Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dramaturgische vortrüge

scheinlich; die Schauspielerin durfte nicht Direktorin sein. Aber die noch junge
Schauspielerin in den Ruhestand versetzen, das ging doch anch nicht an, das
hätte dem Theater eine seiner bedeutendsten Kräfte geraubt. Also durfte Berger
nicht Direktor werden? Aber es war ja weit und breit kein Mann zu finden,
der mehr dazu berufen gewesen wäre als er! Dieses Dilemma wurde in end¬
loser Weise hin und her erwogen. Berger konnte bei dieser Gelegenheit er¬
fahren, daß man auch bei dem reinsten Streben, bei dem edelsten Eifer, bei
der echtesten Bescheidenheit nicht davor bewahrt bleibt, Feinde zu haben; denn
was für Niederträchtigkeiten bei dieser Gelegenheit gegen ihn geschrieben worden
sind, der doch nichts weiter gethan hatte, als sein berechtigtes Selbstbewußtsein
in kritischer Zeit hervorzukehren, ist gar nicht zu sagen. Ganze Misthaufen
wurden von ebenso urteilslosen wie großmäuliger Journalisten auf ihn ge¬
worfen, anf denselben Mann, der bis dahin nichts als Gutes geleistet und
erstrebt hatte. Schließlich wurde er trotz des Eintretens des einflußreichsten
und einst chtigsteu Wiener Kritikers, Ludwig Speidels, doch uicht zum Direktor
des Burgtheatcrs ernannt; viele sagen: gerade deswegen nicht, weil sich die
obersten Behörden des Hoftheaters nicht von Speidel die Wahl des Direktors
vorschreiben lassen wollten; doch ist das unverbürgtes Gerede. Ein der Kunst
und Litteratur bis dahin ganz fernstehender Jurist wurde an die Spitze des
Theaters gestellt, und Berger blieb, was er bis dahin gewesen war -- Privat¬
dozent an der Wiener Universität, und führte sein Kolleg: "Beiträge zur Theorie
und Technik des Dramas" in größerer Stille, als er es begonnen hatte, aber
mit nicht geringerm Geist zu Ende.

Unter diesen aufregenden Erlebnissen also ist sein Buch zustande gekommen.
Als Berger seine ersten Vorträge hielt, stand er mit einem Fuß in der Uni¬
versität, mit dem andern im praktischen Theatergetriebe, und diese gerade für
den Ästhetiker, den "praktischen Philosophen" sehr vorteilhafte Doppelstellung
merkt man anch den ersten Vorträgen an, denn Berger hat mit wirksamer Ab¬
sicht seinem Buche die ursprüngliche Form der Rede gelassen. Als er seine
Vortrüge schloß, war er nichts mehr als ein wie jeder andre das Theater
von außen beobachtender Kritiker. Aber wenn er auch nicht Direktor des Burg¬
theaters geworden ist, so hat das doch seinem Buche nichts geschadet; weil
er aber lange Jahre Mitarbeiter an einem den höchste" dramatischen Zielen
gewidmeten Theater war, hat er ein so gutes Buch machen können. Es ist
vielleicht das erstemal, daß ein philosophischer Kopf von der Tiefe und der
kritischen Schärfe Vergers das Theater ans nächster Nähe studiren und seine
Urteile fortwährend an dem Boden der Erfahrung nähren und läutern konnte.
Daher kommt es, daß fein Buch auf jeder Seite interessant ist, insofern es
einerseits alle die Fragen besonders hervorhebt und durchspricht, die gerade
jetzt im praktischen Bühnenleben die Geister am meisten beschäftigen, andrerseits
viele Beobachtungen mitteilt, die dem auf seine Bücher und Grübeleien allein


Dramaturgische vortrüge

scheinlich; die Schauspielerin durfte nicht Direktorin sein. Aber die noch junge
Schauspielerin in den Ruhestand versetzen, das ging doch anch nicht an, das
hätte dem Theater eine seiner bedeutendsten Kräfte geraubt. Also durfte Berger
nicht Direktor werden? Aber es war ja weit und breit kein Mann zu finden,
der mehr dazu berufen gewesen wäre als er! Dieses Dilemma wurde in end¬
loser Weise hin und her erwogen. Berger konnte bei dieser Gelegenheit er¬
fahren, daß man auch bei dem reinsten Streben, bei dem edelsten Eifer, bei
der echtesten Bescheidenheit nicht davor bewahrt bleibt, Feinde zu haben; denn
was für Niederträchtigkeiten bei dieser Gelegenheit gegen ihn geschrieben worden
sind, der doch nichts weiter gethan hatte, als sein berechtigtes Selbstbewußtsein
in kritischer Zeit hervorzukehren, ist gar nicht zu sagen. Ganze Misthaufen
wurden von ebenso urteilslosen wie großmäuliger Journalisten auf ihn ge¬
worfen, anf denselben Mann, der bis dahin nichts als Gutes geleistet und
erstrebt hatte. Schließlich wurde er trotz des Eintretens des einflußreichsten
und einst chtigsteu Wiener Kritikers, Ludwig Speidels, doch uicht zum Direktor
des Burgtheatcrs ernannt; viele sagen: gerade deswegen nicht, weil sich die
obersten Behörden des Hoftheaters nicht von Speidel die Wahl des Direktors
vorschreiben lassen wollten; doch ist das unverbürgtes Gerede. Ein der Kunst
und Litteratur bis dahin ganz fernstehender Jurist wurde an die Spitze des
Theaters gestellt, und Berger blieb, was er bis dahin gewesen war — Privat¬
dozent an der Wiener Universität, und führte sein Kolleg: „Beiträge zur Theorie
und Technik des Dramas" in größerer Stille, als er es begonnen hatte, aber
mit nicht geringerm Geist zu Ende.

