stammen.
Hie und da bin ich einigen autvritätsgläubigen Personen des Gepräges be¬
gegnet, das im „Lied vom Forestiere" lustig verspottet wird, im allgemeinen
sind die gegenwärtigen Bädekerreisenden vom Autoritätsglauben gründlich frei.
Redensarten wie die, daß Michel Angelos Bauten auf dem Kapitol eigentlich
aller Großartigkeit entbehrten, und daß der gefeierte Rafael im Gründe nichts
Rechtes gekvimt habe, kann man aus dem Munde deutscher Romfahrer alle
Tage hören.

Natürlich kommt es nicht immer so grob und wird gelegentlich spaßhaft,
obschon unsre verehrlichen Landsleute sich selten zu der Kunst der unfreiwilligen
Komik aufschwingen. Nicht alle Tage erlebt man so hübsche Geschichten, wie
die, die uns ein englischer Hofmeister zum Besten gab, mit dem und dessen
Zöglingen wir gemeinsam auf dem Rasen des Monte Testaecio standen lind
in die Campagna hinausschauten Trocknen Tones unterrichtete der Führer
seine Zöglinge über einzelne Punkte der Aussicht und sagte endlich auf das
Grabmal der Cüeilia Metella deutend, das im Lichte der Ostersonne sehr
deutlich aus der hellgrünen Umgebung der Via Appia aufglänzte: UM is
tue, tonrv ot' Nistrsss NötsIIa! Ur«, Nötella? fragte einer der Zöglinge, dem
das Prädikat auf die römische Matrone nicht recht anwendbar scheinen mochte,
im Zweifelstone zurück. ?Sö, fus og.« umrriöä! versetzte der unerschütterliche
Lehrer und ging zum Zirkus des Maxentius über. Da hatten wir denn eine
jener hübschen Geschichten, die die Reisestimmung frisch halten. Doch geschieht
es selten, daß die Gemüts- und Urteilssicherheit auch unsrer Reichsgenvssen
sich humoristisch auffassen läßt. Beim Besuche der alten, prachtvoll — allzu
Prachtvoll — erneuerten Kirche von San Paolo fuori le Mura siel uns einer
unsrer Mitgüste aus „Albergo Haßler" in die Augen, ein schwärzlicher Herr
aus Berlin, den wir schon ein paar Abende an der Tafel nur zu gut ver¬
nommen hatten, und der heute einigen Begleitern und Begleiterinnen die
Schönheiten des Tempels eifrig zu demonstriren schien. Bei Tische gab er
dann als seine Überzeugung zum Besten, daß die römischen Kirchen, den großen
Se. Peter eingeschlossen, das Ansehen nicht wert seien. „Aber San Paolo — das
ist etwas andres — das ist fein — sehr fein — wahrhaft elegant, durchaus
mein Geschmack — der Besuch entschieden zu empfehlen!" Natürlich waren
es nicht die unverwüstlichen Schönheiten der uralten Basilika, die Macht der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208366"/>
          <fw type="header" place="top"> Römische Frühlingsbilder</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1324" prev="#ID_1323"> Hans- oder Wagengemeinschaft, ein zufälliges Nebeueinanderstehen als eine<lb/>
Verrichtung, sich ihrer dürftigen Auschauungs- und Urteilsweise unterzuordnen.<lb/>
Ein unter den Deutschen in Rom vielverbreitetes Scherzgedicht, eine Parodie<lb/>
der Schillerschell Glocke, &#x201E;Das Lied vom Forestiere," spottet der großen Zahl<lb/>
unsrer Landsleute, die wahllos und mit konventionellen Enthusiasmus in Rom<lb/>
alles bewundern, was ihnen gezeigt wird, die sich im Entzücken über Gebäude<lb/>
und Fresken, römische Landschaften und römische Volkstrachten nicht geung<lb/>
thun können. Das Gedicht muß entschieden aus harmloseren Zeiten stammen.<lb/>
Hie und da bin ich einigen autvritätsgläubigen Personen des Gepräges be¬<lb/>
gegnet, das im &#x201E;Lied vom Forestiere" lustig verspottet wird, im allgemeinen<lb/>
sind die gegenwärtigen Bädekerreisenden vom Autoritätsglauben gründlich frei.<lb/>
Redensarten wie die, daß Michel Angelos Bauten auf dem Kapitol eigentlich<lb/>
aller Großartigkeit entbehrten, und daß der gefeierte Rafael im Gründe nichts<lb/>
Rechtes gekvimt habe, kann man aus dem Munde deutscher Romfahrer alle<lb/>
Tage hören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1325" next="#ID_1326"> Natürlich kommt es nicht immer so grob und wird gelegentlich spaßhaft,<lb/>
obschon unsre verehrlichen Landsleute sich selten zu der Kunst der unfreiwilligen<lb/>
Komik aufschwingen. Nicht alle Tage erlebt man so hübsche Geschichten, wie<lb/>
die, die uns ein englischer Hofmeister zum Besten gab, mit dem und dessen<lb/>
Zöglingen wir gemeinsam auf dem Rasen des Monte Testaecio standen lind<lb/>
in die Campagna hinausschauten Trocknen Tones unterrichtete der Führer<lb/>
seine Zöglinge über einzelne Punkte der Aussicht und sagte endlich auf das<lb/>
Grabmal der Cüeilia Metella deutend, das im Lichte der Ostersonne sehr<lb/>
deutlich aus der hellgrünen Umgebung der Via Appia aufglänzte: UM is<lb/>
