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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

Die Anlagen des Gartens, obwohl bescheidner und minder ausgedehnt,
als die großen Gärten im Norden und Nordwesten der ewigen Stadt, bedecken
dennoch ein bedeutendes Stück des Süd- und Südwestabhauges des Monte
Cello. Die Üppigkeit des Pflanzenwuchses macht auch hier eine minder sorg¬
fältige Pflege nötig', als in nordischen Lnxusgärten ähnlicher Art. In be¬
quemen Windungen erstreckt sich die Folge von Laubgängen, Blnmenterrasseu
und Rasenflächen bis zum untern Teil der Villa, wo die Prunlwieseu von
Weiden abgelöst werden, auf deuen sich Büffel, Esel und Ziegen strecken. Ein
Überfluß an Schatten, Blüten und Düften für Hunderte und vollends für
den glücklichen Besitzer und seine Gäste leiht dem schönen Garten seinen ge¬
heimsten Reiz, nur das Wasser scheint hier spärlicher vorhanden, als in den
meisten Teilen Roms, das man sollst eine Brunnenstadt nennen kaun. Natürlich
fehlt es auch in Villa Mattei nicht an Steinbecken und Wasserstrahlen, ohne die
gar kein römischer Garten denkbar ist. Die betäubenden Orangendüfte, die
weithin verhauchen, mischen sich mit süßerem Duft: eine ganze lange Mauer,
die nach oben eine der baumbedeckteu Terrassen stützt, ist mit den hoch¬
stämmigen gelben Rosen bewachsen, die zu tausenden in Blüte stehen. Aber
wie schon und erfrischend es auch in diesen tiefergelegenen Teilen des Pracht¬
gartens ist, die Aussichtsstellen mit dem Rückblick auf den Esquilin, dem
Ausblick auf die Ruinen und die sonnige Landschaft, über die der Hauch des
Abends geht, zwingen jeden Besucher bald wieder hinaus. Untere und obere
Teile des Gartens sind durch Treppen verbunden, die Ausdehnung überhaupt
nicht so groß, daß ein Spaziergänger darin ermüden könnte.

Auf der Höhe des Hügelgartens zieht uns geheime Gewalt abermals
nach der schon oft genossenen Aussicht hiu, die immer neu bleibt. Die Nach-
mittagssonne steht tiefer und die Farben über dem Campagnabilde find wieder
verändert, die rosigen Wölkchen von vorhin sind tiefrot geworden, die licht¬
blauen Schatten in dunkles Violett übergegangen, um die Gräbermauern und
Hügel der Via Appia, um die Trümmer der Noma Vecchia flutet ein roter
und orangegelber Schein, freilich nicht in der vollen Glut eiuer Herbstabeud-
stimmung, aber doch glänzend und feierlich. Die Stille draußen, in die uur
das Läuten kleiner Kloster- oder Vorstadtkirchen hineinklingt, die wir erst beim
Schall ihrer Glocken entdecken, entspricht der Stille der nächsten Umgebung.
Das Gefühl, festwurzeln, bleiben und immer bleiben zu mögen, war hier nicht
abzuwehren. Ich gestehe gern ein, daß es mich auf dem protestantischen
Friedhof an der Pyramide des Cestius nicht wie so viele andre angewandelt
hat, so wundervoll wir auch in den Ostertagen, als wir dort die Gräber von
Asmlls Cnrstens und Shelley, von Adam Eberle und Dreher, von Wilhelm
Waiblinger und Goethes einzigem Sohne August aufsuchten, den Boden des
ganzen Friedhofs und die Gräberhügel selbst mit Veilchen überwachsen fanden.
Aber im Garten der Villa Mattei kam es mit aller Macht über mich. Was


Römische Frühlingsbilder

Die Anlagen des Gartens, obwohl bescheidner und minder ausgedehnt,
als die großen Gärten im Norden und Nordwesten der ewigen Stadt, bedecken
dennoch ein bedeutendes Stück des Süd- und Südwestabhauges des Monte
Cello. Die Üppigkeit des Pflanzenwuchses macht auch hier eine minder sorg¬
fältige Pflege nötig', als in nordischen Lnxusgärten ähnlicher Art. In be¬
quemen Windungen erstreckt sich die Folge von Laubgängen, Blnmenterrasseu
und Rasenflächen bis zum untern Teil der Villa, wo die Prunlwieseu von
Weiden abgelöst werden, auf deuen sich Büffel, Esel und Ziegen strecken. Ein
Überfluß an Schatten, Blüten und Düften für Hunderte und vollends für
den glücklichen Besitzer und seine Gäste leiht dem schönen Garten seinen ge¬
heimsten Reiz, nur das Wasser scheint hier spärlicher vorhanden, als in den
meisten Teilen Roms, das man sollst eine Brunnenstadt nennen kaun. Natürlich
fehlt es auch in Villa Mattei nicht an Steinbecken und Wasserstrahlen, ohne die
gar kein römischer Garten denkbar ist. Die betäubenden Orangendüfte, die
weithin verhauchen, mischen sich mit süßerem Duft: eine ganze lange Mauer,
die nach oben eine der baumbedeckteu Terrassen stützt, ist mit den hoch¬
stämmigen gelben Rosen bewachsen, die zu tausenden in Blüte stehen. Aber
wie schon und erfrischend es auch in diesen tiefergelegenen Teilen des Pracht¬
gartens ist, die Aussichtsstellen mit dem Rückblick auf den Esquilin, dem
Ausblick auf die Ruinen und die sonnige Landschaft, über die der Hauch des
Abends geht, zwingen jeden Besucher bald wieder hinaus. Untere und obere
Teile des Gartens sind durch Treppen verbunden, die Ausdehnung überhaupt
nicht so groß, daß ein Spaziergänger darin ermüden könnte.

