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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Das Preßtreiben der letzten Zeit

Gesetzes ooulvs gezeigt werden könne. Bekannt ist, daß seine Kollegen
und der Kaiser der von der vorigen Mehrheit des Reichstages beschlossenen
Fassung ihre Zustimmung gegeben haben würden, daß es aber dem Einfluß
des damaligen Reichskanzlers noch gelang, den Kaiser auf seine Seite zu ziehen,
um den Zustand herbeizuführen, den die Kölnische und die Münchner Allgemeine
Zeitung als so gefährlich bezeichnen. Auch aus deu Unterredungen, die Fürst
Bismarck mit den verschiedensten Zeitungsschreibern in jüngster Zeit gehabt
hat, geht klar hervor, daß dies sein Ziel war, ja daß er noch eine Verschär¬
fung des Gesetzes und an Stelle der Ausweisung die Verbannung setzen will.
Klar aber ist auch, daß weder eine solche Verschärfung noch auch die Fassung
des vorigen Reichstages irgend eine Aussicht auf Annahme des gegenwärtigen
hat. Wäre Fürst Bismarck heute noch Kanzler, so würde er höchstens das
Gesetz vorgelegt haben in der sichern Erwartung, daß es abgelehnt würde; er
hätte sich nach seiner Meinung darüber eine Quittung erteilen lassen, ein bei
andrer Gelegenheit vielfach von ihm angewandtes Verfahre,?. Thatsächlich ist
also auch bezüglich des Sozialistengesetzes der Kurs der alte geblieben; der
gegenwärtige Reichskanzler hat nichts andres thun können, als die Erbschaft
des Fürsten Bismarck antreten, und die Lage wäre um kein Haar anders, wenn
Fürst Bismarck heute noch Reichskanzler wäre. Denn daß eine Ablehnung
des Sozialisteugesetzes und eine Auflösung des Reichstages die Zusammensetzung
des Reichstages geändert haben würden, wird man auch in Köln und München,
wenn man ehrlich sein will, nicht behaupten. Der Vorwurf, der von dort aus
gegen den General von Caprivi erhoben wird, ist mit Bezug auf das Svzia-
listeugesetz ebenso waschecht, wie mit Bezug auf das deutsch-englische Abkommen.
Er ist nur ein Vorwand, um dem Kaiser und seiner Regierung etwas am
Zeuge zu flicken, und man fragt sich mit Recht nach dem Grunde, deu Blätter
dieser Richtung dazu haben können.

Um ihn zu finden, muß man ein wenig Umschau halten. Ju letzter
Zeit hat auch die Rheinisch-Westfälische Zeitung gegen die kaiserliche Sozial¬
politik Stellung genommen, verschiedne rheinische Großindustrielle haben sich
um dein Geh. Rat Hintzpeter zu reiben gesucht, weil sie ihn für den Urheber
der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar d. I. halten. Nimmt man diese Anzeichen
zusammen, so erhält man ein sehr zutreffendes Bild. Das Großkapital oder
noch besser die Großindustrie macht auf der ganzen Seite mobil gegen die
arbeiterfreundliche Politik des Kaisers; sie kann dies nicht anders thun, als
dadurch, daß sie überall den Kaiser und seine Negierung angreift und jedes
Mittel anwendet, um sie zu beseitigen und den Fürsten Bismarck zu preisen,
weil sie glaubt, damit der gegenwärtigen Regierung zu schaden. Schon mit
der Veröffentlichung der erwähnte" kaiserlichen Erlasse hat sich in diesen
Kreisen Mißstimmung und Unzufriedenheit gezeigt, aber sie trat nicht so sehr
hervor, weil die Verwirklichung der vom Kaiser luudgegebueu Absichten


Das Preßtreiben der letzten Zeit

Gesetzes ooulvs gezeigt werden könne. Bekannt ist, daß seine Kollegen
und der Kaiser der von der vorigen Mehrheit des Reichstages beschlossenen
Fassung ihre Zustimmung gegeben haben würden, daß es aber dem Einfluß
des damaligen Reichskanzlers noch gelang, den Kaiser auf seine Seite zu ziehen,
um den Zustand herbeizuführen, den die Kölnische und die Münchner Allgemeine
Zeitung als so gefährlich bezeichnen. Auch aus deu Unterredungen, die Fürst
Bismarck mit den verschiedensten Zeitungsschreibern in jüngster Zeit gehabt
hat, geht klar hervor, daß dies sein Ziel war, ja daß er noch eine Verschär¬
fung des Gesetzes und an Stelle der Ausweisung die Verbannung setzen will.
Klar aber ist auch, daß weder eine solche Verschärfung noch auch die Fassung
des vorigen Reichstages irgend eine Aussicht auf Annahme des gegenwärtigen
hat. Wäre Fürst Bismarck heute noch Kanzler, so würde er höchstens das
Gesetz vorgelegt haben in der sichern Erwartung, daß es abgelehnt würde; er
hätte sich nach seiner Meinung darüber eine Quittung erteilen lassen, ein bei
andrer Gelegenheit vielfach von ihm angewandtes Verfahre,?. Thatsächlich ist
also auch bezüglich des Sozialistengesetzes der Kurs der alte geblieben; der
gegenwärtige Reichskanzler hat nichts andres thun können, als die Erbschaft
des Fürsten Bismarck antreten, und die Lage wäre um kein Haar anders, wenn
Fürst Bismarck heute noch Reichskanzler wäre. Denn daß eine Ablehnung
des Sozialisteugesetzes und eine Auflösung des Reichstages die Zusammensetzung
des Reichstages geändert haben würden, wird man auch in Köln und München,
wenn man ehrlich sein will, nicht behaupten. Der Vorwurf, der von dort aus
gegen den General von Caprivi erhoben wird, ist mit Bezug auf das Svzia-
listeugesetz ebenso waschecht, wie mit Bezug auf das deutsch-englische Abkommen.
Er ist nur ein Vorwand, um dem Kaiser und seiner Regierung etwas am
Zeuge zu flicken, und man fragt sich mit Recht nach dem Grunde, deu Blätter
dieser Richtung dazu haben können.

Um ihn zu finden, muß man ein wenig Umschau halten. Ju letzter
Zeit hat auch die Rheinisch-Westfälische Zeitung gegen die kaiserliche Sozial¬
politik Stellung genommen, verschiedne rheinische Großindustrielle haben sich
um dein Geh. Rat Hintzpeter zu reiben gesucht, weil sie ihn für den Urheber
der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar d. I. halten. Nimmt man diese Anzeichen
zusammen, so erhält man ein sehr zutreffendes Bild. Das Großkapital oder
noch besser die Großindustrie macht auf der ganzen Seite mobil gegen die
arbeiterfreundliche Politik des Kaisers; sie kann dies nicht anders thun, als
dadurch, daß sie überall den Kaiser und seine Negierung angreift und jedes
Mittel anwendet, um sie zu beseitigen und den Fürsten Bismarck zu preisen,
weil sie glaubt, damit der gegenwärtigen Regierung zu schaden. Schon mit
der Veröffentlichung der erwähnte» kaiserlichen Erlasse hat sich in diesen
Kreisen Mißstimmung und Unzufriedenheit gezeigt, aber sie trat nicht so sehr
hervor, weil die Verwirklichung der vom Kaiser luudgegebueu Absichten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/434>, abgerufen am 17.06.2024.