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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Säulenstellung, die ihn entzückt hatten, sondern der ballsaalmäßige, spiegel¬
glatte Marmorfnßboden, die kassettirte Decke, die überglänzende Gold- und
Farbenpracht, die er "fein" und "elegant" nannte. Gerade das, was ab¬
stoßend oder störend an dem großen Bau wirkt, mochte ihn an Vorhalle und
Salon irgend eines modernen Bankfürsten erinnert haben und seinem Geschmack
entsprechen. Dergleichen erlebt man täglich, und auch wer das Glück hat, im
Kreise wirklich genießender und warmfühlender Menschen Aufnahme zu finden,
entrinnt dem Unheil der Vüdekerrcisenden nicht. Übrigens braucht man nur
ein Paar Wochen vor Ostern zu kommen oder ein paar Wochen nach Ostern
zu bleiben, um dem reißenden Strom jener Landsleute auszuweichen, die nur
die Mode und die leidige Sucht nach Rom treibt über alles als Augenzeugen
mitreden zu können.

Eine eigentümliche Abart der Bädekcrreisenden sind die, die in Rom wie
in ganz Italien nnr "Volksleben" suchen und sich für die wunderlichsten Ver¬
zerrungen dieses Lebens, die nur um der Fremden willen existiren, mit großem
Eifer erwärmen. Sie haben allerhand Adressen von versteckten, rüuchrigen
Lokalen in der Tasche, in denen sie eine Heysische Novelle zu erleben hoffen,
sie lassen sich vom schlechtesten Mandolinenspieler die Ohren zerreißen und
beachten und studiren mit Vorliebe die malerischen und unmalerischen Bettler,
deren es auch im königlichen Rom eine nur zu große Zahl giebt. Sie haben
große Sehnsucht, nationale Opern und Ballette zu sehen, lassen sich aber ruhig
die jämmerlichsten Operetten, Pariser Abhub, in gewissen Vorstadttheatern
vorspielen und vvrkreischeu. Sie kaufen in den Trvdelläden allerhand Ge-
rümpel, das zum guten Teil vor wenigen Wochen neu vom Schreiner, Schlosser
oder Töpfer gekommen, künstlich gebräunt, geschwärzt und verdorben worden
ist. Sie knüpfen zarte Verhältnisse mit den Blumenmädchen im Korso und
an der spanischen Treppe an und opfern täglich ein paar Svldi, um dafür
halbwelke Rosen und Stiefmütterchen einzutauschen. Sie trinken die heißen
toskanischen und römischen Landweine mit einer Ausdauer, daß ihnen die Köpfe
glühen. Sie trachten nach Naivität und sind so wenig naiv, daß sie an den
hübschesten und erquicklichsten Erscheinungen des römischen Volkslebens achtlos
und gleichgiltig vorübergehen. In der Kunst bevorzugen sie die Veduten und
Modellfiguren, von denen die römischen Fremdenmaler seit Jahrzehnten gelebt
haben und zur Zeit noch leben. Soviel sich im Vorbeigehen wahrnehmen
ließ, rekrutireu sich die Bädekerreisenden dieses Schlages hauptsächlich aus alten
Herren, und so scheint die Gefahr ihres Aussterbens vorhanden. So wenig
sie von Rom haben, so beglückt kehren sie heim und da sie unzweifelhaft
liebenswürdiger und gutmütiger siud, als das Heer der rüsonnirenden Reisenden,
die binnen drei Tagen Rom in- und auswendig zu kennen vermeinen und von
oben herunter so siegesgewiß als albern urteilen, so ist das in gewissem Sinne
bedauerlich, aber unvermeidlich.


Säulenstellung, die ihn entzückt hatten, sondern der ballsaalmäßige, spiegel¬
glatte Marmorfnßboden, die kassettirte Decke, die überglänzende Gold- und
Farbenpracht, die er „fein" und „elegant" nannte. Gerade das, was ab¬
stoßend oder störend an dem großen Bau wirkt, mochte ihn an Vorhalle und
Salon irgend eines modernen Bankfürsten erinnert haben und seinem Geschmack
entsprechen. Dergleichen erlebt man täglich, und auch wer das Glück hat, im
Kreise wirklich genießender und warmfühlender Menschen Aufnahme zu finden,
entrinnt dem Unheil der Vüdekerrcisenden nicht. Übrigens braucht man nur
ein Paar Wochen vor Ostern zu kommen oder ein paar Wochen nach Ostern
zu bleiben, um dem reißenden Strom jener Landsleute auszuweichen, die nur
die Mode und die leidige Sucht nach Rom treibt über alles als Augenzeugen
mitreden zu können.

Eine eigentümliche Abart der Bädekcrreisenden sind die, die in Rom wie
in ganz Italien nnr „Volksleben" suchen und sich für die wunderlichsten Ver¬
zerrungen dieses Lebens, die nur um der Fremden willen existiren, mit großem
Eifer erwärmen. Sie haben allerhand Adressen von versteckten, rüuchrigen
Lokalen in der Tasche, in denen sie eine Heysische Novelle zu erleben hoffen,
sie lassen sich vom schlechtesten Mandolinenspieler die Ohren zerreißen und
beachten und studiren mit Vorliebe die malerischen und unmalerischen Bettler,
deren es auch im königlichen Rom eine nur zu große Zahl giebt. Sie haben
große Sehnsucht, nationale Opern und Ballette zu sehen, lassen sich aber ruhig
die jämmerlichsten Operetten, Pariser Abhub, in gewissen Vorstadttheatern
vorspielen und vvrkreischeu. Sie kaufen in den Trvdelläden allerhand Ge-
rümpel, das zum guten Teil vor wenigen Wochen neu vom Schreiner, Schlosser
oder Töpfer gekommen, künstlich gebräunt, geschwärzt und verdorben worden
ist. Sie knüpfen zarte Verhältnisse mit den Blumenmädchen im Korso und
an der spanischen Treppe an und opfern täglich ein paar Svldi, um dafür
halbwelke Rosen und Stiefmütterchen einzutauschen. Sie trinken die heißen
toskanischen und römischen Landweine mit einer Ausdauer, daß ihnen die Köpfe
glühen. Sie trachten nach Naivität und sind so wenig naiv, daß sie an den
hübschesten und erquicklichsten Erscheinungen des römischen Volkslebens achtlos
und gleichgiltig vorübergehen. In der Kunst bevorzugen sie die Veduten und
Modellfiguren, von denen die römischen Fremdenmaler seit Jahrzehnten gelebt
haben und zur Zeit noch leben. Soviel sich im Vorbeigehen wahrnehmen
ließ, rekrutireu sich die Bädekerreisenden dieses Schlages hauptsächlich aus alten
Herren, und so scheint die Gefahr ihres Aussterbens vorhanden. So wenig
sie von Rom haben, so beglückt kehren sie heim und da sie unzweifelhaft
liebenswürdiger und gutmütiger siud, als das Heer der rüsonnirenden Reisenden,
die binnen drei Tagen Rom in- und auswendig zu kennen vermeinen und von
oben herunter so siegesgewiß als albern urteilen, so ist das in gewissem Sinne
bedauerlich, aber unvermeidlich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/430>, abgerufen am 13.05.2024.