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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Gütergemeinschaft in der ersten^Lhristengemeinde

Todesstoß zu versetzen. Wir heutzutage steuern denselben Zuständen entgegen,
nur auf viel ausgedehnterem Raume, wie sie sich damals hie und da gezeigt
haben, und die Beschaffenheit der Geister ist bei uns schon längst von der
wüsten Art jeuer Zwickauer Propheten, die Melanchthon mit der Milde seines
Geistes umsonst zu gewinnen versucht hatte. Wer von uns sich überwand, in
den siebziger Jahren sozialdemokratische Versammlungen dann und wann einmal
zu besuchen, dem wird auch wohl noch in seiner Erinnerung manches Bild
von dein oder jenem der starken sozialdemokratischen Geister aufsteigen, der in
Jesus von Ncizareth den ersten Sozinldemokraten und in den ersten Christen
die erste verfolgte sozialdemokratische Gemeinde sah. Nach meiner Erfahrung
gehörten diese Redner -- ich erinnere mich besonders an zwei Schneider --
den Handwerkern an, die ein sitzendes Leben führen. Sie scheinen sich noch
am meisten mit der Bibel zu befassen; daher ihre Berufung auf sie.

Aber wie steht es nun mit den Stellen in der Bibel, auf die alle kommu-
nistischen Bewegungen in der Christenheit von jeher so gerne hinwiesen und
wie steht es insonderheit mit der Giltergemeinschaft in der ersten Christe"-
gemeinte?

Die Apostelgeschichte spricht von der sozialen Einrichtung, die sich die
erste Christengemeinde gegeben hatte, in deu beiden Abschnitten 2, 42 bis 47
und 4, 32 bis 37. Es heißt da in der ersten Stelle, die sich an die Reden
anschließt, die Petrus bei Gelegenheit des Pfingstwnnders vor der Menge
gethan haben soll und in deren Folge bei dreitausend Seelen zur apostolischen
Gemeinde hinzugethan worden wären: diese alle "blieben beständig in der
Apostel Lehre und in der Gemeinschaft, im Brodbrechen und im Gebet. Es
kam auch alle Seelen Furcht an, und geschahen viele Wunder und Zeichen
dnrch die Apostel. Alle aber, die da gläubig waren worden, blieben bei
einander und hatten alle Dinge gemein. Und ihre Güter und Habe verkauften
sie und teilten sie aus Unter alle, je nachdem jedermann not war. Und sie
waren täglich stets bei einander einmütiglich im Tempel und brachen das Brot
hin und her (x"i7 "Ixov, Haus bei Haus, d. h. abwechselnd bald in diesem,
bald in jenem Hause), nahmen teil an der Speise (dem gemeinsamen Mahle)
mit Frohlocken und in Herzenseinfalt, indem sie Gott lobten und Wohlgefallen
fanden bei dem ganzen Volk. Der Herr aber that täglich solche zur Gemeinde
hinzu, die da zum Heil gelangten" (die gläubig geworden waren). Die andre
Stelle 4, 32 ff. schließt sich gleichfalls an eine Rede an, die Petrus vor dein
Volke infolge eines Heilnugswunders an einem Lahmen gehalten haben soll.
Nachdem er und Johannes deshalb vor das Shnedrium zur Verantwortung
gezogen worden (Kap. 3), dort verwarnt und entlassen worden seien, seien sie
zu den Ihrigen gekommen und hätten Gott gelobt und gebetet. "Und als sie
beteten, ward die Stätte, da sie versammelt waren, erschüttert und sie wurden
alle des heiligen Geistes voll und redeten das Wort Gottes mit Freudigkeit."


Die Gütergemeinschaft in der ersten^Lhristengemeinde

Todesstoß zu versetzen. Wir heutzutage steuern denselben Zuständen entgegen,
nur auf viel ausgedehnterem Raume, wie sie sich damals hie und da gezeigt
haben, und die Beschaffenheit der Geister ist bei uns schon längst von der
wüsten Art jeuer Zwickauer Propheten, die Melanchthon mit der Milde seines
Geistes umsonst zu gewinnen versucht hatte. Wer von uns sich überwand, in
den siebziger Jahren sozialdemokratische Versammlungen dann und wann einmal
zu besuchen, dem wird auch wohl noch in seiner Erinnerung manches Bild
von dein oder jenem der starken sozialdemokratischen Geister aufsteigen, der in
Jesus von Ncizareth den ersten Sozinldemokraten und in den ersten Christen
die erste verfolgte sozialdemokratische Gemeinde sah. Nach meiner Erfahrung
gehörten diese Redner — ich erinnere mich besonders an zwei Schneider —
den Handwerkern an, die ein sitzendes Leben führen. Sie scheinen sich noch
am meisten mit der Bibel zu befassen; daher ihre Berufung auf sie.

Aber wie steht es nun mit den Stellen in der Bibel, auf die alle kommu-
nistischen Bewegungen in der Christenheit von jeher so gerne hinwiesen und
wie steht es insonderheit mit der Giltergemeinschaft in der ersten Christe»-
gemeinte?

