Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der deutsche Klassiker des Sozialismus

von seinem Besitz. Sie bringen aber bedeutend mehr hervor, so viel, daß der
Herr nicht allein gut und reichlich essen und trinken, sich warm und pracht¬
voll kleiden kaun und ein schönes, mit bequemen Gerätschaften ausgestattetes
Haus erhält, sondern auch uoch vielerlei Bequemlichkeiten, wie die per¬
sönliche Bedienung und die Beförderung von einem Orte zum andern
durch Pferde, Wagen oder Tragsessel genießt. Die Gesamtheit dieser
Güter, deren er sich erfreuen kann, weil sie nach Abzug des Unterhalts
der Sklaven und des Kapitalersatzes oder der Neuanlage übrig bleiben, bildet
sein Einkommen; das ist die Rente, die ihm sein Grundstück abwirft, die er
bezieht, bloß weil er Besitzer ist. Sie ist lediglich das Erzeugnis der Arbeit
seiner Sklaven, er aber betrachtet sie als den Ertrag seines Vermögens, und
er ist dazu formell berechtigt, weil die Arbeiter selbst einen Bestandteil dieses
Vermögens bilden. Kapital ist der Teil seines Vermögens, der aus Boden¬
kulturen, Gebäuden, Werkzeugen und Vieh besteht, im Sinne von vorgethcmcr
Arbeit; aber in dem jetzt gebräuchlichsten Sinne, als Betriebskapital, ist keins
vorhanden, weil fa, wie gesagt, von außen nichts in die Wirtschaft hinein¬
kommt. Daß vielleicht schon einige überflüssige Rohprodukte und Fabrikate
auf einem auswärtigen Markte verkauft und für das daraus gelöste Geld
einige Dinge eingekauft werden, die dem Besitzer daheim nicht wachsen, berührt
die Wirtschaft uicht. Weil kein Betriebskapital, so ist auch noch kein Zins
vorhanden, deun solcher kann nur uach dem Gewinn berechnet werden, den
das Kapital abwirft. Wo bei Naturalwirtschaft ein Zins von Gelddarlehen
vorkommt, da ist er Wucherzins, d. h. seine Höhe wird nicht nach dem Ge¬
winn berechnet, den der Gläubiger durch Anlage des Kapitals im Gewerbe
erzielen könnte, sondern nach dem Grade der Not, die den Schuldner zwingt,
Geld aufzunehmen. So faßt selbst Aristoteles noch den Zins auf. (Und auf
dessen Auffassung ist das kanonische Zinsverbot, das auch Luther uoch ver¬
teidigte, wohl mehr als auf das Neue Testament zurückzuführen.)

Betriebskapital entsteht, sobald sich die Fabrikation von der Landwirt¬
schaft trennt, weil der Fabrikant das Rohmaterial und die Werkzeuge kaufen
und den Arbeitern Lohn gewähren muß, schon ehe ihm die Fabrikation etwas
einträgt. Mit der Scheidung der Fabrikation von der Landwirtschaft tritt
zugleich eine Verzweigung der Fabrikation in viele Gewerbe ein. Deun
während dem Landwirt vielerlei Rohstoffe zuwachsen, die er auf seinem ge¬
räumigen Grundstück auch gleich verarbeiten lassen kauu, muß sich der Fabri¬
kant, der die Rohstoffe zu kaufen und nur einen beschränkten Raum zur Ver¬
fügung hat, auf die Verarbeitung eiues einzelnen Rohstoffes, und zwar auf
einen einzelnen Prvduktivusabschnitt dieser Verarbeitung beschränken; er ist ent¬
weder Müller oder Bäcker, Gerber oder Schuster, Brettschneider oder Tischler.
