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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Das Preßtreiben der letzten Zeit

Partei auf einen der höchsten Verwaltungsposten gestellt. Auch als nach den
Wahlen und noch unter der Kanzlerschaft des Fürsten Bismarck sich im Reichs¬
tage die Parteiverhältnisse vollkommen verschoben hatten und von einer klerikal-
konservativen Mehrheit noch mehr zu erlange" war, als die notwendigsten
Bedürfnisse für die Wehrkraft und Sicherheit des Reiches erforderten, als
man es von dieser Seite an Lockungen nicht fehlen ließ, hat der Kaiser fest
und unbeirrt an dem von ihm eingeschlagnen Wege festgehalten. Nach dem
Abgange des Fürsten Bismarck wurde ein dem Haß und der Gunst der Par¬
teien gleich fernstehender, im Krieg und im Frieden nicht nur als General,
sondern auch als tüchtiger Verwaltungsbeamter anerkannter Mann an die
Spitze der Geschäfte im Reich und in Preußen berufen, die frühern Minister
blieben in ihren Ämtern, und als aus Gesundheitsrücksichten das Finanz¬
ministerium frei wurde, erhielt dessen Leitung wiederum ein Führer der
Nationalliberalen, ein Staatsmann, der, aus dem Bürgertum hervorgegangen,
in den Kreisen des Handels und der Industrie seine festesten Wurzeln hatte.

Man sollte nach allen diesen Vorgängen glauben, daß das Bürgertum,
insbesondre auch das ihm zugehörige Großkapital, nicht bloß keinen Grund zur
Klage, sondern daß es im Gegenteil jeden Anlaß hätte, froh zu sein und den
Kaiser wie seine Regierung in ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen. Statt
dessen erleben wir das eigentümliche Schauspiel, daß diejenigen Parteien, die
von dem neuen Regiment noch keine andre Begünstigung erfahren haben, als
daß sie nicht mehr mit dem ewigen Makel der Rcichsfeindschaft belegt werden,
der Negierung eine mehr als wohlwollende Neutralität entgegenbringen, während
die Organe derjenigen Partei, die eine größere Teilnahme an den Geschäften
erhalten hat, als ihr je unter dem Fürsten Bismarck beschieden war, mit immer
wachsender Feindseligkeit, mit offenen und hämischen Angriffen, ja geradezu
mit kühner Verdrehung der Wahrheit und mit Verdächtigungen aller Art der
gegenwärtigen Regierung entgegentreten. Dieser Wandel hat sich nur äußerlich
allmählich vollzogen, die feindselige Gesinnung war von Anfang an vorhanden,
es bot sich nur kein Objekt, sie zu bethätigen. Der Kurs blieb der alte.

Da kam das deutsch-englische Abkommen, und mit staunenerregender
Findigkeit bemächtigte sich die Kölnische und die Münchner Allgemeine Zeitung
der in einzelnen phantastischen Kolonialköpfen schlummernden Unzufriedenheit.
Die letztere ist in diesen Blättern bereits einer vernichtenden Kritik unterzogen
worden, und nach ihren Wirkungen zu urteilen, hat der geführte Hieb gesessen.
Es war vielen besonnenen Elementen rätselhaft, daß so ernste Zeitungen wie
die erwähnten sich zum Mundstück einer Opposition machen konnten, die nur
wegen der ansteckenden Wirkung der Thorheit eine Bedeutung in Anspruch
nahm. Die Art, in der der Angriff geleitet wurde, und die kein Mittel scheute,
zeigte bald, daß es sich um eine Opposition GiMä-mismo handelte. Der
Erfolg, den die Denkschrift des Reichskanzlers in den breitesten Schichten des


Das Preßtreiben der letzten Zeit

Partei auf einen der höchsten Verwaltungsposten gestellt. Auch als nach den
Wahlen und noch unter der Kanzlerschaft des Fürsten Bismarck sich im Reichs¬
tage die Parteiverhältnisse vollkommen verschoben hatten und von einer klerikal-
konservativen Mehrheit noch mehr zu erlange» war, als die notwendigsten
Bedürfnisse für die Wehrkraft und Sicherheit des Reiches erforderten, als
man es von dieser Seite an Lockungen nicht fehlen ließ, hat der Kaiser fest
und unbeirrt an dem von ihm eingeschlagnen Wege festgehalten. Nach dem
Abgange des Fürsten Bismarck wurde ein dem Haß und der Gunst der Par¬
teien gleich fernstehender, im Krieg und im Frieden nicht nur als General,
sondern auch als tüchtiger Verwaltungsbeamter anerkannter Mann an die
Spitze der Geschäfte im Reich und in Preußen berufen, die frühern Minister
blieben in ihren Ämtern, und als aus Gesundheitsrücksichten das Finanz¬
ministerium frei wurde, erhielt dessen Leitung wiederum ein Führer der
Nationalliberalen, ein Staatsmann, der, aus dem Bürgertum hervorgegangen,
in den Kreisen des Handels und der Industrie seine festesten Wurzeln hatte.

