Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

werfen, "bevor zur Arbeitsemstellung geschritten wird," mit Korporatious-
rechten auszustatten. Vou diesen Schiedsgerichten, denen sich der Arbeiter
unterwerfen soll, ehe zur Arbeitseinstellung geschritten wird, kann sich nun zwar
ein gewöhnlicher Verstand auch keine rechte Vorstellung mache". Denn ent¬
weder ist ein Schiedsgericht wirklich eins, das diesen Namen verdient, nicht
etwa eins, wie es auf dem Bergarbeitertage zu Halle aufgestellt wurde;
dann unterwerfen sich die Parteien schlechterdings seiner Entscheidung, sodaß
von Arbeitseinstellung überhaupt keine Rede sein kann, oder es kommt zur
Arbeitseinstellung, und dann ist das Schiedsgericht eben kein Schiedsgericht.
Aber Brentano ist so sehr von der Vortrefflichkeit seines Vorschlages über¬
zeugt, daß er sogar sozialdemokratischen Fachvereinen Korporationsrechte ver¬
leihen will, "sofern diese Bezeichnung ^sozialdemokratisch ^ sich nur bezieht auf
die Gesinnung und nicht auf die Handlungen der Angehörigen solcher Ver¬
eine." Das ist auch so eine kluge Erfindung, die nach dem alten Rezept ge¬
macht ist: Gedanken sind zollfrei. Stich halten aber wird die Erfindung nicht;
die Gesinnung hat zum Vater den Gedanken, und der Gedanke wartet überall
auf die Stunde, wo er zur That werden kann. Wo es anders ist, da ist
nicht von Gesinnung zu reden, sondern von einem Schwachkopf, in dem kein
Gedanke steckt. Der Gesinnung folgt die That mit Notwendigkeit; wann, das
hängt von der Gelegenheit ab. Das liegt in der Natur des Menschen. Nie¬
mand konnte das dem Herrn Referenten ans dem Frankfurter Vereinstage
deutlicher zu Gemüte führen, als Herr Buel aus Berlin, der den subtilen
Ausführungen des Herrn Professors die Forderungen des wirklichen Lebens
entgegenstellte und dem Lx aociuo-Verhandeln "zwischen den beiden Faktoren
der Produktion" (es geht doch nichts über die vornehme Sprache!) den Stand¬
punkt klar machte, indem er nicht zu verkennen bat, daß auch mit der heutigen
gesellschaftlichen Ordnung untrennbar das Unterordnungsverhältnis verknüpft
sei, in das der Arbeiter zum Arbeitgeber mit dem Abschluß des Arbeitsver¬
trages trete. So gewiß es wahr ist, daß dieser Abschluß selbst frei ist, also
auf der Grundlage ex g,6<iuo vollzogen wird, ebenso gewiß ist es auch, daß
uach dem Abschluß des Vertrages das Wort Goethes erfüllt sein will: "Dir
selbst sei tren und treu dem andern, dann ist die Enge weit genug!" Herr
Buel hatte gegenüber dem Gerede von einer fortlaufenden Gleichberechtigung in dem
Verhältnis des Arbeitgebers und des Arbeiters ganz Recht, wenn er darauf hin¬
wies, daß unsre ganze bürgerliche Ordnung auf Autorität auf der eiuen und auf
Unterordnung auf der andern Seite beruhe, und daß es, ohne diese Ordnung
zu zerstören, nicht möglich sein würde, die Arbeiter von aller mit der Autorität
verbundenen Unterordnung und von aller mit der Unterordnung verbundenen
Beschränkung des Selbstbestimmungsrechtes zu befreien- Auch war es sehr
gut angebracht, wenn Buel darauf hinwies, daß der Satz von der Antoritüt
und der Unterordnung bis in die gebildetsten Kreise hinauf gelte. Der höchste


werfen, „bevor zur Arbeitsemstellung geschritten wird," mit Korporatious-
rechten auszustatten. Vou diesen Schiedsgerichten, denen sich der Arbeiter
unterwerfen soll, ehe zur Arbeitseinstellung geschritten wird, kann sich nun zwar
ein gewöhnlicher Verstand auch keine rechte Vorstellung mache«. Denn ent¬
weder ist ein Schiedsgericht wirklich eins, das diesen Namen verdient, nicht
etwa eins, wie es auf dem Bergarbeitertage zu Halle aufgestellt wurde;
dann unterwerfen sich die Parteien schlechterdings seiner Entscheidung, sodaß
von Arbeitseinstellung überhaupt keine Rede sein kann, oder es kommt zur
Arbeitseinstellung, und dann ist das Schiedsgericht eben kein Schiedsgericht.
