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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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in Meukes Hnilsi! eingeführt worden. Näher führte sie beide das gemeinschaft¬
liche Wohlgefallen an der Dichtkunst zusammen. Denn auch Meute machte
unter dem Namen Philnnder von der Linde satirische Gedichte. Sie verrieten
zwar wenig poetische Kraft, und Günthers Urteil läßt sich durch Nebenrück-
sichten beeinflussen, wenn er von Menkes Liedern sagt:


Gerak' ich in das Buch bescheidner Schertzgedichte,
So jagt Dcmokrilns den Cato vom Gesichte.

Aber was oft mehr als die eigne Begabung hilft, ist die anregende Art und
das Verständnis. Meute fühlte warm, erkannte offenbar in Günther den
hochbegabten Dichter und suchte auf seinen verwirrten Lebensweg ordnend
einzuwirken. Er führte ihn deshalb der vergessenen Medizin wieder zu, er
veranlaßte ihn noch 1718 ein längeres Gedicht ans den weltbewegenden
Passarowitzer Frieden (1718) zu schreibe", in der Hoffnung, dadurch die
Angen des Dresdener Hofes auf den jungen Dichter zu lenken. Günther
strengte die ganze Vollkraft seines urwüchsigen Talentes an. Wie prachtvoll
anschaulich ist z. V. folgende Strophe, wie unnachahmlich giebt sie die Kriegs¬
lage und die Stimmung der Zeit wieder:


Dort spitzt ein voller Tisch das Ohr
Und horcht, wie Nachbars Haus erzähle;
Hans ißt und schneidet doppelt vor
Und schmiert sich dann und wann die Kehle,
"Da, spricht er, Schwäger, seht nur her,
Als wenn nun dies die Donau wär"
(Hier macht er einen Strich von Biere)
"Da streiften wir, da stund der Feind,
Da ging es schiirscr, als man meint.
Gott Straf! Ihr glaubt mir ohne Schwüre."

Leider hatte diese bedeutendste Leistung Günthers ans seiner Leipziger
Zeit nicht die gewünschte Wirkung. Das Gedicht wurde über einer elenden
Lobhudelei eines gewissen Valentin Pietsch vergessen, und nur das frei ur¬
teilende Deutschland erkannte den Wert, indem es eine Geldsammlung zu Gunsten
des unbemittelten Dichters veranstaltete. Auch der Gedanke Menkes, Günthern
als Hofpoeten an den kurfürstlichen Hof zu bringen, mußte bei dessen hitzigem
Wesen, das zu allein eher als zu einer Zeremonienmeisterstelle paßte, fehl¬
schlagen. Aber erkannt hat Günther in allem, was Meute that, den guten
Willen dieses trefflichen Mannes, von den: er gelegentlich sagt, "er habe mehr
an ihm gethan, als er kaum, wie weit er denke, seinein Lob erwidern kann."
""

Und wie gefiel dem Jüngling erst Leipzig selber, das er oft als "Philuris)
feiert, "wo Kunst und Linden blühn Und Witz und Hofflichkeit die Länder an
sich ziehn!" "Leipzig mustert Ausehn, Wort. Verstand und auch Geberden,



*) M-- Lindr.

in Meukes Hnilsi! eingeführt worden. Näher führte sie beide das gemeinschaft¬
liche Wohlgefallen an der Dichtkunst zusammen. Denn auch Meute machte
unter dem Namen Philnnder von der Linde satirische Gedichte. Sie verrieten
zwar wenig poetische Kraft, und Günthers Urteil läßt sich durch Nebenrück-
sichten beeinflussen, wenn er von Menkes Liedern sagt:


Gerak' ich in das Buch bescheidner Schertzgedichte,
So jagt Dcmokrilns den Cato vom Gesichte.

Aber was oft mehr als die eigne Begabung hilft, ist die anregende Art und
das Verständnis. Meute fühlte warm, erkannte offenbar in Günther den
hochbegabten Dichter und suchte auf seinen verwirrten Lebensweg ordnend
einzuwirken. Er führte ihn deshalb der vergessenen Medizin wieder zu, er
veranlaßte ihn noch 1718 ein längeres Gedicht ans den weltbewegenden
Passarowitzer Frieden (1718) zu schreibe», in der Hoffnung, dadurch die
Angen des Dresdener Hofes auf den jungen Dichter zu lenken. Günther
strengte die ganze Vollkraft seines urwüchsigen Talentes an. Wie prachtvoll
anschaulich ist z. V. folgende Strophe, wie unnachahmlich giebt sie die Kriegs¬
lage und die Stimmung der Zeit wieder:


Dort spitzt ein voller Tisch das Ohr
Und horcht, wie Nachbars Haus erzähle;
Hans ißt und schneidet doppelt vor
Und schmiert sich dann und wann die Kehle,
„Da, spricht er, Schwäger, seht nur her,
Als wenn nun dies die Donau wär"
(Hier macht er einen Strich von Biere)
„Da streiften wir, da stund der Feind,
Da ging es schiirscr, als man meint.
Gott Straf! Ihr glaubt mir ohne Schwüre."

