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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Dramaturgische vortrage

bei; er hatte zunächst den Eingang an Theaterstücken zu prüfen und draus
zu wählen, was sich etwa als brauchbar ansehen ließ. Ob seine Einwirkung
auf die Führung und die Leistungen des Burgtheaters nicht doch etwas größer
war, als es schien, wußte das Publikum nicht, obwohl sich die Zeitungen
nicht ungern etwas boshaft mit ihm beschäftigten, so oft sich ein Anlaß dazu
bot. Beim Abschied vom alten Burgtheater hatte er sich durch einen fein
empfundenen Epilog neue Freunde gemacht, und mit einem im "Verein der
Litteraturfreunde" gehaltenen Vortrag über den Hamletcharakter bei Shakespeare
und Turgenjew hatte er großen Beifall gefunden.

Bei Beginn des letzten Wintersemesters war er nun den akademischen Ge¬
setzen gemäß genötigt, wieder einmal ein Kolleg zu halten; denn der Privat-
dozent verliert seine vsnw, Isg'vrai, wenn er länger als zwei Jahre seine Vor¬
lesungen unterbricht. Mit dieser Wiedereröffnung seiner Vorlesungen war
Berger plötzlich der Mann des Tages geworden. Daß er schön spricht und
geistvoll denkt, wußte man schon; daß aber einer der Führer des Burgtheaters
seine dramaturgischen Erfahrungen von dem Katheder herab mitteilen wollte,
war noch nicht vorgekommen. Man muß wissen, wie sehr die Wiener,
namentlich die edlere Jugend Wiens, am Burgtheater hängt, um den Andrang
von Männern und Frauen zu Bergers Vorlesungen zu begreifen. Es war, als
ob der Genius des Burgtheaters in einem andern, nicht minder geweihten
Raume seine Stätte aufgeschlagen hätte: so stark war der Zndrnng. Die
Zeitungen brachten von jeder Vorlesung Auszüge, sogar Polemiken dagegen
druckten sie. Von alleu Seiten wurde er mit Einladungen, anderwärts Vor¬
trage zu halten, bestürmt, er folgte anch ein- oder das andremal diesen Rufen,
und es sind nicht die am wenigsten gelungner Vorträge seines Buches, die er
außerhalb der Hochschule gehalten hat. Doppelt interessant war er den
Wienern dadurch geworden, daß er plötzlich als der Gatte einer der genialsten
Schauspielerinnen des Burgtheaters, des Fräulein Hohenfels, erschien, die ihm
ihre große Beliebtheit als Hochzeitsgeschenk mitgebracht hatte. Da trat auf
der Höhe seines Erfolges ein Ereignis ein, das das Schicksal des Philosophen
und Dichters entschied. Zu Weihnachten starb August Förster plötzlich an
einem Schlngflusz. Man war kaum der endlich im Burgtheater hergestellten
Ordnung froh geworden, man hatte sich gefreut, daß es unter der sachkundigen
Leitung Försters wieder seinen alten Glanz und seine Größe wiedergewinnen
würde; nun war alle diese Hoffnung mit einem Schlage erschüttert. Natürlich
wandten sich nun aller Augen wieder auf Berger, der ja seine Fähigkeit zur
Leitung des Bnrgtheaters genügend erprobt hatte, und nun begann ein ge¬
waltiges Reden für und gegen ihn in allen Blättern. Durch seine Heirat mit
der Hohenfels hatte sich die Sachlage sehr verwickelt. Der zukünftige Direktor
des Burgtheaters sollte nicht eine der wichtigsten Schauspielerinnen desselben
Theaters zur Gattin haben, sonst war eine unparteiische Regierung nicht wahr-


Dramaturgische vortrage

bei; er hatte zunächst den Eingang an Theaterstücken zu prüfen und draus
zu wählen, was sich etwa als brauchbar ansehen ließ. Ob seine Einwirkung
auf die Führung und die Leistungen des Burgtheaters nicht doch etwas größer
war, als es schien, wußte das Publikum nicht, obwohl sich die Zeitungen
nicht ungern etwas boshaft mit ihm beschäftigten, so oft sich ein Anlaß dazu
bot. Beim Abschied vom alten Burgtheater hatte er sich durch einen fein
empfundenen Epilog neue Freunde gemacht, und mit einem im „Verein der
Litteraturfreunde" gehaltenen Vortrag über den Hamletcharakter bei Shakespeare
und Turgenjew hatte er großen Beifall gefunden.