Aber Brentano ist so sehr von der Vortrefflichkeit seines Vorschlages über¬
zeugt, daß er sogar sozialdemokratischen Fachvereinen Korporationsrechte ver¬
leihen will, „sofern diese Bezeichnung ^sozialdemokratisch ^ sich nur bezieht auf
die Gesinnung und nicht auf die Handlungen der Angehörigen solcher Ver¬
eine." Das ist auch so eine kluge Erfindung, die nach dem alten Rezept ge¬
macht ist: Gedanken sind zollfrei. Stich halten aber wird die Erfindung nicht;
die Gesinnung hat zum Vater den Gedanken, und der Gedanke wartet überall
auf die Stunde, wo er zur That werden kann. Wo es anders ist, da ist
nicht von Gesinnung zu reden, sondern von einem Schwachkopf, in dem kein
Gedanke steckt. Der Gesinnung folgt die That mit Notwendigkeit; wann, das
hängt von der Gelegenheit ab. Das liegt in der Natur des Menschen. Nie¬
mand konnte das dem Herrn Referenten ans dem Frankfurter Vereinstage
deutlicher zu Gemüte führen, als Herr Buel aus Berlin, der den subtilen
Ausführungen des Herrn Professors die Forderungen des wirklichen Lebens
entgegenstellte und dem Lx aociuo-Verhandeln „zwischen den beiden Faktoren
der Produktion" (es geht doch nichts über die vornehme Sprache!) den Stand¬
punkt klar machte, indem er nicht zu verkennen bat, daß auch mit der heutigen
gesellschaftlichen Ordnung untrennbar das Unterordnungsverhältnis verknüpft
sei, in das der Arbeiter zum Arbeitgeber mit dem Abschluß des Arbeitsver¬
trages trete. So gewiß es wahr ist, daß dieser Abschluß selbst frei ist, also
auf der Grundlage ex g,6<iuo vollzogen wird, ebenso gewiß ist es auch, daß
uach dem Abschluß des Vertrages das Wort Goethes erfüllt sein will: „Dir
selbst sei tren und treu dem andern, dann ist die Enge weit genug!" Herr
Buel hatte gegenüber dem Gerede von einer fortlaufenden Gleichberechtigung in dem
Verhältnis des Arbeitgebers und des Arbeiters ganz Recht, wenn er darauf hin¬
wies, daß unsre ganze bürgerliche Ordnung auf Autorität auf der eiuen und auf
Unterordnung auf der andern Seite beruhe, und daß es, ohne diese Ordnung
zu zerstören, nicht möglich sein würde, die Arbeiter von aller mit der Autorität
verbundenen Unterordnung und von aller mit der Unterordnung verbundenen
Beschränkung des Selbstbestimmungsrechtes zu befreien- Auch war es sehr
gut angebracht, wenn Buel darauf hinwies, daß der Satz von der Antoritüt
und der Unterordnung bis in die gebildetsten Kreise hinauf gelte. Der höchste


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208685"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_302" prev="#ID_301" next="#ID_303"> werfen, &#x201E;bevor zur Arbeitsemstellung geschritten wird," mit Korporatious-<lb/>
rechten auszustatten. Vou diesen Schiedsgerichten, denen sich der Arbeiter<lb/>
unterwerfen soll, ehe zur Arbeitseinstellung geschritten wird, kann sich nun zwar<lb/>
ein gewöhnlicher Verstand auch keine rechte Vorstellung mache«. Denn ent¬<lb/>
weder ist ein Schiedsgericht wirklich eins, das diesen Namen verdient, nicht<lb/>
etwa eins, wie es auf dem Bergarbeitertage zu Halle aufgestellt wurde;<lb/>