Unter diesen aufregenden Erlebnissen also ist sein Buch zustande gekommen.
Als Berger seine ersten Vorträge hielt, stand er mit einem Fuß in der Uni¬
versität, mit dem andern im praktischen Theatergetriebe, und diese gerade für
den Ästhetiker, den „praktischen Philosophen" sehr vorteilhafte Doppelstellung
merkt man anch den ersten Vorträgen an, denn Berger hat mit wirksamer Ab¬
sicht seinem Buche die ursprüngliche Form der Rede gelassen. Als er seine
Vortrüge schloß, war er nichts mehr als ein wie jeder andre das Theater
von außen beobachtender Kritiker. Aber wenn er auch nicht Direktor des Burg¬
theaters geworden ist, so hat das doch seinem Buche nichts geschadet; weil
er aber lange Jahre Mitarbeiter an einem den höchste» dramatischen Zielen
gewidmeten Theater war, hat er ein so gutes Buch machen können. Es ist
vielleicht das erstemal, daß ein philosophischer Kopf von der Tiefe und der
kritischen Schärfe Vergers das Theater ans nächster Nähe studiren und seine
Urteile fortwährend an dem Boden der Erfahrung nähren und läutern konnte.
Daher kommt es, daß fein Buch auf jeder Seite interessant ist, insofern es
einerseits alle die Fragen besonders hervorhebt und durchspricht, die gerade
jetzt im praktischen Bühnenleben die Geister am meisten beschäftigen, andrerseits
viele Beobachtungen mitteilt, die dem auf seine Bücher und Grübeleien allein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208022"/>
          <fw type="header" place="top"> Dramaturgische vortrüge</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> scheinlich; die Schauspielerin durfte nicht Direktorin sein. Aber die noch junge<lb/>
Schauspielerin in den Ruhestand versetzen, das ging doch anch nicht an, das<lb/>
hätte dem Theater eine seiner bedeutendsten Kräfte geraubt. Also durfte Berger<lb/>
nicht Direktor werden? Aber es war ja weit und breit kein Mann zu finden,<lb/>
der mehr dazu berufen gewesen wäre als er! Dieses Dilemma wurde in end¬<lb/>
loser Weise hin und her erwogen. Berger konnte bei dieser Gelegenheit er¬<lb/>
fahren, daß man auch bei dem reinsten Streben, bei dem edelsten Eifer, bei<lb/>
der echtesten Bescheidenheit nicht davor bewahrt bleibt, Feinde zu haben; denn<lb/>
was für Niederträchtigkeiten bei dieser Gelegenheit gegen ihn geschrieben worden<lb/>
sind, der doch nichts weiter gethan hatte, als sein berechtigtes Selbstbewußtsein<lb/>
in kritischer Zeit hervorzukehren, ist gar nicht zu sagen. Ganze Misthaufen<lb/>
wurden von ebenso urteilslosen wie großmäuliger Journalisten auf ihn ge¬<lb/>
worfen, anf denselben Mann, der bis dahin nichts als Gutes geleistet und<lb/>
erstrebt hatte. Schließlich wurde er trotz des Eintretens des einflußreichsten<lb/>
und einst chtigsteu Wiener Kritikers, Ludwig Speidels, doch uicht zum Direktor<lb/>
des Burgtheatcrs ernannt; viele sagen: gerade deswegen nicht, weil sich die<lb/>
obersten Behörden des Hoftheaters nicht von Speidel die Wahl des Direktors<lb/>
vorschreiben lassen wollten; doch ist das unverbürgtes Gerede. Ein der Kunst<lb/>
und Litteratur bis dahin ganz fernstehender Jurist wurde an die Spitze des<lb/>
Theaters gestellt, und Berger blieb, was er bis dahin gewesen war &#x2014; Privat¬<lb/>
dozent an der Wiener Universität, und führte sein Kolleg: &#x201E;Beiträge zur Theorie<lb/>
und Technik des Dramas" in größerer Stille, als er es begonnen hatte, aber<lb/>
mit nicht geringerm Geist zu Ende.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_224" next="#ID_225"> Unter diesen aufregenden Erlebnissen also ist sein Buch zustande gekommen.<lb/>
Als Berger seine ersten Vorträge hielt, stand er mit einem Fuß in der Uni¬<lb/>
versität, mit dem andern im praktischen Theatergetriebe, und diese gerade für<lb/>
den Ästhetiker, den &#x201E;praktischen Philosophen" sehr vorteilhafte Doppelstellung<lb/>
merkt man anch den ersten Vorträgen an, denn Berger hat mit wirksamer Ab¬<lb/>
sicht seinem Buche die ursprüngliche Form der Rede gelassen. Als er seine<lb/>
Vortrüge schloß, war er nichts mehr als ein wie jeder andre das Theater<lb/>
von außen beobachtender Kritiker. Aber wenn er auch nicht Direktor des Burg¬<lb/>