Bei Beginn des letzten Wintersemesters war er nun den akademischen Ge¬
setzen gemäß genötigt, wieder einmal ein Kolleg zu halten; denn der Privat-
dozent verliert seine vsnw, Isg'vrai, wenn er länger als zwei Jahre seine Vor¬
lesungen unterbricht. Mit dieser Wiedereröffnung seiner Vorlesungen war
Berger plötzlich der Mann des Tages geworden. Daß er schön spricht und
geistvoll denkt, wußte man schon; daß aber einer der Führer des Burgtheaters
seine dramaturgischen Erfahrungen von dem Katheder herab mitteilen wollte,
war noch nicht vorgekommen. Man muß wissen, wie sehr die Wiener,
namentlich die edlere Jugend Wiens, am Burgtheater hängt, um den Andrang
von Männern und Frauen zu Bergers Vorlesungen zu begreifen. Es war, als
ob der Genius des Burgtheaters in einem andern, nicht minder geweihten
Raume seine Stätte aufgeschlagen hätte: so stark war der Zndrnng. Die
Zeitungen brachten von jeder Vorlesung Auszüge, sogar Polemiken dagegen
druckten sie. Von alleu Seiten wurde er mit Einladungen, anderwärts Vor¬
trage zu halten, bestürmt, er folgte anch ein- oder das andremal diesen Rufen,
und es sind nicht die am wenigsten gelungner Vorträge seines Buches, die er
außerhalb der Hochschule gehalten hat. Doppelt interessant war er den
Wienern dadurch geworden, daß er plötzlich als der Gatte einer der genialsten
Schauspielerinnen des Burgtheaters, des Fräulein Hohenfels, erschien, die ihm
ihre große Beliebtheit als Hochzeitsgeschenk mitgebracht hatte. Da trat auf
der Höhe seines Erfolges ein Ereignis ein, das das Schicksal des Philosophen
und Dichters entschied. Zu Weihnachten starb August Förster plötzlich an
einem Schlngflusz. Man war kaum der endlich im Burgtheater hergestellten
Ordnung froh geworden, man hatte sich gefreut, daß es unter der sachkundigen
Leitung Försters wieder seinen alten Glanz und seine Größe wiedergewinnen
würde; nun war alle diese Hoffnung mit einem Schlage erschüttert. Natürlich
wandten sich nun aller Augen wieder auf Berger, der ja seine Fähigkeit zur
Leitung des Bnrgtheaters genügend erprobt hatte, und nun begann ein ge¬
waltiges Reden für und gegen ihn in allen Blättern. Durch seine Heirat mit
der Hohenfels hatte sich die Sachlage sehr verwickelt. Der zukünftige Direktor
des Burgtheaters sollte nicht eine der wichtigsten Schauspielerinnen desselben
Theaters zur Gattin haben, sonst war eine unparteiische Regierung nicht wahr-


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[0084] Dramaturgische vortrage bei; er hatte zunächst den Eingang an Theaterstücken zu prüfen und draus zu wählen, was sich etwa als brauchbar ansehen ließ. Ob seine Einwirkung auf die Führung und die Leistungen des Burgtheaters nicht doch etwas größer war, als es schien, wußte das Publikum nicht, obwohl sich die Zeitungen nicht ungern etwas boshaft mit ihm beschäftigten, so oft sich ein Anlaß dazu bot. Beim Abschied vom alten Burgtheater hatte er sich durch einen fein empfundenen Epilog neue Freunde gemacht, und mit einem im „Verein der Litteraturfreunde" gehaltenen Vortrag über den Hamletcharakter bei Shakespeare und Turgenjew hatte er großen Beifall gefunden. Bei Beginn des letzten Wintersemesters war er nun den akademischen Ge¬ setzen gemäß genötigt, wieder einmal ein Kolleg zu halten; denn der Privat- dozent verliert seine vsnw, Isg'vrai, wenn er länger als zwei Jahre seine Vor¬ lesungen unterbricht. Mit dieser Wiedereröffnung seiner Vorlesungen war Berger plötzlich der Mann des Tages geworden. Daß er schön spricht und geistvoll denkt, wußte man schon; daß aber einer der Führer des Burgtheaters seine dramaturgischen Erfahrungen von dem Katheder herab mitteilen wollte, war noch nicht vorgekommen. Man muß wissen, wie sehr die Wiener, namentlich die edlere Jugend Wiens, am Burgtheater hängt, um den Andrang von Männern und Frauen zu Bergers Vorlesungen zu begreifen. Es war, als ob der Genius des Burgtheaters in einem andern, nicht minder geweihten Raume seine Stätte aufgeschlagen hätte: so stark war der Zndrnng. Die Zeitungen brachten von jeder Vorlesung Auszüge, sogar Polemiken dagegen druckten sie. Von alleu Seiten wurde er mit Einladungen, anderwärts Vor¬ trage zu halten, bestürmt, er folgte anch ein- oder das andremal diesen Rufen, und es sind nicht die am wenigsten gelungner Vorträge seines Buches, die er außerhalb der Hochschule gehalten hat. Doppelt interessant war er den Wienern dadurch geworden, daß er plötzlich als der Gatte einer der genialsten Schauspielerinnen des Burgtheaters, des Fräulein Hohenfels, erschien, die ihm ihre große Beliebtheit als Hochzeitsgeschenk mitgebracht hatte. Da trat auf der Höhe seines Erfolges ein Ereignis ein, das das Schicksal des Philosophen und Dichters entschied. Zu Weihnachten starb August Förster plötzlich an einem Schlngflusz. Man war kaum der endlich im Burgtheater hergestellten Ordnung froh geworden, man hatte sich gefreut, daß es unter der sachkundigen Leitung Försters wieder seinen alten Glanz und seine Größe wiedergewinnen würde; nun war alle diese Hoffnung mit einem Schlage erschüttert. Natürlich wandten sich nun aller Augen wieder auf Berger, der ja seine Fähigkeit zur Leitung des Bnrgtheaters genügend erprobt hatte, und nun begann ein ge¬ waltiges Reden für und gegen ihn in allen Blättern. Durch seine Heirat mit der Hohenfels hatte sich die Sachlage sehr verwickelt. Der zukünftige Direktor des Burgtheaters sollte nicht eine der wichtigsten Schauspielerinnen desselben Theaters zur Gattin haben, sonst war eine unparteiische Regierung nicht wahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/84>, abgerufen am 13.05.2024.