Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lhristiau Günther in Teipzig

aus Schlesien war, und daß die Liebeszusnnmtenkünfte auf -- dem Johminis-
kirchhof stattfanden: "Sie führte mich an den schon oft besuchten Ort, wo
nichts als Graus und Nacht regieret und Tod und Stille triumphiret."
Später gedenkt er ihrer nur uoch ein paarmal, er giebt aus Dresden dem
Wiude viel tausend heiße Küsse an sie mit und bittet an andrer Stelle das
edle Sachsen, dein "kleinen Lorchen" nach dem Trennungsschmerz Ruhe zu
verleihen. Aber zwischen der ersten Leonore in Schweidnitz, die ihn sein ganzes
Leben hindurch gefesselt hat, und der Leipziger Namensschwester, die ihn mehr
in plötzliche Glut versetzte, drängt sich gleich zu Anfang der Leipziger Studenten¬
zeit eine dritte Geliebte in sein leicht entzündbares Herz, die man bisher nicht
gewürdigt hat. Es sind ihr auch nur vier Lieder gewidmet: "An Rosette."
Nur versuchsweise hat man die vier Gedichte in die Leipziger Zeit gesetzt, aber
viel hat man damit nicht anzufangen gewußt. Der neueste Herausgeber
Günthers, Ludwig Fulda, meint in eiuer Anmerkung, die Datirung sei nicht
sicher, doch sei es das wahrscheinlichste, diese Lieder auf eine vorübergehende
Neigung in Leipzig etwa im Sommer 1718 zu beziehen. Diese Vermutung
läßt sich zur Gewißheit erheben.

Sehen wir uns die Lieder etwas näher an. Das erste Gedicht giebt
freilich nichts als einen Vornamen des Mädchens: Rosette. Sie haben zu¬
sammen ein Pfänderspiel veranstaltet, dabei sich die Hände gedrückt, und dieser
Druck, ""schuldig in seiner Natürlichkeit, veranlaßt den Dichter zu folgendem
Wunschgedicht:


Ihr drückt mich zwar, ihr schwanenwciche Hände,
Ihr drückt mich zwar, doch leider mir ans Scherz.
Ihr fühlt den Puls, ihr weckt die schnellen Brände,
Ach, führt sie doch Rosetten in tels Herz!
Meidet ihr dabei
Den Ursprung solcher Qual,
Und sagt, es sei
Nichts andres als ein Strahl.
Ein holder Strahl der fcuerrcicheu Blicke
Steckt unverhofft deu Sitz der Freiheit an;
Da diese flicht, so bleibt kein Trost zurücke,
Als deu mir uoch die Liebe geben kann;
Aber ach, auch die
Giebt Finsternis auf Licht
Und zeigt zu früh,
Wie leicht die Hoffnung bricht.
Die Hoffnung bricht; ach Kind, du könntest retten,
Dn siehst und hörst viel Schnsuchtszeichcn gehn;
Ich wünsche mir das Glucke deiner Ketten,
Es giebt es selbst mein Finger zu Verstehn,

Lhristiau Günther in Teipzig

aus Schlesien war, und daß die Liebeszusnnmtenkünfte auf — dem Johminis-
kirchhof stattfanden: „Sie führte mich an den schon oft besuchten Ort, wo
nichts als Graus und Nacht regieret und Tod und Stille triumphiret."
Später gedenkt er ihrer nur uoch ein paarmal, er giebt aus Dresden dem
Wiude viel tausend heiße Küsse an sie mit und bittet an andrer Stelle das
edle Sachsen, dein „kleinen Lorchen" nach dem Trennungsschmerz Ruhe zu
verleihen. Aber zwischen der ersten Leonore in Schweidnitz, die ihn sein ganzes
Leben hindurch gefesselt hat, und der Leipziger Namensschwester, die ihn mehr
in plötzliche Glut versetzte, drängt sich gleich zu Anfang der Leipziger Studenten¬
zeit eine dritte Geliebte in sein leicht entzündbares Herz, die man bisher nicht
gewürdigt hat. Es sind ihr auch nur vier Lieder gewidmet: „An Rosette."
Nur versuchsweise hat man die vier Gedichte in die Leipziger Zeit gesetzt, aber
viel hat man damit nicht anzufangen gewußt. Der neueste Herausgeber
Günthers, Ludwig Fulda, meint in eiuer Anmerkung, die Datirung sei nicht
sicher, doch sei es das wahrscheinlichste, diese Lieder auf eine vorübergehende
Neigung in Leipzig etwa im Sommer 1718 zu beziehen. Diese Vermutung
läßt sich zur Gewißheit erheben.

