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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Beamte im Staate hat sich ja, wenn er seine Arbeit verwerten will, den Be¬
dingungen zu fügen, die dieser Arbeit gestellt sind. Es wäre sehr zweckmäßig,
wenn unsre wissenschaftlichen "Celebritäten" anstatt mit Gleichberechtigung,
Arbeiterorganisationen, Ägouo-VerlMidlnngen u. dergl. den Verstand der
Massen doch zunächst lieber damit ausheilen wollten, daß sie sie mit klaren
und entschiednen Worten ans die Bedingungen hinwiesen, unter denen jeder
menschliche Verband überhaupt lebensfähig wird und bleibt. Wer das an¬
geführte Gvethische Wort hat verstehen lernen, der hat mehr an wahrem Glück
gewonnen, als ihn: alle Nachahmung der englischen Einrichtungen, auf die Herr
Professor Brentano jetzt so gern hinweist, als alle Streiks diesseits und jen¬
seits des Kanals, und als alle schönen Reden von Freiheit und Gleich¬
berechtigung je geben können. Übrigens hatte auch Professor Schmoller das
Nichtige getroffen, wenn er meinte, daß wenn man im Sinne Brentanos
Unternehmer und Arbeiter organisirt gegenübertreten lassen wollte, so müßte
die Gesetzgebung und die Verwaltung die Zügel in die Hand nehmen, wenn
nicht entsetzliche Zustände entstehen sollten.

Einen Vorgeschmack dieser Zustände boten bereits die Bewegungen der
sozialdemokratischen Arbeiterwelt in den letzten Wochen vor dein Aufhören des
Sozialisteugesetzes. Es ist unglaublich, wie die Leidenschaften schon vor dem
1. Oktober in den sozialdemokratischen Versammlungen entfesselt worden sind.
Was Professor Schmoller sagte, das wird sich nach dem Aufhören des
Sozialistengesetzes sehr bald ergeben. Der Freisinn und was mit ihm in der
Opposition gegen das Gesetz zusammenhielt, wird uns schwerlich schützen. Er
sieht jetzt seinen Wunsch nach Geltung des allgemeinen gleichen Rechtes er¬
füllt, er hat auch die vielverlangte Möglichkeit, mit geistigen Waffen die
Sozialdemokratie zu bekämpfen. Er wird nun seine Kunst zeigen. Nach dein,
was er bis jetzt geleistet hat, ist allerdings von der Arbeit des freisinnigen
Heldentums nicht viel zu sehen gewesen. Und er hätte doch so viel Gelegen¬
heit dazu gehabt. Das ganze Register der sozialdemokratischen Anklagen gegen
die bürgerliche Gesellschaft und alle Saiten der Beglücknngsmnsik in der neuen
sozialdemokratischen Gesellschaft sind uns in Zeitungen und in Versamm¬
lungen gezogen und aufgezogen worden. Immer und immer wieder werden
die Themata von der verfaulten Kultur des heutigen Staates, von der
erschrecklichen Tyrannei unsrer Zustände, von der Vortrefflichkeit der neuen
sozialdemokratischen Welt variirt und den Scharen der Gläubigen als Evan¬
gelium vorposaunt. Alles, was gesprochen wird, endet damit, daß die be¬
stehende Gesellschaft im Verwesen sei, daß alle Hilfe, die sie bringt und noch
bringen wolle, eitles und uichtswürdiges Flickwerk sei, daß nur der Umsturz
aller Dinge das Heil enthalte. Es hilft dem Arbeiter keine Sparsamkeit, keine
Mäßigkeit, keine Arbeitsamkeit, sondern, so trägt es die immer wieder ge¬
predigte Weisheit des Liebknecht-Bebelschen "Berliner Volksblattes" vor, "für


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Beamte im Staate hat sich ja, wenn er seine Arbeit verwerten will, den Be¬
dingungen zu fügen, die dieser Arbeit gestellt sind. Es wäre sehr zweckmäßig,
wenn unsre wissenschaftlichen „Celebritäten" anstatt mit Gleichberechtigung,
Arbeiterorganisationen, Ägouo-VerlMidlnngen u. dergl. den Verstand der
Massen doch zunächst lieber damit ausheilen wollten, daß sie sie mit klaren
und entschiednen Worten ans die Bedingungen hinwiesen, unter denen jeder
menschliche Verband überhaupt lebensfähig wird und bleibt. Wer das an¬
geführte Gvethische Wort hat verstehen lernen, der hat mehr an wahrem Glück
gewonnen, als ihn: alle Nachahmung der englischen Einrichtungen, auf die Herr
Professor Brentano jetzt so gern hinweist, als alle Streiks diesseits und jen¬
seits des Kanals, und als alle schönen Reden von Freiheit und Gleich¬
berechtigung je geben können. Übrigens hatte auch Professor Schmoller das
Nichtige getroffen, wenn er meinte, daß wenn man im Sinne Brentanos
Unternehmer und Arbeiter organisirt gegenübertreten lassen wollte, so müßte
die Gesetzgebung und die Verwaltung die Zügel in die Hand nehmen, wenn
nicht entsetzliche Zustände entstehen sollten.

Einen Vorgeschmack dieser Zustände boten bereits die Bewegungen der
sozialdemokratischen Arbeiterwelt in den letzten Wochen vor dein Aufhören des
Sozialisteugesetzes. Es ist unglaublich, wie die Leidenschaften schon vor dem
1. Oktober in den sozialdemokratischen Versammlungen entfesselt worden sind.
Was Professor Schmoller sagte, das wird sich nach dem Aufhören des
Sozialistengesetzes sehr bald ergeben. Der Freisinn und was mit ihm in der
Opposition gegen das Gesetz zusammenhielt, wird uns schwerlich schützen. Er
sieht jetzt seinen Wunsch nach Geltung des allgemeinen gleichen Rechtes er¬
füllt, er hat auch die vielverlangte Möglichkeit, mit geistigen Waffen die
Sozialdemokratie zu bekämpfen. Er wird nun seine Kunst zeigen. Nach dein,
was er bis jetzt geleistet hat, ist allerdings von der Arbeit des freisinnigen
Heldentums nicht viel zu sehen gewesen. Und er hätte doch so viel Gelegen¬
heit dazu gehabt. Das ganze Register der sozialdemokratischen Anklagen gegen
die bürgerliche Gesellschaft und alle Saiten der Beglücknngsmnsik in der neuen
sozialdemokratischen Gesellschaft sind uns in Zeitungen und in Versamm¬
lungen gezogen und aufgezogen worden. Immer und immer wieder werden
die Themata von der verfaulten Kultur des heutigen Staates, von der
erschrecklichen Tyrannei unsrer Zustände, von der Vortrefflichkeit der neuen
sozialdemokratischen Welt variirt und den Scharen der Gläubigen als Evan¬
gelium vorposaunt. Alles, was gesprochen wird, endet damit, daß die be¬
stehende Gesellschaft im Verwesen sei, daß alle Hilfe, die sie bringt und noch
bringen wolle, eitles und uichtswürdiges Flickwerk sei, daß nur der Umsturz
aller Dinge das Heil enthalte. Es hilft dem Arbeiter keine Sparsamkeit, keine
Mäßigkeit, keine Arbeitsamkeit, sondern, so trägt es die immer wieder ge¬
predigte Weisheit des Liebknecht-Bebelschen „Berliner Volksblattes" vor, „für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/107>, abgerufen am 06.06.2024.