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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

man im Grunde überall in Rom empfindet, -daß die Tage vollen Genusses
und großer Anschauungen zu kurz und flüchtig sind, das macht sich doppelt
geltend, wenn man von dem Frieden und der nicht anszngenießenden Mannich-
faltigkeit dieses schönen Stückes Erde scheiden soll. Der Garten der Villa
Mattei ist einer von den Punkten, zu denen man tagelang, monatelang immer
wieder zurückkehren müßte. Was man aus den lauschigen Bosketts dieser Anlagen
sieht, mahnt ja auch zum großen Teil an vergangene Jahrhunderte, an dunkle
Zeiten und weltgeschichtliche Stürme. Beim Vesnch der einzelnen Punkte wird man
sich weder in den zahlreichen Kirchen des Südteils von Rom, in den ungeheueren
mosaikgepflasterten Räumen der Caraeallathermen, noch an den Denkmalen der
Via Appia der historischen Erinnerungen entschlagen. Doch umfangen von dem
Grün des friedlich üppigen Gartens, überwältigt vom wunderbaren Zusammen¬
klang so grundverschiedener Lebensreste und Schasfenszeugnisse, von dem Licht
und Duft eines Tages, der auf der Grenze zwischen Lenz und Sommer steht,
vergißt man alles einzelne über dem Zauber des Ganzen. Wie die Stadt¬
winkel und die staubigen Straßen innerhalb der Mauern, die öderen Felder
und minder malerischen Trümmer in der Landschaft mit allem Schönen und
Charakteristischen zu einem überwältigend großen und reizvollen Rundbilde zu¬
sammenfließen, so ists auch eine allem Geschichtlichen für den Augenblick ent¬
rückte Befriedigung, die uns angesichts des Bildes erfaßt. Man lebt in der
köstlichen Stunde und vergißt wenigstens einmal, wie viel Voraussetzungen
diese Gegenwart hat!

Es war uns nicht vergönnt, den völligen Niedergang der Sonne und
die purpurne Überflutung des Campagnahimmels in diesem unvergleichlich
schönen Garten zu erwarten oder gar das Aufblitzen klarer Gestirne, das in
der gaserhellten Nacht der Stadt nicht zu feinem Rechte kommt, hier oben zu
erleben. Die allgemeine Gastlichkeit der Villa Mattei erstreckt sich nicht über
Sonnenuntergang hinaus, was nur in der Ordnung ist. Das notwendige
rasche Scheiden aus den herrlichen Anlagen ist zugleich eine leise Vormahnung
an deu bevorstehenden Abschied von Rom überhaupt. Die kränkliche Scheu
vor der Heimat und ihren Pflichten, die so viele Deutsche auf welschem
Boden übermächtig in sich werden ließen, ist mir fremd und wird es hoffentlich
bleiben; aber leicht scheidet sichs da nicht, wo ein goldner Nachmittag die Ge¬
wißheit erneuert hat, daß es Erlebnisse und Entzückungen giebt, die man kaum
hoffen darf zum zweitenmale zu erfahren.




Grmzbote" IV 1890>7
Römische Frühlingsbilder

man im Grunde überall in Rom empfindet, -daß die Tage vollen Genusses
und großer Anschauungen zu kurz und flüchtig sind, das macht sich doppelt
geltend, wenn man von dem Frieden und der nicht anszngenießenden Mannich-
faltigkeit dieses schönen Stückes Erde scheiden soll. Der Garten der Villa
Mattei ist einer von den Punkten, zu denen man tagelang, monatelang immer
wieder zurückkehren müßte. Was man aus den lauschigen Bosketts dieser Anlagen
sieht, mahnt ja auch zum großen Teil an vergangene Jahrhunderte, an dunkle
Zeiten und weltgeschichtliche Stürme. Beim Vesnch der einzelnen Punkte wird man
sich weder in den zahlreichen Kirchen des Südteils von Rom, in den ungeheueren
mosaikgepflasterten Räumen der Caraeallathermen, noch an den Denkmalen der
Via Appia der historischen Erinnerungen entschlagen. Doch umfangen von dem
Grün des friedlich üppigen Gartens, überwältigt vom wunderbaren Zusammen¬
klang so grundverschiedener Lebensreste und Schasfenszeugnisse, von dem Licht
und Duft eines Tages, der auf der Grenze zwischen Lenz und Sommer steht,
vergißt man alles einzelne über dem Zauber des Ganzen. Wie die Stadt¬
winkel und die staubigen Straßen innerhalb der Mauern, die öderen Felder
und minder malerischen Trümmer in der Landschaft mit allem Schönen und
Charakteristischen zu einem überwältigend großen und reizvollen Rundbilde zu¬
sammenfließen, so ists auch eine allem Geschichtlichen für den Augenblick ent¬
rückte Befriedigung, die uns angesichts des Bildes erfaßt. Man lebt in der
köstlichen Stunde und vergißt wenigstens einmal, wie viel Voraussetzungen
diese Gegenwart hat!

