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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

Hieran schließt sich dann unsre Stelle 4, 32 ff. mit folgender Schilderung
des gesellschaftlichen Zustandes dieser ersten Gemeinde: "Die Menge aber der
Gläubigen war ein Herz und eine Seele, und nicht ein einziger sagte, daß
irgend etwas von seinen Gütern ihm eigen sei, sondern es war ihnen alles
gemein. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auf¬
erstehung des Herrn Jesu, lind das Wohlgefallen (des Volkes) an ihnen allen
war groß. Denn es war auch keiner unter ihnen, der Mangel gehabt hätte;
denn alle, die Besitzer von Grundstücken und Häusern waren, verkauften diese
und brachte" den Erlös des verkaufte!: Gutes und legten das Geld zu deu
Füßen der Apostel, lind es ward ausgeteilt und einem jeglichen gegeben, je
nachdem ihm not war."

Diese beiden Stellen berichten, wie jedermann sieht, ein und dieselbe
Thatsache. Zu erklären ist dieses Vorkommen eines Doppelberichtes über eiu-
nnddiesclbe Sache in einunddemselben Buche daraus, daß der Redaetor
unsers Buches in seinen Quellen, die er so zusammenstellte, wie ers für den
pragmatischen Znscunmenhaug (x"dö^, Luk. 1, 5!) für notwendig hielt, diesen
doppelten Bericht, deu einen in der, den andern in jener Quelle vorfand und
ohne ihn kritisch zu sichten, so aufnehmen zu müssen glaubte, als ob er ver-
schiedne Dinge berichtete, da der Zusammenhang, in dem sich der Bericht
befand, in beiden Stellen verschieden war, wenigstens zu sein schien. Das
kritische Auge, das in unsrer Zeit jeder Geschichtsforscher hat und haben muß,
ging nun einmal jenen Zeiten ab und wurde auch gar nicht verlangt. Ma߬
gebend dagegen waren praktische Interessen, z. B. das apologetische, das Christen¬
tum bei der Loyalität seiner Bekenner als eine für die heidnische Obrigkeit
unschädliche Sache hinzustellen, oder das Interesse, "in den Gestalten der
Vergangenheit erhebende Ideale, in ihren Ereignissen warnende und weisende
Beispiele für die Gegenwart aufzustellen" (Pfleiderer, llrchristentnm, S. 546),
alles Tendenzen, wie sie uns in der Apostelgeschichte mannichfach entgegen¬
treten. Darum hat Chr. Ferd. Vaur Recht, wenn er (Paulus, S. 5) sagt,
daß er in der Apostelgeschichte keine rein objektive, sondern nur eine durch ein
subjektives Juteresse alterirte Darstellung erkennen könne. Damit ist nicht
gesagt, daß dieses praktische Interesse das historische überhaupt ausschließe.
Wo sich beide mit einander vertrugen, da konnte jn die historische Grundlage
beibehalten werden, und wurde dann auch so sehr beibehalten, daß der über¬
lieferte Stoff selbst dann unberührt neben einander gestellt wurde, wenn er
inhaltlich einuuddasselbe schilderte, und ebenso, wenn er sich widersprach.
Wie unkritisch hierbei verfahren wurde, sehen wir nicht bloß aus unsern beiden
Abschnitten, sondern recht deutlich aus der dreimal wiederholten Erzählung
von der Bekehrung des Apostels Paulus, wo einundderselbe Vorgang an
drei verschiednen Stellen ganz verschieden erzählt wird (Apostelgeschichte 9, 3ff.,
22, 0 ff.. 2et, 13 ff.).


Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

Hieran schließt sich dann unsre Stelle 4, 32 ff. mit folgender Schilderung
des gesellschaftlichen Zustandes dieser ersten Gemeinde: „Die Menge aber der
Gläubigen war ein Herz und eine Seele, und nicht ein einziger sagte, daß
irgend etwas von seinen Gütern ihm eigen sei, sondern es war ihnen alles
gemein. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auf¬
erstehung des Herrn Jesu, lind das Wohlgefallen (des Volkes) an ihnen allen
war groß. Denn es war auch keiner unter ihnen, der Mangel gehabt hätte;
denn alle, die Besitzer von Grundstücken und Häusern waren, verkauften diese
und brachte» den Erlös des verkaufte!: Gutes und legten das Geld zu deu
Füßen der Apostel, lind es ward ausgeteilt und einem jeglichen gegeben, je
nachdem ihm not war."