Leider hatte diese bedeutendste Leistung Günthers ans seiner Leipziger
Zeit nicht die gewünschte Wirkung. Das Gedicht wurde über einer elenden
Lobhudelei eines gewissen Valentin Pietsch vergessen, und nur das frei ur¬
teilende Deutschland erkannte den Wert, indem es eine Geldsammlung zu Gunsten
des unbemittelten Dichters veranstaltete. Auch der Gedanke Menkes, Günthern
als Hofpoeten an den kurfürstlichen Hof zu bringen, mußte bei dessen hitzigem
Wesen, das zu allein eher als zu einer Zeremonienmeisterstelle paßte, fehl¬
schlagen. Aber erkannt hat Günther in allem, was Meute that, den guten
Willen dieses trefflichen Mannes, von den: er gelegentlich sagt, „er habe mehr
an ihm gethan, als er kaum, wie weit er denke, seinein Lob erwidern kann."
""

Und wie gefiel dem Jüngling erst Leipzig selber, das er oft als „Philuris)
feiert, „wo Kunst und Linden blühn Und Witz und Hofflichkeit die Länder an
sich ziehn!" „Leipzig mustert Ausehn, Wort. Verstand und auch Geberden,



*) M-- Lindr.
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[0075] in Meukes Hnilsi! eingeführt worden. Näher führte sie beide das gemeinschaft¬ liche Wohlgefallen an der Dichtkunst zusammen. Denn auch Meute machte unter dem Namen Philnnder von der Linde satirische Gedichte. Sie verrieten zwar wenig poetische Kraft, und Günthers Urteil läßt sich durch Nebenrück- sichten beeinflussen, wenn er von Menkes Liedern sagt: Gerak' ich in das Buch bescheidner Schertzgedichte, So jagt Dcmokrilns den Cato vom Gesichte. Aber was oft mehr als die eigne Begabung hilft, ist die anregende Art und das Verständnis. Meute fühlte warm, erkannte offenbar in Günther den hochbegabten Dichter und suchte auf seinen verwirrten Lebensweg ordnend einzuwirken. Er führte ihn deshalb der vergessenen Medizin wieder zu, er veranlaßte ihn noch 1718 ein längeres Gedicht ans den weltbewegenden Passarowitzer Frieden (1718) zu schreibe», in der Hoffnung, dadurch die Angen des Dresdener Hofes auf den jungen Dichter zu lenken. Günther strengte die ganze Vollkraft seines urwüchsigen Talentes an. Wie prachtvoll anschaulich ist z. V. folgende Strophe, wie unnachahmlich giebt sie die Kriegs¬ lage und die Stimmung der Zeit wieder: Dort spitzt ein voller Tisch das Ohr Und horcht, wie Nachbars Haus erzähle; Hans ißt und schneidet doppelt vor Und schmiert sich dann und wann die Kehle, „Da, spricht er, Schwäger, seht nur her, Als wenn nun dies die Donau wär" (Hier macht er einen Strich von Biere) „Da streiften wir, da stund der Feind, Da ging es schiirscr, als man meint. Gott Straf! Ihr glaubt mir ohne Schwüre." Leider hatte diese bedeutendste Leistung Günthers ans seiner Leipziger Zeit nicht die gewünschte Wirkung. Das Gedicht wurde über einer elenden Lobhudelei eines gewissen Valentin Pietsch vergessen, und nur das frei ur¬ teilende Deutschland erkannte den Wert, indem es eine Geldsammlung zu Gunsten des unbemittelten Dichters veranstaltete. Auch der Gedanke Menkes, Günthern als Hofpoeten an den kurfürstlichen Hof zu bringen, mußte bei dessen hitzigem Wesen, das zu allein eher als zu einer Zeremonienmeisterstelle paßte, fehl¬ schlagen. Aber erkannt hat Günther in allem, was Meute that, den guten Willen dieses trefflichen Mannes, von den: er gelegentlich sagt, „er habe mehr an ihm gethan, als er kaum, wie weit er denke, seinein Lob erwidern kann." "" Und wie gefiel dem Jüngling erst Leipzig selber, das er oft als „Philuris) feiert, „wo Kunst und Linden blühn Und Witz und Hofflichkeit die Länder an sich ziehn!" „Leipzig mustert Ausehn, Wort. Verstand und auch Geberden, *) M-- Lindr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/75>, abgerufen am 12.05.2024.