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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Lhristian Günther in Leipzig

Läßt Glieder und Gestalt zugleich gelehrter werden." Athen könne man Wohl
für Leipzigs Tochter halte". Vor allein aber weilt er gern unter den Linden
des Nosenthals:


In unserm Rosenthal ist hinter Weg und Wald
Ein angenehmer Hahn, der Nymphen Aufenthalt,
Den Still' und Einsamkeit zur Poesie bequemen
Und Ufer, Wies' und Teich recht in die Mitten nehmen.

Dort, "wo Pleiß' und Elster rauscht," will er "den seufzenden Gebüschen des
dunkeln Nosenthals manch nasses Ach vermischen." Wenn er die Gesellschaft
scheute, so wählte er das Rosenthnl zum Arzte seiner Qunl und zum Ver¬
trauten seiner Liebe. Als dann auch schwere Stunden in Leipzig für ihn
kamen, als der Vater ihm dauernd wegen seiner dichterischen Bestrebungen
zürnte, da erfüllte er auch wohl mit Verzweiflungsangst "das Gebüsch der
schönen Philhris, die dennoch seiner Not fast Mutterhände bot und, wenn es
nah und fern auf seine Scheitel krachte, Empfindung, Furcht und Last ein gut
Teil leichter machte." Es waren aber auch für Günther inhaltsschwere, be¬
wegte Tage an der "grundgelehrten Pleiße"; da zog mau nach "Golitz" oder
"nach Stettritz ans das Land" und schrieb dann aus der Schenke an den viel-
besvrgten Vater: "Ich mache mir die Welt bekannt." Denn gezecht und
Virginia-Knaster geraucht wurde weidlich in dem lustigen Leipziger Kreise:


Vom Morgen in die Nacht und durch die Nacht bis früh
Steht Kann' und Lampe voll, das grundgelehrte Vieh
Sitzt unter Rauch und Dampf, wie Engel in der Hölle,
Der flucht die Stuben schwarz, der parfumirt die Zelle.

Da wurde denn anch wohl das neuentstandene Studentenlied Günthers zum.
erstenmale angestimmt:


Brüder, laßt uns lustig sein,
Weil der Frühling währet
lind der Jngend Sonnenschein
unser Laub verklaret.

Oder es hieß in kräftigerer Tonart:


Kostet auch den Wurzner Saft,
Gcrstenblut macht Brüderschaft,
Fort, ihr Brüder, trinkt nud schrei!,
Weil ihr noch in Leipzig seid,
Und man in der schönen Stadt
Doch kein ewig Lebe" hat.

Versäumte auch Günther darüber ein Jahr laug, sich immatriknlireu zu
lassen -- er that es erst 1718 --, so waren es ihm doch "güldene Zeiten",
"lib er gesteht selbst, daß in Leipzig "sein Geist gewachsen und sie trotz aller lln-
glückspossen nach Menkes kluger Hand nichts freudigeres genossen, als wenn
er früh und spät, nachdem es etwa kam, die deutsche Laute zur Hand nahm."


Lhristian Günther in Leipzig

Läßt Glieder und Gestalt zugleich gelehrter werden." Athen könne man Wohl
für Leipzigs Tochter halte». Vor allein aber weilt er gern unter den Linden
des Nosenthals:


In unserm Rosenthal ist hinter Weg und Wald
Ein angenehmer Hahn, der Nymphen Aufenthalt,
Den Still' und Einsamkeit zur Poesie bequemen
Und Ufer, Wies' und Teich recht in die Mitten nehmen.

Dort, „wo Pleiß' und Elster rauscht," will er „den seufzenden Gebüschen des
dunkeln Nosenthals manch nasses Ach vermischen." Wenn er die Gesellschaft
scheute, so wählte er das Rosenthnl zum Arzte seiner Qunl und zum Ver¬
trauten seiner Liebe. Als dann auch schwere Stunden in Leipzig für ihn
kamen, als der Vater ihm dauernd wegen seiner dichterischen Bestrebungen
zürnte, da erfüllte er auch wohl mit Verzweiflungsangst „das Gebüsch der
schönen Philhris, die dennoch seiner Not fast Mutterhände bot und, wenn es
nah und fern auf seine Scheitel krachte, Empfindung, Furcht und Last ein gut
Teil leichter machte." Es waren aber auch für Günther inhaltsschwere, be¬
wegte Tage an der „grundgelehrten Pleiße"; da zog mau nach „Golitz" oder
„nach Stettritz ans das Land" und schrieb dann aus der Schenke an den viel-
besvrgten Vater: „Ich mache mir die Welt bekannt." Denn gezecht und
Virginia-Knaster geraucht wurde weidlich in dem lustigen Leipziger Kreise:


Vom Morgen in die Nacht und durch die Nacht bis früh
Steht Kann' und Lampe voll, das grundgelehrte Vieh
Sitzt unter Rauch und Dampf, wie Engel in der Hölle,
Der flucht die Stuben schwarz, der parfumirt die Zelle.

Da wurde denn anch wohl das neuentstandene Studentenlied Günthers zum.
erstenmale angestimmt:


Brüder, laßt uns lustig sein,
Weil der Frühling währet
lind der Jngend Sonnenschein
unser Laub verklaret.

Oder es hieß in kräftigerer Tonart:


Kostet auch den Wurzner Saft,
Gcrstenblut macht Brüderschaft,
Fort, ihr Brüder, trinkt nud schrei!,
Weil ihr noch in Leipzig seid,
Und man in der schönen Stadt
Doch kein ewig Lebe» hat.

Versäumte auch Günther darüber ein Jahr laug, sich immatriknlireu zu
lassen — er that es erst 1718 —, so waren es ihm doch „güldene Zeiten",
»lib er gesteht selbst, daß in Leipzig „sein Geist gewachsen und sie trotz aller lln-
glückspossen nach Menkes kluger Hand nichts freudigeres genossen, als wenn
er früh und spät, nachdem es etwa kam, die deutsche Laute zur Hand nahm."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/76>, abgerufen am 06.06.2024.