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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Aufgabe der Gegenwart

i'l^ionL8 auch nicht viel helfen. So sieht es aus; das Haus versäumt die
Erziehung der Jugend, und der Schule, die es nachholen soll, wehrt mans.

Dazu kommt noch die Fürsorge des Staates für die jugendlichen Tauge¬
nichtse. Es war gut gemeint, das jugendliche Alter bis zu zwölf Jahren
außerhalb des Strafgesetzbuches zu stelle" und auch weiterhin frei zu geben,
daß eine Verwarnung an Stelle der Bestrafung trete. Aber besser wäre es
gewesen, zu bestrafen, nur die Strafakten nach gewisser Frist zu beseitigen,
während man jetzt eine geschehene Bestrafung einem Menschen in engherziger
Weise sein ganzes Leben lang nachträgt. So kann ein Lümmel unter zwölf
Jahren machen, was er will, wenn er sich nur davor hütet, etwas zu begehen,
das ihn zur Zwangserziehung reif machen würde. Mau Übersicht hierbei
vollständig, daß die entscheidenden Jahre für die Charakterbildung gerade diese
frühern Jahre sind, und daß, wenn einer mit des Staates gütiger Hilfe in
dieser Zeit ein Lump geworden ist, er es wahrscheinlich Zeit seines Lebens
bleiben wird. Man stellt die Frage: Hat der Übertreter die nötige Einsicht
in die Folgen seiner That gehabt? statt dem Patron einen väterlichen Denk¬
zettel zu geben mit der Begründung: Das mußtest du wissen, und du hast es
auch gewußt, einer Begründung, bei der sich einem richtigen Juristen die Haare
sträuben. Da uun doch eine Bestrafung stattfinden soll, hat man sie der
Schule zugeschoben, ohne die Schule zu fragen, ob sie den Auftrag übernehmen
will, und ohne sie zu verpflichten, daß sie ihn übernehmen muß. Was machen
wir in Preußen mit unsern vielen Gesetzen für traurige Stückarbeit!

Trotz alledem ist der erziehende Einfluß der Schule unverkennbar. Man
sieht das deutlich in deu letzten Schulquartalcu vor der Konfirmation, wo
einzelne in der Aussicht auf die bevorstehende goldne Freiheit an der schüt¬
telte zu rütteln anfangen. Mit der Konfirmation tritt nun auch jene goldne
Freiheit ein, in der, was die Schule vielleicht Gutes gethan hat, schnell wieder
zu Grunde geht. Offenbar ist ein junger Mensch von vierzehn bis achtzehn
Jahren nicht imstande, sich selbst zu bestimmen. Bleiben diese Altersjahre ohne
Aufsicht, so muß ja das heranwachsende Geschlecht Schaden leiden. Das
hat man längst erkannt, aber wie helfen? Die erwähnte Lehrerversammlung
hat auch dies erwogen und ist zu dem Schlüsse gekommen, man müsse eine
Art Nebenschule bis zum achtzehnten Jahre einrichten. Das ist ersichtlich eine
undurchführbare Sache. Auch die Mädchen bedürfen der Pflege und Weiter¬
bildung. Jetzt liegt es so, daß zahlreiche Mädchen, wenn sie heiraten, nicht
wissen, wie sie eine Kartoffelsuppe kochen sollen. Vom Haushalten, von spar¬
samen und vernünftigem Wirtschaften haben sie keine Ahnung. Dadurch geht
mancher Haushalt zu Grunde, wird manche Ehe zerrüttet. Die Frau bildet
sich zur Schlumpe aus, der Mann zum Säufer. Mau hat Haushaltungs-
schulen eingerichtet, aber die Wohlthat solcher Schulen wird von Hunderten
von Mädchen einer zu Teil. Auf das Hans kann man sich gar nicht verlassen.


Die Aufgabe der Gegenwart

i'l^ionL8 auch nicht viel helfen. So sieht es aus; das Haus versäumt die
Erziehung der Jugend, und der Schule, die es nachholen soll, wehrt mans.

Dazu kommt noch die Fürsorge des Staates für die jugendlichen Tauge¬
nichtse. Es war gut gemeint, das jugendliche Alter bis zu zwölf Jahren
außerhalb des Strafgesetzbuches zu stelle» und auch weiterhin frei zu geben,
daß eine Verwarnung an Stelle der Bestrafung trete. Aber besser wäre es
gewesen, zu bestrafen, nur die Strafakten nach gewisser Frist zu beseitigen,
während man jetzt eine geschehene Bestrafung einem Menschen in engherziger
Weise sein ganzes Leben lang nachträgt. So kann ein Lümmel unter zwölf
Jahren machen, was er will, wenn er sich nur davor hütet, etwas zu begehen,
das ihn zur Zwangserziehung reif machen würde. Mau Übersicht hierbei
vollständig, daß die entscheidenden Jahre für die Charakterbildung gerade diese
frühern Jahre sind, und daß, wenn einer mit des Staates gütiger Hilfe in
dieser Zeit ein Lump geworden ist, er es wahrscheinlich Zeit seines Lebens
bleiben wird. Man stellt die Frage: Hat der Übertreter die nötige Einsicht
in die Folgen seiner That gehabt? statt dem Patron einen väterlichen Denk¬
zettel zu geben mit der Begründung: Das mußtest du wissen, und du hast es
auch gewußt, einer Begründung, bei der sich einem richtigen Juristen die Haare
sträuben. Da uun doch eine Bestrafung stattfinden soll, hat man sie der
Schule zugeschoben, ohne die Schule zu fragen, ob sie den Auftrag übernehmen
will, und ohne sie zu verpflichten, daß sie ihn übernehmen muß. Was machen
wir in Preußen mit unsern vielen Gesetzen für traurige Stückarbeit!