Je einseitiger seine Produktion ist, desto weniger Gebrauchswert hat sein Pro¬
dukt für ihn selbst, desto weniger kann er es auch zur Ergänzung seiner Werk-


Der deutsche Klassiker des Sozialismus

von seinem Besitz. Sie bringen aber bedeutend mehr hervor, so viel, daß der
Herr nicht allein gut und reichlich essen und trinken, sich warm und pracht¬
voll kleiden kaun und ein schönes, mit bequemen Gerätschaften ausgestattetes
Haus erhält, sondern auch uoch vielerlei Bequemlichkeiten, wie die per¬
sönliche Bedienung und die Beförderung von einem Orte zum andern
durch Pferde, Wagen oder Tragsessel genießt. Die Gesamtheit dieser
Güter, deren er sich erfreuen kann, weil sie nach Abzug des Unterhalts
der Sklaven und des Kapitalersatzes oder der Neuanlage übrig bleiben, bildet
sein Einkommen; das ist die Rente, die ihm sein Grundstück abwirft, die er
bezieht, bloß weil er Besitzer ist. Sie ist lediglich das Erzeugnis der Arbeit
seiner Sklaven, er aber betrachtet sie als den Ertrag seines Vermögens, und
er ist dazu formell berechtigt, weil die Arbeiter selbst einen Bestandteil dieses
Vermögens bilden. Kapital ist der Teil seines Vermögens, der aus Boden¬
kulturen, Gebäuden, Werkzeugen und Vieh besteht, im Sinne von vorgethcmcr
Arbeit; aber in dem jetzt gebräuchlichsten Sinne, als Betriebskapital, ist keins
vorhanden, weil fa, wie gesagt, von außen nichts in die Wirtschaft hinein¬
kommt. Daß vielleicht schon einige überflüssige Rohprodukte und Fabrikate
auf einem auswärtigen Markte verkauft und für das daraus gelöste Geld
einige Dinge eingekauft werden, die dem Besitzer daheim nicht wachsen, berührt
die Wirtschaft uicht. Weil kein Betriebskapital, so ist auch noch kein Zins
vorhanden, deun solcher kann nur uach dem Gewinn berechnet werden, den
das Kapital abwirft. Wo bei Naturalwirtschaft ein Zins von Gelddarlehen
vorkommt, da ist er Wucherzins, d. h. seine Höhe wird nicht nach dem Ge¬
winn berechnet, den der Gläubiger durch Anlage des Kapitals im Gewerbe
erzielen könnte, sondern nach dem Grade der Not, die den Schuldner zwingt,
Geld aufzunehmen. So faßt selbst Aristoteles noch den Zins auf. (Und auf
dessen Auffassung ist das kanonische Zinsverbot, das auch Luther uoch ver¬
teidigte, wohl mehr als auf das Neue Testament zurückzuführen.)

Betriebskapital entsteht, sobald sich die Fabrikation von der Landwirt¬
schaft trennt, weil der Fabrikant das Rohmaterial und die Werkzeuge kaufen
und den Arbeitern Lohn gewähren muß, schon ehe ihm die Fabrikation etwas
einträgt. Mit der Scheidung der Fabrikation von der Landwirtschaft tritt
zugleich eine Verzweigung der Fabrikation in viele Gewerbe ein. Deun
während dem Landwirt vielerlei Rohstoffe zuwachsen, die er auf seinem ge¬
räumigen Grundstück auch gleich verarbeiten lassen kauu, muß sich der Fabri¬
kant, der die Rohstoffe zu kaufen und nur einen beschränkten Raum zur Ver¬
fügung hat, auf die Verarbeitung eiues einzelnen Rohstoffes, und zwar auf
einen einzelnen Prvduktivusabschnitt dieser Verarbeitung beschränken; er ist ent¬
weder Müller oder Bäcker, Gerber oder Schuster, Brettschneider oder Tischler.