Diese beiden Stellen berichten, wie jedermann sieht, ein und dieselbe
Thatsache. Zu erklären ist dieses Vorkommen eines Doppelberichtes über eiu-
nnddiesclbe Sache in einunddemselben Buche daraus, daß der Redaetor
unsers Buches in seinen Quellen, die er so zusammenstellte, wie ers für den
pragmatischen Znscunmenhaug (x«dö^, Luk. 1, 5!) für notwendig hielt, diesen
doppelten Bericht, deu einen in der, den andern in jener Quelle vorfand und
ohne ihn kritisch zu sichten, so aufnehmen zu müssen glaubte, als ob er ver-
schiedne Dinge berichtete, da der Zusammenhang, in dem sich der Bericht
befand, in beiden Stellen verschieden war, wenigstens zu sein schien. Das
kritische Auge, das in unsrer Zeit jeder Geschichtsforscher hat und haben muß,
ging nun einmal jenen Zeiten ab und wurde auch gar nicht verlangt. Ma߬
gebend dagegen waren praktische Interessen, z. B. das apologetische, das Christen¬
tum bei der Loyalität seiner Bekenner als eine für die heidnische Obrigkeit
unschädliche Sache hinzustellen, oder das Interesse, „in den Gestalten der
Vergangenheit erhebende Ideale, in ihren Ereignissen warnende und weisende
Beispiele für die Gegenwart aufzustellen" (Pfleiderer, llrchristentnm, S. 546),
alles Tendenzen, wie sie uns in der Apostelgeschichte mannichfach entgegen¬
treten. Darum hat Chr. Ferd. Vaur Recht, wenn er (Paulus, S. 5) sagt,
daß er in der Apostelgeschichte keine rein objektive, sondern nur eine durch ein
subjektives Juteresse alterirte Darstellung erkennen könne. Damit ist nicht
gesagt, daß dieses praktische Interesse das historische überhaupt ausschließe.
Wo sich beide mit einander vertrugen, da konnte jn die historische Grundlage
beibehalten werden, und wurde dann auch so sehr beibehalten, daß der über¬
lieferte Stoff selbst dann unberührt neben einander gestellt wurde, wenn er
inhaltlich einuuddasselbe schilderte, und ebenso, wenn er sich widersprach.
Wie unkritisch hierbei verfahren wurde, sehen wir nicht bloß aus unsern beiden
Abschnitten, sondern recht deutlich aus der dreimal wiederholten Erzählung
von der Bekehrung des Apostels Paulus, wo einundderselbe Vorgang an
drei verschiednen Stellen ganz verschieden erzählt wird (Apostelgeschichte 9, 3ff.,
22, 0 ff.. 2et, 13 ff.).


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[0600] Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde Hieran schließt sich dann unsre Stelle 4, 32 ff. mit folgender Schilderung des gesellschaftlichen Zustandes dieser ersten Gemeinde: „Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele, und nicht ein einziger sagte, daß irgend etwas von seinen Gütern ihm eigen sei, sondern es war ihnen alles gemein. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auf¬ erstehung des Herrn Jesu, lind das Wohlgefallen (des Volkes) an ihnen allen war groß. Denn es war auch keiner unter ihnen, der Mangel gehabt hätte; denn alle, die Besitzer von Grundstücken und Häusern waren, verkauften diese und brachte» den Erlös des verkaufte!: Gutes und legten das Geld zu deu Füßen der Apostel, lind es ward ausgeteilt und einem jeglichen gegeben, je nachdem ihm not war." Diese beiden Stellen berichten, wie jedermann sieht, ein und dieselbe Thatsache. Zu erklären ist dieses Vorkommen eines Doppelberichtes über eiu- nnddiesclbe Sache in einunddemselben Buche daraus, daß der Redaetor unsers Buches in seinen Quellen, die er so zusammenstellte, wie ers für den pragmatischen Znscunmenhaug (x«dö^, Luk. 1, 5!) für notwendig hielt, diesen doppelten Bericht, deu einen in der, den andern in jener Quelle vorfand und ohne ihn kritisch zu sichten, so aufnehmen zu müssen glaubte, als ob er ver- schiedne Dinge berichtete, da der Zusammenhang, in dem sich der Bericht befand, in beiden Stellen verschieden war, wenigstens zu sein schien. Das kritische Auge, das in unsrer Zeit jeder Geschichtsforscher hat und haben muß, ging nun einmal jenen Zeiten ab und wurde auch gar nicht verlangt. Ma߬ gebend dagegen waren praktische Interessen, z. B. das apologetische, das Christen¬ tum bei der Loyalität seiner Bekenner als eine für die heidnische Obrigkeit unschädliche Sache hinzustellen, oder das Interesse, „in den Gestalten der Vergangenheit erhebende Ideale, in ihren Ereignissen warnende und weisende Beispiele für die Gegenwart aufzustellen" (Pfleiderer, llrchristentnm, S. 546), alles Tendenzen, wie sie uns in der Apostelgeschichte mannichfach entgegen¬ treten. Darum hat Chr. Ferd. Vaur Recht, wenn er (Paulus, S. 5) sagt, daß er in der Apostelgeschichte keine rein objektive, sondern nur eine durch ein subjektives Juteresse alterirte Darstellung erkennen könne. Damit ist nicht gesagt, daß dieses praktische Interesse das historische überhaupt ausschließe. Wo sich beide mit einander vertrugen, da konnte jn die historische Grundlage beibehalten werden, und wurde dann auch so sehr beibehalten, daß der über¬ lieferte Stoff selbst dann unberührt neben einander gestellt wurde, wenn er inhaltlich einuuddasselbe schilderte, und ebenso, wenn er sich widersprach. Wie unkritisch hierbei verfahren wurde, sehen wir nicht bloß aus unsern beiden Abschnitten, sondern recht deutlich aus der dreimal wiederholten Erzählung von der Bekehrung des Apostels Paulus, wo einundderselbe Vorgang an drei verschiednen Stellen ganz verschieden erzählt wird (Apostelgeschichte 9, 3ff., 22, 0 ff.. 2et, 13 ff.).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/600>, abgerufen am 27.05.2024.