dann unterwerfen sich die Parteien schlechterdings seiner Entscheidung, sodaß<lb/>
von Arbeitseinstellung überhaupt keine Rede sein kann, oder es kommt zur<lb/>
Arbeitseinstellung, und dann ist das Schiedsgericht eben kein Schiedsgericht.<lb/>
Aber Brentano ist so sehr von der Vortrefflichkeit seines Vorschlages über¬<lb/>
zeugt, daß er sogar sozialdemokratischen Fachvereinen Korporationsrechte ver¬<lb/>
leihen will, &#x201E;sofern diese Bezeichnung ^sozialdemokratisch ^ sich nur bezieht auf<lb/>
die Gesinnung und nicht auf die Handlungen der Angehörigen solcher Ver¬<lb/>
eine." Das ist auch so eine kluge Erfindung, die nach dem alten Rezept ge¬<lb/>
macht ist: Gedanken sind zollfrei. Stich halten aber wird die Erfindung nicht;<lb/>
die Gesinnung hat zum Vater den Gedanken, und der Gedanke wartet überall<lb/>
auf die Stunde, wo er zur That werden kann. Wo es anders ist, da ist<lb/>
nicht von Gesinnung zu reden, sondern von einem Schwachkopf, in dem kein<lb/>
Gedanke steckt. Der Gesinnung folgt die That mit Notwendigkeit; wann, das<lb/>
hängt von der Gelegenheit ab. Das liegt in der Natur des Menschen. Nie¬<lb/>
mand konnte das dem Herrn Referenten ans dem Frankfurter Vereinstage<lb/>
deutlicher zu Gemüte führen, als Herr Buel aus Berlin, der den subtilen<lb/>
Ausführungen des Herrn Professors die Forderungen des wirklichen Lebens<lb/>
entgegenstellte und dem Lx aociuo-Verhandeln &#x201E;zwischen den beiden Faktoren<lb/>
der Produktion" (es geht doch nichts über die vornehme Sprache!) den Stand¬<lb/>
punkt klar machte, indem er nicht zu verkennen bat, daß auch mit der heutigen<lb/>
gesellschaftlichen Ordnung untrennbar das Unterordnungsverhältnis verknüpft<lb/>
sei, in das der Arbeiter zum Arbeitgeber mit dem Abschluß des Arbeitsver¬<lb/>
trages trete. So gewiß es wahr ist, daß dieser Abschluß selbst frei ist, also<lb/>
auf der Grundlage ex g,6&lt;iuo vollzogen wird, ebenso gewiß ist es auch, daß<lb/>
uach dem Abschluß des Vertrages das Wort Goethes erfüllt sein will: &#x201E;Dir<lb/>
selbst sei tren und treu dem andern, dann ist die Enge weit genug!" Herr<lb/>
Buel hatte gegenüber dem Gerede von einer fortlaufenden Gleichberechtigung in dem<lb/>
Verhältnis des Arbeitgebers und des Arbeiters ganz Recht, wenn er darauf hin¬<lb/>
wies, daß unsre ganze bürgerliche Ordnung auf Autorität auf der eiuen und auf<lb/>
Unterordnung auf der andern Seite beruhe, und daß es, ohne diese Ordnung<lb/>
zu zerstören, nicht möglich sein würde, die Arbeiter von aller mit der Autorität<lb/>
verbundenen Unterordnung und von aller mit der Unterordnung verbundenen<lb/>
Beschränkung des Selbstbestimmungsrechtes zu befreien- Auch war es sehr<lb/>
gut angebracht, wenn Buel darauf hinwies, daß der Satz von der Antoritüt<lb/>