Die Apostelgeschichte spricht von der sozialen Einrichtung, die sich die
erste Christengemeinde gegeben hatte, in deu beiden Abschnitten 2, 42 bis 47
und 4, 32 bis 37. Es heißt da in der ersten Stelle, die sich an die Reden
anschließt, die Petrus bei Gelegenheit des Pfingstwnnders vor der Menge
gethan haben soll und in deren Folge bei dreitausend Seelen zur apostolischen
Gemeinde hinzugethan worden wären: diese alle „blieben beständig in der
Apostel Lehre und in der Gemeinschaft, im Brodbrechen und im Gebet. Es
kam auch alle Seelen Furcht an, und geschahen viele Wunder und Zeichen
dnrch die Apostel. Alle aber, die da gläubig waren worden, blieben bei
einander und hatten alle Dinge gemein. Und ihre Güter und Habe verkauften
sie und teilten sie aus Unter alle, je nachdem jedermann not war. Und sie
waren täglich stets bei einander einmütiglich im Tempel und brachen das Brot
hin und her (x«i7 »Ixov, Haus bei Haus, d. h. abwechselnd bald in diesem,
bald in jenem Hause), nahmen teil an der Speise (dem gemeinsamen Mahle)
mit Frohlocken und in Herzenseinfalt, indem sie Gott lobten und Wohlgefallen
fanden bei dem ganzen Volk. Der Herr aber that täglich solche zur Gemeinde
hinzu, die da zum Heil gelangten" (die gläubig geworden waren). Die andre
Stelle 4, 32 ff. schließt sich gleichfalls an eine Rede an, die Petrus vor dein
Volke infolge eines Heilnugswunders an einem Lahmen gehalten haben soll.
Nachdem er und Johannes deshalb vor das Shnedrium zur Verantwortung
gezogen worden (Kap. 3), dort verwarnt und entlassen worden seien, seien sie
zu den Ihrigen gekommen und hätten Gott gelobt und gebetet. „Und als sie
beteten, ward die Stätte, da sie versammelt waren, erschüttert und sie wurden
alle des heiligen Geistes voll und redeten das Wort Gottes mit Freudigkeit."


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[0599] Die Gütergemeinschaft in der ersten^Lhristengemeinde Todesstoß zu versetzen. Wir heutzutage steuern denselben Zuständen entgegen, nur auf viel ausgedehnterem Raume, wie sie sich damals hie und da gezeigt haben, und die Beschaffenheit der Geister ist bei uns schon längst von der wüsten Art jeuer Zwickauer Propheten, die Melanchthon mit der Milde seines Geistes umsonst zu gewinnen versucht hatte. Wer von uns sich überwand, in den siebziger Jahren sozialdemokratische Versammlungen dann und wann einmal zu besuchen, dem wird auch wohl noch in seiner Erinnerung manches Bild von dein oder jenem der starken sozialdemokratischen Geister aufsteigen, der in Jesus von Ncizareth den ersten Sozinldemokraten und in den ersten Christen die erste verfolgte sozialdemokratische Gemeinde sah. Nach meiner Erfahrung gehörten diese Redner — ich erinnere mich besonders an zwei Schneider — den Handwerkern an, die ein sitzendes Leben führen. Sie scheinen sich noch am meisten mit der Bibel zu befassen; daher ihre Berufung auf sie. Aber wie steht es nun mit den Stellen in der Bibel, auf die alle kommu- nistischen Bewegungen in der Christenheit von jeher so gerne hinwiesen und wie steht es insonderheit mit der Giltergemeinschaft in der ersten Christe»- gemeinte? Die Apostelgeschichte spricht von der sozialen Einrichtung, die sich die erste Christengemeinde gegeben hatte, in deu beiden Abschnitten 2, 42 bis 47 und 4, 32 bis 37. Es heißt da in der ersten Stelle, die sich an die Reden anschließt, die Petrus bei Gelegenheit des Pfingstwnnders vor der Menge gethan haben soll und in deren Folge bei dreitausend Seelen zur apostolischen Gemeinde hinzugethan worden wären: diese alle „blieben beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft, im Brodbrechen und im Gebet. Es kam auch alle Seelen Furcht an, und geschahen viele Wunder und Zeichen dnrch die Apostel. Alle aber, die da gläubig waren worden, blieben bei einander und hatten alle Dinge gemein. Und ihre Güter und Habe verkauften sie und teilten sie aus Unter alle, je nachdem jedermann not war. Und sie waren täglich stets bei einander einmütiglich im Tempel und brachen das Brot hin und her (x«i7 »Ixov, Haus bei Haus, d. h. abwechselnd bald in diesem, bald in jenem Hause), nahmen teil an der Speise (dem gemeinsamen Mahle) mit Frohlocken und in Herzenseinfalt, indem sie Gott lobten und Wohlgefallen fanden bei dem ganzen Volk. Der Herr aber that täglich solche zur Gemeinde hinzu, die da zum Heil gelangten" (die gläubig geworden waren). Die andre Stelle 4, 32 ff. schließt sich gleichfalls an eine Rede an, die Petrus vor dein Volke infolge eines Heilnugswunders an einem Lahmen gehalten haben soll. Nachdem er und Johannes deshalb vor das Shnedrium zur Verantwortung gezogen worden (Kap. 3), dort verwarnt und entlassen worden seien, seien sie zu den Ihrigen gekommen und hätten Gott gelobt und gebetet. „Und als sie beteten, ward die Stätte, da sie versammelt waren, erschüttert und sie wurden alle des heiligen Geistes voll und redeten das Wort Gottes mit Freudigkeit."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/599>, abgerufen am 13.05.2024.