Es war uns nicht vergönnt, den völligen Niedergang der Sonne und
die purpurne Überflutung des Campagnahimmels in diesem unvergleichlich
schönen Garten zu erwarten oder gar das Aufblitzen klarer Gestirne, das in
der gaserhellten Nacht der Stadt nicht zu feinem Rechte kommt, hier oben zu
erleben. Die allgemeine Gastlichkeit der Villa Mattei erstreckt sich nicht über
Sonnenuntergang hinaus, was nur in der Ordnung ist. Das notwendige
rasche Scheiden aus den herrlichen Anlagen ist zugleich eine leise Vormahnung
an deu bevorstehenden Abschied von Rom überhaupt. Die kränkliche Scheu
vor der Heimat und ihren Pflichten, die so viele Deutsche auf welschem
Boden übermächtig in sich werden ließen, ist mir fremd und wird es hoffentlich
bleiben; aber leicht scheidet sichs da nicht, wo ein goldner Nachmittag die Ge¬
wißheit erneuert hat, daß es Erlebnisse und Entzückungen giebt, die man kaum
hoffen darf zum zweitenmale zu erfahren.




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[0137] Römische Frühlingsbilder man im Grunde überall in Rom empfindet, -daß die Tage vollen Genusses und großer Anschauungen zu kurz und flüchtig sind, das macht sich doppelt geltend, wenn man von dem Frieden und der nicht anszngenießenden Mannich- faltigkeit dieses schönen Stückes Erde scheiden soll. Der Garten der Villa Mattei ist einer von den Punkten, zu denen man tagelang, monatelang immer wieder zurückkehren müßte. Was man aus den lauschigen Bosketts dieser Anlagen sieht, mahnt ja auch zum großen Teil an vergangene Jahrhunderte, an dunkle Zeiten und weltgeschichtliche Stürme. Beim Vesnch der einzelnen Punkte wird man sich weder in den zahlreichen Kirchen des Südteils von Rom, in den ungeheueren mosaikgepflasterten Räumen der Caraeallathermen, noch an den Denkmalen der Via Appia der historischen Erinnerungen entschlagen. Doch umfangen von dem Grün des friedlich üppigen Gartens, überwältigt vom wunderbaren Zusammen¬ klang so grundverschiedener Lebensreste und Schasfenszeugnisse, von dem Licht und Duft eines Tages, der auf der Grenze zwischen Lenz und Sommer steht, vergißt man alles einzelne über dem Zauber des Ganzen. Wie die Stadt¬ winkel und die staubigen Straßen innerhalb der Mauern, die öderen Felder und minder malerischen Trümmer in der Landschaft mit allem Schönen und Charakteristischen zu einem überwältigend großen und reizvollen Rundbilde zu¬ sammenfließen, so ists auch eine allem Geschichtlichen für den Augenblick ent¬ rückte Befriedigung, die uns angesichts des Bildes erfaßt. Man lebt in der köstlichen Stunde und vergißt wenigstens einmal, wie viel Voraussetzungen diese Gegenwart hat! Es war uns nicht vergönnt, den völligen Niedergang der Sonne und die purpurne Überflutung des Campagnahimmels in diesem unvergleichlich schönen Garten zu erwarten oder gar das Aufblitzen klarer Gestirne, das in der gaserhellten Nacht der Stadt nicht zu feinem Rechte kommt, hier oben zu erleben. Die allgemeine Gastlichkeit der Villa Mattei erstreckt sich nicht über Sonnenuntergang hinaus, was nur in der Ordnung ist. Das notwendige rasche Scheiden aus den herrlichen Anlagen ist zugleich eine leise Vormahnung an deu bevorstehenden Abschied von Rom überhaupt. Die kränkliche Scheu vor der Heimat und ihren Pflichten, die so viele Deutsche auf welschem Boden übermächtig in sich werden ließen, ist mir fremd und wird es hoffentlich bleiben; aber leicht scheidet sichs da nicht, wo ein goldner Nachmittag die Ge¬ wißheit erneuert hat, daß es Erlebnisse und Entzückungen giebt, die man kaum hoffen darf zum zweitenmale zu erfahren. Grmzbote» IV 1890>7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/137>, abgerufen am 11.05.2024.