und der Unterordnung bis in die gebildetsten Kreise hinauf gelte. Der höchste</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0106] werfen, „bevor zur Arbeitsemstellung geschritten wird," mit Korporatious- rechten auszustatten. Vou diesen Schiedsgerichten, denen sich der Arbeiter unterwerfen soll, ehe zur Arbeitseinstellung geschritten wird, kann sich nun zwar ein gewöhnlicher Verstand auch keine rechte Vorstellung mache«. Denn ent¬ weder ist ein Schiedsgericht wirklich eins, das diesen Namen verdient, nicht etwa eins, wie es auf dem Bergarbeitertage zu Halle aufgestellt wurde; dann unterwerfen sich die Parteien schlechterdings seiner Entscheidung, sodaß von Arbeitseinstellung überhaupt keine Rede sein kann, oder es kommt zur Arbeitseinstellung, und dann ist das Schiedsgericht eben kein Schiedsgericht. Aber Brentano ist so sehr von der Vortrefflichkeit seines Vorschlages über¬ zeugt, daß er sogar sozialdemokratischen Fachvereinen Korporationsrechte ver¬ leihen will, „sofern diese Bezeichnung ^sozialdemokratisch ^ sich nur bezieht auf die Gesinnung und nicht auf die Handlungen der Angehörigen solcher Ver¬ eine." Das ist auch so eine kluge Erfindung, die nach dem alten Rezept ge¬ macht ist: Gedanken sind zollfrei. Stich halten aber wird die Erfindung nicht; die Gesinnung hat zum Vater den Gedanken, und der Gedanke wartet überall auf die Stunde, wo er zur That werden kann. Wo es anders ist, da ist nicht von Gesinnung zu reden, sondern von einem Schwachkopf, in dem kein Gedanke steckt. Der Gesinnung folgt die That mit Notwendigkeit; wann, das hängt von der Gelegenheit ab. Das liegt in der Natur des Menschen. Nie¬ mand konnte das dem Herrn Referenten ans dem Frankfurter Vereinstage deutlicher zu Gemüte führen, als Herr Buel aus Berlin, der den subtilen Ausführungen des Herrn Professors die Forderungen des wirklichen Lebens entgegenstellte und dem Lx aociuo-Verhandeln „zwischen den beiden Faktoren der Produktion" (es geht doch nichts über die vornehme Sprache!) den Stand¬ punkt klar machte, indem er nicht zu verkennen bat, daß auch mit der heutigen gesellschaftlichen Ordnung untrennbar das Unterordnungsverhältnis verknüpft sei, in das der Arbeiter zum Arbeitgeber mit dem Abschluß des Arbeitsver¬ trages trete. So gewiß es wahr ist, daß dieser Abschluß selbst frei ist, also auf der Grundlage ex g,6<iuo vollzogen wird, ebenso gewiß ist es auch, daß uach dem Abschluß des Vertrages das Wort Goethes erfüllt sein will: „Dir selbst sei tren und treu dem andern, dann ist die Enge weit genug!" Herr Buel hatte gegenüber dem Gerede von einer fortlaufenden Gleichberechtigung in dem Verhältnis des Arbeitgebers und des Arbeiters ganz Recht, wenn er darauf hin¬ wies, daß unsre ganze bürgerliche Ordnung auf Autorität auf der eiuen und auf Unterordnung auf der andern Seite beruhe, und daß es, ohne diese Ordnung zu zerstören, nicht möglich sein würde, die Arbeiter von aller mit der Autorität verbundenen Unterordnung und von aller mit der Unterordnung verbundenen Beschränkung des Selbstbestimmungsrechtes zu befreien- Auch war es sehr gut angebracht, wenn Buel darauf hinwies, daß der Satz von der Antoritüt und der Unterordnung bis in die gebildetsten Kreise hinauf gelte. Der höchste

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/106
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/106>, abgerufen am 13.05.2024.