Je einseitiger seine Produktion ist, desto weniger Gebrauchswert hat sein Pro¬
dukt für ihn selbst, desto weniger kann er es auch zur Ergänzung seiner Werk-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208848"/>
            <fw type="header" place="top"> Der deutsche Klassiker des Sozialismus</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_762" prev="#ID_761"> von seinem Besitz. Sie bringen aber bedeutend mehr hervor, so viel, daß der<lb/>
Herr nicht allein gut und reichlich essen und trinken, sich warm und pracht¬<lb/>
voll kleiden kaun und ein schönes, mit bequemen Gerätschaften ausgestattetes<lb/>
Haus erhält, sondern auch uoch vielerlei Bequemlichkeiten, wie die per¬<lb/>
sönliche Bedienung und die Beförderung von einem Orte zum andern<lb/>
durch Pferde, Wagen oder Tragsessel genießt. Die Gesamtheit dieser<lb/>
Güter, deren er sich erfreuen kann, weil sie nach Abzug des Unterhalts<lb/>
der Sklaven und des Kapitalersatzes oder der Neuanlage übrig bleiben, bildet<lb/>
sein Einkommen; das ist die Rente, die ihm sein Grundstück abwirft, die er<lb/>
bezieht, bloß weil er Besitzer ist. Sie ist lediglich das Erzeugnis der Arbeit<lb/>
seiner Sklaven, er aber betrachtet sie als den Ertrag seines Vermögens, und<lb/>
er ist dazu formell berechtigt, weil die Arbeiter selbst einen Bestandteil dieses<lb/>
Vermögens bilden. Kapital ist der Teil seines Vermögens, der aus Boden¬<lb/>
kulturen, Gebäuden, Werkzeugen und Vieh besteht, im Sinne von vorgethcmcr<lb/>
Arbeit; aber in dem jetzt gebräuchlichsten Sinne, als Betriebskapital, ist keins<lb/>
vorhanden, weil fa, wie gesagt, von außen nichts in die Wirtschaft hinein¬<lb/>
kommt. Daß vielleicht schon einige überflüssige Rohprodukte und Fabrikate<lb/>
auf einem auswärtigen Markte verkauft und für das daraus gelöste Geld<lb/>
einige Dinge eingekauft werden, die dem Besitzer daheim nicht wachsen, berührt<lb/>
die Wirtschaft uicht. Weil kein Betriebskapital, so ist auch noch kein Zins<lb/>
vorhanden, deun solcher kann nur uach dem Gewinn berechnet werden, den<lb/>
das Kapital abwirft. Wo bei Naturalwirtschaft ein Zins von Gelddarlehen<lb/>
vorkommt, da ist er Wucherzins, d. h. seine Höhe wird nicht nach dem Ge¬<lb/>
winn berechnet, den der Gläubiger durch Anlage des Kapitals im Gewerbe<lb/>
erzielen könnte, sondern nach dem Grade der Not, die den Schuldner zwingt,<lb/>
Geld aufzunehmen. So faßt selbst Aristoteles noch den Zins auf. (Und auf<lb/>
dessen Auffassung ist das kanonische Zinsverbot, das auch Luther uoch ver¬<lb/>
teidigte, wohl mehr als auf das Neue Testament zurückzuführen.)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_763" next="#ID_764"> Betriebskapital entsteht, sobald sich die Fabrikation von der Landwirt¬<lb/>
schaft trennt, weil der Fabrikant das Rohmaterial und die Werkzeuge kaufen<lb/>
und den Arbeitern Lohn gewähren muß, schon ehe ihm die Fabrikation etwas<lb/>
einträgt. Mit der Scheidung der Fabrikation von der Landwirtschaft tritt<lb/>
zugleich eine Verzweigung der Fabrikation in viele Gewerbe ein. Deun<lb/>
während dem Landwirt vielerlei Rohstoffe zuwachsen, die er auf seinem ge¬<lb/>
räumigen Grundstück auch gleich verarbeiten lassen kauu, muß sich der Fabri¬<lb/>
kant, der die Rohstoffe zu kaufen und nur einen beschränkten Raum zur Ver¬<lb/>
fügung hat, auf die Verarbeitung eiues einzelnen Rohstoffes, und zwar auf<lb/>
einen einzelnen Prvduktivusabschnitt dieser Verarbeitung beschränken; er ist ent¬<lb/>