Sehen wir uns die Lieder etwas näher an. Das erste Gedicht giebt
freilich nichts als einen Vornamen des Mädchens: Rosette. Sie haben zu¬
sammen ein Pfänderspiel veranstaltet, dabei sich die Hände gedrückt, und dieser
Druck, »»schuldig in seiner Natürlichkeit, veranlaßt den Dichter zu folgendem
Wunschgedicht:


Ihr drückt mich zwar, ihr schwanenwciche Hände,
Ihr drückt mich zwar, doch leider mir ans Scherz.
Ihr fühlt den Puls, ihr weckt die schnellen Brände,
Ach, führt sie doch Rosetten in tels Herz!
Meidet ihr dabei
Den Ursprung solcher Qual,
Und sagt, es sei
Nichts andres als ein Strahl.
Ein holder Strahl der fcuerrcicheu Blicke
Steckt unverhofft deu Sitz der Freiheit an;
Da diese flicht, so bleibt kein Trost zurücke,
Als deu mir uoch die Liebe geben kann;
Aber ach, auch die
Giebt Finsternis auf Licht
Und zeigt zu früh,
Wie leicht die Hoffnung bricht.
Die Hoffnung bricht; ach Kind, du könntest retten,
Dn siehst und hörst viel Schnsuchtszeichcn gehn;
Ich wünsche mir das Glucke deiner Ketten,
Es giebt es selbst mein Finger zu Verstehn,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208015"/>
          <fw type="header" place="top"> Lhristiau Günther in Teipzig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_203" prev="#ID_202"> aus Schlesien war, und daß die Liebeszusnnmtenkünfte auf &#x2014; dem Johminis-<lb/>
kirchhof stattfanden: &#x201E;Sie führte mich an den schon oft besuchten Ort, wo<lb/>
nichts als Graus und Nacht regieret und Tod und Stille triumphiret."<lb/>
Später gedenkt er ihrer nur uoch ein paarmal, er giebt aus Dresden dem<lb/>
Wiude viel tausend heiße Küsse an sie mit und bittet an andrer Stelle das<lb/>
edle Sachsen, dein &#x201E;kleinen Lorchen" nach dem Trennungsschmerz Ruhe zu<lb/>
verleihen. Aber zwischen der ersten Leonore in Schweidnitz, die ihn sein ganzes<lb/>
Leben hindurch gefesselt hat, und der Leipziger Namensschwester, die ihn mehr<lb/>
in plötzliche Glut versetzte, drängt sich gleich zu Anfang der Leipziger Studenten¬<lb/>
zeit eine dritte Geliebte in sein leicht entzündbares Herz, die man bisher nicht<lb/>
gewürdigt hat. Es sind ihr auch nur vier Lieder gewidmet: &#x201E;An Rosette."<lb/>
Nur versuchsweise hat man die vier Gedichte in die Leipziger Zeit gesetzt, aber<lb/>
viel hat man damit nicht anzufangen gewußt. Der neueste Herausgeber<lb/>
Günthers, Ludwig Fulda, meint in eiuer Anmerkung, die Datirung sei nicht<lb/>
sicher, doch sei es das wahrscheinlichste, diese Lieder auf eine vorübergehende<lb/>
Neigung in Leipzig etwa im Sommer 1718 zu beziehen. Diese Vermutung<lb/>
läßt sich zur Gewißheit erheben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> Sehen wir uns die Lieder etwas näher an. Das erste Gedicht giebt<lb/>
freilich nichts als einen Vornamen des Mädchens: Rosette. Sie haben zu¬<lb/>
sammen ein Pfänderspiel veranstaltet, dabei sich die Hände gedrückt, und dieser<lb/>
Druck, »»schuldig in seiner Natürlichkeit, veranlaßt den Dichter zu folgendem<lb/>
Wunschgedicht:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_8" type="poem">
              <l> Ihr drückt mich zwar, ihr schwanenwciche Hände,<lb/>
Ihr drückt mich zwar, doch leider mir ans Scherz.<lb/>