Man sollte nach allen diesen Vorgängen glauben, daß das Bürgertum,
insbesondre auch das ihm zugehörige Großkapital, nicht bloß keinen Grund zur
Klage, sondern daß es im Gegenteil jeden Anlaß hätte, froh zu sein und den
Kaiser wie seine Regierung in ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen. Statt
dessen erleben wir das eigentümliche Schauspiel, daß diejenigen Parteien, die
von dem neuen Regiment noch keine andre Begünstigung erfahren haben, als
daß sie nicht mehr mit dem ewigen Makel der Rcichsfeindschaft belegt werden,
der Negierung eine mehr als wohlwollende Neutralität entgegenbringen, während
die Organe derjenigen Partei, die eine größere Teilnahme an den Geschäften
erhalten hat, als ihr je unter dem Fürsten Bismarck beschieden war, mit immer
wachsender Feindseligkeit, mit offenen und hämischen Angriffen, ja geradezu
mit kühner Verdrehung der Wahrheit und mit Verdächtigungen aller Art der
gegenwärtigen Regierung entgegentreten. Dieser Wandel hat sich nur äußerlich
allmählich vollzogen, die feindselige Gesinnung war von Anfang an vorhanden,
es bot sich nur kein Objekt, sie zu bethätigen. Der Kurs blieb der alte.

Da kam das deutsch-englische Abkommen, und mit staunenerregender
Findigkeit bemächtigte sich die Kölnische und die Münchner Allgemeine Zeitung
der in einzelnen phantastischen Kolonialköpfen schlummernden Unzufriedenheit.
Die letztere ist in diesen Blättern bereits einer vernichtenden Kritik unterzogen
worden, und nach ihren Wirkungen zu urteilen, hat der geführte Hieb gesessen.
Es war vielen besonnenen Elementen rätselhaft, daß so ernste Zeitungen wie
die erwähnten sich zum Mundstück einer Opposition machen konnten, die nur
wegen der ansteckenden Wirkung der Thorheit eine Bedeutung in Anspruch
nahm. Die Art, in der der Angriff geleitet wurde, und die kein Mittel scheute,
zeigte bald, daß es sich um eine Opposition GiMä-mismo handelte. Der
Erfolg, den die Denkschrift des Reichskanzlers in den breitesten Schichten des


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[0432] Das Preßtreiben der letzten Zeit Partei auf einen der höchsten Verwaltungsposten gestellt. Auch als nach den Wahlen und noch unter der Kanzlerschaft des Fürsten Bismarck sich im Reichs¬ tage die Parteiverhältnisse vollkommen verschoben hatten und von einer klerikal- konservativen Mehrheit noch mehr zu erlange» war, als die notwendigsten Bedürfnisse für die Wehrkraft und Sicherheit des Reiches erforderten, als man es von dieser Seite an Lockungen nicht fehlen ließ, hat der Kaiser fest und unbeirrt an dem von ihm eingeschlagnen Wege festgehalten. Nach dem Abgange des Fürsten Bismarck wurde ein dem Haß und der Gunst der Par¬ teien gleich fernstehender, im Krieg und im Frieden nicht nur als General, sondern auch als tüchtiger Verwaltungsbeamter anerkannter Mann an die Spitze der Geschäfte im Reich und in Preußen berufen, die frühern Minister blieben in ihren Ämtern, und als aus Gesundheitsrücksichten das Finanz¬ ministerium frei wurde, erhielt dessen Leitung wiederum ein Führer der Nationalliberalen, ein Staatsmann, der, aus dem Bürgertum hervorgegangen, in den Kreisen des Handels und der Industrie seine festesten Wurzeln hatte. Man sollte nach allen diesen Vorgängen glauben, daß das Bürgertum, insbesondre auch das ihm zugehörige Großkapital, nicht bloß keinen Grund zur Klage, sondern daß es im Gegenteil jeden Anlaß hätte, froh zu sein und den Kaiser wie seine Regierung in ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen. Statt dessen erleben wir das eigentümliche Schauspiel, daß diejenigen Parteien, die von dem neuen Regiment noch keine andre Begünstigung erfahren haben, als daß sie nicht mehr mit dem ewigen Makel der Rcichsfeindschaft belegt werden, der Negierung eine mehr als wohlwollende Neutralität entgegenbringen, während die Organe derjenigen Partei, die eine größere Teilnahme an den Geschäften erhalten hat, als ihr je unter dem Fürsten Bismarck beschieden war, mit immer wachsender Feindseligkeit, mit offenen und hämischen Angriffen, ja geradezu mit kühner Verdrehung der Wahrheit und mit Verdächtigungen aller Art der gegenwärtigen Regierung entgegentreten. Dieser Wandel hat sich nur äußerlich allmählich vollzogen, die feindselige Gesinnung war von Anfang an vorhanden, es bot sich nur kein Objekt, sie zu bethätigen. Der Kurs blieb der alte. Da kam das deutsch-englische Abkommen, und mit staunenerregender Findigkeit bemächtigte sich die Kölnische und die Münchner Allgemeine Zeitung der in einzelnen phantastischen Kolonialköpfen schlummernden Unzufriedenheit. Die letztere ist in diesen Blättern bereits einer vernichtenden Kritik unterzogen worden, und nach ihren Wirkungen zu urteilen, hat der geführte Hieb gesessen. Es war vielen besonnenen Elementen rätselhaft, daß so ernste Zeitungen wie die erwähnten sich zum Mundstück einer Opposition machen konnten, die nur wegen der ansteckenden Wirkung der Thorheit eine Bedeutung in Anspruch nahm. Die Art, in der der Angriff geleitet wurde, und die kein Mittel scheute, zeigte bald, daß es sich um eine Opposition GiMä-mismo handelte. Der Erfolg, den die Denkschrift des Reichskanzlers in den breitesten Schichten des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/432>, abgerufen am 13.05.2024.