weder Müller oder Bäcker, Gerber oder Schuster, Brettschneider oder Tischler.<lb/>
Je einseitiger seine Produktion ist, desto weniger Gebrauchswert hat sein Pro¬<lb/>
dukt für ihn selbst, desto weniger kann er es auch zur Ergänzung seiner Werk-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] Der deutsche Klassiker des Sozialismus von seinem Besitz. Sie bringen aber bedeutend mehr hervor, so viel, daß der Herr nicht allein gut und reichlich essen und trinken, sich warm und pracht¬ voll kleiden kaun und ein schönes, mit bequemen Gerätschaften ausgestattetes Haus erhält, sondern auch uoch vielerlei Bequemlichkeiten, wie die per¬ sönliche Bedienung und die Beförderung von einem Orte zum andern durch Pferde, Wagen oder Tragsessel genießt. Die Gesamtheit dieser Güter, deren er sich erfreuen kann, weil sie nach Abzug des Unterhalts der Sklaven und des Kapitalersatzes oder der Neuanlage übrig bleiben, bildet sein Einkommen; das ist die Rente, die ihm sein Grundstück abwirft, die er bezieht, bloß weil er Besitzer ist. Sie ist lediglich das Erzeugnis der Arbeit seiner Sklaven, er aber betrachtet sie als den Ertrag seines Vermögens, und er ist dazu formell berechtigt, weil die Arbeiter selbst einen Bestandteil dieses Vermögens bilden. Kapital ist der Teil seines Vermögens, der aus Boden¬ kulturen, Gebäuden, Werkzeugen und Vieh besteht, im Sinne von vorgethcmcr Arbeit; aber in dem jetzt gebräuchlichsten Sinne, als Betriebskapital, ist keins vorhanden, weil fa, wie gesagt, von außen nichts in die Wirtschaft hinein¬ kommt. Daß vielleicht schon einige überflüssige Rohprodukte und Fabrikate auf einem auswärtigen Markte verkauft und für das daraus gelöste Geld einige Dinge eingekauft werden, die dem Besitzer daheim nicht wachsen, berührt die Wirtschaft uicht. Weil kein Betriebskapital, so ist auch noch kein Zins vorhanden, deun solcher kann nur uach dem Gewinn berechnet werden, den das Kapital abwirft. Wo bei Naturalwirtschaft ein Zins von Gelddarlehen vorkommt, da ist er Wucherzins, d. h. seine Höhe wird nicht nach dem Ge¬ winn berechnet, den der Gläubiger durch Anlage des Kapitals im Gewerbe erzielen könnte, sondern nach dem Grade der Not, die den Schuldner zwingt, Geld aufzunehmen. So faßt selbst Aristoteles noch den Zins auf. (Und auf dessen Auffassung ist das kanonische Zinsverbot, das auch Luther uoch ver¬ teidigte, wohl mehr als auf das Neue Testament zurückzuführen.) Betriebskapital entsteht, sobald sich die Fabrikation von der Landwirt¬ schaft trennt, weil der Fabrikant das Rohmaterial und die Werkzeuge kaufen und den Arbeitern Lohn gewähren muß, schon ehe ihm die Fabrikation etwas einträgt. Mit der Scheidung der Fabrikation von der Landwirtschaft tritt zugleich eine Verzweigung der Fabrikation in viele Gewerbe ein. Deun während dem Landwirt vielerlei Rohstoffe zuwachsen, die er auf seinem ge¬ räumigen Grundstück auch gleich verarbeiten lassen kauu, muß sich der Fabri¬ kant, der die Rohstoffe zu kaufen und nur einen beschränkten Raum zur Ver¬ fügung hat, auf die Verarbeitung eiues einzelnen Rohstoffes, und zwar auf einen einzelnen Prvduktivusabschnitt dieser Verarbeitung beschränken; er ist ent¬ weder Müller oder Bäcker, Gerber oder Schuster, Brettschneider oder Tischler. Je einseitiger seine Produktion ist, desto weniger Gebrauchswert hat sein Pro¬ dukt für ihn selbst, desto weniger kann er es auch zur Ergänzung seiner Werk-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/269>, abgerufen am 11.05.2024.