Auf der Höhe des Hügelgartens zieht uns geheime Gewalt abermals
nach der schon oft genossenen Aussicht hiu, die immer neu bleibt. Die Nach-
mittagssonne steht tiefer und die Farben über dem Campagnabilde find wieder
verändert, die rosigen Wölkchen von vorhin sind tiefrot geworden, die licht¬
blauen Schatten in dunkles Violett übergegangen, um die Gräbermauern und
Hügel der Via Appia, um die Trümmer der Noma Vecchia flutet ein roter
und orangegelber Schein, freilich nicht in der vollen Glut eiuer Herbstabeud-
stimmung, aber doch glänzend und feierlich. Die Stille draußen, in die uur
das Läuten kleiner Kloster- oder Vorstadtkirchen hineinklingt, die wir erst beim
Schall ihrer Glocken entdecken, entspricht der Stille der nächsten Umgebung.
Das Gefühl, festwurzeln, bleiben und immer bleiben zu mögen, war hier nicht
abzuwehren. Ich gestehe gern ein, daß es mich auf dem protestantischen
Friedhof an der Pyramide des Cestius nicht wie so viele andre angewandelt
hat, so wundervoll wir auch in den Ostertagen, als wir dort die Gräber von
Asmlls Cnrstens und Shelley, von Adam Eberle und Dreher, von Wilhelm
Waiblinger und Goethes einzigem Sohne August aufsuchten, den Boden des
ganzen Friedhofs und die Gräberhügel selbst mit Veilchen überwachsen fanden.
Aber im Garten der Villa Mattei kam es mit aller Macht über mich. Was


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[0136] Römische Frühlingsbilder Die Anlagen des Gartens, obwohl bescheidner und minder ausgedehnt, als die großen Gärten im Norden und Nordwesten der ewigen Stadt, bedecken dennoch ein bedeutendes Stück des Süd- und Südwestabhauges des Monte Cello. Die Üppigkeit des Pflanzenwuchses macht auch hier eine minder sorg¬ fältige Pflege nötig', als in nordischen Lnxusgärten ähnlicher Art. In be¬ quemen Windungen erstreckt sich die Folge von Laubgängen, Blnmenterrasseu und Rasenflächen bis zum untern Teil der Villa, wo die Prunlwieseu von Weiden abgelöst werden, auf deuen sich Büffel, Esel und Ziegen strecken. Ein Überfluß an Schatten, Blüten und Düften für Hunderte und vollends für den glücklichen Besitzer und seine Gäste leiht dem schönen Garten seinen ge¬ heimsten Reiz, nur das Wasser scheint hier spärlicher vorhanden, als in den meisten Teilen Roms, das man sollst eine Brunnenstadt nennen kaun. Natürlich fehlt es auch in Villa Mattei nicht an Steinbecken und Wasserstrahlen, ohne die gar kein römischer Garten denkbar ist. Die betäubenden Orangendüfte, die weithin verhauchen, mischen sich mit süßerem Duft: eine ganze lange Mauer, die nach oben eine der baumbedeckteu Terrassen stützt, ist mit den hoch¬ stämmigen gelben Rosen bewachsen, die zu tausenden in Blüte stehen. Aber wie schon und erfrischend es auch in diesen tiefergelegenen Teilen des Pracht¬ gartens ist, die Aussichtsstellen mit dem Rückblick auf den Esquilin, dem Ausblick auf die Ruinen und die sonnige Landschaft, über die der Hauch des Abends geht, zwingen jeden Besucher bald wieder hinaus. Untere und obere Teile des Gartens sind durch Treppen verbunden, die Ausdehnung überhaupt nicht so groß, daß ein Spaziergänger darin ermüden könnte. Auf der Höhe des Hügelgartens zieht uns geheime Gewalt abermals nach der schon oft genossenen Aussicht hiu, die immer neu bleibt. Die Nach- mittagssonne steht tiefer und die Farben über dem Campagnabilde find wieder verändert, die rosigen Wölkchen von vorhin sind tiefrot geworden, die licht¬ blauen Schatten in dunkles Violett übergegangen, um die Gräbermauern und Hügel der Via Appia, um die Trümmer der Noma Vecchia flutet ein roter und orangegelber Schein, freilich nicht in der vollen Glut eiuer Herbstabeud- stimmung, aber doch glänzend und feierlich. Die Stille draußen, in die uur das Läuten kleiner Kloster- oder Vorstadtkirchen hineinklingt, die wir erst beim Schall ihrer Glocken entdecken, entspricht der Stille der nächsten Umgebung. Das Gefühl, festwurzeln, bleiben und immer bleiben zu mögen, war hier nicht abzuwehren. Ich gestehe gern ein, daß es mich auf dem protestantischen Friedhof an der Pyramide des Cestius nicht wie so viele andre angewandelt hat, so wundervoll wir auch in den Ostertagen, als wir dort die Gräber von Asmlls Cnrstens und Shelley, von Adam Eberle und Dreher, von Wilhelm Waiblinger und Goethes einzigem Sohne August aufsuchten, den Boden des ganzen Friedhofs und die Gräberhügel selbst mit Veilchen überwachsen fanden. Aber im Garten der Villa Mattei kam es mit aller Macht über mich. Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/136>, abgerufen am 25.05.2024.