Ihr fühlt den Puls, ihr weckt die schnellen Brände,<lb/>
Ach, führt sie doch Rosetten in tels Herz!<lb/>
Meidet ihr dabei<lb/>
Den Ursprung solcher Qual,<lb/>
Und sagt, es sei<lb/>
Nichts andres als ein Strahl.</l>
              <l> Ein holder Strahl der fcuerrcicheu Blicke<lb/>
Steckt unverhofft deu Sitz der Freiheit an;<lb/>
Da diese flicht, so bleibt kein Trost zurücke,<lb/>
Als deu mir uoch die Liebe geben kann;<lb/>
Aber ach, auch die<lb/>
Giebt Finsternis auf Licht<lb/>
Und zeigt zu früh,<lb/>
Wie leicht die Hoffnung bricht.</l>
              <l> Die Hoffnung bricht; ach Kind, du könntest retten,<lb/>
Dn siehst und hörst viel Schnsuchtszeichcn gehn;<lb/>
Ich wünsche mir das Glucke deiner Ketten,<lb/>
Es giebt es selbst mein Finger zu Verstehn,</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] Lhristiau Günther in Teipzig aus Schlesien war, und daß die Liebeszusnnmtenkünfte auf — dem Johminis- kirchhof stattfanden: „Sie führte mich an den schon oft besuchten Ort, wo nichts als Graus und Nacht regieret und Tod und Stille triumphiret." Später gedenkt er ihrer nur uoch ein paarmal, er giebt aus Dresden dem Wiude viel tausend heiße Küsse an sie mit und bittet an andrer Stelle das edle Sachsen, dein „kleinen Lorchen" nach dem Trennungsschmerz Ruhe zu verleihen. Aber zwischen der ersten Leonore in Schweidnitz, die ihn sein ganzes Leben hindurch gefesselt hat, und der Leipziger Namensschwester, die ihn mehr in plötzliche Glut versetzte, drängt sich gleich zu Anfang der Leipziger Studenten¬ zeit eine dritte Geliebte in sein leicht entzündbares Herz, die man bisher nicht gewürdigt hat. Es sind ihr auch nur vier Lieder gewidmet: „An Rosette." Nur versuchsweise hat man die vier Gedichte in die Leipziger Zeit gesetzt, aber viel hat man damit nicht anzufangen gewußt. Der neueste Herausgeber Günthers, Ludwig Fulda, meint in eiuer Anmerkung, die Datirung sei nicht sicher, doch sei es das wahrscheinlichste, diese Lieder auf eine vorübergehende Neigung in Leipzig etwa im Sommer 1718 zu beziehen. Diese Vermutung läßt sich zur Gewißheit erheben. Sehen wir uns die Lieder etwas näher an. Das erste Gedicht giebt freilich nichts als einen Vornamen des Mädchens: Rosette. Sie haben zu¬ sammen ein Pfänderspiel veranstaltet, dabei sich die Hände gedrückt, und dieser Druck, »»schuldig in seiner Natürlichkeit, veranlaßt den Dichter zu folgendem Wunschgedicht: Ihr drückt mich zwar, ihr schwanenwciche Hände, Ihr drückt mich zwar, doch leider mir ans Scherz. Ihr fühlt den Puls, ihr weckt die schnellen Brände, Ach, führt sie doch Rosetten in tels Herz! Meidet ihr dabei Den Ursprung solcher Qual, Und sagt, es sei Nichts andres als ein Strahl. Ein holder Strahl der fcuerrcicheu Blicke Steckt unverhofft deu Sitz der Freiheit an; Da diese flicht, so bleibt kein Trost zurücke, Als deu mir uoch die Liebe geben kann; Aber ach, auch die Giebt Finsternis auf Licht Und zeigt zu früh, Wie leicht die Hoffnung bricht. Die Hoffnung bricht; ach Kind, du könntest retten, Dn siehst und hörst viel Schnsuchtszeichcn gehn; Ich wünsche mir das Glucke deiner Ketten, Es giebt es selbst mein Finger zu Verstehn,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/78>, abgerufen am 12.05.2024.