Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Lhnstian Günther in Leipzig Aber die beiden Leipziger Jahre sind mich mit reger dichterischer Thätigkeit
Spielt Triller in den ersten Versen der zweiten Strophe unzweideutig aus Denn auch hier fehlte es dem Dichter nirgends an Liebe, wobei ihm der ^ Poetische Betrachtungen 111, 101.
Lhnstian Günther in Leipzig Aber die beiden Leipziger Jahre sind mich mit reger dichterischer Thätigkeit
Spielt Triller in den ersten Versen der zweiten Strophe unzweideutig aus Denn auch hier fehlte es dem Dichter nirgends an Liebe, wobei ihm der ^ Poetische Betrachtungen 111, 101.
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Lhnstian Günther in Leipzig
Aber die beiden Leipziger Jahre sind mich mit reger dichterischer Thätigkeit
gefüllt, obwohl Günthers Vater diese brodlose Kunst me anerkennen wollte.
Mit wunderbar leichter Schaffenskraft, die oft an einem Tag »ut in einer
Nacht mehr als zweitausend Verse vollendete, dichtete Günther in Leipzig außer
den Ergüssen seines eignen Seelenlebens gegen dreißig größere Gelegenheits-
vden, die nebst dem Passarowitzer Friedenslied einen stattliche« Band füllen
würden. Daneben vergaß mau die Klassiker nicht; Daniel Wilhelm Triller")
giebt in seiner poetischem Verherrlichung Günthers Zeugnis davon!
Ich gedenk' »och oft und viel
An die auge»ebenen Stunden,
Die bei Phölnls Saitenspiel
Uns im Pleißathen verschwunden. Damals mußt' Annkrevn
Deutsch von dir verstehe» lerne»,
lind d» sa»gst vom Lauf der Sterne»
Einen geisterfiilltcn Ton.
Spielt Triller in den ersten Versen der zweiten Strophe unzweideutig aus
Günthers Übersetzung des Anakreon an, so weisen die letzten Zeilen wahr¬
scheinlich auf eine Nachahmung der Ovidischcn l^^ti hin, die schon ziemlich
angewachsen und in ein dickes Buch in Quart geschrieben war. Daß Günther
auch eine deutsche ^r« annual zu dichtet: schon in Leipzig beabsichtigte, erwähnt
er selbst in einem Gedicht, in den „Letzte» Gedanken"; das Thema paßte auch
vortrefflich für ihn, dem „Leben Liebe" galt.
Denn auch hier fehlte es dem Dichter nirgends an Liebe, wobei ihm der
Wechsel die Sinne vergnügte. „Klug, thöricht, frei, furchtsam, stark, lang
oder klein, Sie sein, wie sie wollen, ich finde mich drein." Kaum hat er die
Schweidnitzer Leonore (Magdalis, Lenchen, Eleonore), seine wärmste Neigung,
zu vergesse» gesucht, als ihn im Herbst 1718 nach der Genesung ans einer
schweren Krankheit schon wieder el» Mädchen zu leidenschaftlichster Liebe ent¬
flammt. Nun bleibt es ja seltfnm und für alle Forscher ein schweres Krenz,
daß er die Leipziger Geliebte auch unter dem Namen Leonore verherrlicht hat.
Daran zu zweifeln ist aber nicht möglich. Günther richtete mit Absicht eine
künstliche Verwirrung in seinen Liebesverhältnissen an, um vorwitzige Spürnasen
irre zu führen. Der Ton freilich dieser Leipziger Leonvrenlieder unterscheidet
sich wesentlich von dem der Liebesgesange an die Schweidnitzer Geliebte. Hier
ein derb' sinnlicher Zug, dort zarte Innigkeit. Offenbar war die Leonore
Leipzigs eine berechnende Kokette, „eine falsche Sirene," die sich zwar den
Huldigungen des begabten Dichters willig hingab, aber ihm kein tieferes Gefühl
entgegenbrachte. Wir wissen von ihr nur, daß sie eine Waise und vielleicht
^ Poetische Betrachtungen 111, 101.
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