tue, tonrv ot' Nistrsss NötsIIa! Ur«, Nötella? fragte einer der Zöglinge, dem<lb/>
das Prädikat auf die römische Matrone nicht recht anwendbar scheinen mochte,<lb/>
im Zweifelstone zurück. ?Sö, fus og.« umrriöä! versetzte der unerschütterliche<lb/>
Lehrer und ging zum Zirkus des Maxentius über. Da hatten wir denn eine<lb/>
jener hübschen Geschichten, die die Reisestimmung frisch halten. Doch geschieht<lb/>
es selten, daß die Gemüts- und Urteilssicherheit auch unsrer Reichsgenvssen<lb/>
sich humoristisch auffassen läßt. Beim Besuche der alten, prachtvoll &#x2014; allzu<lb/>
Prachtvoll &#x2014; erneuerten Kirche von San Paolo fuori le Mura siel uns einer<lb/>
unsrer Mitgüste aus &#x201E;Albergo Haßler" in die Augen, ein schwärzlicher Herr<lb/>
aus Berlin, den wir schon ein paar Abende an der Tafel nur zu gut ver¬<lb/>
nommen hatten, und der heute einigen Begleitern und Begleiterinnen die<lb/>
Schönheiten des Tempels eifrig zu demonstriren schien. Bei Tische gab er<lb/>
dann als seine Überzeugung zum Besten, daß die römischen Kirchen, den großen<lb/>
Se. Peter eingeschlossen, das Ansehen nicht wert seien. &#x201E;Aber San Paolo &#x2014; das<lb/>
ist etwas andres &#x2014; das ist fein &#x2014; sehr fein &#x2014; wahrhaft elegant, durchaus<lb/>
mein Geschmack &#x2014; der Besuch entschieden zu empfehlen!" Natürlich waren<lb/>
es nicht die unverwüstlichen Schönheiten der uralten Basilika, die Macht der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Römische Frühlingsbilder Hans- oder Wagengemeinschaft, ein zufälliges Nebeueinanderstehen als eine Verrichtung, sich ihrer dürftigen Auschauungs- und Urteilsweise unterzuordnen. Ein unter den Deutschen in Rom vielverbreitetes Scherzgedicht, eine Parodie der Schillerschell Glocke, „Das Lied vom Forestiere," spottet der großen Zahl unsrer Landsleute, die wahllos und mit konventionellen Enthusiasmus in Rom alles bewundern, was ihnen gezeigt wird, die sich im Entzücken über Gebäude und Fresken, römische Landschaften und römische Volkstrachten nicht geung thun können. Das Gedicht muß entschieden aus harmloseren Zeiten stammen. Hie und da bin ich einigen autvritätsgläubigen Personen des Gepräges be¬ gegnet, das im „Lied vom Forestiere" lustig verspottet wird, im allgemeinen sind die gegenwärtigen Bädekerreisenden vom Autoritätsglauben gründlich frei. Redensarten wie die, daß Michel Angelos Bauten auf dem Kapitol eigentlich aller Großartigkeit entbehrten, und daß der gefeierte Rafael im Gründe nichts Rechtes gekvimt habe, kann man aus dem Munde deutscher Romfahrer alle Tage hören. Natürlich kommt es nicht immer so grob und wird gelegentlich spaßhaft, obschon unsre verehrlichen Landsleute sich selten zu der Kunst der unfreiwilligen Komik aufschwingen. Nicht alle Tage erlebt man so hübsche Geschichten, wie die, die uns ein englischer Hofmeister zum Besten gab, mit dem und dessen Zöglingen wir gemeinsam auf dem Rasen des Monte Testaecio standen lind in die Campagna hinausschauten Trocknen Tones unterrichtete der Führer seine Zöglinge über einzelne Punkte der Aussicht und sagte endlich auf das Grabmal der Cüeilia Metella deutend, das im Lichte der Ostersonne sehr deutlich aus der hellgrünen Umgebung der Via Appia aufglänzte: UM is tue, tonrv ot' Nistrsss NötsIIa! Ur«, Nötella? fragte einer der Zöglinge, dem das Prädikat auf die römische Matrone nicht recht anwendbar scheinen mochte, im Zweifelstone zurück. ?Sö, fus og.« umrriöä! versetzte der unerschütterliche Lehrer und ging zum Zirkus des Maxentius über. Da hatten wir denn eine jener hübschen Geschichten, die die Reisestimmung frisch halten. Doch geschieht es selten, daß die Gemüts- und Urteilssicherheit auch unsrer Reichsgenvssen sich humoristisch auffassen läßt. Beim Besuche der alten, prachtvoll — allzu Prachtvoll — erneuerten Kirche von San Paolo fuori le Mura siel uns einer unsrer Mitgüste aus „Albergo Haßler" in die Augen, ein schwärzlicher Herr aus Berlin, den wir schon ein paar Abende an der Tafel nur zu gut ver¬ nommen hatten, und der heute einigen Begleitern und Begleiterinnen die Schönheiten des Tempels eifrig zu demonstriren schien. Bei Tische gab er dann als seine Überzeugung zum Besten, daß die römischen Kirchen, den großen Se. Peter eingeschlossen, das Ansehen nicht wert seien. „Aber San Paolo — das ist etwas andres — das ist fein — sehr fein — wahrhaft elegant, durchaus mein Geschmack — der Besuch entschieden zu empfehlen!" Natürlich waren es nicht die unverwüstlichen Schönheiten der uralten Basilika, die Macht der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/429>, abgerufen am 06.06.2024.