Trotz alledem ist der erziehende Einfluß der Schule unverkennbar. Man
sieht das deutlich in deu letzten Schulquartalcu vor der Konfirmation, wo
einzelne in der Aussicht auf die bevorstehende goldne Freiheit an der schüt¬
telte zu rütteln anfangen. Mit der Konfirmation tritt nun auch jene goldne
Freiheit ein, in der, was die Schule vielleicht Gutes gethan hat, schnell wieder
zu Grunde geht. Offenbar ist ein junger Mensch von vierzehn bis achtzehn
Jahren nicht imstande, sich selbst zu bestimmen. Bleiben diese Altersjahre ohne
Aufsicht, so muß ja das heranwachsende Geschlecht Schaden leiden. Das
hat man längst erkannt, aber wie helfen? Die erwähnte Lehrerversammlung
hat auch dies erwogen und ist zu dem Schlüsse gekommen, man müsse eine
Art Nebenschule bis zum achtzehnten Jahre einrichten. Das ist ersichtlich eine
undurchführbare Sache. Auch die Mädchen bedürfen der Pflege und Weiter¬
bildung. Jetzt liegt es so, daß zahlreiche Mädchen, wenn sie heiraten, nicht
wissen, wie sie eine Kartoffelsuppe kochen sollen. Vom Haushalten, von spar¬
samen und vernünftigem Wirtschaften haben sie keine Ahnung. Dadurch geht
mancher Haushalt zu Grunde, wird manche Ehe zerrüttet. Die Frau bildet
sich zur Schlumpe aus, der Mann zum Säufer. Mau hat Haushaltungs-
schulen eingerichtet, aber die Wohlthat solcher Schulen wird von Hunderten
von Mädchen einer zu Teil. Auf das Hans kann man sich gar nicht verlassen.


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[0064] Die Aufgabe der Gegenwart i'l^ionL8 auch nicht viel helfen. So sieht es aus; das Haus versäumt die Erziehung der Jugend, und der Schule, die es nachholen soll, wehrt mans. Dazu kommt noch die Fürsorge des Staates für die jugendlichen Tauge¬ nichtse. Es war gut gemeint, das jugendliche Alter bis zu zwölf Jahren außerhalb des Strafgesetzbuches zu stelle» und auch weiterhin frei zu geben, daß eine Verwarnung an Stelle der Bestrafung trete. Aber besser wäre es gewesen, zu bestrafen, nur die Strafakten nach gewisser Frist zu beseitigen, während man jetzt eine geschehene Bestrafung einem Menschen in engherziger Weise sein ganzes Leben lang nachträgt. So kann ein Lümmel unter zwölf Jahren machen, was er will, wenn er sich nur davor hütet, etwas zu begehen, das ihn zur Zwangserziehung reif machen würde. Mau Übersicht hierbei vollständig, daß die entscheidenden Jahre für die Charakterbildung gerade diese frühern Jahre sind, und daß, wenn einer mit des Staates gütiger Hilfe in dieser Zeit ein Lump geworden ist, er es wahrscheinlich Zeit seines Lebens bleiben wird. Man stellt die Frage: Hat der Übertreter die nötige Einsicht in die Folgen seiner That gehabt? statt dem Patron einen väterlichen Denk¬ zettel zu geben mit der Begründung: Das mußtest du wissen, und du hast es auch gewußt, einer Begründung, bei der sich einem richtigen Juristen die Haare sträuben. Da uun doch eine Bestrafung stattfinden soll, hat man sie der Schule zugeschoben, ohne die Schule zu fragen, ob sie den Auftrag übernehmen will, und ohne sie zu verpflichten, daß sie ihn übernehmen muß. Was machen wir in Preußen mit unsern vielen Gesetzen für traurige Stückarbeit! Trotz alledem ist der erziehende Einfluß der Schule unverkennbar. Man sieht das deutlich in deu letzten Schulquartalcu vor der Konfirmation, wo einzelne in der Aussicht auf die bevorstehende goldne Freiheit an der schüt¬ telte zu rütteln anfangen. Mit der Konfirmation tritt nun auch jene goldne Freiheit ein, in der, was die Schule vielleicht Gutes gethan hat, schnell wieder zu Grunde geht. Offenbar ist ein junger Mensch von vierzehn bis achtzehn Jahren nicht imstande, sich selbst zu bestimmen. Bleiben diese Altersjahre ohne Aufsicht, so muß ja das heranwachsende Geschlecht Schaden leiden. Das hat man längst erkannt, aber wie helfen? Die erwähnte Lehrerversammlung hat auch dies erwogen und ist zu dem Schlüsse gekommen, man müsse eine Art Nebenschule bis zum achtzehnten Jahre einrichten. Das ist ersichtlich eine undurchführbare Sache. Auch die Mädchen bedürfen der Pflege und Weiter¬ bildung. Jetzt liegt es so, daß zahlreiche Mädchen, wenn sie heiraten, nicht wissen, wie sie eine Kartoffelsuppe kochen sollen. Vom Haushalten, von spar¬ samen und vernünftigem Wirtschaften haben sie keine Ahnung. Dadurch geht mancher Haushalt zu Grunde, wird manche Ehe zerrüttet. Die Frau bildet sich zur Schlumpe aus, der Mann zum Säufer. Mau hat Haushaltungs- schulen eingerichtet, aber die Wohlthat solcher Schulen wird von Hunderten von Mädchen einer zu Teil. Auf das Hans kann man sich gar nicht verlassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/64>, abgerufen am 12.05.2024.