theaters geworden ist, so hat das doch seinem Buche nichts geschadet; weil<lb/>
er aber lange Jahre Mitarbeiter an einem den höchste» dramatischen Zielen<lb/>
gewidmeten Theater war, hat er ein so gutes Buch machen können. Es ist<lb/>
vielleicht das erstemal, daß ein philosophischer Kopf von der Tiefe und der<lb/>
kritischen Schärfe Vergers das Theater ans nächster Nähe studiren und seine<lb/>
Urteile fortwährend an dem Boden der Erfahrung nähren und läutern konnte.<lb/>
Daher kommt es, daß fein Buch auf jeder Seite interessant ist, insofern es<lb/>
einerseits alle die Fragen besonders hervorhebt und durchspricht, die gerade<lb/>
jetzt im praktischen Bühnenleben die Geister am meisten beschäftigen, andrerseits<lb/>
viele Beobachtungen mitteilt, die dem auf seine Bücher und Grübeleien allein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0085] Dramaturgische vortrüge scheinlich; die Schauspielerin durfte nicht Direktorin sein. Aber die noch junge Schauspielerin in den Ruhestand versetzen, das ging doch anch nicht an, das hätte dem Theater eine seiner bedeutendsten Kräfte geraubt. Also durfte Berger nicht Direktor werden? Aber es war ja weit und breit kein Mann zu finden, der mehr dazu berufen gewesen wäre als er! Dieses Dilemma wurde in end¬ loser Weise hin und her erwogen. Berger konnte bei dieser Gelegenheit er¬ fahren, daß man auch bei dem reinsten Streben, bei dem edelsten Eifer, bei der echtesten Bescheidenheit nicht davor bewahrt bleibt, Feinde zu haben; denn was für Niederträchtigkeiten bei dieser Gelegenheit gegen ihn geschrieben worden sind, der doch nichts weiter gethan hatte, als sein berechtigtes Selbstbewußtsein in kritischer Zeit hervorzukehren, ist gar nicht zu sagen. Ganze Misthaufen wurden von ebenso urteilslosen wie großmäuliger Journalisten auf ihn ge¬ worfen, anf denselben Mann, der bis dahin nichts als Gutes geleistet und erstrebt hatte. Schließlich wurde er trotz des Eintretens des einflußreichsten und einst chtigsteu Wiener Kritikers, Ludwig Speidels, doch uicht zum Direktor des Burgtheatcrs ernannt; viele sagen: gerade deswegen nicht, weil sich die obersten Behörden des Hoftheaters nicht von Speidel die Wahl des Direktors vorschreiben lassen wollten; doch ist das unverbürgtes Gerede. Ein der Kunst und Litteratur bis dahin ganz fernstehender Jurist wurde an die Spitze des Theaters gestellt, und Berger blieb, was er bis dahin gewesen war — Privat¬ dozent an der Wiener Universität, und führte sein Kolleg: „Beiträge zur Theorie und Technik des Dramas" in größerer Stille, als er es begonnen hatte, aber mit nicht geringerm Geist zu Ende. Unter diesen aufregenden Erlebnissen also ist sein Buch zustande gekommen. Als Berger seine ersten Vorträge hielt, stand er mit einem Fuß in der Uni¬ versität, mit dem andern im praktischen Theatergetriebe, und diese gerade für den Ästhetiker, den „praktischen Philosophen" sehr vorteilhafte Doppelstellung merkt man anch den ersten Vorträgen an, denn Berger hat mit wirksamer Ab¬ sicht seinem Buche die ursprüngliche Form der Rede gelassen. Als er seine Vortrüge schloß, war er nichts mehr als ein wie jeder andre das Theater von außen beobachtender Kritiker. Aber wenn er auch nicht Direktor des Burg¬ theaters geworden ist, so hat das doch seinem Buche nichts geschadet; weil er aber lange Jahre Mitarbeiter an einem den höchste» dramatischen Zielen gewidmeten Theater war, hat er ein so gutes Buch machen können. Es ist vielleicht das erstemal, daß ein philosophischer Kopf von der Tiefe und der kritischen Schärfe Vergers das Theater ans nächster Nähe studiren und seine Urteile fortwährend an dem Boden der Erfahrung nähren und läutern konnte. Daher kommt es, daß fein Buch auf jeder Seite interessant ist, insofern es einerseits alle die Fragen besonders hervorhebt und durchspricht, die gerade jetzt im praktischen Bühnenleben die Geister am meisten beschäftigen, andrerseits viele Beobachtungen mitteilt, die dem auf seine Bücher und Grübeleien allein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/85
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/85>, abgerufen am 06.06.2024.